Städtebau der DDR-Moderne

Großgaststätte Ahornblatt

Großgaststätte Ahornblatt

Das heutige Erscheinungsbild der Fischerinsel wird von sechs zwischen 1969 und 1973 errichteten 21-geschossigen Wohnhochhäuser wesentlich bestimmt.

Zur Errichtung des Ensembles wurden in den frühen 1960er Jahren die Reste der alten Bebauung an der südlichen Spreeinsel, die den Krieg überstanden hatten, abgerissen. An der Stelle dieser dichten Bebauung, die auf die alte Stadt Cölln zurückging, entstand eine moderne Wohnsiedlung in Plattenbauweise. Durch die Hochhäuser konnte eine hohe Bevölkerungsdichte in Kombination mit größeren Frei- und Grünflächen erreicht werden. Angesichts der Wohnungsnot in Ost-Berlin hatte der Wohnungsbau höchste Priorität und sollte durch die industrielle Bauweise intensiviert werden. Gleichzeitig sollten die Hochhäuser eine dominante Wirkung im Stadtbild entwickeln, den Spreekanal markieren und seine Bedeutung für die Berliner Stadtstruktur betonen.

Die vertikale Dominante, die in diesem Gebiet entstand, steht in einem breiteren Zusammenhang. Das übergreifende städtebauliche Konzept für Ost-Berlin sah vor, um das Stadtzentrum herum eine „Krone“ aus Hochhäusern zu errichten, mit dem Fernsehturm im Mittelpunkt. Diese Idee wurde im südlichen Bereich an der Fischerinsel und wenige Jahre später in der Neubebauung der Leipziger Straße realisiert. Auf der Nordseite des Stadtzentrums wiederum wurde diese Planung nie vollendet, lediglich die Hochhäuser am heutigen Platz der Vereinten Nationen weisen darauf hin.

In der Mitte des Halbkreises, den die Hochhäuser an der Gertraudenstraße bilden, befand sich bis im Juni 2000 die Großgaststätte Ahornblatt, die 1973 nach Entwürfen des Bauingenieurs Ulrich Müther und den Architekten Gerhard Lehmann und Rüdiger Plaethe fertiggestellt worden war. Die innovative Dachkonstruktion der Gaststätte verlieh ihr das markante Erscheinungsbild. Direkt gegenüber befand sich das Bauministerium der DDR, an dessen Fassade das Wandbild „Der Mensch, Maß aller Dinge“ (1968) vom Künstler Walter Womacka (1925-2010) zu sehen war. In dem Wandbild wurde die neue industrielle Bauweise thematisiert und dabei explizit auf die Dachform des Ahornblatts Bezug genommen. Das Wandbild ist seit 2013 an einem Wohnhaus an der Friedrichsgracht zu sehen, nachdem das Bauministerium 2010 abgerissen wurde.

Somit war die Neubebauung der Fischerinsel in den frühen 1970er Jahren ein Zeugnis der neuen städtebaulichen und architektonischen Grundsätze, die in Ost-Berlin angewandt werden sollten – industriell, großzügig, weiträumig und modern.

Dabei wurde ebenfalls „autogerecht“ geplant und gebaut: die Gertraudenstraße wurde in den 1960er Jahren massiv verbreitet und bestimmt noch heute das Erscheinungsbild des Gebiets. Die Neubebauung im Sinne einer „Lückenschließung“, die in den 2000er Jahren erfolgte, hat dieses grundsätzliche Problem nicht gelöst.

Text: Edouard Compere / Mitte Museum