Großes Interesse und noch mehr Raum für Neues

Das Jüdische Museum Berlin freut sich über konstant hohe Besucherzahlen

_von Stefan Großmann_

Jugendliche diskutieren mit Fachpolitikern und dem Direkter des Jüdischen Museums, Prof. W. Michael Blumenthal (in der Mitte auf dem Podium) im Rahmen der Sonderausstellung „Heimat und Exil“.

Zweieinhalb Jahre sind vergangen, seit sich aktuell zuletzt dem Jüdischen Museum Berlin widmete. Was im Dezember 2004 unter der Überschrift „Erfolgsgeschichte“ beschrieben wurde, hat sich seitdem zu einer großen Erfolgsgeschichte weiter entwickelt. Denn die Zahlen beeindrucken. Seit der Eröffnung 2001 besuchten mehr als 3,8 Millionen Neugierige aus dem In- und Ausland den Libeskind-Bau, die Dauerausstellung und die Sonderausstellungen. Das Jahr 2006 endete mit einem neuen Besucherrekord: 715.000 Menschen kamen – trotz Fußball-WM und einem heißen Sommer – in das Haus an der Lindenstraße im Stadtteil Kreuzberg.

„Das Interesse an unserem Museum ist ungebrochen. Das hatten nicht einmal Museumsexperten so vorhergesagt. Normalerweise sinken Besucherzahlen von Museen nach einer gewissen Auftaktphase immer“, sagt Eva Söderman, Pressesprecherin des Museums. Bei inzwischen etwa 600 Führungen im Monat gibt es dabei sogar schon „Tage, an denen wir an unsere Kapazitätsgrenze gelangen“, so Söderman. Für das laufende Jahr zeichnet sich eine Zahl von 7.000 Führungen ab, die Hälfte davon mit Schulklassen. Das entspricht dem Ziel des Hauses, besonders die junge Generation zu erreichen: „Wir spüren da auch eine sehr große Neugier“. Selbst Berliner Jugendlichen, die aus türkischen oder arabischen Migrantenfamilien stammen und den Museumsbesuch anfangs als lästige Pflicht empfinden, bieten die Mitarbeiter mit Fragen wie „Ist das im Islam nicht auch so?“ einen Bezug zur eigenen Religion und schaffen so einen Zugang zu den Angeboten des Museums. Auch mit zahlreichen Multimedia-Angeboten wird auf die Gewohnheiten junger Menschen eingegangen. Mit Erfolg: Rund 40 Prozent der Besucher sind unter 30 Jahre alt – für ein Museum in der Tat ein ungewöhnlicher Wert.

Erinnerungsstücke im Jüdischen Museum, Titel: »Passage«

Doch nicht nur für junge Besucher ist das Museum ein lohnendes Ziel. Auch für viele Touristen gehört das Haus inzwischen zum „Standard“ eines Berlin-Besuches. Etwa ein Drittel der Besucher kommt aus dem Ausland. Damit besucht jeder zehnte internationale Berlin-Besucher auch das Jüdische Museum, die Gäste kommen vor allem aus den USA, den Niederlanden und Dänemark.

Die Gründe für das Interesse sind dabei ebenso vielfältig wie die Herkunftsländer. Da gibt es jene, die schon „viel über das Museum gehört haben“ und für die ein Besuch deshalb ein „Muss“ ist. Andere wollen (auch) mehr zur jüdischen Geschichte vor und nach der Zeit des Nationalsozialismus erfahren. Wieder andere lockt die renommierte Architektur des Libeskind- Neubaus. Und schließlich kommen auch Gäste, die ein spezielles Einzelinteresse vertiefen wollen. Besonders unter den Zeitzeugen von Flucht und Vertreibung gibt es eine „überwältigende Resonanz“, wie Eva Söderman berichtet. Seit der Eröffnung des Jüdischen Museums konnten – übrigens auch durch den Leserkreis von aktuell – neue Kontakte geknüpft und vorhandene vertieft werden. Das zur Verfügung gestellte Material, das manchmal ganze Familienkonvolute umfasst, macht das Geschehen auch für jüngere Generationen begreifbar. Etwa 25 Mal im Jahr gibt es Archiv-Workshops, in denen Lebensläufe und persönliche Gegenstände Anlass für die intensive Beschäftigung mit jüdischem Leben bieten.

Die große Bandbreite unterschiedlicher Angebote sorgt dafür, dass es für alle Besucher und ihre verschiedenen Interessen immer wieder etwas Neues zu erfahren und zu entdecken gibt. Dazu tragen neben der Dauerausstellung vor allem die wechselnden Sonderausstellungen bei. So gastiert von Juli bis September 2007 eine Ausstellung mit 1.300 Werken der Künstlerin Charlotte Salomon aus den Jahren 1940 bis 1942, im Februar 2008 widmet sich eine Sonderausstellung unter dem Motto „bis zur Kenntlichkeit entstellt” gängigen Stereotypen.

Darüber hinaus setzt das Museum auch Themenschwerpunkte mit Bezug zum aktuellen Zeitgeschehen. So griff im März eine „Darfur-Aktionswoche“ den gegenwärtigen Konflikt im Westen Sudans auf. „Im Allgemeinen widmen wir uns vor allem Themen mit jüdischem Hintergrund. Das Thema Darfur wird derzeit aber auch in Deutschland ernsthaft in den Medien und der Öffentlichkeit diskutiert, so dass wir einen Beitrag zu dieser Diskussion leisten wollen“, so Eva Söderman. Die in der Region Darfur begangenen Verbrechen und die systematische Vertreibung nichtarabischer Einwohner ins Nachbarland Tschad waren im Jüdischen Museum auch Thema von „Heimat und Exil – Jugend debattiert“. Jugendliche aus Berlin setzten sich in diesem Rahmen mit den Themen Flucht und Exil auseinander. Zum Abschluss diskutierten sie mit Politikern und dem Direktor des Jüdischen Museums, W. Michael Blumenthal, über den Kontext von Flucht und Vertreibung in der Vergangenheit und der Gegenwart.

Damit stand die Veranstaltung auch im Kontext der letzten Sonderausstellung „Heimat & Exil“. Am Beispiel von 14 Lebensläufen wurden darin persönliche Erfahrungen rund um Leben, Vertreibung und Flucht gezeigt. Familienbilder aus den 1930er Jahren, gezeigt am Eingang zur Ausstellung und untermalt mit fröhlicher Musik, erhielten im Auge des Besuchers nach den gezeigten Dokumenten des antisemitischen Wahns der Nationalsozialisten eine ganz andere Wirkung. Im Mittelpunkt der Ausstellung: das Schicksal der „kleinen Leute“. Für manche war die Flucht der Start in ein neues, erfolgreiches Leben, andere scheiterten beim erzwungenen Neuanfang. Einige wurden Fotografen, Unternehmer, Hühnerfarmer in New Jersey oder Schauspieler in Hollywood, andere nahmen sich, überfordert von der neuen Situation, das Leben.

Die Ausstellung endet mit dem Zwiespalt vieler Flüchtlinge: wie mit dem „neuen“ Deutschland umgehen?

Wer ins Jüdische Museum kommt, hat darauf meist eine individuelle Antwort gefunden. Und der Weg hierher lohnt sich bald zusätzlich. Denn schon in der nahen Zukunft wird das Haus um eine weitere Attraktion reicher. Im September 2007 soll der von Daniel Libeskind entworfene Glashof eingeweiht werden. Damit wird zusätzlicher Platz für größere Veranstaltungen mit bis zu 500 Gästen geschaffen. Der bisher genutzte Konzertraum im Dachgeschoss des Altbaus war bei vielen Anlässen dem großen Interesse nicht mehr gewachsen. Mit dem maßgeblich durch Sponsoren, Spender und auch den Bund finanzierten 600 Quadratmeter großen Glashof, dessen Form sich auf eine Sukkah, eine Laubhütte, bezieht, können deshalb weitere Programme und Konferenzen stattfinden, für Ereignisse wie die alljährliche Verleihung des Preises für Verständnis und Toleranz gibt es künftig mehr Raum.

So soll der neue Glashof einmal aussehen.


Jüdisches Museum Berlin
Lindenstraße 9-14
10969 Berlin
Tel.: 49 30 25993300
E-Mail: info@jmberlin.de
www.jmberlin.de

Die Ausstellung „Heimat & Exil“ ist bis zum 7. Oktober 2007 im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen. Von Dezember 2007 bis Februar 2008 ist sie im zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu Gast.

Der Autor studiert Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft an der TU Dresden und absolvierte ein Praktikum in der Redaktion von _aktuell_ .