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Rundschreiben Nr. 02 / 2013

Rundschreiben Nr. 02-2013

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

dem Rundschreiben für alle Postempfänger beigefügt liegen ein Flyer und eine Broschüre der Landesvereinigung Selbsthilfe e.V. bei. Beides können Sie, wenn Sie diese gerne an Ihre schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen weiterleiten möchten, direkt bei der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. bestellen:

Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V.
Tel.: 030 / 27 59 25 25
Fax.: 030 / 27 59 25 26
E-Mail: info@lv-selbsthilfe-berlin.de
Internet: www.lv-selbsthilfe-berlin.de

Des Weiteren möchten wir Sie auf den „Betrieblichen Gesundheitsbericht für das Land Berlin 2011“ aufmerksam machen, der unter www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/zsb/gesundheitsmanagement/gesundheitsbericht2011.pdf zu finden ist. In diesem Bericht wird auf Personaldaten, Gesundheitsstatistik, Projektförderung, Sozialberatung und andere interessante Themen Bezug genommen.

Themen des heutigen Rundschreibens:

  • Diabetes – Keine Anerkennung als Schwerbehinderter
    Urteil Bundessozialgericht (BSG) Kassel vom 25. Oktober 2012 – (Az.: B 9 SB 2/12 R)
    Müssen Diabetiker ständig auf ihren Blutzuckerspiegel sowie auf eine gesunde Ernährung achten und gehen sie regelmäßig vorbeugend zum Arzt, reicht dies für eine Anerkennung als Schwerbehinderter nicht aus.
  • Schwerbehinderte dürfen bei Abfindung nicht benachteiligt werden
    Ein Sozialplan darf zwar eine geminderte Entlassungsabfindung für Arbeitnehmer vorsehen, die kurz vor dem Renteneintritt stehen. Es stellt jedoch eine Diskriminierung dar, wenn bei dieser Berechnung auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente wegen Behinderung abgestellt wird.
  • Dies und Das
    • Höherer Eigenanteil bei Bahn- und Bustickets
    • Beratung in Gebärdensprache
    • Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen im Internet
    • Grundsatz der Meistbegünstigung nachträgliche Klagezulassung
    • Barrierefreie Technik für inklusives Arbeiten

Urlaub an gesetzlichen Feiertagen im öffentlichen Dienst

Der Arbeitgeber erfüllt den Anspruch auf Erholungsurlaub, indem er den Arbeitnehmer durch Freistellungserklärung zu Erholungszwecken von seiner sonst bestehenden Arbeitspflicht befreit. Dies ist auch an den gesetzlichen Feiertagen möglich und notwendig, an denen der Arbeitnehmer ansonsten dienstplanmäßig zur Arbeit verpflichtet wäre.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1995 als Arbeiter in der Abteilung Bodenverkehrsdienst im Schichtdienst beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der für die Arbeitnehmer der VKA jeweils geltenden Fassung (TVöD) Anwendung. Die Dienstpläne der Beklagten verteilen die Arbeitszeit auch auf Sonntage und auf gesetzliche Feiertage. Sofern der
Kläger an einem Feiertag dienstplanmäßig eingeteilt ist und dieser Tag in seinen Erholungsurlaub fällt, rechnet die Beklagte diesen als gewährten Urlaubstag ab. Der Kläger macht geltend, dass die Beklagte gesetzliche Feiertage, an denen er ohne Urlaubsgewährung zur Arbeit verpflichtet wäre, nicht auf seinen Jahresurlaubsanspruch anrechnen dürfe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Der Urlaubsanspruch wird auch durch Freistellung an gesetzlichen Feiertagen erfüllt, an denen der Arbeitnehmer ohne Urlaub arbeiten müsste. Der TVöD enthält keine hiervon abweichende Regelung.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Januar 2013 – 9 AZR 430/11 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 10. März 2011 – 16 Sa 1677/10 -

Diabetes - Keine Anerkennung als Schwerbehinderter

Müssen Diabetiker ständig auf ihren Blutzuckerspiegel sowie auf eine gesunde Ernährung achten und gehen sie regelmäßig vorbeugend zum Arzt, reicht dies für eine Anerkennung als Schwerbehinderter nicht aus. Denn die Lebensführung der Erkrankten ist dadurch noch nicht „erheblich beeinträchtigt“, urteilte am 25. Oktober 2012 das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 9 SB 2/12 R). Es bekräftigte damit seine bisherige Rechtsprechung vom 02. Dezember 2010 (Az.: B 9 SB 3/09 R).

Damit ein Diabetiker als Schwerbehinderter anerkannt werde und einen dafür notwendigen Grad der Behinderung (GdB) von 50 zugesprochen bekomme, müssten drei Kriterien erfüllt sein. So müsste der Zuckerkranke sich viermal täglich Insulin spritzen. Man dürfte aber „nicht zu penibel sein“, wenn diese Grenze gelegentlich unterschritten wird, betonte das BSG. Außerdem müsse es erforderlich sein, dass der Kranke seine Insulindosis immer neu anpassen muss. Und schließlich müsse die Lebensführung durch die Krankheit „erheblich beeinträchtigt“ sein, so der 9. Senat.

Genau dies hatte auch die aus Magdeburg stammende Klägerin aufgeführt. Ihr gesamter Tagesablauf werde durch ihre Zuckerkrankheit bestimmt. So müsse sie viermal täglich Insulin in unterschiedlichen Dosen spritzen, auf ihre Ernährung achten und vorbeugend regelmäßig zum Arzt gehen, damit keine Verschlimmerung der Erkrankung eintritt. Dies alles stelle eine „erhebliche Beeinträchtigung“ ihrer Lebensführung dar, sodass sie als Schwerbehinderte gelten müsse.

Das Bundessozialgericht folgte dem jedoch nicht. Auch wenn ihr Tagesablauf sich ständig um die Zuckerkrankheit drehe, sei damit die Lebensführung aber noch nicht „erheblich beeinträchtigt“, betonte das Gericht. Die Diabetikerin habe ihre Krankheit vielmehr gut im Griff. Stark beeinträchtigende Folgeerkrankungen lägen nicht vor. Ein Anspruch auf Anerkennung als Schwerbehinderte bestehe daher nicht.

Urteil Bundessozialgericht (BSG) Kassel vom 25. Oktober 2012 – (Az.: B 9 SB 2/12 R)

Antidiskriminierungsberatung – Alter oder Behinderung der Landesvereinigung Selbsthilfe eröffnet

Am 5. November 2012 wurde die neue Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung in der Littenstraße 108 in Berlin-Mitte feierlich von Staatssekretärin Barbara Loth eröffnet. Die neue Vorsitzende der LV Selbsthilfe, Frau Beate Hübner, wies in ihrem Grußwort darauf hin, dass es trotz guter rechtlicher Grundlagen in Deutschland immer noch viel zu häufig zu Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung kommt.

Die Antidiskriminierungsberatung ist eine Berlinweite Anlaufstelle für Menschen, die sich auf Grund ihres Lebensalters oder auf Grund einer Behinderung diskriminiert fühlen. Die außergerichtliche Beratung erfolgt auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes (AGG), das seit 2006 in Kraft ist, und unterstützt die Ratsuchenden darin, sich gegen die erfahrene Diskriminierung zur Wehr zu setzen.

Unterstützung finden hier z.B. Menschen, die im Bewerbungsverfahren auf Grund ihres Alters nicht berücksichtigt wurden, denen auf Grund einer Behinderung die Aufstiegschancen im Job verwehrt werden oder die von bestimmten Dienstleistungen zu Unrecht ausgeschlossen werden. Dies kann z.B. bei Bankgeschäften (Kreditvergabepraxis), bei Diskothekenbesuchen, bei Ferienaufenthalten (Ferienwohnungen und Hotelaufenthalte), im Zusammenhang mit Versicherungen oder in anderen Kontexten der Fall sein.

Dabei bietet die neue Beratungsstelle der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. bei Bedarf auch Begleitung der Betroffenen zu Behördengängen und zu anderen Gesprächen an. Franziska Müller, Projektleiterin der neuen Antidiskriminierungsberatung, ermuntert Ratsuchende, sich auch für die praktische Unterstützung an die Beschwerdestelle zu wenden: „Gerne unterstützen wir die Beschwerde führenden Menschen beim Verfassen von Briefen und anderen Schriftwechseln. Falls eine Rechtsberatung benötigt wird, verweisen wir z.B. auf die kostenlose rechtliche Erstberatung bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder auf andere erfahrene Rechtsbeistände. Wir sind in der Beratungsstelle offen für alle Formen von Diskriminierung, also auch für die Fälle, die nicht durch das AGG geschützt sind.“ Termine sind nach vorheriger telefonischer Anmeldung jeder Zeit möglich. Das Projekt wird aus Mitteln der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen finanziert.

Kostenlose Fortbildungen zum AGG

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzt und seine Möglichkeiten sind noch immer viel zu wenig bekannt, auch innerhalb der „Behindertenszene“. Daher sucht die Antidiskriminierungsberatung der LV Selbsthilfe ehrenamtlich engagierte Menschen aus allen Vereinen, Organisationen und Institutionen, die sich gerne näher mit dem AGG und mit Antidiskriminierungsarbeit beschäftigen möchten. Diesen werden in kostenlose Fortbildungen geschult, damit sie in ihren Organisationen für die Antidiskriminierungsarbeit und für die Möglichkeiten, sich gegen Ungleichbehandlung zur Wehr zu setzen, sensibilisieren können.

Bei Interesse an den Fortbildungen oder bei Fragen wenden Sie sich bitte an:

Franziska Müller
Antidiskriminierungsberatung zu Alter und Behinderung
Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e. V.
Littenstr. 108
10179 Berlin (Mitte)
Tel.: +49 (0) 30/ 27 59 25 27
Fax: +49 (0) 30/ 27 59 25 26
E-Mail: mueller@lv-selbsthilfe-berlin.de
Internet: www.lv-selbsthilfe-berlin.de
(Anmerkung.: die Webseite der LV Selbsthilfe wird derzeit aktualisiert und wird voraussichtlich im
Februar 2013 mit der neuen Antidiskriminierungsberatung online gehen)

Sprechzeiten
Dienstag: 09:00 Uhr – 13:00 Uhr
Donnerstag: 13:00 Uhr – 17:00 Uhr

Wir bitten um vorherige telefonische Terminabsprache!

Verkehrsanbindung
U/S-Bhf. Jannowitzbrücke (U8), U/S-Bhf. Alexanderplatz (U2, U5, U8)
U-Bhf. Klosterstr. (U2, nicht barrierefrei)

Auch teilfreigestellter Personalrat hat Anspruch

Seine Tätigkeit in einem Personalrat darf einen Arbeitnehmer nicht in seiner beruflichen Laufbahn benachteiligen. Das entschied das Arbeitsgericht Stuttgart.

Der Diplom Sozialpädagoge ist seit 1995 bei der Stadt beschäftigt, unter anderem als stellvertretender Schulamtsleiter. In der internen Jobbörse, die nach einer Dienstvereinbarung vom Arbeitgeber gegenüber externen Stellenausschreibungen bevorzugt beachtet werden muss, hatte sich der Kläger zweimal innerhalb von drei Jahren erfolglos auf dieselbe Stelle der Sachgebietsleitung beworben. Nach der zweiten Ablehnung hatte er einen Antrag auf Höhergruppierung gestellt. Die Ablehnung begründete der Dienstherr mit einer mangelnden Qualifikation für die Stelle. Eine Laufbahnnachzeichnung, in der die fiktive berufliche Weiterentwicklung von freigestellten Interessenvertretern festgestellt wird, sei in diesem Fall nicht erforderlich, da der Kläger nur zu 61 Prozent freigestellt sei.

Die Stuttgarter Richter dagegen stellten fest, dass der Arbeitnehmer über die gleichen beruflichen Qualifikation verfüge wie die erfolgreiche Bewerberin. Deshalb sei er als Personalratsmitglied in seinem beruflichen Werdegang benachteiligt worden. Des Weiteren widersprach das Gericht dem Arbeitgeber auch bezüglich seiner Laufbahnnachzeichnungspflicht: Diese bestehe selbst dann, wenn der Arbeitnehmer als Personalratsmitglied nur teilweise freigestellt sei. Deshalb habe er Anspruch auf eine Höhergruppierung.

Der Anspruch von vollständig freigestellten Personalratsmitgliedern auf eine fiktive Laufbahnnachzeichnung gilt auch für teilweise freigestellte und zeitweilig freigestelle Personalratsmitglieder. Nach der Entscheidung der Stuttgarter Richter ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei einer für eine Höhergruppierung maßgeblichen Beurteilung eines teilweise freigestellten Personalratsmitglieds auch dessen Werdegang ohne Freistellung fiktiv nachzuzeichnen und die Ergebnisse der Nachzeichnung neben der Bewertung der dienstlichen Leistungen bei der Höhergruppierungsentscheidung zu berücksichtigen.

Arbeitsgericht Stuttgart am 22. Februar 2012, Az. 22 Ca 6204/11

Quelle: DGB-Rechtsschutz
PS: Da die SBV gemäß § 96 Abs. 3 SGB IX die gleiche Rechtsstellung wie ein BR / PR besitzt müsste diese Sichtweise auch für die SBV anzuwenden sein.

Schwerbehinderte dürfen bei Abfindung nicht benachteiligt werden

Ein Sozialplan darf zwar eine geminderte Entlassungsabfindung für Arbeitnehmer vorsehen, die kurz vor dem Renteneintritt stehen. Es stellt jedoch eine Diskriminierung dar, wenn bei dieser Berechnung auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente wegen Behinderung abgestellt wird.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens war mehr als 30 Jahre bei einem deutschen Unternehmen beschäftigt. Er ist als Schwerbehinderter anerkannt. Der zwischen dem Arbeitgeber und dessen Betriebsrat geschlossene Sozialplan sieht vor, dass der Abfindungsbetrag für Arbeitnehmer bei betriebsbedingter Kündigung insbesondere von der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit abhängt (Standardberechnungsmethode).

Für Arbeitnehmer, die älter als 54 Jahre sind, sieht dieser Plan jedoch vor, dass die Abfindung auf der Grundlage ihres frühesten möglichen Rentenbeginns berechnet wird (alternative Methode). Die diesen Arbeitnehmern zu zahlende Abfindung ist geringer als die Summe, die sich nach der Standardmethode ergeben würde; sie muss allerdings mindestens die Hälfte dieser Summe betragen.
Dem Kläger wurde aufgrund des Sozialplans eine Entlassungsabfindung gezahlt. Da er über 54 Jahre alt war, erhielt er einen geringeren als den Betrag, auf den er bei niedrigerem Alter Anspruch gehabt hätte. Der Kläger war der Ansicht, dass er durch diese Berechnung der Abfindung wegen seines Alters und seiner Behinderung benachteiligt werde.
Der Sozialplan steht nicht im Einklang mit Unionsrecht, entschied der EuGH.

Zwar steht der Regelung das Verbot der Altersdiskriminierung nicht entgegen. In einem Sozialplan darf bei der Berechnung der Entlassungsabfindung anhand des Alters differenziert wird. Eine solche Ungleichbehandlung kann nämlich durch das Ziel gerechtfertigt werden, einen Ausgleich für die Zukunft zu gewähren und die jüngeren Arbeitnehmer zu schützen und sie trägt zugleich der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel eines Sozialplans Rechnung. Zudem haben Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter mit dieser Vereinbarung ihr als Grundrecht anerkanntes Recht auf Kollektivverhandlungen ausgeübt.

Dennoch steht das Verbot jeder Diskriminierung wegen der Behinderung der fraglichen Regelung entgegensteht, soweit bei der Anwendung der alternativen Methode auf die Möglichkeit, eine vorzeitige Altersrente wegen einer Behinderung zu erhalten, abgestellt wird.
Durch diese Ungleichbehandlung nichtbehinderter Arbeitnehmer und behinderter Arbeitnehmer wird nämlich sowohl das Risiko für Schwerbehinderte – die im Allgemeinen größere Schwierigkeiten als nichtbehinderte Arbeitnehmer haben, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern – als auch die Tatsache verkannt, dass das Risiko steigt, je mehr sie sich dem Renteneintrittsalter nähern. Die in Rede stehende Regelung, die bei betriebsbedingter Kündigung dazu führt, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer eine geringere Abfindung erhält als ein nichtbehinderter Arbeitnehmer, bewirkt folglich eine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen schwerbehinderter Arbeitnehmer. Sie geht damit über das hinaus, was zur Erreichung der mit ihr verfolgten sozialpolitischen Ziele erforderlich ist.

Quelle: www.bund-verlag.de

EuGH, Urteil vom 06.12.2012, Aktenzeichen: C-152/11

Arbeitnehmer sind nicht verpflichtet gegen Abmahnungen gerichtlich vorzugehen

Richtigkeit einer Abmahnung wird im Kündigungsschutzprozess geprüft

Wird ein Arbeitnehmer abgemahnt, ist er nicht dazu verpflichtet zur Prüfung der Richtigkeit gegen die Abmahnung gerichtlich vorzugehen. Die Berechtigung zur Abmahnung wird erst im Kündigungsschutzprozess geklärt. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall war ein 32-jähriger Mann bei der Deutschen Bundespost seit 1974 als Fernmeldehandwerker beschäftigt. Zum Dienstantritt um 7 Uhr musste er sich bei der Dienststelle telefonisch melden. Seit August 1981 fiel der Arbeitnehmer wegen häufiger verspäteter Anrufe auf. Der Arbeitgeber mahnte dieses Verhalten mit Schreiben von August und September 1981 ab. Diese Abmahnungen nahm der Arbeitnehmer widerspruchslos hin. Es traten in der Folgezeit weitere Verspätungen auf, was zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses im April 1984 führte. Der Arbeitnehmer erhob daraufhin Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Berufung des Arbeitnehmers hatte das Landesarbeitsgericht Berlin zurückgewiesen. Es war der Meinung, der Arbeitnehmer habe sich auf die Unrichtigkeit der gerügten Verspätungen nicht berufen können, da er die Abmahnungen nicht innerhalb eines zumutbaren Zeitraums angegriffen habe (sog. Verwirkung). Er sei aber dazu verpflichtet gewesen. Dagegen richtete sich die Revision des Arbeitnehmers.

Wiederholte Verspätungen begründen Kündigungsgrund

Das Bundesarbeitsgericht teilte zunächst die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, dass wiederholte Verspätungen des Arbeitnehmers nach vorheriger Abmahnung geeignet seien, eine ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen zu rechtfertigen.

Annahme der Verwirkung war falsch

Das Landesarbeitsgericht sei jedoch fehlerhaft davon ausgegangen, so das Bundesarbeitsgericht weiter, dass der Arbeitnehmer sich im Kündigungsschutzprozess nicht auf die Unrichtigkeit der abgemahnten Verspätungen berufen könne, da er nicht gegen diese Abmahnungen vorgegangen war. Aus diesem Grund sei das angefochtene Urteil aufzuheben und an das Berufungsgericht zurückzuweisen gewesen.

Arbeitnehmer ist berechtigt und nicht verpflichtet Abmahnungen anzugreifen

Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts sei der Arbeitnehmer zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet, gegen eine Abmahnung gerichtlich vorzugehen. Aus dem Umstand, dass dem Arbeitnehmer ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Rücknahme und Entfernung des Abmahnungsschreibens aus den Personalakten zustehe, könne nicht gefolgert werden, dass er dazu auch verpflichtet sei. Lasse der Arbeitnehmer die Berechtigung einer Abmahnung gerichtlich nicht klären, so könne er weiterhin, in einem späteren Kündigungsschutzprozess die Richtigkeit der abgemahnten Pflichtwidrigkeiten bestreiten. Es sei dann Sache des Arbeitgebers, die Richtigkeit der zwar abgemahnten, aber vom Arbeitnehmer bestrittenen Pflichtwidrigkeiten zu beweisen.
Schutz des Arbeitgebers anderweitig möglich

Um den im Kündigungsschutzprozess beweispflichtigen Arbeitgeber vor einem unredlichen Verhalten des Arbeitnehmers zu schützen, bedürfe es nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts in der Regel keines Zurückgreifens auf das Institut der Verwirkung. Ergebe sich im Laufe des Prozesses, dass der Arbeitnehmer die Beweisführung des Arbeitgebers in arglistiger Weise erschwert oder gar vereitelt, so könne es zum Beispiel zu einer Umkehr der Beweislast oder zu einer erweiterten Anwendung der Geständnisfunktion des § 138 Abs. 3 ZPO kommen. Ein unredliches Verhalten des Arbeitnehmers liege zum Beispiel dann vor, wenn er mündlich oder schriftlich erklärt habe, gegen die Richtigkeit der abgemahnten Verhaltensweisen keine Einwendungen erheben zu wollen, und der Arbeitgeber deshalb davon abgesehen habe, entsprechende Beweismittel zu sichern. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Richtigkeit der abgemahnten Pflichtwidrigkeiten befragen und dessen Reaktion bei der Sicherung der Beweismittel berücksichtigen könne.

Kein unredliches Verhalten durch bloßes Untätigbleiben des Arbeitnehmers

Das Bundesarbeitsgericht führte weiterhin aus, dass das bloße Untätigbleiben gegenüber einer Abmahnung noch kein unredliches Verhalten darstelle. Dies gelte ebenso, wenn der Arbeitnehmer durch seine Unterschrift auf dem Abmahnungsschreiben zum Ausdruck bringt, von den abgemahnten Verhaltensweisen Kenntnis genommen zu haben.

Pflicht zur gerichtlichen Prüfung der Abmahnung führt zu negativen Folgen

In der Auffassung des Landesarbeitsgerichts sah das Bundesarbeitsgericht erhebliche Nachteile. So würden durch die gerichtliche Prüfung von Abmahnungen vor einem Kündigungsschutzprozess bestehende Arbeitsverhältnisse belastet. Für Arbeitnehmer können derartige Prozesse dazu führen, dass der Bestand ihrer Arbeitsverhältnisse gefährdet werde. Auch der Arbeitgeber habe in der Regel angesichts des erheblichen Zeit- und Personalaufwands und der negativen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis kein Interesse daran, dass die Berechtigung von Abmahnungen bereits vor einem Kündigungsschutzprozess gerichtlich überprüft werde.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.03.1987 – 7 AZR 601/85 –

Dies und Das oder in Kürze mitgeteilt

  • Höherer Eigenanteil bei Bahn- und Bustickets
    Schwerbehinderte Menschen können den öffentlichen Nahverkehr auch künftig nahezu kostenlos in Anspruch nehmen. Ihr Eigenanteil für die Tickets wird erstmals seit 1984 wieder angehoben.
    Bei der Nutzung von Bussen und Bahnen müssen die Betroffenen statt monatlich fünf Euro nun sechs Euro pro Monat aus eigener Tasche zuzahlen. Der Bundesrat billigte am 23. November 2012 das Gesetz, das er selbst initiiert hatte. Es steht auch eine Dynamisierung des Eigenanteils vor: Das bedeutet, dass dieser nicht wie bisher jahrelang unverändert bleibt, sondern der allgemeinen Preisentwicklung folgt.
  • Beratung in Gebärdensprache
    Gehörlose Menschen können ab sofort auch in Deutscher Gebärdensprache den Rat der unabhängigen Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) in Anspruch nehmen. Die Antidiskriminierungsstelle ist die erste Bundesbehörde, die diesen barrierefreien Kommunikationsweg ermöglicht.
    Mit dem sogenannten Signing Question and Answer Tool können gehörlose Menschen, die eine diskriminirende Erfahrung gemacht oder beobachtet haben, mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ohne Barrieren kommunizieren. Sie zeichnen mit einer Webcam eine Anfrage in Deutscher Gebärdensprache (DGS) als Video auf und schicken dieses ab. Ihre Antwort erhalten Sie ebenfalls per Video in DGS.
    ADS-Leiterin Christine Lüers: Opfer von Diskriminierungen brauchen kompetente und schnelle Berarung. Ich bin froh, dass wir jetzt auch gehörlosen Menschen in der Deutschen Gebärdensprache helfen können, sich gegen Benachteiligungen zur Wehr zu setzten“.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006 gegründet worden. Ziel des Gesetzes ist es, Diskriminierungen aus rassistischen Gründen oder wegen ethnischer Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Weitere Informationen finden Sie unter www.antidiskriminierungsstelle.de im Internet.

  • Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen im Internet
    Das Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen bietet einen Überblick über verschreibbare Hilfsmittel wie Gehhilfen oder Rollstühle. Das Verzeichnis ist ab sofort online unter http://hilfsmittel.gkv-spitzenverband.de/HimiWeb/home.action verfügbar und kann von Ärzten, Patienten oder Organisationen eingesehen werden. Aktualisierungen werden zeitnah eingetragen. In der Datenbank kann nach bestimmten Produktgruppen wie Gehilfen oder nach spezifischen Hilfen wie etwa zum Sehen gesucht werden. Das Verzeichnis ist kostenlos zugänglich, eine Anmeldung ist ebenfalls nicht erforderlich.
  • Grundsatz der Meistbegünstigung – nachträgliche Klagezulassung
    Urteil vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg 6. Kammer , Entscheidungsdatum: 02.11.2012 , Aktenzeichen: 6 Sa 1754/12
    Normen: § 5 Abs 1 S 1 KSchG, § 5 Abs 2 S 2 KSchG, § 5 Abs 4 S 3 KSchG
  • Barrierefreie Technik für inklusives Arbeiten
    Menschen mit Schwerbehinderung stoßen bei der beruflichen Teilhabe immer wieder auf größere Hürden. „Einige Ursachen hierfür können auch unzugängliche IT-Anwendungen sein, die schwerbehinderte Menschen von einer konkurrenzfähigen Teilhabe am Berufsleben ausschlißen“, so Ulrich Adlhoch, Leiter des LWL-Integrationsamtes Westfalen. Damit dies anders wird, fördern die Landschaftsverbände Westfalen-Lippe (LWL) und Rheinland (LVR) sowie das Bundesministerium das Projekt „BIT Inklusiv – barrierefreie Informationstechnik für inklusives Arbeiten“. auf der Fachmesse Reha Care in Düsseldorf präsentierten Sie vor kurzen das Projekt. „Die Einführung elektronischer Akten oder die Umstellung auf webbasierte Software, ohne dass die Standards für Barrierefreiheit in der IT und im Internet beachtet werden, stellen Menschen mit Sehbehinderung vor große Probleme. Es ist dann oft sehr schwer, Arbeitsplätze für blinde oder sehbehinderte Beschäftigte zu sichern oder ihnen neue Arbeitsmöglichkeiten zu erschließen“, erklärt Michael Große-Drenkpohl, vom LWL-Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderungen.

„BIT inklusiv“ verfolgt unter anderem das Ziel, Kompetenzentren in Landesverwaltungen bei der barrierefreien IT-Gestalung und den inklusiven Ansatz bei der Arbeitsplatzgestaltung zu unterstützen. Ein regionaler Schwerpunkt des Projekts ist Nordrhein-Westfalen. Hier gibt es bereits das „Kompetenzzentrum Barrierefreie IT im Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen“, das die NRW-Landesverwaltung bei der barrierefreien IT-Gestaltung berät.

Das Projekt „BIT inklusiv“ wird vom Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten im Studium und Beruf e.V. (DVBS) durchgeführt. Der DVBS vertritt als Selbsthilfeorganisation das Interesse, schwerbehinderten Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Nutzung der Informationstechnik in Berufsleben zu sichern.