Das Nikolaiviertel – Auf Spurensuche nach Berlin

Nikolaiviertel

Das Ephraim-Palais an der Poststraße/Ecke Mühlendamm befindet sich im Nikolaiviertel, dessen Geschichte bis in das 12. Jahrhundert zurückreicht. Den archäologischen Forschungen zufolge lassen sich auf dem Gebiet des historischen Nikolaiviertels erste Siedlungen zu dieser Zeit nachweisen. Namensgeberin des Viertels ist die Nikolaikirche. An dieser Stelle wurde Berlin zur Stadt, eine Gründungsurkunde ist allerdings nicht erhalten.

Die Grundrisse der Gebäude blieben über die Jahrhunderte bis Anfang der 1930er Jahre weitgehend intakt. Die Stadt dehnte sich zunächst nach Norden, in Richtung der Marienkirche, aus, später auch nach Westen. Bei der Entwicklung Berlins von der Residenzstadt des 18. Jahrhunderts zur Metropole des 20. Jahrhunderts geriet das Nikolaiviertel zunehmend ins Abseits der Wahrnehmung. Dazu trug auch der Bau von Durchgangsstraßen bei, die den alten Stadtkern teilten.

In der NS-Zeit – von 1933 bis 1945 – wurde der historische Stadtkern nach und nach durch Teilabrisse und Kriegshandlungen zerstört. Die Nationalsozialisten wollten Alt-Berlin zu einem „Stadtforum“ umbauen, rund um die Nikolaikirche sollten Gebäude mit historisierenden Fassaden errichtet werden. Dazu kam es aber nicht, doch wurden viele der historischen Gebäude in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs zerstört.

Nach 1945 waren zunächst nur noch Teile der Nikolaikirche sowie das Knoblauchhaus und fünf weitere Häuser in der Poststraße erhalten.

Das Vorzeigeviertel im Zentrum von Ost-Berlin

Das Nikolaiviertel in seiner heutigen Gestalt wurde in den 1980er Jahren errichtet, als Ost-Berlin die Hauptstadt der DDR war. Bis in die 1970er Jahre blieb das Gebiet in weiten Teilen eine Brache. Ende der 1970er Jahre wurde für die Planungen der 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin 1987 ein Architekturwettbewerb zur Wiederbebauung des Nikolaiviertels ausgelobt.
Mit der Realisierung des Entwurfs des Architekten Günter Stahn (1939-2017), der den Wettbewerb gewann, wurde 1981 begonnen. Zentraler Bestandteil des Projekts war der Wiederaufbau der Nikolaikirche. Die Häuserfassaden an der Probststraße und am Mühlendamm wurden, orientiert an Bürgerhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert, neugestaltet. An der Spandauer Straße entstanden Plattenbauten mit historisierenden Stilelementen.

Das Viertel wurde als autofreier Bereich mit 800 Wohnungen für etwa 2000 Menschen, 33 Ladengeschäften und 22 Gaststätten ausgebaut. Das Nikolaiviertel war damit in funktioneller Hinsicht für den inländischen Tourismus der DDR und als Devisenbringer für Besuchende aus dem Westteil Berlins, aus Westdeutschland und aus dem Ausland ausgerichtet. Der Architekt Günter Stahn schrieb 1985, im Mittelpunkt seines Konzepts habe „das Ziel einer lebendigen städtebaulichen Raumbildung mit einem differenzierten reichen Wahrnehmungserlebnis“ gestanden.

Im offiziellen Sprachgebrauch der DDR hieß es zunächst „Wohngebiet am Marx-Engels-Forum“. Die Geschichte des Ortes kam in diesem Namen nicht mehr vor. Eine Interpretation von Stadtgeschichte nimmt im Nikolaiviertel aber eine wichtige Rolle ein. Der Nachbau von historischen Laternen und Ladenschildern simulieren historische Authentizität. 2018 wurde das Viertel unter Denkmalschutz gestellt – als Beispiel für eine Veränderung der Baupolitik der DDR in den 1980er Jahre, die die Bedeutung der Lebensqualität von gewachsenen Stadtquartieren erkannt habe.

Das Nikolaiviertel heute und seine Zukunft

Die Stadtplanung der DDR setzte den motorisierten Verkehr bei der Gestaltung der Straßen um das Nikolaiviertel in den Vordergrund, das damit durch die Grunerstraße und Spandauer Straße von seiner Umgebung abgekoppelt wurde. Für Fußgänger*innen bleibt es vor allem vom Marx-Engels-Forum aus über die Rathausstraße und vom Bahnhof Alexanderplatz aus leicht erreichbar. Trotz dieser Schwierigkeiten ist das Viertel weiterhin beliebt.

Die über mehrere Jahrzehnte öffentlich geführte Diskussion um eine sogenannte „Stadtreparatur“ der historischen Mitte Berlins mündete 2021 in zwei Projekte, die wesentliche Veränderungen mit sich bringen werden.
Die Neugestaltung des Marx-Engels-Forums nach langer Planungsphase und die angestrebte Verkehrsberuhigung der Spandauer Straße werden die Verbindung des Nikolaiviertels mit dem Gebiet am Fuß des Fernsehturms verbessern.

Der Umbau des Molkenmarkts zu einem neuen Stadtquartier in Anlehnung an die Vorkriegsbebauung wird wiederum das Nikolaiviertel in gewisser Weise nach Süd-Osten erweitern. Die Bauarbeiten zur Verlegung und Verkleinerung der Grunerstraße wurden 2021 aufgenommen. Zu erwarten sind eine deutliche Verbesserung der Aufenthaltsqualität, ganz im Sinne der ursprünglichen Planung des Nikolaiviertels als autofreie Einkaufs- und Flaniermeile. Es bleibt abzuwarten, ob sich die architektonische Gestaltung des neuen Quartiers ähnlich wie 1987 im Nikolaiviertel am historischen Stadtbild orientieren wird. Die Kontroversen um das nahegelegene Humboldtforum haben gezeigt, dass die Entscheidung für eine historisierende Rekonstruktion durchaus problematisch sein kann.

  • Weitere Informationen zu einzelnen Bauten im Nikolaiviertel

    Die Nikolaikirche

    Die Nikolaikirche wurde im 13. Jahrhundert als Feldsteinbasilika errichtet und seitdem mehrfach umgebaut. Um 1264 wurde erstmals der Name St. Nikolai für die Kirche erwähnt. Er bezieht sich auf den gleichnamigen Bischof der in der heutigen Türkei liegenden und damals zum römischen Reich gehörenden Stadt Myra. In Europa sind zahlreiche Kirchen nach ihm benannt. Der heilige Nikolaus gilt als der Schutzpatron der Kaufleute, Bäcker, Seefahrer und Kinder. Im selben Zeitraum entstand mit der Kirche des Klosters der Franziskaner – nach der Farbe der Kleidung der Mönche „Graues Kloster“ genannt -, ein weiteres bedeutendes christliches Gotteshaus in Berlin.

    Die Nikolaikirche ist heute, so das Berliner Landesdenkmalamt, „das älteste aufrechtstehende Mauerwerk“ Berlins. Sie ist auch die älteste Kirche der Stadt und war Hauptpfarrkirche. Die Nikolaikirche gilt als die „vornehmste der stadteigenen Pfarrkirchen“, so der Historiker Benedikt Goebel. Die Kirche wurde später als Ratskirche bezeichnet, weil hier Anfang des 19. Jahrhunderts die Berliner Stadtverordnetenversammlung erstmals zusammentrat.

    In der NS-Zeit ging das Gebäude in den Besitz des Staates über. Im Zweiten Weltkrieg – 1944/1945 – wurde es stark zerstört. Ende der 1960er Jahre sah ein Entwurf den Umbau der Ruine zum „Museum der Stadt Berlin“ vor. Auf den Resten des Kirchturms sollte ein Hörsaal errichtet werden. Die Idee wurde aber nicht umgesetzt. Der Wiederaufbau am Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre folgte bei der Rekonstruktion der äußeren Gestalt dem historischen Vorbild aus dem 19. Jahrhundert.

    Seit 1987 gehört der Kirchenbau zum Stadtmuseum Berlin und dient unter anderem als Veranstaltungsort. 1991 fand hier die konstituierende Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses nach der Wiedervereinigung von Ost- und West-Berlin statt.

    Das Ephraim-Palais, Mühlendamm/Poststraße

    Das Originalgebäude des Ephraim-Palais‘ war ein zwischen 1762 und 1769 am Ufer der Spree gelegenes umgebautes Stadthaus. In gestalterischer Hinsicht galt das repräsentative vierstöckige Palais als das schönste im Stil des Rokoko errichtete Gebäude Berlins. Die Fassade wurde mit unverzierten Doppelsäulen versehen. Über dem Eingang befinden sich Balkone mit vergoldeten schmiedeeisernen Gittern, der untere davon trägt Putten als bauplastischen Schmuck.

    Das Wohn- und Geschäftshaus gehörte dem Bankier Veitel Heine Ephraim (1703-1775). Mit seinen verschiedenen Manufakturen trug Ephraim zur Entwicklung der Berliner Wirtschaft bei. Als Finanzberater und Münzlieferant des Preußenkönigs Friedrich II. (1712-1786) – auch Friedrich der Große genannt – besorgte Ephraim die Finanzmittel für dessen Feldzüge zur beabsichtigten Eroberung von Schlesien und Sachsen während des Siebenjährigen Krieges. Als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde gründete er eine nach ihm benannte religiöse Lehranstalt, aus der später die erste jüdische Universität Deutschlands hervorging. In seinem Testament verfügte Ephraim die Gründung einer Stiftung, die sich der Unterstützung von armen und kranken Menschen sowohl jüdischen als auch christlichen Glaubens und der Unterstützung von Talmud-Studierenden und Lehrkräften widmet sollte.
    Während der NS-Zeit wurde die Stiftung von einem ehemaligen Studierendten „arisiert.“ Alle jüdischen Mitgliede*rinnen und Zuwendungsempfänger*innen wurden ausgeschlossen und die Stiftung umbenannt. Erst nach dem Tod des Ariseurs im Jahr 2000 erhielt diese älteste jüdische Stiftung in Deutschland wieder den Namen ihres Gründers. Heute hat die Stiftung ihren Sitz im Ephraim-Palais. In ihrer Arbeit will sie wieder an die Gründungsidee anknüpfen.

    1843 erwarb der preußische Staat das Gebäude und brachte dort u.a. eine Polizeiwache und das damals eingeführte Einwohnermeldeamt unter.
    In der NS-Zeit wurde das Ephraim-Palais abgerissen, um Platz für einen Neubau der Mühlendammbrücke und die Verbreiterung der dortigen Schleuse zu schaffen. Mehr als 2.493 Bauteile aus Sandstein-Säulen, Putten, Balkonplatten, Balkongitter und Treppengeländer – wurden am Westhafen eingelagert.

    Später gab es in West-Berlin Pläne, das Ephraim-Palais in der Lindenstraße wiederaufzubauen. Es sollte darin die jüdische Abteilung des Berlin-Museums eröffnet werden. Dieser Plan scheiterte an den Kosten und den fehlenden historischen Bauzeichnungen, die sich in Ost-Berlin befanden. 1983 übergab der Berliner Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker die Bauteile den Ost-Berliner Behörden. Im Gegenzug dazu erhielt die Stadt Berlin (West) das Archiv der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM), dass sich in Ost-Berlin befanden.

    Mit den Originalbauteilen realisierte die DDR den Wiederaufbau des Ephraim-Palais unweit des historischen Standorts, der in den 1960er Jahren durch den auf acht Spuren erweiterten Mühlendamm überbaut worden war. Auf einer Bronzetafel mit einer Chronologie zur Geschichte des Ephraim-Palais wird bis heute daran erinnert, dass das wiederaufgebaute Gebäude in Anwesenheit des „Genossen Erich Honecker“ eröffnet worden war.

    Das Knoblauchhaus, Poststraße 23

    Das Knoblauchhaus in der Poststraße gehört zu den wenigen erhaltenen historischen Bürgerhäusern im Nikolaiviertel. Es wurde zwischen 1759 und 1761 als Wohn- und Geschäftshaus für die protestantische Kaufmannsfamilie Knoblauch errichtet. Die Familie begründete ihr Vermögen auf der Herstellung von Drähten, später u.a. von Karabinerhaken für die preußische Armee sowie auf dem Handel von Tuch- und Seidenwaren. Aus der Familie ging unter anderem Eduard Knoblauch (1801-1865) hervor, der Architekt der Neuen Synagoge an der Oranienburg Straße. Das Knoblauchhaus gilt als ein typisches Beispiel für die Wohnkultur des Berliner Bürgertums. Anfang des 19. Jahrhunderts fanden hier sogenannte Salons statt, an denen unter anderem der Dichter Gotthold Ephraim Lessing, der Gelehrte, Bildungsreformer und Diplomat Wilhelm von Humboldtoder der Architekt Karl Friedrich Schinkel teilnahmen. 1929 verkaufte die Familie das Haus der Stadt Berlin. In der DDR-Zeit wurde es bis zum Aufbau des neuen Nikolaiviertels als Mietshaus genutzt. Ab 1989 wurde das Gebäude vom Märkischen Museum für Ausstellungen über die Zeit des Biedermeiers genutzt, heute als eines der Ausstellungshäuser des Stadtmuseums Berlin.

    Das Gasthaus „Zum Nussbaum“, Am Nußbaum 3

    Das Gebäude ist ein Nachbau einer Gastwirtschaft gleichen Namens, die sich auf der anderen Seite der Spree in der Fischerstraße befand. Dort verkehrten u.a. die Maler Heinrich Zille und Otto Nagel sowie die Sängerin Claire Waldorf. 1943 wurde es durch Kriegseinwirkung zerstört. Der Nachbau steht auf dem Gelände der ehemaligen Propstei der Nikolaikirche. Das Lokal präsentiert sich heute als typische Alt-Berliner Gaststätte.

    Das Gasthaus „Zur Gerichtslaube“, Poststraße 28

    Das Restaurant „Zur Gerichtslaube“ ist ein Nachbau des historischen, im Mittelalter neben dem alten Berliner Rathaus errichteten städtischen Gerichtsgebäudes. Die historische sogenannte Gerichtslaube wurde 1871 nach der Fertigstellung des Roten Rathauses abgerissen. Unter Verwendung von historischen Bauteilen entstand 1871/72 im Park Babelsberg ein Nachbau des Berliner Gebäudes (Entwurf: Johannes Strack). Für den zweiten Nachbau im Nikolaiviertel in den 1980er Jahren unweit des ursprünglichen Standorts wurden Fertigbauteile verwendet.

    Das Kaufhaus Nathan Israel, Spandauer Straße, Probst- und Rathausstraße

    „Welch große herrliche Straße!“, schrieb der Dichter Heinrich Heine über die heutige Rathausstraße, „wo ein Kaufmannsmagazin ans andere grenzt und die bunten Warenausstellungen fast das Auge blenden.“ Bei seinem Berlinbesuch 1821 wohnte Heine im Hotel „Schwarzer Adler“ in der Poststraße 30.

    Gegenüber des Roten Rathauses, an der Ecke der heutigen Spandauer, Probst- und Rathausstraße, erstreckte sich 1939 auf einem mehr als 22.000 qm großen Grundstück das Kaufhaus Israel. Das Geschäft war 1843 in die Spandauer Straße 28 gezogen. Die Nachfahren des Unternehmensgründers Nathan Israel (1782-1852) bauten es zu einem der bedeutendsten und größten Kaufhäuser in Berlin, Deutschland und Europa aus. Zeitweise beschäftigte die Firma an die 2.000 Mitarbeiter*innen. Das Unternehmen war unter anderem für seine vorbildliche betriebliche Sozialpolitik bekannt. 1939 wurden die damaligen Inhaber zum Verkauf gezwungen, weil sie Juden waren. 1943 wurde das Kaufhaus bei Luftangriffen stark zerstört, die Ruine in den 1950er Jahren abgerissen.

    Die Skulpturen im Nikolaiviertel

    Mehrere Skulpturen wurden im Zuge des Wiederaufbaus in das Nikolaiviertel versetzt: Am Spreeufer befinden sich zwei Löwenfiguren aus Stein, die zuvor am Molkenmarkt gestanden hatten. An der Spree wurde auch die Skulptur des Heiligen Georg von dem Bildhauer August Kiss (1802 – 1865) aufgestellt. Die 1855 geschaffene Bronzefigur befand sich ursprünglich im ersten Hof des Stadtschlosses, später im Volkspark Friedrichshain. Mit solchen Versetzungen sollte neben den erhaltenen historischen Bauten, so das Landesdenkmalamt, „die Aura des ‚Alten Berlin‘“ wiedererweckt werden. Dieses Konzept wurde durch mehrere eigens für die Rekonstruktion des Nikolaiviertels geschaffene Bronze-Figuren des Bildhauers Gerhard Thieme (1928-2018) ergänzt. Einige dieser Figuren bilden „Berliner Originale“ ab, wie zum Beispiel der „Eckensteher Nante“ oder der „Leierkastenmann.“

Literaturhinweise (Auswahl)

  • Benedikt Goebel, Der Umbau Alt-Berlins zum modernen Stadtzentrum, Berlin 2003
  • Uwe Kieling/Johannes Althoff, Das Nikolaiviertel – Spuren der Geschichte im ältesten Berlin, Berlin 2001
  • Günter Stahn, Berlin – Das Nikolaiviertel. Ein städtebaulicher Wegweiser, Berlin 2003
  • David Wagner, Schutzgebiet Nikolaiviertel, in: derselbe, Mauer Park, Berlin 2013, S, 184-192.