Große Geschichte(n) im kleinen Format

100 Bände „Jüdische Miniaturen“

_von Nora Pester, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin_

Sie passen in jede Jackentasche, sie sind kompakt, leicht verständlich und günstig: die „Jüdische Miniaturen“. Herausgegeben vom Direktor des Centrum Judaicum in Berlin, Dr. Hermann Simon, erinnern sie an jüdische Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Gesellschaft, Kunst, Kultur und Wirtschaft, die in ihrer Zeit Wichtiges geleistet haben, deren Leben und Werk aber leider zumeist in Vergessenheit geraten sind. Viele dieser Frauen und Männer stammen aus Berlin oder hatten hier einst ihren Lebens- und Wirkungsmittelpunkt. Ihnen möchten die „Jüdischen Miniaturen“ wieder die ihnen gebührende Aufmerksamkeit schenken und sie dem Vergessen entreißen.

Doch nicht nur Menschen, auch jüdische Orte finden ihren Platz in dieser Reihe, die mittlerweile mehr als 100 Bände umfasst. So lässt Horst Helas in Band 98 den Mikrokosmos der Grenadierstraße im Berliner Scheunenviertel auferstehen und zeichnet deren städtebaulichen und sozialen Wandel seit 1871 bis in die 1930er Jahre nach. Die unweit des Alexanderplatzes gelegene Straße war im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik Ankunftsort von Juden aus ganz Osteuropa, bevor sie in andere Stadtteile Berlins oder in andere Länder Europas zogen. Anhand der Biographien von fünf Familien werden Berliner und Berlin-Besucher mit diesem Büchlein angeregt, die heute sehr ruhige Straße zu Fuß zu erkunden und deren wechselvoller Geschichte und dem Schicksal ihrer Bewohner jenseits des Sichtbaren nachzuspüren.

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Neben ihrer inhaltlichen Vielseitigkeit umfassen die Miniaturen auch ein großes zeitliches Spektrum, das von Glückel von Hameln (1645–1724) bis zu Peter Zadek (1921–2009) reicht. Von Anfang an sind Frauen dabei stark in den Miniaturen vertreten. So vereint die soeben in Band 106 erschienene außergewöhnliche Biographie Gertrude Sandmanns (1893–1981) das Schicksal einer verfolgten Berliner Jüdin mit dem einer politisch aktiven und berufstätigen Künstlerin. Dank der couragierten Hilfe von Freunden überlebt die Schülerin von Käthe Kollwitz die Shoah im Untergrund in Berlin. Auch ihr künstlerisches Werk kann gerettet werden, es gerät jedoch in Vergessenheit. Die Entdeckung ihres Nachlasses ermöglicht jetzt die postume Würdigung dieser hervorragenden Künstlerin und ihres Werks, das über alle Zeitströmungen hinweg Bestand hat.

In den „Jüdischen Miniaturen“ sind zudem zahlreiche Mediziner zu finden, deren Engagement weit über ihre rein berufliche Tätigkeit hinaus geht und deren Biographien nicht selten von ihren „Enkeln“ verfasst werden, wie zum Beispiel von dem Gastroenterologen Harro Jenss, der die beeindruckende Lebensgeschichte seines Vorgängers Hermann Strauß (1868–1944) erzählt.

Medizin und Humanismus bilden für Strauß eine untrennbare Einheit. Er gehört um die Wende zum 20. Jahrhundert zur Gruppe höchst kreativer jüdischer Ärzte der Berliner Medizinischen Fakultät, die wichtige originäre Beiträge zur Fortentwicklung der Medizin liefern. Strauß befasst sich wissenschaftlich intensiv mit Magen-, Darm-, Nieren- und Stoffwechselkrankheiten. Die Einführung der kochsalzarmen Diät bei Nierenerkrankungen, das auch noch heute verwendete Straußsche Sigmoidoskop sowie die Strauß-Kanüle gehen auf ihn zurück. Neben seinen medizinischen Erfindungen und Entdeckungen besitzen auch seine humanistischen Überzeugungen eine bis heute erstaunliche Aktualität und Gültigkeit. Strauß starb 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt.

Die „Jüdischen Miniaturen“ sind seit 1998 untrennbar mit dem Namen des Berliner Druckers Gerhard Hentrich verbunden. Am 19. September 2009 wurde der Verlagsgründer und Namensgeber im Alter von 85 Jahren mitten aus seiner unermüdlichen Arbeit gerissen. Unmittelbar vor seinem Tod hat er jedoch dafür gesorgt, dass der Verlag eine Zukunft hat und sein Lebenswerk an die übernächste Generation verkauft. Seit 1. Januar 2010 ist Dr. Nora Pester die neue Inhaberin des Hentrich & Hentrich Verlags Berlin, der im traditionsreichen Buchgewerbehaus in Berlins Mitte seine neue Adresse hat. So entstehen in der Wilhelmstraße, wo einst das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte geschrieben wurde, neues jüdisch-literarisches Leben und Zukunft aus Erinnerung. Band 100 der „Jüdischen Miniaturen“ ist übrigens unter dem Titel „Wagnis Zukunft“ dem 60. Geburtstag des Zentralrats der Juden in Deutschland gewidmet.


Hentrich & Hentrich Verlag Berlin
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