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Rundschreiben Nr. 03 / 2011

Rundschreiben Nr. 03-2011

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

als erstes möchte ich mich heute bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken, die mir in den letzten Jahren zur Seite gestanden haben. Ich reue mich, auch in den nächsten vier Jahren das Amt der Hauptvertrauensperson des Landes Berlin übernehmen zu dürfen. Denn endlich war es auch bei uns soweit: die Wahl zur HVP stand am 14.3. vor der Tür.

Ich freue mich über die Wahlbeteiligung von 85% (zur Wahl waren alle 118 örtlichen Schwerbehindertenvertretungen des öffentlichen Dienstes aufgerufen). Somit haben 101 SchwbV die Möglichkeit genutzt aktiv die Wahl zu gestalten. Auch meine Stellvertreter standen zur Wahl und sind mit einer Vielzahl an Stimmen wie folgt erneut gewählt worden: Rainer Ritter, Karin Krause, Dr. Klaus Mucha und Dr. Jörg Rengel. Herzlichen Glück-wunsch.

Themen des heutigen Rundschreibens:

  • RS SenInnSport I Nr. 20-2011: Urlaubsgewährung
    Das Bundesgericht (BAG) hat, nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 20.01.2009, seine bisherige ständige Rechtsprechung zum Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen geändert. Mehr im beigefügten Rundschreiben.
  • Der Senat unterstützt Mobilität von Behinderten
    Getreu dem Motto: „So viel öffentlicher Personennahverkehr wie möglich, so viel Sonder-fahrdienst wie nötig“ wird der öffentliche Personalverkehr (ÖPNV) immer barrierefreier. Und trotzdem gibt es immer noch eine Vielzahl an Menschen, die ihn leider nicht nutzen können. Hier kommt der Sonderfahrdienst zum Einsatz.
    Der Sonderfahrdienst für Menschen mit Behinderung befördert im Auftrag des Landes Ber-lin pro Monat rund 3.000 Berechtigte zu den verschiedensten Terminen und Orten in der Stadt.
  • Pflicht der Arbeitgeber zu Beschäftigung schwerbehinderter Menschen
    Schwerbehinderte Menschen haben es im Allgemeinen schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. Deshalb sieht das Sozialgesetzbuch SGB IX eine Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber vor. Im Rahmen der Erfüllung der Beschäftigungspflicht sind in angemessenen Umfang besondere Gruppen zu beschäftigen. Lesen Sie hier, was es dabei zu beachten gilt.
  • Unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch als Indiz für Benachteiligung
    Der 9. Senat des BAG hatte über die Entschädigungsforderung eines schwerbehinderten Klägers wegen Benachteiligung in einem Stellenbesetzungsverfahren zu entscheiden. Der beklagte Landkreis habe den Kläger entgegen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, obwohl dessen fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlte.
  • Mobilitätstraining der BVG 2011
    Bei den Trainings können sich mobilitätseingeschränkte Fahrgäste in einem leeren Fahrzeug orientieren und u.a. üben, wie man mit den vorhandenen Hilfen am besten in die Fahrzeuge gelangt und wie man sich während der Fahrt sichert. Hier sind die Termine.

** Neue Medien-Datenbank der Unfallversicherung ist online
** Veranstaltungen im Kleisthaus
** Buchtipp zum Kündigungsschutz
** Anspruch auf Feststellung eines GdB bei Duldung
** Rechtsweg für Kosten der Schwerbehindertenvertretung
** Behindertengerechte Umrüstung von Autos
** Kongress zu Reha- und Teilhabeleistungen

RS SenInnSport I Nr. 20-2011: Urlaubsgewährung

Urlaubsgewährung und -abgeltung bei Krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit
hier: Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen

Vorg.: Rundschreiben I Nr. 56/2009 vom 6. August 2009

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat, nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 20. Januar 2009, C 350/06 und 520/08 (Schultz-Hoff), seine bisherige ständige Rechtsprechung zum Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen mit Urteil vom 23. März 2010 9 AZR 128/09 geändert.
Hierzu im Einzelnen:

Der Schwerbehindertenzusatzurlaub aus § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist ebenso wie der Mindesturlaub nach Ende des Arbeitsverhältnisses abzugelten, wenn der Zusatzurlaub nicht gewährt werden konnte, weil der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt war.

Der Senat unterstützt Mobilität von Behinderten

Für berechtigte Berlinerinnen und Berliner, die den vergleichsweise kostengünstigen und flexiblen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) aus wohnungs- und/oder behinderungsbedingten Gründen nicht nutzen können, wird ein Fahrdienst vorgehalten (Sonderfahrdienst). Der Sonderfahrdienst für Menschen mit Behinderung befördert im Auftrag des Landes Berlin pro Monat rund 3.000 Berechtigte zu den verschiedensten Terminen und Orten in der Stadt. Dafür sorgt der Betreiber des Fahrdienstes, die Wirtschaftsgenossenschaft Berliner Taxibesitzer eG.

Ob die vorhandenen Angebote für Rollstuhlnutzerinnen und -nutzer, die aus ihrem Rollstuhl nicht umsetzbar sind, noch flexibler gestaltet werden können, war Gegenstand eines Prüfauftrages des Abgeordnetenhauses. Der Senat hat dazu heute auf Vorlage der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Carola Bluhm, einen Bericht beschlossen.

Danach sind seit Ende 2009 alle in Berlin eingesetzten Busse für Menschen mit Behinderung, insbesondere Rollstuhlnutzerinnen und -nutzer, geeignet. Ebenso sind durch den Einsatz von Niederflurwagen über zwei Drittel aller Straßenbahnhaltestellen für Menschen mit Behinderung nutzbar. Bereits 85 % der S-Bahnhöfe sind mit Aufzügen und Rampenanlagen ausgestattet. Darüber hinaus ist mit 52 % gut die Hälfte aller U-Bahnhöfe barrierefrei. 76 % der Regionalbahnsteige sind für Fahrgäste mit Behinderung gut erreichbar.

Leitgedanke ist und bleibt: „So viel öffentlicher Personennahverkehr wie möglich, so viel Sonderfahrdienst wie nötig”. Dementsprechend wird der öffentliche Personennahverkehr weiter so ausgestaltet, dass ihn Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ohne oder mit geringer Hilfe nutzen können.
Wenn die Nutzung des ÖPNV nicht möglich ist, greift der Sonderfahrdienst. Teil des Sonderfahrdienstes ist das sogenannte Taxikonto. Das Angebot der Taxen kann in der Regel jedoch nur von Personen genutzt werden, die aus dem Rollstuhl umsetzbar sind. 16 barrierefreie Taxen sind in Berlin derzeit unterwegs. Die Schaffung weiterer flexibler Angebote für Rollstuhlnutzerinnen und -nutzer, die nicht aus dem Rollstuhl umgesetzt werden können, wird grundsätzlich begrüßt. Der Senat hat daher den Einsatz von Mietwagen im Taxikonto, das verstärkte Angebot barrierefreier Taxen sowie die Einführung eines persönlichen Budgets für Mobilität geprüft. Jede Veränderung des Angebots hätte allerdings Einfluss auf den derzeit bestehenden Vertrag und muss hinsichtlich der finanziellen Mittel, rechtlichen Voraussetzungen und Realisierung abgewogen werden. Ausweitungen oder Änderungen im Sonderfahrdienst können erst bei einer Neuvergabe der Regie- und Beförderungsleistungen spätestens im Jahr 2013 berücksichtigt werden. Der Bedarf an barrierefreien Taxen für Rollstuhlnutzerinnen und -nutzer, die nicht umsetzbar sind, wurde auch bei der aktuellen Kundenbefragung 2010 recherchiert.

Rückfragen: Sprecherin der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Telefon: 90 28 – 27 43

Pflicht der Arbeitgeber zu Beschäftigung schwerbehinderter Menschen

Schwerbehinderte Menschen haben es im Allgemeinen schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. Deshalb sieht das Sozialgesetzbuch-Neuntes Buch (SGB IX) eine Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber vor. Angesprochen sind private und öffentliche Arbeitgeber. Voraussetzung ist allerdings, dass sie jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitnehmer haben. Die Arbeitgeber sind verpflichtet, auf mindestens 5% der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Dabei sind schwerbehinderte Frauen besonders zu berücksichtigen.

Die Arbeitgeber haben der für Ihren Sitz zuständigen Agentur für Arbeit einmal jährlich bis spätestens zum 31. März für das vorangegangene Kalenderjahr, aufgegliedert nach Monaten, die Daten anzuzeigen, die zur Berechnung des Umfangs der Beschäftigungspflicht, zur Überwachung ihrer Erfüllung und der Ausgleichsabgabe notwenig sind. Der Anzeige sind das geführte Verzeichnis sowie eine Kopie der Anzeige und des Verzeichnisses zur Weiterleitung an das für ihren Sitz zuständige Integrationsamt beizufügen. Dem Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialrat, der Schwerbehindertenvertretung und dem Beauftragten des Arbeitgebers ist je eine Kopie der Anzeige und des Verzeichnisses zu übermitteln (SGB IX § 80 Abs. 2).

Von den vorstehenden Grundsätzen gibt es Ausnahmen. So haben Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich weiniger als 40 Arbeitsplätzen jahresdurchschnittlich je Monat einen schwerbehinderten Menschen zu beschäftigen. Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich weniger als 60 Arbeitsplätzen haben jahresdurchschnittlich je Monat zwei schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen.

Im Rahmen der Erfüllung der Beschäftigungspflicht sind in angemessenen Umfang besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen zu beschäftigen. Dabei handelt es sich zum einen um schwerbehinderte Menschen, die nach der Art der Schwere ihrer Behinderung im Arbeitsleben besonders betroffen sind, und zum anderen um schwerbehinderte Menschen, die das 50. Lebensjahr vollendet haben.

Wichtig: Arbeitgeber mit Stellen zur beruflichen Bildung, insbesondere für Auszubildende, haben im Rahmen der Erfüllung der Beschäftigungspflicht einen angemessenen Anteil dieser Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen.

Arbeitsplätze im Sinne der vorstehenden Ausführungen sind alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer, Beamten, Richter sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden.

Bei der Berechnung der Mindestzahl von Arbeitsplätzen und der Zahl der Arbeitsplätze, auf denen schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen sind, zählen Stellen, auf denen Auszubildende beschäftigt werden, nicht mit. Das Gleiche gilt für Stellen, auf denen Rechts- oder Studienreferendare beschäftigt werden, die einen Rechtsanspruch auf Einstellung haben. Bei der Berechnung sich ergebende Bruchteile von 0,5 und mehr sind aufzurunden. Bei Arbeitgebern mit jahresdurchschnittlich weniger als 60 Arbeitsplätzen ist allerdings eine Abrundung vorzunehmen.

Solange Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen, müssen sie für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen eine Ausgleichsabgabe entrichten. Allerdings hebt die Zahlung der Ausgleichsabgabe die Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht auf. Die Ausgleichsabgabe wird auf der Grundlage einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote ermittelt.
Rechtsgrundlagen: §§ 71 bis 79 SGB IX

Gemeinsamer Bundesausschuss (GBA) beschließt die Neufassung der Heilmittelrichtlinie

Nach einem langen Vorbereitungsprozess hat der Gemeinsame Bundesausschuss am 20.01.2011 die Überarbeitung der Heilmittelrichtlinie verabschiedet. Neben der formalen und sprachlichen Überarbeitung wurden ausgewählte Regelungen des Fragen-und-Antwort- Kataloges der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung übernommen. (www.gkv-spitzenverband.de/upload/Frage_Antwort_KBV_246.pdf )

Die inhaltliche Überarbeitung der Heilmittelrichtlinie betrifft die Versorgung von Menschen mit schwerwiegenden und dauerhaften Behinderungen und chronischen Erkrankungen und den Ort der Leistungserbringung. Heilmittelversorgung für Menschen mit dauerhaften und schwerwiegenden Behinderungen
Mit Nachdruck hatte sich die Patientenvertretung für eine Verbesserung der Heilmittelversorgung von Menschen mit schweren Behinderungen eingesetzt. Die Probleme sind seit langem bekannt. Die Bewirtschaftung der Heilmittelausgaben beeinflusst in vielen Regionen Deutschlands das Verordnungsverhalten der Ärztinnen und Ärzte. Davon sind vor allem Menschen mit einem hohen Heilmittelbedarf betroffen. Aus Sorge vor der Überschreitung der Richtgrößen bzw. des Praxisbudgets und der in der Folge zu befürchtenden Wirtschaftlichkeitsprüfung und möglichen Regressforderung schränkten Ärzte auch medizinisch notwendige Verordnungen ein. Bei Überschreiten des Richtgrößenvolumens von mehr als 25% hat der Vertragsarzt den Mehraufwand der Krankenkasse zu erstatten, soweit die Mehraufwendungen nicht durch Praxisbesonderheiten begründet werden können. Die Genehmigung von Heilmittelverordnungen, wie sie für Verordnungen außerhalb des Regelfalls bei langfristigen Behandlungen regelhaft vorgesehen sind, begründet als solche keine Praxisbesonderheiten.
Dafür ist nach der Rechtsprechung des BSG eine Ausrichtung der Praxis auf die Behandlung besonders schwerwiegender Krankheitsbilder und Behinderungen erforderlich.

Die in § 8 Abs. 5 der Heilmittelrichtlinie eingefügte Regelung sieht vor, dass Menschen mit schwerwiegenden Behinderungen und chronischen Erkrankungen bei der Krankenkasse eine Feststellung der besonderen Schwere und Langfristigkeit der Schädigung und Beeinträchtigung und des sich daraus ergebenden Therapiebedarfs beantragen können. Diese Statusfeststellung soll zu einer erheblichen Vermindung der Regressgefahr für die Ärzte führen.
Bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen lassen sich Verordnungen für diese Patienten durch Vorwegabzug besonders berücksichtigen und führen somit nicht zu möglichen Regressansprüchen gegen den verordnenden Arzt.

Es ist davon auszugehen, dass nur Patienten von der Möglichkeit der Beantragung der Statuserhebung Gebrauch machen, die ihre Heilmittelversorgung nicht als gesichert ansehen. In dem Umfang, in dem zwischen den Kassenärzten und den Krankenkassen die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten vereinbart werden, wird sich auch die Beantragung der nun zusätzlich vorgesehenen individuellen Lösung entwickeln. Es wird davon ausgegangen, dass die Statusfeststellung in der Regel nach Aktenlage erfolgt, da die Feststellung der Behinderung und der Behandlungsbedarf der in Frage kommenden Patienten den Krankenkassen hinreichend vorliegen.

Eine andere oder weitreichende Lösung der beschriebenen Problematik ist durch Regelungen der Heilmittelrichtline aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nicht zu erreichen.

§ 8 Verordnung außerhalb des Regelfalls Abs. 5 der Heilmittelrichtlinie (neue Fassung)
(5) 1Auf Antrag der oder des Versicherten entscheidet die Krankenkasse darüber, ob der oder dem Versicherten wegen der sich aus der ärztlichen Begründung ergebenden besonderen Schwere und Langfristigkeit ihrer oder seiner funktionellen/strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigungen der Aktivitäten und des nachvollziehbaren Therapiebedarfs die verordnungsfähigen Leistungen in dem verordnungsfähigen Umfang langfristig genehmigt werden können. Die Genehmigung kann zeitlich befristet werden, soll aber mindestens ein Jahr umfassen.
Ort der Leistungserbringung

Seit geraumer Zeit gibt es immer wieder Probleme, wenn Heilmittel (Physiotherapie, Ergotherapie oder Logopädie/Sprachheilbehandlung) für Kinder und Jugendliche mit Behinderung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Tageseinrichtungen für Kinder oder Schulen erbracht werden sollen. Die aktuelle Heilmittelrichtlinie sieht vor, dass als Ort der Leistungserbringung nur die Praxis der/des niedergelassenen Therapeutin/Therapeuten in Frage kommt. Einrichtungen der Behindertenhilfe mit sog. Institutsverträgen sind den Praxen niedergelassener Therapeuten als geeigneter Ort der Leistungserbringung gleichgestellt.

Davon abgewichen werden kann bei ärztlich verordneten Hausbesuchen, für die jedoch ausschließlich medizinische Gründe vorliegen müssen. Der Aufenthalt in einer Tageseinrichtung, die besondere soziale Situation oder Zeitprobleme stellen keinen Grund für die Verordnung eines Hausbesuches dar.
Die als Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss beteiligten Verbände der Menschen mit Behinderung haben auf diese Entwicklung und die Folgen für die Betroffenen immer wieder hingewiesen und fanden eine Unterstützung ihrer Bemühungen durch einen Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz der Länder von 2007, der das Bundesgesundheitsministerium und den Gemeinsamen Bundesausschuss aufforderte, Abhilfe zu schaffen.

Die Gesundheitsministerkonferenz führte als Begründung für die Leistungserbringung in Tageseinrichtungen u.a. den wachsenden Bedarf an therapeutischen Leistungen aufgrund sozialer Risiken und der veränderten Lebensbedingungen der Familien an, die durch die Berufstätigkeit der Eltern nicht in der Lage seien, Behandlungen in der Praxis der Niedergelassenen in Anspruch zu nehmen.
§ 11 Ort der Leistungserbringung (HMR neue Fassung)

(1) Heilmittel können, sofern nichts anderes bestimmt ist, als Behandlung bei der Therapeutin oder dem Therapeuten (Einzel- oder Gruppentherapie) oder als Behandlung im Rahmen eines Hausbesuchs durch die Therapeutin oder den Therapeuten verordnet werden.

(2) 1Die Verordnung der Heilmittelerbringung außerhalb der Praxis der Therapeutin oder des Therapeuten ist nur dann zulässig, wenn die Patientin oder der Patient aus medizinischen Gründen die Therapeutin oder den Therapeuten nicht aufsuchen kann oder wenn sie aus medizinischen Gründen zwingend notwendig ist. Die Behandlung in einer Einrichtung (z. B. tagesstrukturierende Fördereinrichtung) allein ist keine ausreichende Begründung für die Verordnung eines Hausbesuchs. Ohne Verordnung eines Hausbesuchs ist die Behandlung außerhalb der Praxis des Therapeuten oder der Therapeutin ausnahmsweise für Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, ggf. darüber hinaus bis zum Abschluss der bereits begonnenen schulischen Ausbildung möglich, die ganztägig in einer auf deren Förderung ausgerichteten Tageseinrichtung untergebracht sind, soweit § 6 Abs. 2 dem nicht entgegensteht. Voraussetzung ist, dass sich aus der ärztlichen Begründung eine besondere Schwere und Langfristigkeit der funktionellen/ strukturellen Schädigungen sowie der Beeinträchtigungen der Aktivitäten ergibt und die Tageseinrichtung auf die Förderung dieses Personenkreises ausgerichtet ist und die Behandlung in diesen Einrichtungen durchgeführt wird.

Der GB-A hat die Neufassung der Heilmittelrichtlinie am 20. Januar 2011 beschlossen und dem Bundesgesundheitsministerium zur Genehmigung vorlegt. Genehmigt das BMG die Richtlinie, könnte sie am 1. April 2011 in Kraft treten. Die Neufassung wird in Kürze vollständig auf der Internetseite des GB-A www.g-ba.de veröffentlicht.

Unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch als Indiz für Benachteiligung

Leitsätze
1. Zur Erhöhung seiner Chancen im Auswahlverfahren ist ein schwerbehinderter Bewerber nach § 82 Satz 2 SGB IX von einem öffentlichen Arbeitgeber regelmäßig zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Nach § 82 Satz 3 SGB IX entfällt diese Pflicht ausnahmsweise, wenn dem schwerbehinderten Bewerber offensichtlich die fachliche Eignung fehlt.
2. Ob die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, ist an dem vom öffentlichen Arbeitgeber mit der Stellenausschreibung bekannt gemachten Anforderungsprofil zu messen.

A. Problemstellung
Der 9. Senat des BAG hatte über die Entschädigungsforderung eines schwerbehinderten Klägers wegen Benachteiligung in einem Stellenbesetzungsverfahren zu entscheiden. Der beklagte Landkreis hatte den Kläger entgegen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, obwohl dessen fachliche Eignung im Hinblick auf das Anforderungsprofil in der Stellenanzeige nicht offensichtlich fehlte. Der Senat sah darin das Unterlassen der durch § 82 Satz 2 SGB IX gesetzlich gebotenen Besserstellung und hat den Anspruch des Klägers auf Entschädigung gem. § 81 Abs. 2 Satz 1, § 82 Satz 2 und 3 SGB IX i.V.m. §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 1 Satz 2, § 15 Abs. 2, § 22 AGG dem Grunde nach bejaht. Die Höhe der Entschädigung hat das Berufungsgericht nach Zurückverweisung der Sache zu entscheiden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger hatte sich mit Schreiben vom 22.06.2006 auf eine Stellenausschreibung des beklagten Landkreises im Internet beworben. In der Stellenausschreibung war als Aufgabenprofil die Rechtsberatung und Prozessführung für die gesamte Kreisverwaltung angegeben, ein abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaften sowie gute Kenntnisse im Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrecht verlangt worden.

Der Kläger, mit einem Grad der Behinderung von 50, hatte beide juristische Staatsexamina mit der Note „ausreichend“ bestanden und war in den Jahren 1997 bis 2001 als Volljurist im Rechtsamt der Stadt O. beschäftigt worden. Im Anschluss war er zwei Jahre als Leiter einer Rechtsschutzabteilung tätig, bevor er sich Ende 2004 als selbstständiger Anwalt, u.a. mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Verwaltungsrecht, niedergelassen hatte.

Auf die Stelle bewarben sich insgesamt 180 Personen. Der beklagte Landkreis sortierte die Bewerberinnen und Bewerber stufenweise aus. Von vornherein nicht berücksichtigt wurden Bewerbungen mit zwei ausreichenden Staatsexamina, sodann wurden alle Bewerbungen mit zwei befriedigenden Examina aussortiert. Endlich wurden acht Bewerber mit besseren Noten zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der nicht berücksichtigte Kläger klagte daraufhin auf Entschädigung in Höhe von drei Monatsvergütungen wegen eines benachteiligenden Bewerbungsverfahrens.

Der Senat folgt dem klassischen Aufbau eines Entschädigungsanspruchs nach § 81 Abs. 2 Satz 1, § 82 Satz 2 und 3 SGB IX i.V.m. § 15 Abs. 2, § 22 AGG. In einem ersten Schritt prüft der Senat, ob die vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsachen eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung vermuten lassen, und bejaht dies. Der Senat folgt insofern den schon in seinen Urteilen vom 12.09.2006 (9 AZR 807/05 – NZA 2007, 507 Rn. 23 ff.; Gagel, jurisPRArbR 22/2007 Anm. 1) und 16.09.2008 (9 AZR 791/07 – NZA 2009, 79 Rn. 29 ff.; Dahl jurisPRArbR 4/2009 Anm. 1) aufgestellten Grundsätzen, wonach die (Hilfs-)Tatsache der unterlassenen Einladung zum Vorstellungsgespräch nach § 82 Satz 2 SGB IX als geeignet angesehen worden war, die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung zu begründen (so zuletzt Schlachter in: ErfKomm, 10. Aufl. 2010, § 22 AGG Rn. 3; Trenk-Hinterberger in: HK-SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 82 Rn. 13).

Zutreffend stellt der Senat fest, dass dem Kläger die fachliche Eignung i.S.d. § 82 Satz 2 SGB IX für die ausgeschriebene Stelle nicht fehlte. Wann die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, richtet sich nach den Ausbildungs- und Prüfungsvoraussetzungen für die zu besetzende Stelle (Rn. 24, mit Verweis auf die o.g. Urteile vom 12.09.2006 und 16.09.2008). In der Stellenausschreibung im Internet hatte der Beklagte keine Mindestexamensnoten verlangt, sondern einzig die beiden Staatsexamina sowie gute Kenntnisse im Verwaltungsrecht.

Dem Kläger, der die Befähigung zum Richteramt durch die erfolgreiche Ablegung beider Staatsexamina aufweist und zugleich – insbesondere durch seine Tätigkeit als selbstständiger Rechtsanwalt – auch die geforderten Kenntnisse im Verwaltungsrecht nachweisen kann, fehlt demzufolge nicht offensichtlich die fachliche Eignung i.S.d. Satz 3. Die Entscheidung ist daher auch aus dem Grund zu begrüßen, da sie klar aufzeigt, dass der Beklagte für die Dauer des Auswahlverfahrens an die Anforderungen gebunden bleibt, die in der veröffentlichten Stellenbeschreibung enthalten waren (Rn. 30). Schließlich sieht der Senat die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung nicht als widerlegt an. Beweist ein schwerbehinderter Bewerber Indizien oder unstreitige Hilfstatsachen – wie hier die unterbliebene Einladung des Klägers zum Vorstellungsgespräch –, die eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber nach § 22 AGG die Beweislast dafür, dass keine Benachteiligung erfolgt ist. Dies ist dem Beklagten vorliegend nicht gelungen.
Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts hatte der Beklagte dagegen die Vermutung der Benachteiligung aufgrund der Behinderung des Klägers wiederlegt, da dieser bei der Vorauswahl anhand der Examensnoten nicht an die Behinderteneigenschaft des Klägers angeknüpft habe. Der Kläger sei, wie auch alle nicht behinderten Bewerber mit zwei nur ausreichenden Examina, aussortiert worden; diese Vorauswahl sei objektiv getroffen worden und könne die Vermutung, dass die Beklagte aufgrund der Behinderung des Klägers keine Einladung veranlasste, widerlegen. Vereinzelt wird diese Argumentation des LArbG Hannover geteilt, da gegen eine anhand der Examensnoten getroffene Vorauswahl nichts einzuwenden sei (LArbG
Hamm, Urt. v. 17.11.2005 – 8 Sa 1213/05 – FA 2006, 190).

Der Senat führt dazu aus, dass diese Begründung nicht ausreiche; dass die Vorauswahl anhand der Examensnoten nicht an die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers anknüpfe, schließe nicht aus, dass die Behinderung im Motivbündel des Beklagten nicht doch enthalten war.
Ein Entschädigungsanspruch bestehe grundsätzlich nur dann nicht, wenn die Behinderung bei der Ablehnung des Bewerbers keine auch nur entfernte Rolle gespielt hat, d.h. dieser Benachteiligungsgrund für die Entscheidung nicht mitursächlich war (Rn. 40). Der Arbeitgeber muss mithin beweisen, dass die Behinderung des Bewerbers in seinem Motivbündel nicht als negatives oder die fehlende Behinderung als positives Kriterium enthalten war (Rn. 44). Für die Berücksichtigung einer fehlenden Behinderung als positives Kriterium reiche es aus, dass die vom Arbeitgeber unterlassene Maßnahme objektiv geeignet ist, schwerbehinderten Menschen keine oder weniger günstige Chancen einzuräumen als ihnen nach dem Gesetz zu gewähren sind (Rn. 44). Der Senat schlussfolgert, dass der beklagte Landkreis die von § 82 Satz 2 SGB IX gebotene Besserstellung des Klägers gegenüber nicht schwerbehinderten Bewerbern durch die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch unterlassen habe; dieses Verhalten war auch objektiv geeignet, die Chancen des Klägers im Bewerbungsverfahren zu verschlechtern.

C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung bekräftigt die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers nach § 82 Satz 2 SGB IX, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese Pflicht entfällt nach Satz 3 nur dann, wenn dem Bewerber die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Der Senat leitet aus dem Umkehrschluss zu Satz 3 ab, dass ein schwerbehinderter Bewerber die Chance zu einem Vorstellungsgespräch auch dann erhalten müsse, wenn seine Eignung zwar zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (Rn. 22). Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber anhand der Bewerbungsunterlagen schon eine Vorauswahl getroffen hat und der Bewerber nicht unter dieser engeren Auswahl ist (Rn. 22). Der schwerbehinderte Bewerber soll den Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können – trotz der möglicherweise schlechteren „Papierform“ (Rn. 22 und 28). Wird ihm diese Chance genommen, liegt darin eine weniger günstige Behandlung als es das Gesetz zur Herstellung gleicher Bewerbungschancen gegenüber nicht behinderten Bewerbern für erforderlich hält (Rn. 22). Demzufolge stellt der Ausschluss des Klägers aus dem weiteren Bewerbungsverfahren eine unmittelbare Benachteiligung i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG dar, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung steht.

Dieser Argumentation des Senats ist zuzustimmen, da sie die Verfahrensvorschrift des § 82 Satz 2 SGB IX zutreffend verortet: es handelt sich um eine gesetzliche positive Maßnahme i.S.d. § 5 AGG (Däubler/Bertzbach/Hinrichs, AGG, 2008, § 5 Rn. 45). Mit § 5 AGG hat der Gesetzgeber Art. 7 Abs. 1 der RL 2000/78/EG umgesetzt, wonach die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Beruf nicht daran gehindert sind, spezifische Maßnahmen beizubehalten bzw. einzuführen, damit Benachteiligungen begegnet werden kann. Zulässig sind im Rahmen des § 5 AGG demzufolge Maßnahmen, durch die bisher benachteiligte Gruppen durch den Gesetzgeber oder Arbeitgeber gezielt gefördert werden können; dabei kommen sowohl Maßnahmen in Betracht, die bestehende Nachteile beseitigen, als auch präventive Maßnahmen, mit denen künftige Nachteile vermieden werden sollen.
§ 82 Satz 2 SGB IX stellt sowohl ein geeignetes als auch ein angemessenes Instrument i.S.d. § 5 AGG dar, um bestehende Nachteile wegen einer Behinderung zu verhindern bzw. auszugleichen. Ein Nachteil ist jede zusätzliche Belastung, die Personen aufgrund ihrer Behinderung erfahren.

Dass ein Nachteil nach § 5 AGG vorliegt, gilt als indiziert, sofern eine Unterrepräsentanz der Merkmalsgruppe vorliegt (Wendeling-Schröder/Stein, AGG, 2008, § 5 Rn. 11). Für Menschen mit Behinderung ist dies statistisch belegt. Dem aktuellen europäischen Aktionsplan der Kommission 2004-2010 (KOM (2003) 650), der auf die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung abzielt, ist zu entnehmen, dass lediglich 42% der Menschen mit Behinderungen im Berufsleben stehen, also 52% der behinderten Menschen (gegenüber 28% der Nichtbehinderten) nicht erwerbstätig sind. Weniger als die Hälfte von ihnen ist in die Arbeitswelt integriert und Langzeitarbeitslosigkeit danach ein typisches Problem. So weist die Mitteilung der Kommission an den Rat (KOM (2005) 604 endg. – unter 2.) zur Situation behinderter Menschen in der Europäischen Union auch darauf hin, dass die Arbeitslosigkeit dieser Gruppe ernsthaft Beachtung finden müsse. Erstes erklärtes Ziel des Aktionsplans ist daher die uneingeschränkte Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG, um eine Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf zu erreichen.

Der deutsche Gesetzgeber hat mit § 5 AGG die optionale Vorgabe des Art. 7 Abs. 1 der RL 2000/78/EG umgesetzt und damit die Möglichkeit, behinderte Menschen zu begünstigen, für zulässig erachtet. Damit unterliegt § 5 – wie das AGG im Gesamten – dem Grundsatz der faktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts (zum Effizienzprinzip Schiek/Schiek, AGG, Einl., 2007, Rn. 63), so dass insbesondere die richtlinienkonforme Auslegung des Gesetzes bzw. der Norm von Bedeutung ist (EuGH, Urt. v. 25.04.2002 – C-52/00 – EuGHE 2002, I-3827, 3874 Rn. 47).

Die vorliegende Entscheidung des 9. Senats trägt der Bedeutung der Verfahrensvorschrift des § 82 Satz 2 SGB IX als positiver Maßnahme nach § 5 AGG Rechnung, indem der öffentliche Arbeitgeber gehalten ist, den schwerbehinderten Bewerber nach der gesetzlichen Intention besser zu stellen als den nicht schwerbehinderten Konkurrenten (Düwell in: LPK-SGB IX, § 82 Rn. 4), indem ihm durch die Einladung zum Vorstellungsgespräch ein Chancenvorteil gewährt wird (ArbG Cottbus v. 11.06.2008 – 7 Ca 108/08; Fabricius in: jurisPK-SGB IX, 2009, § 82 Rn. 9; FKSBFaber § 82 Rn. 7). Wird ihm diese Chance durch Verfahrensfehler des Arbeitgebers genommen, so wird eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermutet. Bereits vor 15 Jahren hatte das BVerfG die unterlassene Einladung zum Vorstellungsgespräch und die Anwendung von Auswahlkriterien, die nicht in der Ausschreibung enthalten waren, als Indizien für eine Benachteiligung – im damaligen Fall wegen des Geschlechts – bejaht (BVerfG v. 16.11.1993 – 1 BvR 258/86 – NZA 1994, 745). In der Rechtsprechung zur geschlechtsbezogenen Diskriminierung hatte der 8. Senat des BAG diese Grundsätze 2004 aufgenommen und konkretisiert (BAG v. 05.02.2004 – 8 AZR 112/03 – NZA 2004, 540). Im „Doppelpass“ wurden diese Aussagen wiederum für das Verbot der Diskriminierung wegen Behinderung vom 9. Senat präzisiert (BAG v. 12.09.2006 – 9 AZR 807/05 – NZA 2007, 507, 510, dazu Gagel, jurisPR-ArbR 22/2007 Anm. 1). Der 8. Senat nahm diesen Ball unter Bezugnahme auf diese Entscheidung 2008 wieder auf (BAG v. 24.04.2008 – 8 AZR 257/07 – NZA 2008, 1351), so dass mit der Entscheidung
vom 21.07.2009 eine Rechtsprechungslinie gefestigt wird, die auch für die nächsten Jahr prägend sein dürfte.

D. Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung des Senats gibt einen doppelten Maßstab für die Handhabung der § 81 Abs. 2 Satz 1, § 82 Satz 2 SGB IX vor.
Wurde ein schwerbehinderter Kläger zu Unrecht vom öffentlichen Arbeitgeber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, rechtfertigt dies die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Der Senat festigt damit die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs und setzt die Rechtsprechung der Urteile vom 12.09.2006 und 16.09.2008 fort. Damit wird zugleich den Instanzgerichten und insbesondere der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die in der Nichteinladung eines nicht ungeeigneten schwerbehinderten Bewerbers grundsätzlich keine Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung erblicken (zuletzt VGH Mannheim, Urt. v. 04.08.2009 – 9 S 3330/08, m. kritischer Anm. von Roetteken, jurisPR-ArbR 41/2009 Anm. 5; vgl. bereits die Kritik von Welti, ArbuR 2006, 247, 248), ein Weg demonstriert, wie in diesen Fällen ein Verfahrensfehler zu beantworten ist. Eine rechtswidrig unterlassene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch könne – nach der Rechtsprechung dieser Instanzgerichte –keinen Entschädigungsanspruch begründen. Dem setzt der 9. Senat jedoch entgegen, dass die Bestimmungen der § 81 Abs. 2 Satz 1, § 82 Satz 2 SGB IX i.V.m. § 15 Abs. 2 AGG das Recht des Bewerbers auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren schützen und demnach unter das Benachteiligungsverbot auch Verfahrenshandlungen fallen. Zudem macht die Entscheidung deutlich, dass an die Widerlegung der Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung keine zu geringen Anforderungen zu stellen sind (Rn. 43 ff.). Nachdem Rechtsprechung und Literatur inzwischen weitgehend anerkannt haben, dass die unterlassene Einladung zum Vorstellungsgespräch die Vermutung einer Benachteiligung begründet, hat sich die Problematik auf die Anforderungen, die an eine Widerlegung der Vermutung zu stellen sind, verschoben (in diesem Sinne auch Tolmein, jurisPR-ArbR 48/2007 Anm. 2, zu OVG Münster, Urt. v. 31.08.2007 – 6 A 2172/05). Der Senat macht insofern deutlich, dass insbesondere das Berufen des Arbeitgebers auf die bessere Eignung von Mitbewerbern eine Benachteiligung des schwerbehinderten Bewerbers nicht ausschließt. Dies folgt schon aus § 15 Abs. 2 AGG, wonach Entschädigung auch zu leisten ist, wenn der Bewerber selbst bei einem diskriminierungsfreien Verfahren nicht eingestellt worden wäre (Rn. 42). Der Arbeitgeber hat vielmehr Rechtfertigungsgründe vorzutragen, die explizit die Benachteiligungsvermutung widerlegen.

Schließlich weist der Senat darauf hin, dass eine Widerlegung der Benachteiligungsvermutung für den Arbeitgeber nicht unmöglich ist, da ein Anforderungsprofil Mindestexamensnoten verlangen könne und der Arbeitgeber dementsprechend schwerbehinderte Bewerber, die diese Anforderungen nicht erfüllen, nicht einladen muss. Dies zeigt deutlich, wie wichtig die präzise Formulierung der Ausschreibung und des Anforderungsprofils ist (zur wichtigen Bindung des öffentlichen Arbeitgebers bei der Ausschreibung an objektive Kriterien BAG, Urt. v. 12.09.2006 – 9 AZR 807/05, m. Anm. Gagel, jurisPR-ArbR 22/2007 Anm. 1).

Mobilitätstraining der BVG 2011

Für viele mobilitätseingeschränkte Menschen sind Bus- und Bahnfahrten keine Selbstverständlichkeit. Abhilfe möchte die BVG mit ihren bewährten Mobilitätstrainings schaffen. Viele Fahrgäste, die im Rollstuhl oder mit dem Rollator unterwegs sind und auch sensorisch behinderte Menschen haben dank dieser Schnupperkurse ihren Schlüssel zur Bewegungsfreiheit (wieder-)gefunden.

Bei den Trainings können sich mobilitätseingeschränkte Fahrgäste in einem leeren Fahrzeug orientieren und u.a. üben, wie man mit den vorhandenen Hilfen am besten in die Fahrzeuge gelangt und wie man sich während der Fahrt sichert. Freundliche BVGer helfen dabei und wissen auf jede Frage eine Antwort. Eingeladen sind alle Fahrgäste mit Mobilitäts- oder Sinnesbehinderungen und ihre Begleiterinnen und Begleiter.

Termine und Orte:

  • Donnerstag, 14. April, 10-12 Uhr – Bus + Tram-
    Lichtenberg, Betriebshof der BVG, Siegfriedstraße 30-45
    Fahrtipp: Haltestelle ‘Betriebshof Lichtenberg’: Tram 18 und Bus 240, 256
  • Donnerstag, den 12. Mai, 10-12 Uhr -Bus-
    Charlottenburg-Wilmersdorf, Kurfürstendamm 100 (in Zusammenarbeit mit VdK, Polizei und Pro Seniore)
    Fahrtipp: Haltestelle ‘Kurfürstendamm/Joachim-Friedrich-Str.’ Bus M19, M29
  • Donnerstag, 19. Mai, 10-12 Uhr -Bus-
    Mariendorf, Kruckenbergstraße Ecke Hirzer Weg
    Fahrtipp: Haltestelle ‘Trabrennbahn’ Bus M76, 179
  • Samstag, 18. Juni 2010, 10-13 Uhr -Bus-
    Reinickendorf, vor dem Haupteingang des Märkischen Zentrums, Wilhelmsruher Damm 140 (im Rahmen des Reinickendorfer Festes für Menschen mit und ohne Behinderungen)
    Fahrtipp: Haltestelle ‘Märkisches Zentrum’ Bus M21, X21, X33, 124
  • Mittwoch, 22. Juni, 10-13 Uhr -Bus-
    Steglitz-Zehlendorf, vor dem Rathaus Zehlendorf in der Kirchstraße (im Rahmen des Gesundheits- und Pflegetages in Steglitz-Zehlendorf)
    Fahrtipp: S1 Bahnhof ‘Zehlendorf’, Haltestelle ‘Rathaus Zehlendorf’ Bus
    118,
    Haltestelle ‘Zehlendorf Eiche’ -mit kleinem Fußweg- Bus M48, X10, 101, 112, 115, 184
  • Donnerstag, 23. Juni, 10-12 Uhr – Bus + Tram-
    Pankow/Weißensee, Betriebshof der BVG, Bernkasteler Straße 79/80
    Fahrtipp: Haltestelle ‘Berliner Allee/Rennbahnstraße’ Tram 12, 27 und Bus 156, 255, 259
  • Donnerstag, 25. August, 10-12 Uhr – Bus –
    Spandau, vor dem Rathaus Spandau an dem Standplatz des Busses der Stadtbibliothek – im Rahmen der 37. Berliner Seniorenwoche “Ältere Menschen – aktiv in Berlin” -
    Fahrtipp: Bahnhof ‘Spandau’: Bahnregionalverkehr, S3, S75, Bahnhof ‘Rathaus Spandau’ U7, Haltestelle ‘S+U Rathaus Spandau’: Bus M32, M45, X33, 130, 134, 135, 136, 236, 237, 337, 638, 639, 671
  • Donnerstag, 22. September, 10-12 Uhr – Bus + Tram-
    Marzahn, BVG-Betriebshof, Landsberger Allee 576A
    Fahrtipp: Haltestelle ‘Betriebshof Marzahn’ Tram M6, 18
  • Donnerstag, 20. Oktober, 11-14 Uhr
    Sicherheitstraining U-Bahn für blinde und sehbehinderte Menschen – U-Bahnhof Alexanderplatz, Ankunftsbahnsteig der U 5
  • Donnerstag, 24. November, 10-12 Uhr – U-Bahn –
    U-Bahnhof Alexanderplatz, Ankunftsbahnsteig der U 5

Für diese kostenlosen Veranstaltungen ist eine Anmeldung für einzelne Personen nicht nötig. Gruppen melden sich bitte unter info@BVG.de an oder telefonisch unter (030) 19449.
Fahrgäste, die Hilfe benötigen und von zu Hause zu den Trainings bzw. zurück begleitet werden möchten, wenden sich bitte an den kostenlosen Bus & Bahnbegleitservice des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg, Tel. (030) 25 414 414.

Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)
Anstalt des öffentlichen Rechts
Holzmarktstraße 15-17, 10179 Berlin
Telefon: (030) 256 – 0
Telefax: (030) 256 – 49 256
www.BVG.de

Dies und Das oder in Kürze mitgeteilt

  • Neue Medien-Datenbank der DGUV ist online
    Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat ihre Veröffentlichungen inklusive aller Medien des Regelwerkes zum Arbeitsschutz in einer neuen Publikationsdatenbank zusammengefasst. Die Datenbank ist erreichbar unter www.dguv.de/publikationen . Über das Portal können PDF-Dokument kostenlos heruntergeladen werden und gedruckte Medien bestellt werden. Im Bereich „Regelwerk“ sind die Vorschriften, Regeln, Informationen und Grundsätze der DGUV untergebracht. Hier werden die ehemaligen Regelwerkdatenbanken „Berufsgenossenschaftliche Vorschriften und Regeln“ (www.arbeitssicherheit.de ) und das Regelwerk der Unfallkassen (www.regelwerk.unfallkassen.de ) in einem Portal zusammengefasst. Das Herunterladen der PDF-Dateien ist kostenlos, die Bestellung gedruckter Exemplare erfolgt gegen Rechung. Im Bereich „Weitere DGUV-Medien“ sind alle kostenlos erhältlichen Publikationen abgebildet. Sie gliedern sich in Bereiche wie Prävention, Rehabilitation, Berufskrankheiten oder Statistiken.
  • Veranstaltungen im Kleisthaus
    Das Kulturprogramm im Kleisthaus öffnet seine Türen nach einer kleinen Pause zur Neukonzeptionisierung mit der Ausstellung „Nicht Normaal“ vom 03. März bis 26. Mai 2011. Zur Ausstellung gibt es ein abwechslungsreiches Programm. Öffnungszeiten der Ausstellung: Montag bis Freitag von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Der Eintritt ist frei! Das Kleisthaus befindet sich in der Mauerstraße 53, 10117 Berlin. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.kleisthaus.de .
    Im Übrigen: der postalische Versand der Programme ist weitgehend eingestellt worden. Wer weiterhin Interesse an Informationen zu den Veranstaltungen haben möchte, kann sich im E-Mail-Verteiler erfassen lassen. Schicken Sie hierzu einfach eine Mail an kleisthaus@behindertenbeauftragter.de .
    Und – Das Kleisthaus feiert seinen 10. Geburtstag! Herzlichen Glückwunsch!
  • Buchtipp zum Kündigungsschutz
    „Der Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen im Arbeitsleben (SGB IX)“
    Ein Praxisratgeber von Christoph Beyer, Landesverwaltungsrat, LVR-Integrationsamt, Landschaftsverband Rheinland, und Rainer Seidel, Landesverwaltungsdirektor i.R., LWL-Integrationsamt, Landschaftsverband Westfalen-Lippe
    2010, 3., neu bearbeitete Auflage, 366 Seiten, € 39,80; ISBN 978-3-415-03916-2

Das Buch gibt mit zahlreichen Praxisbeispielen und Mustertexten einen umfassenden Einblick in die Materie. Der neue Autor Christoph Beyer hat die Darstellung im Rahmen der bisherigen Grundkonzeption des von Rainer Seidel begründeten Werks in weiteren Teilen völlig neu bearbeitet. Er behandelt das Kündigungsschutzverfahren, die Praxis der Integrationsämter bei personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Kündigungen sowie die Besonderheiten bei Änderungskündigungen und die außerordentliche Kündigung. Der Leitfaden zeigt, welche Fristen zu beachten sind, und stellt anschauliche das Widerspruchs- und Gerichtsverfahren dar. Gestützt auf seine langjährige Praxiserfahrung erläutert der Autor ausführlich sowohl die neueste arbeits- als auch verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung.

Zu beziehen bei Ihrer Buchhandlung oder beim BOORBERG VERLAG GmbH & Co KG, 70551 Stuttgart bzw. Postfach 80 03 40, 81603 München oder Fax an: 0711/73 85 – 100 bzw. 089/436 15 64, Internet: www.boorberg.de , E-Mail: bestellung@boorberg.de

  • Anspruch auf Feststellung eines GdB bei Duldung
    Eine Aufhebung der Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit 50 lässt sich nicht mit einem Wegfall des rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts des nur nach § 60a AufenthG gedulteten Behinderten als solchen begründen. Das Merkmal des gewöhnlichen Aufenthalts ist nicht konstruktiv für die Feststellung eines GdB.

Für den Anspruch auf Feststellung eines GdB genügt vielmehr ein sog. Inlandsbezug in dem Sinne, dass der behinderte Mensch wegen seines GdB Nachteilsausgleiche im Inland in Anspruch nehmen kann. Dies ist bei einem in Deutschland langjährigen geduldeten Ausländer vollkommen unstreitig der Fall.
Die Tatsache einer aufenthaltsrechtlichen Duldung lässt die Eigenschaft einer nichtdeutschen Person als schwerbehinderter Mensch im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX nicht entfallen. Die Rechtmäßigkeit des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX ist nicht anhand des Aufenthaltsrechts zu beurteilen. Auch geduldete, behinderte Ausländer sind befugt, am Leben in der deutschen (inländischen) Gesellschaft teilzunehmen, denn sie sind rechtlich nicht gehindert sich weiterhin in Deutschland aufzuhalten, solange ihre Abschiebung ausgesetzt ist.

Ein aufenthaltsrechtlich nur geduldeter Ausländer, dessen GdB mindestens 50 beträgt, verfügt über einen Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderung, wenn sich Aufenthalt in Deutschland voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird. Hier ist davon auszugehen, dass der jeweilige behinderte Ausländer seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt rechtmäßig im Inland hat im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX (BSG, Urteil vom 29.04.2011 – B 9 SB 2/09 R

  • Rechtsweg für Kosten der Schwerbehindertenvertretung
    ArbGG § 2a Abs. I Nr. 3a, Abs. 2; SGB IX §§ 96 Abs. 8 Satz 1, 97 Abs. 7
    Rechtsstreitigkeiten über die nach § 96 Abs. 8 Satz 1 SGB IX bestehende Pflicht des Arbeitgebers, die Kosten der Schwerbehindertenvertretung zu tragen, sind in entsprechender Anwendung vom § 2a Abs. 1 Nr. 3a, Abs 2 ArbGG im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zu entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn die Schwerbehindertenvertretung in einer Dienststelle des öffentlichen Dienstes, in der Personalvertretung gilt, errichtet ist.
  • Behindertengerechte Umrüstung von Autos
    www.Autoanpassung.de unterstützt Menschen mit Behinderungen bei der behindertengerechten Umrüstung eines bereits vorhandenen oder neuen Fahrzeugs. Das Portal gibt umfangreiche Informationen über Art und Umfang von finanzieller Unterstützung und welche Voraussetzungen für eine Kraftfahrzeughilfe gegeben sein müssen. Das Leistungsspektrum von Umrüstbetrieben wird nutzungsrecht, anbieterneutral, aktuell und einfach zugänglich im Internet bereitgestellt. Mehr Informationen unter www.autoanpassung.de
  • Kongress zu Reha- und Teilhabeleistungen
    Im Rahmen eines Kongresses der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) vom 30. Juni bis 01. Juli 2011 in Berlin sollen Stand und Perspektiven der Umsetzung UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland aufgezeigt und über europäische Entwicklungen informiert werden. Schwerpunktthema ist die Sozialraumorientierung von Reha- und Teilhabeleistungen sowie Technologien zur Gestaltung der Lebensumwelt, um selbstständiges Leben individuell zu ermöglichen. Tagungsort ist das Hotel Aquino und die Katholische Akademie in Berlin.
    Mehr Informationen erhalten Sie bei info@dvfr.de