Öffentliche Anhörung durch den Deutschen Bundestag zu COVID-19 und die Langzeitfolgen

Stellungnahme der Berliner Beratungsstelle Berufskrankheiten zur öffentlichen Anhörung im Bundestag über die „Langzeitwirkungen und gesundheitliche Risiken einer COVID-19-Erkrankung (Long-COVID)“

Am 24. Juni 2021 haben sich Abgeordnete des Bundestages in einer öffentlichen Anhörung über die „Langzeitwirkungen und gesundheitliche Risiken einer COVID-19-Erkrankung (Long-COVID)“ informiert. Die Leiterin der Berliner Beratungsstelle Berufskrankheiten war als Sachverständige dabei. Als weitere Sachverständige waren eine Vertreterin der Rentenversicherung und ein Vertreter der Unfallversicherung, Vertreter der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung, Medizinerinnen und ein Vertreter des Vereins „Long COVID Deutschland“ anwesend.

Neben den Fragen zu den gesundheitlichen Folgen einer COVID-19-Erkrankung wurden auch Fragen zu Leistungen der Unfall beziehungsweise Rentenversicherung gestellt.

Sowohl die Vertreterin der Rentenversicherung als auch der Vertreter der gesetzlichen Unfallversicherung erklärten, dass sie gut aufgestellt sind, die Erkrankung (COVID-19 und die Folgeerkrankungen) zu therapieren. Es stünden ausreichend passgenaue Reha-Plätze zur Verfügung und es gäbe ausreichend interdisziplinäre Angebote für die Versicherten.

Diese Aussagen decken sich nicht mit den Erfahrungen der Beratungsstelle. Die Versicherten bezierungsweise ihre Angehörigen berichten

  1. über Probleme im Anerkennungsverfahren – sowohl bei der Anerkennung als Arbeitsunfall als auch als Berufskrankheit.
  2. dass die Erkrankungen an Post-COVID oder Long-Covid nicht in Zusammenhang mit COVID-19 gesehen werden. Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt keine Leistungen.
  3. eine dem Krankheitsverlauf angemessene Reha-Maßnahme nicht beziehungsweise nicht zeitnah zu bekommen.

Ein weiteres Problem ist, dass nach wie vor viele Arbeitgebende (dazu gehört auch der öffentliche Dienst) sich weigern, die Erkrankung am Arbeitsplatz bei der zuständigen Unfallversicherung zu melden. Das erstaunt, da ein Verstoß gegen die Meldepflicht nach dem Sozialgesetzbuch VII eine Ordnungswidrigkeit ist. Zuständig für die Überwachung ist die gesetzliche Unfallversicherung. Die Beratungsstelle unterstützt die Versicherten, ihre Erkrankung selbst zu melden. Bei Versicherten, die sich nicht an uns wenden, unterbleibt in der Regel die Meldung – die Versicherten erhalten keine Leistungen.

Die Anerkennung als Arbeitsunfall verursacht mehr Probleme als die als Berufskrankheit. Insbesondere Mitarbeitende des öffentlichen Dienstes berichten, dass die Arbeitgebenden grundsätzlich davon ausgehen, dass sich die Infektion am Arbeitsplatz nicht nachweisen lässt und aus diesem Grund das Verfahren nicht eröffnet wird. Jede und jeder hat das Recht, dass von der Unfallversicherung angemessen geprüft wird, ob sie/er sich am Arbeitsplatz infiziert hat. Auch wenn die Indexperson und das Datum der Infektion nicht genau bekannt sind, lässt sich die Infektion am Arbeitsplatz nachweisen. Ein wichtiges Beweismittel ist die Gefährdungsbeurteilung. Hat der Arbeitgebende die geeigneten Schutzmaßnahmen veranlasst? Waren die Schutzmaßnahmen geeignet/wirksam? Leider wird die Gefährdungsbeurteilung von der Unfallversicherung in den seltensten Fällen im Feststellungsverfahren berücksichtigt.

Es wird berichtet, dass einige Versicherte nach der Erkrankung relativ schnell die Tätigkeit wiederaufgenommen haben. Bei einigen war die Berufskrankheit bereits anerkannt. Die Beschäftigten waren nicht mehr leistungsfähig. Sie mussten sich erneut in Behandlung begeben. Die Folgeerkrankung wurde der Unfallversicherung gemeldet. Diese hat einen Zusammenhang zwischen COVID-19 und der Folgeerkrankung abgelehnt – es wurden keine Leistungen wie beispielsweise Reha-Maßnahmen gewährt. Damit sind auch alle anderen Leistungen, wie Minderung der Erwerbstätigkeit oder Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall ausgeschlossen. Da die Folgen von COVID-19 noch nicht alle bekannt sind, raten wir den Versicherten, sich Unterstützung in den COVID-19-Ambulanzen zu holen und gegen die Entscheidung Widerspruch einzulegen.

Solange die Anerkennung als Arbeitsunfall oder Berufskrankheit nicht erfolgt ist, stehen Erkrankten bestimmte Einrichtungen nicht zur Verfügung. Uns wurde berichtet, dass eine Patientin in einer neurologischen Post-COVID Sprechstunde mit der Begründung abgelehnt wurde, dass kein Arbeitsunfall oder Berufskrankheit anerkannt ist. Eine alternative Sprechstunde wurde bisher nicht gefunden. Reha-Maßnahmen der gesetzlichen Unfallversicherung werden erst nach einer Anerkennung gewährt – das Anerkennungsverfahren dauert in der Regel mehrere Monate. Das heißt, die Versicherten bekommen nicht zeitnah die geeigneten Behandlungen.

Das Gleiche gilt für Reha-Maßnahmen der Rentenversicherung. Patientinnen und Patienten warten in der Regel länger als 6 Monate. Es werden Angebote gemacht, die nicht zum Krankheitsbild passen. Die Einschätzung, dass ausreichend geeignete Reha-Plätze zur Verfügung stehen, kann nicht bestätigt werden.

Die auf Long-COVID spezialisierten Ambulanzen nehmen nur Erkrankte auf, die mindestens 3 Monate unter Symptomen leiden.

Die Ärztinnen haben in der Anhörung mehrfach betont, dass es noch viel Forschung bedarf. Sie setzen sich für interdisziplinäre Ambulanzen ein. Für die richtige Behandlung ist es wichtig, zu klären, ob für die Folgeerkrankung COVID-19 die Ursache ist. Sie warnen eindringlich davor, Symptome zu ignorieren und zu früh zurück an die Arbeit zu gehen. Sie sind sich ziemlich sicher, dass das Risiko einer Chronifizierung erhöht ist. Sie fordern mehr Long-COVID Ambulanzen.

Die Beschäftigten sind oft überfordert, kennen ihre Rechte nicht – sie brauchen Unterstützung. Mittlerweile gibt es Selbsthilfegruppen, die Unterstützung anbieten. Natürlich unterstützt auch die Berliner Beratungsstelle Berufskrankheiten.

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