Thema des Monats Juni 2004

Störung oder Impuls? Einmischung von Bürgerinnen und Bürgern in die Baupolitik

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Wenn es um Bauprojekte geht, haben Bürgerinnen und Bürger ein Wörtchen mitzureden. Doch bringt dies unterm Strich Vorteile für die Baupolitik, oder sind Einwände und Vorschläge von Anwohnern eher “ein Klotz am Bein”? Die Fraktionen im Bezirk antworten.

SPD-Fraktion

Die SPD-Fraktion begrüßt die Einmischung von BürgerInnen in die Baupolitik. Wenn Eigentümer anders bauen wollen, als das bestehende Recht es erlaubt, hat die BVV Entscheidungsspielräume. Regelmäßig gibt es dann Diskussionen zwischen den Fraktionen und in wachsendem Maße auch wieder mit Bürgerinnen und Bürgern. Wunderbar! So meinen wir von der SPD-Fraktion. Endlich kümmern sich wieder mehr Menschen um ihr Wohngebiet, um ihren Stadtteil, ohne sich der zeitaufwändi-gen Freizeitbeschäftigung “Parlament” widmen zu wollen.
Ärgerlich ist es für uns, wenn Unterstellungen, allgemeine Vorurteile oder ungeprüfte Gerüchte eine sachliche Diskussion erst gar nicht aufkommen lassen. Das kostet Arbeit und gute Nerven. Immer aber sind es wichtige Informationen, die ausgetauscht werden. Es lässt sich dann meist erkennen: Sind es Einzelinteressen? Ist es eine spezielle “Lobby”, die sich gegen andere durchsetzen will? Oder handelt es sich um Argumente, die wir “zum Wohl der Allgemeinheit” beachten müssen? Wir brauchen solche Auseinandersetzungen und wir wollen sie. Damit wir uns möglichst oft “richtig” entscheiden.
Monica Schümer-Strucksberg

CDU-Fraktion

Lidl, Aldi, Hochhaus – so manches Bauprojekt weckt den Argwohn bzw. gar die Ablehnung der örtlich betroffenen Anwohner. Immer öfter bilden sich Anwohnerinitiativen, um bei komplexen und auch komplizierten Baugenehmigungsverfahren Einspruch zu erheben. Auch diese Form ehrenamtlichen bürgerschaftlichen Engagements wird von der CDU-Fraktion unterstützt. Allerdings muss man zwischen zwei Formen des Auftretens von Anwohnerinitiativen unterscheiden. Während einige Betroffene nach dem Sankt-Florians-Prinzip aus eigenen Interessen Vorhaben bei sich vor der Haustür ablehnen, machen andere Bürger konstruktive Änderungsvorschläge oder stellen kritische Fragen. Die Haltung der ersten Gruppe wird von der CDU nicht befürwortet, da die Belange des gesamten Bezirks innerhalb des Landes Berlin Berücksichtigung finden und Partikularinteressen bei bezirklichen Entscheidungen außen vor bleiben müssen.
(Bei konstruktiven Änderungsvorschlägen und kritischen Fragen muss beachtet werden, dass in Baugenehmigungsverfahren die Einflussmöglichkeiten der Bezirksverordnetenversammlung begrenzt sind, da es sich um ein Rechtsverfahren nach der Bauordnung Berlin und dem Baugesetzbuch des Bundes handelt, das der politischen Entscheidung nicht zugänglich ist. Da ein Grundstückseigentümer und Bauherr natürlich auch Ansprüche aus seinem Eigentum hat, richtet sich das Baugenehmigungsverfahren streng nach dem Recht. Deutlich mehr Gestaltungsraum hat der Bezirk bei der Schaffung neuen Planungsrechts, also bei der Aufstellung von Bebauungsplänen. Diese Handlungsmöglichkeit nimmt die CDU-Fraktion auch deutlich wahr. Hier ist auch durch das formalisierte Verfahren der Bürgerbeteiligung ein größerer Einfluss der Bürgerinnen und Bürger gegeben.)
Schwer zu vermitteln ist häufig für Anwohner, dass der Bezirk Vorhaben auch dann genehmigen muss, wenn nach Auffassung der Bürger für eine derartige Ansiedlung kein Bedarf gesehen wird oder der Bezirk eine derartige Ansiedlung (z.B. Erotik-Märkte am Adenauerplatz) nicht befürwortet. Auch dieses Ergebnis ist Ausfluss der grundgesetzlichen Baufreiheit. Wir sind aber sicher, dass die Bauabteilung des Bezirksamtes unter der Leitung des von der CDU gestellten Stadtrats und stellv. Bürgermeisters und unserer kontrollierenden Begleitung alle rechtlich gegebenen Möglichkeiten ausschöpft, um unerwünschte Entwicklungen für die Bürgerinnen und Bürger unseres Bezirks zu verhindern.
Bodo Schmitt

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Schon der Titel zeigt den kommunalpolitischen Alltag: Bezirksverordnete sind nicht gleich Bürger oder jedenfalls lassen sie sich bei ihren Entscheidungen wenig von ihrem “gesunden” (i.S.v. einfachen) Bürgerverstand leiten. Fünf aktive Bürgerinitiativen (BIs), die größtenteils erst seit der Bezirksfusion zusammengefunden haben, legen ein beredtes Zeugnis ab. Glücklicherweise bringen sich die Bürger in Ausschüssen und der Fragestunde in der BVV stetig ein – nicht ganz selbstverständlich, wie der Vergleich mit anderen Bezirken Berlins zeigt.
Als Freizeitbaupolitiker können Bezirksverordnete nicht alle Vorgänge im Bezirk wahrnehmen. Umso wichtiger ist die Nähe und der ständige Kontakt besonders zu den in Initiativen organisierten Bürgern. Bündnis 90/Die Grünen haben auch die Hälfte ihrer Sitze in den für Bauen zuständigen Ausschüssen an Bürgerdeputierte abgegeben. Als deren Stellvertreter haben wir zur Vernetzung von Politik und Anwohnerinteressen BI-Aktive benannt.
Unsere Positionen zur nachhaltigen Stadtentwicklung in der City, zu Denkmalschutz, Gebäudesanierung, Energieeinsparung, Grünflächen-Management oder unsere Visionen für die europäische Stadt der Zukunft entwickeln wir in unserer grünen Baugruppe. Diese seit vielen Jahren existierende Basisgruppe bildet das Rückgrat unserer Baupolitik und sorgt dafür, uns nicht mutlos werden zu lassen, sollten wir auch mit unseren Überzeugungen einmal ganz alleine stehen.
Sibylle Centgraf

FDP-Fraktion

Die Baupolitik ist eines der wichtigsten Betätigungsfelder und bietet dem Bezirk große Gestaltungsmöglichkeiten. Maßstab einer guten Baupolitik muss die Herstellung eines ausgewogenen Interessenausgleichs – zwischen Investoren, Anwohnern und bezirklichen Interessen – sein. Die “Einmischung” von Bürgerinnen und Bürgern kann daher niemals als Störung begriffen werden, sondern ist nach Auffassung der FDP für den Interessenausgleich eine unabdingbare Notwendigkeit. Gerade die bezirklichen Bürgerinitiativen zeigen, dass sie vom Bezirk mehr erwarten, als lediglich kommunaler Dienstleister zu sein. Das Engagement der Bürgerinitiativen wird von der FDP hoch geschätzt, da es Ausdruck einer lebenswerten Stadt ist.
Mit unserem Antrag zur Bürgerbeteiligung bei städtebaulichen Verträgen haben wir deutlich gemacht, dass Bürgerinteressen auch hier stärker berücksichtigt und Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse transparenter gemacht werden müssen.
Corinna Holländer

Fraktionslose Bezirksverordnete (Die Linkspartei.PDS)

Kooperation sollte Angebot und Aufgabe sein. Dass sich lediglich Investoren, Grundeigentümer und Verwaltung bei einem Bauvorhaben untereinander abstimmten und dies zu unkontrollierbarem Filz führte, gab bereits 1960 den Anlass, BürgerInnen per Bundesbaugesetz Informationsrechte zuzugestehen. Keine fünf Jahre später bekam die Verwaltung jedoch schon zu spüren, dass eine Akzeptanz für Bauvorhaben nicht per Routineverfahren hergestellt werden konnte. Der Mythos der 70er Jahre lebt von Hausbesetzerbildern und der Forderung nach mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten an Planungsvorhaben in den Kiezen. Die Politik erkannte, dass Staats- und BürgerInnenwille nicht per Gesetz in Übereinstimmung gebracht werden konnten, sondern dass man auf die Mitwirkung der Menschen vor Ort angewiesen war. – Die “Beteiligungsgeschichte” der Bundesrepublik liest sich wie ein ständig bunter werdender Strauß an Möglichkeiten, sich einzumischen: Bürgerinitiativen, Stadtforen, Nachbarschaftshilfen, Public-Private-Partnership… Aber wie es wirklich steht um den “kooperativen” Staat, zeigen auch die jüngsten Debatten um Bürohauspläne in unserem Bezirk: Wenn die Staatskassen leer sind, dürfen die Privatinvestoren ran. Und letztere wissen, dass sich mit ökologischen und sozialen Zielen kein schneller Gewinn machen lässt. Wie aber soll es dann weitergehen in der Misere? Allein den Mut zu finden, diese Frage an das “Publikum” zu stellen, wäre schon ein Schritt nach vorn.
Benjamin Apeloig, Jürgen Hornig