Unglaublich lecker!

Gabrielle Rossmer Gropman und Sonya Gropman, Mutter und Tochter aus den Vereinigten Staaten, haben das erste deutsch-jüdische Kochbuch seit 100 Jahren geschrieben – eine Geschichte und Erinnerungen mit über 100 Rezepten.

Das Interview führte Amelie Müller

Dreierlei Gemüse: Gurkensalat (links), Rote Beete und Sellerie-Salat mit Kresse (rechts), Gelbe Rüben mit Petersilie (unten)
Wie kamen Sie auf die Idee dieses Buch zu schreiben?

SONYA: Ich habe mich seit jeher sehr für das Kochen interessiert. Ich wollte schon immer mal ein Kochbuch schreiben. Irgendwann wurde mir bewusst, dass die Essensbräuche beider Seiten meiner Familie sich sehr voneinander unterscheiden. Beide Seiten sind jüdisch, aber die Eltern meiner Mutter sind aus Deutschland, die Eltern meines Vaters aus Osteuropa. Mir wurde klar, dass kaum jemand etwas über deutsch-jüdische Küche weiß. Also kam ich auf die Idee, dieses Buch zu schreiben, um die Rezepte zu erhalten, zu dokumentieren und zu teilen – denn sie sind wirklich lecker! Ich wusste sofort, dass meine Mutter und ich gemeinsam an diesem Projekt arbeiten müssen. Sie ist in einer deutsch-jüdischen Gegend in New York aufgewachsen und hat von klein auf das für diese Kultur typische Essen gegessen. Und sie spricht Deutsch. Zuerst sagte sie nein. Aber ich ließ nicht locker, bis sie irgendwann endlich zustimmte.

GABRIELLE: Ich bin mit meinen Eltern aus Deutschland geflohen, als ich ein Jahr alt war. Meine Großeltern väterlicherseits haben nicht überlebt. Es war eine seltsame Situation: Ich wuchs behütet in New York City auf, während mein Vater in der Ungewissheit um das Schicksal seiner Eltern lebte. Erst nach dem Krieg, 1945, erfuhr er, was mit ihnen geschehen war. Das war wie ein Hintergrund, vor dem mein Leben stand. Mein Vater gab mir die Aufgabe, die Erinnerung zu bewahren. Als Bildhauerin befasste ich mich viel mit meiner Familiengeschichte, bis ich beschloss, dass ich keine „Holocaust-Künstlerin“ sein wollte. In diese Schublade wird man sonst leicht gesteckt. Also hörte ich auf, zu diesem Thema zu arbeiten. Als die Idee mit dem Kochbuch entstand, wusste ich, Sonya wollte es machen und wir kochen beide leidenschaftlich gern. Ich dachte: „Nun arbeite ich mit Sonya weiter an meiner Familiengeschichte.“ Es war eine Herausforderung und eine Möglichkeit, die Geschichte der deutschen Juden zu dokumentieren – eines Volkes, das in vielerlei Hinsicht in Vergessenheit geraten ist, sogar innerhalb der Jüdischen Gemeinschaft.

Sonya Gropman und Gabrielle Rossmer Gropman

Sonya Gropman und Gabrielle Rossmer Gropman

Warum, meinen Sie, ist das so?
GABRIELLE: Der allererste Grund sind die Zahlen. Wir sind eine sehr kleine jüdische Minderheit. Außerdem wollte man nicht als Deutscher identifiziert werden. Deutsch-jüdische Kultur wird eher zurückgezogen gelebt. Man möchte nicht zu sichtbar sein oder Aufmerksamkeit auf seine Kultur lenken.

SONYA: Die Amerikaner machten da keinen Unterschied. Wenn sie einen deutschen Akzent hörten, dachten sie einfach: „Das ist ein deutscher Akzent.“ Und Deutschland war der Feind. Viele Menschen pflegten ihre Traditionen zuhause, privat, und kochten die Gerichte, die sie in Deutschland gegessen hatten. Doch in vielerlei Hinsicht wollten sie sich anpassen und wie die „amerikanischen Juden“ werden.

Was ist deutsch-jüdische Küche?
SONYA: Die jüdische Kultur ist seit jeher eine nomadische. Überall, wo sich Juden im Laufe der Geschichte niederließen, haben sie die Küche ihres jeweiligen Wohnortes übernommen. Einfach ausgedrückt könnte man sagen, deutsch-jüdische Küche ist deutsche Küche. Aber wir haben sie in drei Unterkategorien unterteilt: Die erste besteht aus deutschen Gerichten, die nicht an die jüdischen Speisegesetze (Kaschrut-Regeln) angepasst werden mussten, da sie diesen ohnehin entsprachen, wie zum Beispiel Reisauflauf, Kartoffelklöße, …

GABRIELLE: …und vor allem Kuchen und Gebäck. Denken Sie nur an Kaffee und Kuchen.

SONYA: Die zweite Kategorie waren deutsche Gerichte, die an die Kaschrut-Regeln angepasst werden mussten. Bei Sauerbraten beispielsweise werden oft Milchprodukte zur Sauce hinzugefügt. Dafür gibt es dann eine jüdische Alternative ohne Milch. Eins der besten Beispiele sind Wurst und Aufschnitt, wofür in Deutschland hauptsächlich Schweinefleisch verwendet wird. Hier gibt es viele unterschiedliche jüdische Varianten von Würsten aus Kalb- und Rindfleisch. Die dritte Kategorie sind besondere Feiertags- und Sabbatgerichte, die spezifisch jüdisch sind. Bestes Beispiel dafür ist Berches oder Barches, die deutsche Version von Challa, dem Brot, das jeden Freitagabend vor Beginn des Sabbat und an Feiertagen gesegnet und gegessen wird.

Apfel Schalet mit Birnen: dieses Gericht wurde traditionell als milchiges Abendessen gegessen

Apfel Schalet mit Birnen

Welche Quellen haben Sie für Ihr Buch genutzt?
GABRIELLE: Ungefähr die Hälfte der Rezepte in unserem Buch kannte ich aus meiner Jugend. Die andere Hälfte kam von Menschen, die wir interviewt haben, oder aus deutsch-jüdischen Kochbüchern, die überwiegend um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert geschrieben wurden. Am meisten haben wir das Buch von Marie Elsasser benutzt…

SONYA: … und das von Rebekka Wolf.

GABRIELLE: Aber die handschriftlichen Aufzeichnungen meiner Großmutter waren auch recht hilfreich. Als junges Mädchen hatte sie die Hauswirtschaftsschule in München besucht. Daher besaß sie ein handgeschriebenes Kochbuch, wie es auch viele der von uns interviewten Frauen hatten.

SONYA: Alte Rezepte sind anders als moderne. Oft fehlen die Maß- oder Temperaturangaben (in einem Holzherd gibt es ja kein Thermometer). Auch werden viele Techniken nicht extra erklärt, weil damals jeder kochen konnte. Deswegen konnten wir die alten Rezepte nicht einfach eins zu eins aus den alten Kochbüchern übernehmen. Wir mussten sie quasi neu entwickeln.

GABRIELLE: Bei einigen war das richtig schwierig, zum Beispiel beim Apfel-Schalet mit Birnen. Dieses Rezept mussten wir vielleicht sechs, sieben Mal ausprobieren, bevor es uns gelang.

Woher wussten Sie, dass Sie den Originalgeschmack gefunden hatten?
GABRIELLE: Dank Geschmacksgedächtnis …. Als Moris, ein Freund von uns, der als Sohn von Überlebenden im US-Bundestaat Minnesota aufwuchs, bei uns zum Seder am Vorabend des Pessach-Festes eingeladen war und eine Vorspeise mit Karpfen (wenn auch kein „Gefillte Fisch“) auf den Tisch kam, erstrahlte er. Er erkannte den Geschmack sofort von seiner Mutter, und sein Geschmacksgedächtnis war uns sehr von Nutzen.

SONYA: Ein anderes gutes Beispiel ist Krautsalat. Wir fanden das handschriftliche Rezept meiner Urgroßmutter in ihrem Notizbuch. Aber als meine Mutter es dementsprechend zubereitete, schmeckte es nicht so, wie sie es aus ihrer Kindheit kannte. Offenbar mochte meine Urgroßmutter keine Zwiebeln. Und obwohl Zwiebeln Bestandteil des Rezepts waren, verzichtete sie darauf. Meine Mutter musste sich auf ihr Geschmacksgedächtnis verlassen, um das Rezept zu rekonstruieren. Alle lieben es; es ist so einfach und trotzdem unglaublich lecker!

Gaby Rossmer mit ihrem Vater Stephen Rossmer (geb. Rossheimer) in den 1940er Jahren im Fort Tryon Park im New Yorker Stadtteil Washington Heights

Gaby Rossmer mit ihrem Vater Stephen Rossmer (geb. Rossheimer) in New York

Sie haben im Rahmen Ihrer Recherchen auch Interviews geführt. Können Sie uns einige Beispiele nennen?
GABRIELLE: Hanna Zurndorfer war bemerkenswert. Wir haben sie getroffen, als sie bereits über 90 war. Als junge Frau war sie ganz allein in die USA ausgewandert, weil sie als Jüdin in Deutschland keine Ausbildung mehr machen konnte. Sie kam aus einer Kleinstadt in Baden-Württemberg. In kleinen Orten bewahrten die Juden oft mehr von ihren Traditionen als Juden in den Städten (so wie meine Familie beispielsweise, die in Stadt gezogen war und schon seit einigen Generationen nicht mehr koscher gegessen hatte). Hanna aber aß nach wie vor koscher, und sie bereitete ihr ganzes Leben lang weiter all jene traditionellen Gerichte zu. Freitags gab es immer noch Karpfen nach einem eigenen, sehr komplizierten Rezept, das sie mit uns nachgekocht hat. Es war übrigens ziemlich schwierig, in New York einen Karpfen für sie aufzutreiben (früher war das viel einfacher). Die Zubereitung dieses Gerichts mit Hanna war eine sehr intensive Erfahrung, da sie sich auf eine mehrere hundert Jahre alte Tradition stützte und eine der Letzten auf der Welt war, die das Gericht so noch zubereitete.
SONYA: Ein weiteres beeindruckendes Interview haben wir in Bamberg mit einer Frau namens Emmy Zinkgeführt. Sie war selbst Christin, ihre Familie hatte aber für eine wohlhabende jüdische Familie gearbeitet, ihre Mutter als Köchin. Sie konnte sich an viele Dinge erinnern, als wären sie gestern geschehen, beispielsweise an das Stopfen einer lebendigen Gans und andere Dinge, die für uns sehr hilfreich waren.

Ihre Familie kommt aus Bamberg, aber enthält Ihr Buch auch Berliner Rezepte?
GABRIELLE: In Berlin waren die Juden viel stärker assimiliert als anderswo. Es gab dort sehr viele Juden. Ich bin sicher, dass viele koscher aßen, aber die Mehrheit es nicht tat und auch andere jüdische Traditionen aufgegeben hatte. Eine Frau, die aus Berlin kam, hat uns ein hervorragendes Rezept für Heringssalat gegeben. Das ist typisch für Berlin, denke ich. Mit regionalen Besonderheiten haben wir uns nicht im Detail befasst, denn obwohl all unsere Gesprächspartner aus verschiedenen Teilen Deutschlands kamen, hatten sie doch mehr oder weniger dieselben Gerichte. Nur bei der Zubereitung gab es kleinere Unterschiede.

German-Jewish Cookbook

Das German-Jewish Cookbook ist bislang nur auf Englisch erhältlich

Welche Reaktionen gab es nach der Veröffentlichung des Buchs?
GABRIELLE: Viele Leser haben genauso positiv auf die Geschichte und die Erinnerungen reagiert wie auf die Rezepte. Sie haben auch betont, wie wenig über deutsch-jüdische Geschichte bekannt ist. Oft waren sie davon fasziniert.
SONYA: Seit der Veröffentlichung unseres Buches sind wir durch die USA und Deutschland getourt. Wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten, sowohl von deutschstämmigen Juden, die schon lang in Vergessenheit geratene Lieblingsgerichte aus ihrer Kindheit wiederentdecken, als auch von Menschen, die das erste Mal mit dieser Küche in Berührung kommen.

Was sind Ihre Lieblingsgerichte? Können Sie uns etwas empfehlen?
GABRIELLE: In unserer Familie sind die Kartoffelklöße sehr beliebt. Sonya mag den Kartoffelsalat meines Vaters, und auch den Krautsalat. Ich persönlich mag Weincreme zum Nachtisch. Sie schmeckt sehr nach Zitrone und ist äußerst lecker. Und Zwetschgenkuchen! Jeder deutschstämmige Jude, mit dem wir gesprochen haben, hatte eine Großmutter, die Zwetschgenkuchen bzw. Pflaumenkuchen gebacken hat.

Wo ist Ihr Buch erhältlich?
GABRIELLE: In den USA kann man es im Buchhandel und online kaufen. In Deutschland ist das Buch noch nicht erschienen, aber den englischen Titel kann man auf Amazon.de bestellen. Es gibt auch eine E-Book-Version.

SONYA: Wir haben das Buch mit verschiedenen Veranstaltungen in Deutschland vorgestellt und hatten den Eindruck, dass das Thema bei Deutschen auf großes Interesse stößt (bei Juden und Nichtjuden gleichermaßen). Wir hoffen deshalb, dass es bald eine deutsche Ausgabe geben wird.

Weitere Informationen:
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