Schulzeit in Berlin

Der Brief über die Rudolf Steiner Schule in der letzten aktuell Ausgabe veranlasst mich zu erwähnen, dass es möglich war, auch während der Nazi-Zeit in einer öffentlichen Schule in Berlin eine relativ glückliche Zeit zu verleben.

Ich besuchte das Staatliche Prinz-Heinrich-Gymnasium in Berlin-Schöneberg von der Sexta an im Jahr 1928 bis zum Abitur im Jahr 1937, und obwohl der sozialdemokratische Direktor Dr. Schönbrunn im Jahr 1933 entlassen wurde und ein Nazi namens Deidert Direktor wurde, haben meine zwei jüdischen Klassenkameraden und ich kaum jemals unter Antisemitismus von Seiten unserer Mitschüler oder Lehrer zu leiden gehabt. Natürlich musste der Hitlergruß zum Anfang jeder Stunde eingeführt werden, und jeden Montag morgen fand in der Aula eine Schulversammlung statt, bei welcher der Direktor feierlich mit ausgestreckten Arm durch die stehende Versammlung marschierte und alle mit „Heil Hitler“ begrüßte. Am letzten Schultag vor den Ferien fand eine „Flaggenparade“ im Schulhof statt, wobei die beiden Flaggen (Hakenkreuz and Schwarz-Weiss-Rot) gehisst wurden und die versammelte Schule die beiden Nationalhymnen (Horst-Wessel-Lied und Deutschland-Lied) sang. Wir hatten das große Glück, während der letzten fünf Jahre unserer Schulzeit einen Klassenlehrer (Dr. Arnold Bork) zu haben, der kein Nazi war und soweit es ihm möglich war, keine Kompromisse mit der offiziellen politischen Einstellung schloss. Ich bin überzeugt, dass wir es ihm und seinem Einfluss zu verdanken haben, dass unsere Klassenkameraden uns freundlich gegenüber standen und wir keinerlei Angriffen ausgesetzt waren.

Ich bestand das Abitur mit „gut“ – ein weiteres Zeichen dafür, dass der offizielle Antisemitismus noch nicht überall hin reichte. Somit habe ich keine schlechten Erinnerungen an meine Schulzeit und bin noch immer dankbar dafür.


Fritz Lustig
Chiffre 131102