Von der Gemeindeversammlung zur Bezirksverordnetenversammlung

Kurze Geschichte der Wilmersdorfer Verwaltung

Folgender Text wurde im Vorraum des BVV-Saales im Rathaus Wilmersdorf ausgehängt:

Um 1800 war Wiimersdorf ein Bauerndorf mit einem Amtsvorwerk, dem Dorfkrug und einer Windmühle. Die Bauern bewirtschafteten 27 und das Vorwerk 17 Hufen. Insgesamt zählte Wilmersdorf 40 steuerpflichtige Feuerstellen mit 285 Personen.
1836 wurde das Wilmersdorfer Vorwerk ein Rittergut. Seit der „Bauernbefreiung” durch die Separation kam es in Wiimersdorf zu einem allmählichen Anstieg der Bevölkerung.

Bis in die 1870er Jahre kümmerte sich die Gemeindeversammlung, in der nur die Bauern und Kossäten Sitz und Stimme hatten, um die Belange Wilmersdorfs. Sie wählten aus ihrer Mitte den Ortsschulzen, der einen flachen Hammer herumsandte, auf dem Thema und Datum standen, wenn er eine Versammlung einberufen wollte.

Da die Verwaltungsaufgaben durch den starken Bevölkerungszuwachs sehr angestiegen waren, wurde die Gemeindeversammlung 1875 durch eine gewählte Gemeindeverwaltung abgelöst. Auch Nichtbesitzer erhielten jetzt das Wahlrecht. Die Gemeindevertretung begann sich mit Unterstützung des 1885 gegründeten “Gemeinnützigen Vereins” verstärkt um den Ausbau der Infrastruktur zu kümmern.
Endlich konnte sie in diesem Jahr auch einen genehmigten Bebauungsplan vorlegen, der zu einer wesentlichen Steigerung der eingerichteten Neubauprojekte führte.

Als erster besoldeter Amts- und Gemeindevorsteher Wilmersdorfs war Friedrich Storck (1846-1897) von 1892 bis 1897 tätig. Die Gemeindevertretung tagte in Klassenzimmern oder Privaträumen bis 1895 das erste Wilmersdorfer Rathaus in der Brandenburgischen Straße bezugsfertig war. Es wurde von 1892 bis 1894 nach Plänen des Berliner Stadtbauinspektors Lindemann errichtet. Durch die rasant gestiegenen Verwaltungsaufgaben beim Ausbau des Ortes erwies es sich schon bald als zu klein. 1901 schrieb man einen Wettbewerb für einen Erweiterungsbau aus, der jedoch kein brauchbares Ergebnis erzielte. Erst 1909 hatte ein neuer Wettbewerb Erfolg, Das Rathaus sollte an der Westseite des Fehrbelliner Platzes am heutigen Preußenpark. entstehen. Doch der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte 1914 die Realisierung des Vorhabens, und die Verwaltung von Wilmersdorf blieb weiter auf das schon lange zu kleine Rathaus angewiesen.

Um 1900 hatte Wilmersdorf an die 30.000 Einwohner und führte seit einem Jahr Verhandlungen, weil es aus dem Kreisverband Teltow ausscheiden wollte. Jedoch erst 1906 war es so weit . Wilmersdorf erhielt durch der königliche Verordnung die Sladtrechte und musste an den Kreis Teltow. der die wohlhabende Gemeinde ungern entließ, eine “Ablösesumme” entrichten. Im April 1907 schied Wilmersdorf offiziell aus dem Kreisverband aus. Der Ort bildete nun einen Stadtkreis und war dem Landespolizeibezirk Berlin angegliedert. Erster und einziger Oberbürgermeister der Stadt Wilmersdorf wurde der bisherige Gemeindevorsteher Ernst Habermann (1866-1958). Er blieb es, bis zu Beginn der Weimarer Republik Groß-Berlin entstand.

Mit dem Gesetz vom 27.04.1920 ging Wilmersdorf zusammen mit der Landgemeinde Schmargendorf und der nach 1889 erbauten Kolonie Grunewald und dem 1915 vom Zweckverband Groß-Berlin dem königlichen Forstfiskus abgekauften Forst Grunewald als 9. Verwaltungsbezirk in Groß-Berlin auf. Ein Großteil der Bezirksverwallung fand ein Unterkommen im Stadthaus, dem ehemaligen Joachimsthalschen Gymnasium in der Kaiserallee 1-12 (heute Bundesallee) Aber auch das alle Rathaus wurde weiter von der Verwaltung genutzt, bis es Bomben im Zweiten Weltkrieg zerstörten. Im Schmargendorfer Rathaus, das 1900-02 nach Plänen des Architekten Otto Kerwien in märkischer Backsteingotik errichtet worden war, wurde das Standesamt des neuen Bezirks eingerichtet. Das Amtshaus Grunewald war in der Herthastraße 16-18. Nach dem Zusammenschluss mit Wilmersdorf befanden sich dort noch der Kassenraum, in dem Steuern bezahlt werden konnten, ein Einwohnermeldeamt, ein Standesamt, mehrere Räume für die öffentliche Wohlfahrt sowie eine Polizeiwache.

Nach ihrer Machtübernahme 1933 ließen die Nationalsozialisten den Bürgermeister der DNVP, Dr. Emil Franke, zunächst weiter amtieren, bevor ihn 1936 der damals erst 28jährige Nationalsozialist Dr. Hermann Petzke ablöste. Erschreckend ist, wie schnell die Bezirksverwaltung sich auf die neue Situation 1933 eingestellt hat, wie reibungslos sie im Nationalsozialismus funktioniert hat, mit welcher Selbstverständlichkeit Verwaltungsvorgänge erledigt wurden, die Ausgrenzung und Entrechtung von Menschen bedeuteten. Wir alle wissen heute, dass auf die Ausgrenzung die Ermordung von Millionen Kindern, Frauen und Männern folgte.

In dem vom Bezirksamt Wilmersdorf 1992 herausgegebenen Buch “Kommunalverwaltung unterm Hakenkreuz” wurde nachgewiesen, dass nahezu jeder im Bezirksamt Wilmersdorf zwischen 1933 und 1945 Beschäftigte an den nationalsozialistischen Verbrechen mehr oder weniger direkt beteiligt war. Wenn auch der Wechsel von der Demokratie zur Diktatur zunächst den Berufsalltag der Verwaltungsbeamten kaum verändert hat und die Aufgaben zunächst die gleichen blieben, so wurde doch sehr bald fast jeder Zweig der Verwaltung eingebunden in das verbrecherische System, benutzt für die Zwecke der Nationalsozialisten. Die zunehmend perfekte Ausgrenzung und Entrechtung der Juden wäre ohne die Kommunalverwaltung nicht durchführbar gewesen. Die Gesetze und Verordnungen zur Diskriminierung der Juden mussten auf der unteren kommunalen Ebene in Verwaltungshandeln umgesetzt werden. Die Standesämter und Gesundheitsämter, die Jugendämter und Stadtbibliotheken, ja sogar die Vermessungsämter, Bauaufsichtsämter und Gartenbauämter verfolgten, schikanierten die jüdische Bevölkerung, indem sie die ihnen per Gesetz und Verordnung auferlegte Pflicht taten. Manche taten sich sogar durch eigene Initiativen im Sinne des vermuteten “Führerwillens” hervor. Mit dem Kriegsbeginn 1939 wurde die Zwangsbewirtschaftung eingeführt, und seit 1941 dominierte die Kriegsverwaltung. Nach der Zerstörung des Stadthauses 1943 zogen große Teile der Bezirksverwaltung in das heutige Goethe-Gymnasium.

Die NS-Diktatur endete mit der Kapitulation vom 8. Mai 1945. Die Sowjets setzten sofort in den einzelnen Bezirken und teilweise in einzelnen Stadtteilen Bürgermeister zur Neuorganisation der Verwallung ein. In Wilmersdorf wurde am 9. Mai der parteilose ehemalige Oberregierungsrat Dr. Bruno Willenbücher, als früheres DVP-Mitglied ein so genannter “Bürgerlicher”, berufen. Hauptprobleme waren die Ernährung und die Beschaffung von Wohnraum für die 100.000 Menschen, die noch im Bezirk Wilmersdorf lebten.
Entsprechend der Aufteilung Berlins in vier Sektoren wurde Wilmersdorf am 4. Juli 1945 von britischen Streitkräften besetzt, die ihr Hauptquartier zunächst in dem Gebäude am Fehrbelliner Platz 4 einrichteten, das 1941-43 als Erweiterungsbau für die Deutsche Arbeitsfront DAF gebaut worden war. Die Briten nannten es “Lancaster House”. 1954 zog hier die Bezirksverwallung ein. Seither ist es das Rathaus Wilmersdorf.

Dr. Bruno Willenbücher gab das Bürgermeisteramt im Oktober 1945 auf und wurde von dem SPD-Mitglied Gerhard Lichter abgelöst. Nach den ersten Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung am 20.10.1946 wurde am 10. Dezember 1946 Walter Rieck, ebenfalls SPD-Mitglied, erster gewählter Wilmersdorfer Bürgermeister nach der Nazi-Diktatur. In den 50er Jahren bildete sich in Wilmersdorf wieder – wie vor 1933 – eine konservativ-liberale Mehrheit heraus. 1951 wurde die FDP stärkste: Partei und FDP-Mitglied Wolfgang Rect Bezirksbürgermeister. Seit 1955 wurden die Bezirksbürgermeister mit einer Ausnahme (Gerhard Schmidt, SPD, 1965-1971) von der CDU gestellt. Am längsten amtierte Horst Dohm (1981-1996).

Am 1. Januar 2001 wurde Wilmersdorf mit Charlottenburg zu Charlottenburg-Wilmersdorf, dem zentralen City-Bezirk des Berliner Westens fusioniert.