Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Einbürgerungsfeier am Mittwoch, dem 2.3.2005, um 19.00 Uhr im BVV-Saal im Rathaus Wilmersdorf

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

zur Einbürgerungsfeier

am Mittwoch, dem 2.3.2005, um 19.00 Uhr im BVV-Saal im Rathaus Wilmersdorf

Sehr geehrte Damen und Herren!

Herzlich willkommen im Rathaus Wilmersdorf und herzlich willkommen als deutsche Bürgerinnen und Bürger im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Ich freue mich, dass Sie sich dafür entschieden haben, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Sie haben damit zum Ausdruck gebracht, dass Sie gerne in unserem Land leben, dass Sie sich in Berlin und wie ich hoffe auch in unserem Bezirk wohl fühlen.

Wir feiern in diesem Jahr das große Jubiläum “300 Jahre Charlottenburg”. Das ist natürlich ein Anlass, sich mit der Geschichte dieser Großstadt zu beschäftigen, die 1920 ihre Selbständigkeit verloren hat und ein Bezirk von Berlin wurde. Wenn wir in die Geschichte blicken, dann stellen wir fest, dass diese Stadt sich nicht zuletzt deshalb so erfolgreich entwickelt hat, weil hier verschiedene Kulturen friedlich zusammen existierten.

Wir wissen: Berlin hat einen großen Teil seiner erfolgreichen Entwicklung den Ausländerinnen und Ausländern zu verdanken, die sich hier angesiedelt haben, die sich integriert haben, die unsere Stadt mit geprägt haben. Die ersten Bewohner Charlottenburgs waren die Kammertürken Ali und Hassan. Sie haben die ersten Häuser gebaut in der Stadt, die vor 300 Jahren von König Friedrich I. gegründet wurde.

Auch heute wollen und müssen wir das friedliche Neben- und Miteinander der verschiedenen Kulturen in unserem Land sichern und fördern.

Wir müssen erreichen, dass alle Menschen in unserem Land sich mit ihrem jeweils unterschiedlichen kulturellen Hintergrund frei entfalten können, damit sie zum kulturellen Reichtum und zum Erfolg unseres Landes nach besten Kräften beitragen können.

Bei uns wird jetzt vielfach mehr Integrationsbereitschaft der hier lebenden Ausländer gefordert. Daran ist vieles richtig. Natürlich ist es wichtig, die deutsche Sprache zu beherrschen, um die Chancen ergreifen zu können, die unsere Gesellschaft bietet. Und natürlich ist es wichtig, das Grundgesetz zu kennen, die Trennung von Kirche und Staat zu akzeptieren und sich auch mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen.

Für uns alle ist es wichtig, dass wir die Regeln des Zusammenlebens, das heißt unsere freiheitliche demokratische staatliche Ordnung, und insbesondere unser Grundgesetz akzeptieren.

Dazu gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau, und dazu gehört die Freiheit der Religionsausübung. Alle Menschen sind uns gleich viel wert – völlig unabhängig davon, ob sie sich einer Religion verpflichtet fühlen oder nicht.

Wir können es nicht akzeptieren, dass Mädchen und Frauen aus religiösen Gründen oder aus Gründen der Familienehre benachteiligt, eingesperrt, geschlagen oder gar ermordet werden. Und wenn ein solcher Mord an einer Berliner Schule auch noch Zustimmung findet, wie vor einigen Wochen geschehen, dann müssen wir uns schon ernsthaft Gedanken machen über die Vermittlung der Werte und der Regeln des Zusammenlebens, die für uns alle gelten.

Unsere deutsche Geschichte lehrt uns, dass wir kulturell und wissenschaftlich immer dann erfolgreich waren, wenn verschiedene Kulturen sich in unserem Land in der Mitte Europas getroffen haben, wenn sie sich vermischt und gegenseitig befruchtet haben.

Aber dies funktioniert natürlich nur dann, wenn die verschiedenen Religionen ihrerseits die Trennung von Kirche und Staat akzeptieren. Wir können nicht dulden, dass eine Religion den Hass gegen Nichtgläubige predigt, dass sie die staatliche Ordnung in Frage stellt, dass sie Kinder am Schulbesuch, dass sie Frauen an ihrer Entfaltung in unserer Gesellschaft hindert.

Wir haben in der Vergangenheit zu wenig getan, um die Integration der hier lebenden Ausländer in unsere Gesellschaft zu fördern. Und wir haben sie wohl auch zu wenig gefordert. Wir haben es bei einer Toleranz belassen, die im Grunde für viele nur Gleichgültigkeit bedeutet hat.

Solange sie uns nicht gestört haben, hat uns nicht interessiert, wie unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger bei uns leben, woran sie glauben, wovon sie überzeugt sind, wie sie ihre Feste feiern und wie sie sich bei uns fühlen, ob sie an unserer Gesellschaft teilhaben, ob sie unsere Demokratie mit gestalten.

Darauf aber kommt es an: Unsere Demokratie lebt von den Demokraten, von den Menschen, die sie aktiv mit gestalten.

Im letzten Jahr hat die in der Türkei geborene deutschsprachige Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar den Kleist-Preis erhalten, einen der renommiertesten deutschen Literaturpreise. Sie konstatiert, dass unsere Gesellschaft längst multikulturell ist:

“Berlin ist aus Sehnsucht gemacht. Ein junger Mensch wollte nicht mehr in der deutschen Provinz leben und kam mit einem Traum nach Berlin. Tausende sind hierher emigriert, nicht nur Ausländer.

Deswegen entwickelte sich hier die multikulturelle Gesellschaft schneller als etwa in Düsseldorf.”

Ich finde diese Sätze von Frau Özdamar sehr ermutigend. Wir sollten für diese multikulturelle Gesellschaft eintreten und – wenn nötig – kämpfen. Wir sollten sie uns nicht nehmen lassen von Extremisten, die meinen, sie seien im Besitz der absoluten Wahrheit und die ihre Kultur und ihre Lebensauffassung mit Gewalt allen Menschen aufzwingen wollen.

Sie haben sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden. Ich glaube nicht und ich hoffe nicht, dass Sie sich damit für den Abschied von Ihrer Kultur entschieden haben. Aber ich hoffe, dass wir nun gemeinsam daran arbeiten können, dass aus dem uninteressierten Nebeneinander ein informiertes Miteinander wird, dass aus Toleranz Neugierde wird und aus Gleichgültigkeit Anteilnahme.

Wir wollen zusammenleben, ohne zu verleugnen, dass wir unterschiedlich sind. Wir wollen keinen Kampf der Kulturen, aber wir wollen eine pluralistische Gesellschaft, in der die verschiedenen Kulturen miteinander ins Gespräch kommen und im Gespräch bleiben. Lassen Sie uns gleich heute damit beginnen.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen noch einen schönen Abend und Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft als Deutsche.

Zur Übersicht über die Reden der Bezirksbürgermeisterin