Stolperstein Marburger Str. 12

Hauseingang Marburger Str. 12

Hauseingang Marburger Str. 12, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

Der Stolperstein für Bianka Sacher wurde am 23.08.2011 verlegt und von Brigitte Sommer, Berlin, gespendet.

Die nachfolgenden Stolpersteine wurden am 19.06.2012 verlegt.

Stolperstein Bianka Sacher

Stolperstein Bianka Sacher, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

HIER WOHNTE
BIANKA SACHER
GEB. DOBERZINSKY
JG. 1877
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Johanna Jacobsohn

Stolperstein Johanna Jacobsohn, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

HIER WOHNTE
JOHANNA JACOBSOHN
GEB. CHAIM
JG. 1856
DEPORTIERT 14.1.1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 24.1.1943

Stolperstein Gertrud Jacobsohn

Stolperstein Gertrud Jacobsohn, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

HIER WOHNTE
GERTRUD JACOBSOHN
GEB. JÜDEL
JG. 1886
DEPORTIERT 6.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Jacob Jacobsohn

Stolperstein Jacob Jacobsohn, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

HIER WOHNTE
JACOB JACOBSOHN
JG. 1884
DEPORTIERT 6.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Margarete Jonass

Stolperstein Margarete Jonass, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

HIER WOHNTE
MARGARETE JONASS
GEB. SCHÜLER
JG. 1877
DEPORTIERT 5.9.1942
RIGA
ERMORDET 8.9.1942

Stolperstein Martha Lewent

Stolperstein Martha Lewent, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

HIER WOHNTE
MARTHA LEWENT
GEB. GROSZ
JG. 1885
DEPORTIERT 17.5.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Martha Lewent, geb. Grosz, wurde am 14. Juni 1885 in Leipzig geboren. Ihre Mutter Anna, geb. Schauer, war Jahrgang 1861, ihr Vater, Bernhard Grosz, Jahrgang 1854. Das Grab von Marthas Eltern, die 1921 und 1926 starben, befindet sich auf dem alten israelitischen Friedhof in Leipzig. Martha hatte eine fünf Jahre ältere Schwester, Ella Gertrud (geb. 8. Juli 1880).
Ihr Vater war Direktor und Miteigentümer der „Kunstanstalt B. Grosz”, einer großen Fabrik und Aktiengesellschaft mit über hundert Angestellten in Leipzig-Reudnitz. Sie stellte hochwertige Reproduktionen von Ölgemälden in einem komplizierten Ölfarben-Druckverfahren sowie Goldleisten und Rahmen her; später kamen Glasdrucke, Spiegel, Fotorahmen und ein Kunstverlag hinzu. Marthas Vater hatte klein angefangen: Zunächst hatte er nur Bilder gekauft, sie neu gerahmt und dann weiterverkauft. Zusammen mit seinem Bruder Sigmund hatte er diese Geschäftsidee dann binnen weniger Jahre zu einer riesigen, mit Dampfkraft betriebenen Fabrik ausgebaut, die ein Vermögen abwarf. Der Jahresumsatz betrug etwa eine Million Mark. Die Kunstanstalt Grosz war um die Jahrhundertwende anscheinend die einzige Fabrik in Deutschland, die Gemäldereproduktionen samt Rahmen komplett im eigenen Haus herstellte. Sie exportierte ihre Produkte in aller Herren Länder: „Hier wird ein buntfarbiger Hausaltar in Dutzenden nach einem südamerikanischen Platze versandtfertig gemacht, dort sind farbenprächtige Öldruckbilder in Barockrahmen zur Reise nach Montevideo bereit; Genrebilder und Landschaften in Öldruck wandern nach allen vier Himmelsgegenden“, schwärmt ein sächsisches Industriehandbuch 1892.

Die Familie Grosz lebte im Herzen der Leipziger Innenstadt, Täubchenweg 1. Das Haus steht noch und wurde vor einigen Jahren aufwendig restauriert.
Vor 1907 heiratete Martha Grosz den fünf Jahre älteren Berliner Fabrikanten Ernst Lewent und zog mit ihm in die Oranienstraße nach Berlin-Kreuzberg, in Fußentfernung zu Ernsts Möbelfabrik. Am 5. Februar 1907 bekam das Ehepaar einen Sohn, Heinrich Max. Bald darauf zog die junge Familie nach Charlottenburg in die Marburger Straße 12. Dort kam am 29. April 1913 ihre Tochter Irene zur Welt. Die Möbelfabrik florierte, auch besaß Marthas Mann mehrere Mietshäuser in Berlin, unter anderem in der Rückertstraße in Charlottenburg und in der Stierstraße in Friedenau, die er wohl auch selbst verwaltete und, wenn nötig, bauliche Veränderungen plante und ausführen ließ.

Über das Leben der Familie nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten sind nur wenige Details bekannt. Im Zuge der „Arisierung” verlor Marthas Mann seine Firma, die 1939 liquidiert wurde. Beiden Kindern der Lewents gelang in den 1930er-Jahren die Flucht nach Großbritannien, und sie verbrachten dort wohl den Rest ihres Lebens. Irene lebte zunächst in London, wo sie 1939 den Pelzhändler Leon Reichwald heiratete. Sie starb 1979. Heinrich starb 1963 in Henden/Middlesex. Ob Ernst und Martha Lewent ebenfalls zu emigrieren versuchten, ist nicht bekannt.
Im Zuge der „Arisierung” verlor Ernst Lewent auch alle seine Mietshäuser, wahrscheinlich durch Zwangsverkäufe unter Wert. Von einem dieser Mietshäuser, wir wissen nicht von welchem, scheint er allerdings den Schlüssel behalten zu haben, wohl, weil er mit dem Käufer, einem nichtjüdischen Rechtsanwalt, befreundet war.

Spätestens Anfang 1943 hatten die Lewents im Dachboden dieses Hauses ein Versteck mit zwei Zimmern gebaut und eingerichtet. Wir wissen nicht, ob sie dieses Versteck selbst nutzten oder nutzen wollten. Im Februar 1943 stellten sie die Hälfte der verborgenen Wohnung der jüdischen Familie Goldstein zur Verfügung, die in dem Haus Mieter waren. Ernst Goldstein war bis zu den Berufsverboten Zigarrenvertreter gewesen und hatte mit seiner Frau Herta eine vierjährige Tochter, Evy. Evy war krank, und wenn sie hustete, brachte man sie immer an verschiedene Stellen im Dachboden, damit die Hausbewohner das Geräusch nicht orten konnten. Sechs Wochen später flog das Versteck trotzdem auf. Als die Hausmeisterin die Gestapo in den Dachboden führte, lockte das Ehepaar Lewent, das zu dem Zeitpunkt ebenfalls im Haus war, die Gestapo-Männer in ein Zimmer, das keine zweite Tür hatte. Ernst Goldstein drehte von außen den Schlüssel um und konnte mit Frau und Tochter im letzten Augenblick fliehen. Wahrscheinlich hat das Ehepaar Lewent Herta und Evy Goldstein durch diese Verzweiflungstat das Leben gerettet: Sie überlebten dank weiteren Helferinnen und Helfern in verschiedenen Verstecken den Holocaust. Ernst Goldstein wurde gefasst und in Auschwitz ermordet. Die Geschichte folgt dem Bericht von Evy Goldstein Woods, die wiederum den Erzählungen ihrer Mutter folgt; unabhängig verifizieren lässt er sich naturgemäß nicht.

Am 17. Mai 1943 wurden Ernst und Martha Lewent aus ihrer Wohnung in der Marburger Straße 12 deportiert. Am Bahnhof Grunewald pferchte man sie mit 393 anderen Berliner Jüdinnen und Juden in Viehwaggons und brachte sie im 38. Osttransport nach Auschwitz. Wahrscheinlich wurden sie dort gleich nach der Ankunft vergast. Ihre Todesdaten sind unbekannt. Ernst wurde 63, Martha 57 Jahre alt.

Marthas große Schwester Ella hatte in Leipzig den polnischstämmigen Rauchwaren-Großhandelskaufmann Heinrich Cohn-Grosz geheiratet. Unter Rauchwaren versteht man rohe oder gegerbte Felle für die Kürschnerei. 1901 hatte das Ehepaar eine Tochter bekommen, Annelise. Ella und ihrer Familie gelang die Flucht in die USA. Sie starb dort 1968.

Recherche und Text: Christine Wunnicke

Quellen:
Yad Vashem
Gedenkbuch
Deportationslisten
Myheritage
Website des alten israelitischen Friedhofs Leipzig
“Die Großindustrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild”, Leipzig 1892
Handelsregister, Adressbücher, Bauanträge
Evy Woods papers im United States Holocaust Memorial Museum

Stolperstein Ernst Lewent

Stolperstein Ernst Lewent, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

HIER WOHNTE
ERNST LEWENT
JG. 1880
DEPORTIERT 17.5.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Ernst Lewent wurde am 22. Februar 1880 in Berlin geboren. Seine Mutter Augusta, geb. Lewy (1857-1937), stammte aus Niederschlesien, sein Vater Michael Max (1842-1899) war Berliner; väterlicherseits lebte dessen Familie schon seit fünf oder sechs Generationen hier. Anfang des 19. Jahrhundert hatte die Druckerei und Verlagsbuchhandlung Lewent in Berlin hebräische Bücher gedruckt.

Ernst hatte einen fünf Jahre jüngeren Bruder, Richard, der bereits 1929 starb.
Ihr Vater besaß seit 1869 die Möbelfabrik „H. & M. Lewent” in Berlin-Kreuzberg; das „H.” mag für seinen älteren Bruder Hirsch Hermann gestanden haben. Nach Michael Lewents Tod übernahm Ernst die väterliche Fabrik, die sich seit spätestens 1902 und bis zu ihrer Auflösung 1939 in der Oranienstraße 144 befand.

Er interessierte sich sehr für modernes, ja revolutionäres Möbeldesign. 1912 schloss er sich mit zehn anderen Einrichtungshäusern überall in Deutschland zu den „Deutschen Werkstätten für Wohnkunst” mit Zentrale in Düsseldorf zusammen. Ein Jahr später ging aus dieser Gruppe die Marke „WK-Möbel” hervor, die es bis heute gibt. Die „Deutschen Werkstätten”, später auch unter dem Namen „Verband deutsche Wohnungskunst” bekannt, hatten sich einer klaren, praktischen, handwerklich hochwertigen Eleganz verpflichtet, die den Ballast und die Schnörkel des Historismus hinter sich ließ – mehrere Jahre bevor Walter Gropius das Bauhaus gründete. Sehr modern war auch der Gedanke, unter einem einzigen Markennamen sowohl preiswerte Möbel, die man auf Raten kaufen konnte, als auch Luxusmöbel herzustellen. Ernst Lewent hatte bis in die 1930er-Jahre den Berliner Vertrieb der international gefragten WK-Möbel inne. Nazideutschland brüstete sich noch mit der deutschen Qualitätsarbeit der WK-Produkte, als die jüdischen Gründer der Marke längst entrechtet und ihrer Lebensgrundlagen beraubt waren; so wurden etwa WK-Möbel im Dezember 1938 in einer Architektur- und Kunsthandwerksausstellung im „Haus der deutschen Kunst” in München gezeigt.

Seit spätestens 1905 war Ernst Lewent Mitglied im Hilfsverein der Deutschen Juden, einem karitativen Verein mit einer liberalen und antizionistischen Ausrichtung, der sich für die Verbesserung der Lebenssituation osteuropäischer Juden engagierte.
Mit Mitte zwanzig hatte er die fünf Jahre jüngere Martha Grosz (*14. Juni 1885), geheiratet, die Tochter eines erfolgreichen Leipziger Fabrikanten. Am 5. Februar 1907 bekam das Ehepaar einen Sohn, Heinrich Max. Die Familie wohnte damals in der Oranienstraße, in Fußentfernung zu Ernsts Fabrik; dann zog sie nach Charlottenburg in die Marburger Straße 12. Dort kam am 29. April 1913 ihre Tochter Irene zur Welt. Die Möbelfabrik florierte. Ernst Lewent besaß auch mehrere Mietshäuser in Berlin, unter anderem in der Rückertstraße in Charlottenburg und in der Stierstraße in Friedenau, die er wohl auch selbst verwaltete und, wenn nötig, bauliche Veränderungen plante und ausführen ließ.
Über das Leben der Familie nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten sind nur wenige Details bekannt. Im Zuge der „Arisierung” verlor Ernst seine Firma, die 1939 liquidiert wurde. Beiden Kindern gelang in den 1930er-Jahren die Flucht nach Großbritannien, und sie verbrachten dort wohl den Rest ihres Lebens. Irene lebte zunächst in London, wo sie 1939 den Pelzhändler Leon Reichwald heiratete. Sie starb 1979. Heinrich starb 1963 in Henden/Middlesex. Ob Ernst und Martha Lewent ebenfalls zu emigrieren versuchten, ist nicht bekannt.

Im Zuge der „Arisierung” verlor Ernst Lewent auch alle seine Mietshäuser, wahrscheinlich durch Zwangsverkäufe unter Wert. Von einem dieser Häuser, wir wissen nicht von welchem, scheint er allerdings den Schlüssel behalten zu haben, wohl, weil er mit dem Käufer, einem nichtjüdischen Rechtsanwalt, befreundet war.
Sein Talent für Inneneinrichtung und Bauvorhaben kam nun in trauriger Weise noch einmal zum Einsatz: Spätestens Anfang 1943 hatte er mit seiner Frau im Dachboden dieses Hauses ein Versteck mit zwei Zimmern gebaut und eingerichtet. Wir wissen nicht, ob die Lewents dieses Versteck selbst nutzten oder nutzen wollten. Im Februar 1943 stellten sie die Hälfte der verborgenen Wohnung der jüdischen Familie Goldstein zur Verfügung, die in dem Haus Mieter waren. Ernst Goldstein war bis zu den Berufsverboten Zigarrenvertreter gewesen und hatte mit seiner Frau Herta eine vierjährige Tochter, Evy.

Evy war krank, und wenn sie hustete, brachte man sie immer an verschiedene Stellen im Dachboden, damit die Hausbewohner das Geräusch nicht orten konnten. Sechs Wochen später flog das Versteck trotzdem auf. Als die Hausmeisterin die Gestapo in den Dachboden führte, lockte das Ehepaar Lewent, das zu dem Zeitpunkt ebenfalls zugegen war, die Gestapo-Männer in ein Zimmer, das keine zweite Tür hatte. Ernst Goldstein drehte von außen den Schlüssel um und konnte mit Frau und Tochter im letzten Augenblick fliehen. Wahrscheinlich hatten die Lewents Herta und Evy Goldstein durch diese Verzweiflungstat das Leben gerettet: Sie überstanden dank weiteren Helferinnen und Helfern in verschiedenen Verstecken den Holocaust. Ernst Goldstein wurde gefasst und in Auschwitz ermordet. Die Geschichte folgt dem Bericht von Evy Goldstein Woods, die wiederum den Erzählungen ihrer Mutter folgt; unabhängig verifizieren lässt er sich naturgemäß nicht.

Am 17. Mai 1943 wurden Ernst und Martha Lewent aus ihrer Wohnung in der Marburger Straße 12 deportiert. Am Bahnhof Grunewald pferchte man sie mit 393 anderen Berliner Jüdinnen und Juden in Viehwaggons und brachte sie im 38. Osttransport nach Auschwitz. Wahrscheinlich wurden sie dort gleich nach der Ankunft vergast. Ihre Todesdaten sind unbekannt. Ernst wurde 63, Martha 57 Jahre alt.

Recherche und Text: Christine Wunnicke

Quellen:
Yad Vashem
Gedenkbuch
Deportationslisten
Myheritage
Handelsregister, Adressbücher, Bauanträge
Diverse Internetquellen zu “WK”
Geschäftsberichte des Hilfsvereins der Deutschen Juden
Evy Woods papers im United States Holocaust Memorial Museum