Stolperstein Windscheidstraße 31

Hausansicht Windscheidstr. 31

Dieser Stolperstein wurde am 9.4.2009 verlegt. Er wurde von der Sozialistischen Jugend – Die Falken, deren Bundesgeschäftsstelle den Namen Luise Kautskys trägt, gewünscht.

Stolperstein für Luise Kautsky

Stolperstein für Luise Kautsky

HIER WOHNTE
LUISE KAUTSKY
GEB. RONSPERGER
JG. 1864
FLUCHT 1938 HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1944
AUSCHWITZ
ERMORDET 1.11.1944

Luise und Karl Kautsky im Jahr 1937, sie stehen Arm in Arm im Garten

Luise Kautsky, geborene Ronsperger, wurde am 11. August 1864 in Wien in einer wohlhabenden gutbürgerlichen jüdischen Familie geboren. Bis zum Tod ihres Vaters arbeitete sie in der elterlichen Konditorei. Sie wandte sich vom Judentum ab und wurde Sozialistin. Sie heiratete den Sozialismus-Theoretiker Karl Kautsky (geboren am 16. Oktober 1854 in Wien, gestorben am, 7. Oktober 1938 in Amsterdam), der später in der SPD eine wesentliche Rolle spielte. Die beiden zogen von Wien nach Stuttgart, wo ihre drei Söhne Felix (1891-1953), Karl (1892-1938) und Benedikt (1894-1960) geboren wurden, und 1897 von Stuttgart nach Berlin. Zunächst wohnten sie in der Saarstraße 14 und in der Niedstraße 14 in Friedenau, dann in der Wielandstraße 26 und in der Windscheidstraße 31 in Charlottenburg.

Während ihr Mann, der ebenfalls eine demokratische sozialistische Gesellschaft erstrebte, Redakteur der sozialdemokratischen Zeitschrift „Neue Zeit“ war, übersetzte sie politische Aufsätze aus dem Englischen, so einen Teil der Gesammelten Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels 1852 bis 1862, die 1917 erschienen, und aus dem Französischen und Russischen. Besonders eng war ihre Freundschaft mit Rosa Luxemburg. Allerdings war sie nicht einverstanden, dass sie eine Räteherrschaft befürwortete. 1917 trat sie in die USPD, eine Abspaltung der SPD, ein, der auch Karl Kautsky kurze Zeit angehörte. Sie trat für eine Verständigung mit der SPD ein und wollte eine verfassungsgebende Nationalversammlung. Diese „muß und wird mit vielem aufräumen, was jetzt in erster Hast geschah und getan wurde“, schrieb sie am 18. November 1918.

1920/21 war Luise Kautsky Stadtverordnete für die USPD in Berlin. Nach dem Mord an Rosa Luxemburg 1919 gab sie deren Briefe aus dem Gefängnis und die an sie selbst und an Karl Kautsky gerichteten Schreiben heraus und stellte ein Gedenkbuch zusammen, das 1929 herauskam. Sie sammelte auch die Briefe Rosa Luxemburgs an andere Adressaten. 1924 zog die Familie Kautsky wieder nach Wien. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland 1938 flohen Kautskys nach Prag und weiter nach Amsterdam, wo Karl Kautsky im Oktober starb.

Ihr ältester Sohn Felix war 1938 in die USA emigriert. Karl, der zweitälteste, war sechs Monate in Haft und konnte dann über Schweden in die USA gelangen. Luise Kautsky blieb mit der Frau und den Kindern ihres jüngsten Sohnes Benedikt in Amsterdam. Benedikt Kautsky war im Mai 1938 aus Wien ins Konzentrationslager Dachau gekommen. Weil sie den Kontakt mit ihm halten wollte, blieb sie auch nach der Besetzung der Niederlande durch die Deutschen 1940 in Amsterdam.

1944 wurde die inzwischen 80-jährige verhaftet und aus dem Durchgangslager Westerbork nach Auschwitz deportiert, obwohl sie völlig entkräftet war. Dort wurde sie von Mithäftlingen von der Selektionsrampe in die Häftlings-Krankenbaracke geschmuggelt, wo sie am 8. Dezember 1944 an Herzschwäche starb.
Dr. Marie Adelsberger, jüdische Ärztin im Krankenbau in Birkenau, wohin sie selbst deportiert worden war, berichtete 1946:

bq. Sie war in einem sehr ramponierten Zustande, Aufregung, Transport, und der nur wenige Tage währende Aufenthalt im Lager in einem überfüllten Block […] waren für die Achtzigjährige eine zu starke Belastung. […] Wir konnten zwar den Strohsack durch nichts besseres ersetzen, aber es wurden zahlreiche Decken […] für sie organisiert, dazu ein kleines Kopfkissen. […] Schwierig war die Essensfrage. Frau Kautsky bekam Diät, d.h. 1/2 Liter Grieß- oder Haferflockensuppe und ein Drittel Weißbrot mit dreimal wöchentlich 20 g Marmelade. […] So glücklich sie auf der einen Seite war, mit dem Sohn in Buna […] in Verbindung zu kommen, so tief bedrückte es sie um seinetwillen, daß er sie in Auschwitz wissen mußte. […] Am 28. Oktober 1944 wurde der Krankenbau […] verlegt. Die damit verbundenen Unruhen haben Luise Kautsky den letzten Schock beigebracht.“

Nach ihrem Tod wurde ihr Lebensweg im Sommer 1945 gewürdigt:

bq. Ein tragisches Schicksal hat dem Leben der greisen Genossin Luise Kautsky ein Ende gesetzt. Sie wurde von den Nazis aus ihrem Asylland Holland im September 1944 – wenige Wochen nach ihrem 80. Geburtstag – in das Todeslager Auschwitz verschleppt. Dort ist sie wenige Wochen spaeter verstorben. Ihr Sohn, Dr. Benedict Kautsky, der im Konzentrationslager Buchenwald befreit wurde, uebermittelte diese tragische Nachricht seinen Freunden in London. Luise Kautsky – selbst eine grosse, aufrechte Sozialistin – ist als die treue Lebensgefaehrtin unseres Karl Kautsky aus der Geschichte der internationalen und der deutschen Arbeiterbewegung nicht wegzudenken.

(Sozialistische Mitteilungen, News for German Socialists in England. Nr. 75/76, Juni-Juli 1945)

Benedikt Kautsky, der zu dieser Zeit Häftling in einem wenige Kilometer von Auschwitz entfernten Außenlager der IG Farben war, überlebte und kehrte nach Wien zurück. Er veröffentlichte 1950 die von seiner Mutter gesammelten Briefe Rosa Luxemburgs an ihre Freunde. Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf ist ein S-Bahn-Bogen zwischen Kantstraße und Fasanenstraße nach Luise Kautsky benannt. Die Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg beschloss 1999, am Haus Wielandstraße 26 eine Gedenktafel für sie anzubringen. Auch am Berliner Rathaus erinnert eine Gedenktafel an Luise Kautsky. Karl und Luise Kautskys Nachlass befindet sich im Internationalen Archiv für Sozialgeschichte in Amsterdam.

2011 eröffnete das Luise-und-Karl-Kautsky-Haus, ihr ehemaliges Wohnhaus in der Saarstraße 14, als Bundesgeschäftsstelle der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken.

Biografische Zusammenstellung: Helmut Lölhöffel mit Material des Vereins Aktives Museum e.V. Berlin und der Sozialistischen Jugend – Die Falken

Literatur: Susanne Miller: “Nicht zu vergessen: Luise Kautsky”, in: Jürgen Rojahn (Hg.): Marxismus und Demokratie. Karl Kautskys Bedeutung in der sozialistischen Arbeiterbewegung, Frankfurt am Main/New York 1992.

Dieser Stolperstein ist Teil einer Gruppe von 8 Stolpersteinen, die auf Initiative des Aktiven Museums Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. von Erika Albers, Ursula und Winfried Büchau, Myriam von Oppen, Monica und Oliver Puginier, Monika Richarz, Ingrid Schmidt und André Schmitz gespendet und am 9.4.2009 verlegt wurden. Mit diesen Stolpersteinen wird an Berliner Stadtverordnete erinnert: