Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen beim Festakt zur Einweihung des neuen Gebäudes des Gemeinsamen Bundesausschusses am 4.2.2010

Sehr geehrter Herr Dr. Hess!
Sehr geehrter Herr Kapferer!
Sehr geehrte Frau Dr. Bronner!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Der Einladung zu diesem Festakt bin ich gerne gefolgt, denn was gibt es Schöneres für eine Kommunalpolitikerin als die Einweihung eines neuen Gebäudes, in dem sich eine bedeutende Institution etabliert hat, die nicht nur eine weitere wichtige Adresse im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin ist und eine Reihe von Arbeitsplätzen schafft, sondern auch ein Anziehungspunkt ist für weitere Einrichtungen der Branche.
Ich begrüße das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen herzlich im KPM-Quartier in unmittelbarer Nähe des Universäts-Campus und der westlichen Berliner City in unserem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf.
Vermutlich war die Lage zwischen Kurfürstendamm und Spree unmittelbar am Tiergarten und am S-Bahnhof mit ausschlaggebend für die Wahl des Ortes. Sicher aber auch die Nachbarschaft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Damit hat sich das KPM-Quartier zum wichtigsten Zentrum der Verbände des deutschen Gesundheitswesens entwickelt. Ich bin sicher, dass von hier wichtige Impulse ausgehen werden für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens in unserem Land.
Die sozialen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aufgaben, die damit verbunden sind, gehören zu den wichtigsten Herausforderungen für die Zukunft unserer Gesellschaft. Für viele ist die künftige Gestaltung des Gesundheitswesens sogar die wichtigste Zukunftsaufgabe überhaupt. Sie ist nicht nur wichtig für das Wohlergehen jedes einzelnen, sondern auch für den Zusammenhalt des Gemeinwesens: Nur wer weiß, dass ihm geholfen wird, wenn es ihm gesundheitlich schlecht geht, fühlt sich aufgehoben und sicher und hat ein Grundvertrauen in die Moral und die Funktionsfähigkeit seiner Gesellschaft.
Deshalb ist das Gesundheitswesen eine der wichtigsten politischen Aufgaben unserer Demokratie. Denn es gibt wohl kaum ein anderes Feld, in dem die Erfahrung einer gerechten Gleichbehandlung für die Menschen so existenziell und so eindringlich ist wie in der Medizin.
Aber die Politik kann nur Rahmenbedingungen schaffen und an aktuelle Erfordernisse anpassen. Letztlich kommt es auf die Selbstverwaltung der Akteure im Gesundheitswesen an. Sie muss für den Interessenausgleich sorgen und für die Funktionsfähigkeit des Systems insgesamt.
Der Gemeinsame Bundesausschuss befindet sich ja hier in unmittelbarer Nähe der politischen Entscheidungszentren. Bundestag und Bundesregierung sind nicht weit. Fast um die Ecke hat der Bundespräsident im Schloss Bellevue seinen Sitz. Aber immerhin befindet sich zwischen dem Parlament, der Bundeskanzlerin und Ihnen der Tiergarten. Und vielleicht ist es ja manchmal auch ganz gut, wenn man sich nicht zu nahe kommt, wenn zwischen Politik und Selbstverwaltung eine gewisse Distanz herrscht.
Ihre neue Adresse Wegelystraße bezieht sich auf Wilhelm Caspar Wegely, den Gründer der ersten Berliner Porzellanmanufaktur, der von 1714 bis 1764 in Berlin lebte. Die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin KPM ist ja für viele der Inbegriff von Schönheit und Qualität, und ich denke ihr positives Image kann für alle, die sich hier im KPM-Quartier angesiedelt haben, nur von Nutzen sein.
Aber Ihr neues Gebäude liegt auch direkt am Herbert-Lewin-Platz. Und ich denke, dass dieser Name Vorbild und Verpflichtung zugleich ist: Herbert Lewin wurde 1899 in Schwarzenau geboren. Um den landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters übernehmen zu können, studierte er zunächst Landwirtschaft und Staatswissenschaften, wechselte dann jedoch zur Medizin.
Nach der Promotion 1924 wurde Lewin Volontärarzt in Berlin, 1928-1931 absolvierte er an verschiedenen Berliner Krankenhäusern eine Ausbildung zum Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Ab 1931 arbeitete er auf diesem Gebiet als niedergelassener Arzt, setzte aber auch seine wissenschaftliche Arbeit fort. Die Annnahme seiner Habilitationsschrift wurde dem jüdischen Mediziner 1933 jedoch aus rassischen Gründen verweigert. Lewin war 1922 der SPD beigetreten und galt deshalb für die Nationalsozialisten als “jüdisch-bolschewistisch”. 1935 wurde er Chefarzt der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung des Jüdischen Krankenhauses in Berlin, 1937 Chefarzt der gleichen Abteilung des Israelitischen Krankenhauses in Köln-Ehrenfeld.
Am 22.10.1941 wurden seine Frau und er mit weiteren 2.014 Kölner Juden ins Ghetto Lodz deportiert. Er war bis 1945 im Ghetto Lodz und in den Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau, Oranienburg und Schwarzheide Häftlingsarzt.
Seine Frau starb im KZ, er überlebte und kehrte 1945 nach Köln zurück, wo er 1946 zum ersten Vorsitzenden der wiedererstandenen Synagogengemeinde gewählt wurde. 1948 habilitierte er sich an der Universität zu Köln, 1950 wurde er Chefarzt an der Städtischen Frauenklinik in Offenbach, allerdings gegen schlimme antisemitische Vorbehalte erst nach weltweiten Protesten. Der Offenbacher Oberbürgermeister hatte die Wahl Lewins zunächst mit der Begründung zurückgewiesen, das “Rachegefühl eines KZlers” würde ihn für diesen Posten disqualifizieren.
1965 wurde Lewin bei gleichzeitiger Emeritierung zum ordentlichen Professor ernannt. 1963-1969 war Herbert Lewin Vorsitzender des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er war außerdem Mitglied der deutschen UNESCO-Kommission und des Bundesgesundheitsrats. Er wurde unter anderem mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille und dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern ausgezeichnet. Er starb am 21.11.1982 in Wiesbaden.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Gestaltung der Zukunft ist das Bewusstsein der eigenen Herkunft und Tradition. Deshalb denke ich, es ist gut, dass dieses Zentrum der Verbände des deutschen Gesundheitswesens nach einem Arzt benannt wurde, der uns alle nicht zuletzt auch an unsere moralische Verpflichtung erinnert: Für die heilende Medizin ist jeder Mensch gleich, unabhängig von seiner Herkunft, seinem sozialen Status oder seinem Geschlecht.
Das war leider in unserem Land nicht immer selbstverständlich. Umso mehr müssen wir darauf achten, dass dieser Grundsatz bei uns nie mehr in Frage gestellt wird.
In diesem Sinne wünsche ich dem Gemeinsamen Bundesausschuss an seinem neuen Sitz hier bei uns im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin viel Freude bei der Arbeit und viel Erfolg.