Abschlussbericht der Landesarbeitsgemeinschaft »Außerschulische politische Jugendbildung in der Jugendhilfe«

Aktive junge Männer und Frauen tanzen - Silhouetten

Inhalt

1. Vorwort

Demokratische Gesellschaften beruhen auf der aktiven politischen Teilhabe ihrer Mitglieder und deren demokratischen und menschenrechtlichen Haltung. Dieses Selbstverständnis muss durch die Mitglieder der Gesellschaft immer wieder neu erarbeitet und unter sich verändernden Rahmenbedingungen stets aktualisiert und konkretisiert werden. Außerschulische politische Bildung stellt dafür, gerade für junge Menschen, wichtige Grundlagen zur Verfügung. Angesichts sich dynamisch verändernder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und Lebenswelten junger Menschen müssen auch Angebote der politischen Bildung immer wieder weiterentwickelt werden. Globalisierung und Digitalisierung schaffen neue Erfahrungs- und Lebensräume für junge Menschen, die Klimakrise macht deutlich, dass der Fortbestand der natürlichen Lebensgrundlagen nicht selbstverständlich ist. Gleichzeitig ändern sich gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Einerseits ändert sich die Art der politischen Auseinandersetzung, Rassismus, verschiedene Formen von Ausgrenzung und Diskriminierung und soziale Ungleichheit nehmen zu und werden deutlicher wahrgenommen. Auf der anderen Seite verstehen sich gerade junge Menschen als verantwortlich für die Zukunft unserer Gesellschaft, Bewegungen wie Fridays for Future machen das deutlich. Außerschulische politische Jugendbildung muss sich diesen Herausforderungen stellen. Dafür bedarf sie förderlicher Rahmenbedingungen, die ermöglichen, dass außerschulische politische Bildung ihre wichtigen Wirkungen für die demokratische Gesellschaft entfalten kann. Der Landesjugendhilfeausschuss des Landes Berlin hat am 17.06.2020 beschlossen, eine Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) „Außerschulische politische Bildung in der Jugendhilfe“ einzusetzen mit dem Auftrag, eine Beschreibung der außerschulischen politischen Jugendbildung in der Jugendhilfe unter Berücksichtigung der verschiedenen Arbeitsfelder und der bezirklichen Ebene vorzunehmen und notwendige Rahmenbedingungen für gelingende außerschulische politische Jugendbildung in der Jugendhilfe zu formulieren. Die LAG hat sich am 08.09.2020 konstituiert und in sieben Sitzungen den vorliegenden Bericht verfasst. Durch den Landesjugendhilfeausschuß (LJHA) berufene Mitglieder der LAG:
  • Tilmann Weickmann (LJHA, Landesjugendring Berlin), Vorsitzender
  • Elvira Kriebel (LJHA, Paritätischer Wohlfahrtsverband), stellv. Vorsitzende
  • Manuela Elsaßer (Bezirksamt Lichtenberg)
  • Thomas Gill (Berliner Landeszentrale für politische Bildung)
  • Thomas Glaw (Pestalozzi-Fröbel-Haus)
  • Saraya Gomis (EOTO)
  • Eileen König (Amaro Foro)
  • Prof. Dr. Ester Lehnert (Alice Salomon Hochschule)
  • Clara Matthiessen/Pia „Mio“ Pröpper (offensiv‘91) / Stellvertretung Benedikt Hotz (offensiv‘91)
  • Katharina Neumann (DGB-Jugend Berlin-Brandenburg) / Stellvertretung Patrick Atzler (Bund Deutscher PfadfinderInnen)
  • Lydia Nofal (RAA Berlin) / Stellvertretung Nezihe Erul (RAA Berlin)
  • Heinrich Oehme (Evangelische Jugend Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz) / Stellvertretung Marcel Schröder (CVJM-Ostwerk)
  • Christine Reich (JBS Kurt Löwenstein) / Stellvertretung Roland Wylezol (JBS Kaubstrasse)
  • Jana Ringer (Unabhängiges Jugendzentrum Pankow)
  • Almut Röhrborn/Mandy Mamedow (Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz)
  • Alexander Rönisch (Gangway) / Stellvertretung Elvira Berndt (Gangway)
  • Franziska Rufflet (Jugendkulturzentrum Pumpe) / Stellvertretung Barbara Meyer (Schlesische 27)
  • Frank Seibt (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie) / Stellvertretung Sandra Hildebrandt (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie)
  • Oliver Schmidt (Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg) / Stellvertretung Birgit Warner (Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg)
  • Michael Siegel (Beteiligungsfüchse gemeinnützige GmbH)

2. Was ist außerschulische politische Jugendbildung?

„Politische Jugendbildung setzt sich zum Ziel, Jugendliche für gesellschaftliches Engagement zu ermutigen und Politik und Demokratie als veränderbar und gestaltbar zu begreifen. Dabei geht sie davon aus, dass Demokratie niemals abgeschlossen ist, sondern in ihrer Unvollkommenheit immer gestaltet und weiterentwickelt werden muss.“ (16. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung 2020, S. 346)

Außerschulische politische Jugendbildung fußt auf einer gesetzlichen Normierung. Im Sozialgesetzbuch (SGB) VIII, §11 (3) ist bei den Schwerpunkten der Jugendarbeit unter 1. genannt: „außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung“. Damit ist außerschulische politische Jugendbildung als zentraler Schwerpunkt der Jugendarbeit genannt und politische Jugendbildung gleich an erster Stelle der besonderen Angebote aufgeführt. Auch das Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz (AG KJHG) des Landes Berlin benennt in §6 politische Bildung als eine der zentralen Aufgaben von Jugendarbeit.

Die Ziele der Jugendarbeit beschreibt der SGB VIII §11, (1) wie folgt: „Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.“ Diese Formulierung stellt eindeutig klar, dass allen jungen Menschen (das SGB VIII bezieht sich auf die Altersspanne 0-27 Jahre) die Angebote zur Verfügung zu stellen sind, schlicht, weil es zur Förderung ihrer Entwicklung dazugehört, solche Angebote wahrnehmen zu können.

Aber auch für die Jugendhilfe generell ergibt sich aus dem SGB VIII eine unmittelbare Verpflichtung zur politischen Bildung: Nach § 1 SGB VIII hat „(j)eder junge Mensch … ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ Vor allem der Aspekt der gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit verpflichtet die Jugendhilfe explizit zur politischen Jugendbildung.

Die Zielformulierung des SGB VIII ist vollständig kompatibel mit der Zielbeschreibung der politischen Bildung: Ziel politischer Bildung ist politische Mündigkeit. Politische Mündigkeit reicht von der Fähigkeit selbstbestimmt innerhalb des bestehenden gesellschaftspolitischen Rahmens agieren zu können bis hin zur kritischen Infragestellung dieses Rahmens und der – an Demokratie und Menschenrechten orientierten – Suche nach alternativen Entwicklungsmöglichkeiten. Historisch war das Freiheitsversprechen der Mündigkeit allerdings immer auch mit Exklusionsprozessen verbunden, die kritisch reflektiert werden müssen.

Aus dem allgemeinen Ziel der politischen Mündigkeit leiten sich die konkreten Handlungsziele der politischen Bildung ab: Handlungsfähigkeit, Urteilsfähigkeit, Wissen über Zusammenhänge und Erwerb von politischer Kommunikationskompetenz. Diese Handlungsziele müssen für die außerschulische politische Jugendbildung in Berlin angesichts sich verändernder gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen stets neu bestimmt werden. Politisches Handeln zeigt sich durch das Artikulieren eigener Meinungen, im Austausch von Argumenten, im Verhandeln von Lösungsmöglichkeiten und schließlich im Treffen von Entscheidungen. Dies kann an unterschiedlichen Orten und Lebenszusammenhängen geschehen und bezieht sich keinesfalls nur auf staatliche Politik, auch wenn hier viele wichtige Entscheidungen getroffen werden, die die Lebensumstände von Kindern und Jugendlichen betreffen.

Die wichtigsten didaktischen Grundlagen der politischen Bildung werden beschrieben mit den Begriffen:
  • Subjektorientierung: Die Bildungsprozesse setzen an den Interessen und den Erfahrungen der Teilnehmer*innen an. Dies bedeutet, zunächst einmal die eigenen Interessen zu klären und ins Verhältnis zu den Interessen anderer zu setzen. Der Lernprozess ist als der der Teilnehmer*innen zu begreifen. Den politischen Bildner*innen kommt die Rolle als Lernbegleitende zu.
  • Grund- und Menschenrechtsorientierung: Bei aller Teilnehmer*innenorientierung und Wertschätzung unterschiedlicher Werthaltungen und Lebenskonzepte, die Grund- und Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Dies bedeutet auch, die Würde und die Rechte der Kinder und Jugendlichen in pädagogischen Beziehungen jederzeit zu achten.
  • Indoktrinationsverbot: Nicht nur Agitation und Propaganda sind tabu, sondern auch das gesamte Lernsetting muss so gestaltet sein, dass die Teilnehmer*innen eine eigene Position entwickeln können.
  • Konfliktorientierung: Demokratische Politik ist das friedliche Aushandeln von Konflikten, die auf unterschiedlichen Interessen beruhen. Angebote politischer Bildung müssen diese Interessenskonflikte sichtbar und verstehbar machen.
  • Prozessorientierung: Lernprozesse benötigen Orte, Zeit und Anregung, die Teilnehmenden gestalten diese aktiv mit. Ein anregender, offener und demokratischer Lernprozess ist dabei wichtiger als ein messbares Ergebnis.
  • Kritikfähigkeit: Politische Bildung will einen Prozess der kritischen Bewusstwerdung fördern. Politische Entscheidungen und Prozesse werden ebenso kritisch hinterfragt wie gesellschaftliche Entwicklungen und die Gestaltung unseres alltäglichen Lebens. Kritik ist immer auch Selbstkritik, eigene Wahrnehmungsweisen, Einstellungen und Handlungen müssen ebenso kritisch reflektiert werden.
    Außerschulische politische Jugendbildung als Teil der Jugendhilfe zeichnet sich darüber hinaus durch ein spezifisches Selbstverständnis aus:
  • Sie ist offen und flexibel ihren Adressat*innen, Themen und Zielen gegenüber. Sie hat keinen Vermittlungsauftrag sondern ist ein partizipativ gestaltetes Angebot.
  • Sie beruht auf Freiwilligkeit. Die Kinder und Jugendlichen entscheiden, was und wieviel sie von sich einbringen wollen. Es geht um gemeinsame Aushandlungsprozesse.
  • Selbst- und Mitbestimmung ist ihr Grundprinzip: Kinder und Jugendliche werden als fähig und berechtigt angesehen, aktiv mitzugestalten. Die demokratische Verfasstheit der Jugendhilfe drückt sich auch in autonom selbstverwalteten Räumen und in Form der Selbstorganisation aus.
  • Sie ist an der Lebenswelt der Teilnehmer*innen orientiert. Wohnortnähe, Niedrigschwelligkeit, Ressourcen- und Netzwerkorientierung sind dabei wichtige Herangehensweisen.
  • Jugendhilfe verortet sich auch im jugendpolitischen Raum als Akteur, der sich im Interesse der Kinder und Jugendlichen aktiv (jugend)politisch einmischt und darüber hinaus seine Adressat*innen ebenso dazu befähigen will.
  • Sie ist durch die Pluralität der Träger gekennzeichnet. Diese weisen eine Vielfalt an Wertbegründungen und inhaltlichen Schwerpunkten auf und bieten so den heterogenen Interessen junger Menschen ein angemessenes Wunsch- und Wahlrecht. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips hat der Staat diese Vielfalt zu fördern und wertzuschätzen.

Außerschulische politische Jugendbildung zeichnet sich angesichts der Diversifizierung der Lebenswelten durch eine enorme Vielfalt der didaktischen Konzepte, Methoden, Themen und Zugänge aus. Die Angebotsformate müssen zu den Menschen, den Themen und den konkreten Rahmenbedingungen passen. Desto vielfältiger die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen werden, desto vielgestaltiger und vor allem desto partizipativer gestaltet müssen die Angebote der politischen Jugendbildung, gerade im außerschulischen Bereich, sein. Die Akteure der politischen Bildung wissen dies in aller Regel sehr genau. Die entscheidende Frage ist, ob die Rahmensetzung der staatlichen Förderung diese inhaltliche und didaktisch-methodische Offenheit und partizipative Angebotsgestaltung in ausreichendem Maße zulässt.

Der 16. Kinder- und Jugendbericht hat deutlich gemacht, das politische Bildung sehr früh beginnen muss: „Kinder verstehen ihre Rechte, die Gremien und Verfahren schon früh genau und können sie auf Nachfrage präzise erklären. Sie befürworten die Demokratie in ihren Einrichtungen: Die Kinder wollen die Entscheidungen treffen, sehen sich in der Gemeinschaft als befähigt an, passende Lösungen zu finden und sind bereit, Folgen von gemeinsamen Lösungsversuchen zu tragen.“ (S. 169)

Eine vielfältige, plurale Gesellschaft ist auf eine diversitätssensible, diskriminierungskritische und inklusive politische Jugendbildung angewiesen. Diversität ist als Ressource und Migration als gesellschaftliche Normalität zu begreifen. Demokratie ist darauf angewiesen, dass die Vielfalt der Perspektiven sichtbar wird. Rassismus ist in seiner strukturellen Dimension in den Blick zu nehmen, eigene Verwobenheit und eigene Privilegien müssen reflektiert werden.

Pädagogische Räume bedürfen zugleich der geschützten und kontroversen Gestaltung. Hierzu sind Räume für Prozesse des self-empowerment erforderlich, insbesondere für Kinder und Jugendliche, die (negative) Zuschreibungen, Voreingenommenheit, Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren. Inklusion als Menschenrecht fordert den Abbau von Teilhabebarrieren als menschenrechtliche Verpflichtung in allen gesellschaftlichen Teilbereichen, auch in Bildung, Jugendarbeit, Politik und politischer Bildung. Die volle und gleichberechtigte Teilhabe ist die Voraussetzung für die Anerkennung der Würde der Menschen.

Die Notwendigkeit der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule ist hinlänglich begründet. Auch für die außerschulische politische Jugendbildung stellt sich nicht grundsätzlich die Frage, ob sie mit Schule kooperieren soll. Die Herausforderung besteht darin, dass es in der Kooperation gelingt die spezifische Qualität außerschulischer politischer Jugendbildung zu erhalten, um derer Willen die Kooperation von Seiten der Schulen gesucht wird.
Um Auszubildende und junge Arbeitnehmer*innen mit Angeboten der außerschulischen politischen Jugendbildung erreichen zu können, bietet das Recht auf Bildungsfreistellung im Rahmen des Berliner Bildungszeitgesetzes eine besondere Chance. Dieses wieder stärker öffentlich bekannt zu machen, erfordert eine gemeinsame Anstrengung von Politik, Tarifpartnern, Anbietern und beruflichen Schulen.

Politische Bildung hat die Förderung von politischer Teilhabe zum Ziel. Sie wirkt dabei insofern präventiv, als dass die Erfahrung eigener demokratischer Selbstwirksamkeit ein wichtiger Garant ist, der vor der „autoritären Versuchung“ bewahrt. Ungeachtet dieser mittelbar präventiven Wirkung ist politische Bildung aber kein Präventionsangebot im engeren Sinne. „Prävention“ hat immer den Zweck, einen künftig befürchteten Zustand zu verhindern und ist auf dieses Ziel ausgerichtet. Im Kontext von politischer Bildung würde ein solches Selbstverständnis den Bildungsanspruch und -inhalt auf die Abwehr befürchteter gesellschaftlicher Zustände verkürzen. Dies würde einen entsprechenden Rechtfertigungsdruck erzeugen und – kaum vermeidbar – in der Umsetzung zu Stigmatisierungen, Problemzuschreibungen und negativer Teilnehmer*innenansprache führen. Das Ziel der politischen Mündigkeit wäre mit einer solchen Herangehensweise nicht erreichbar.
Die Erfahrung politischer Selbstwirksamkeit und Teilhabe ist eine wichtige Grundlage für die außerschulische politische Jugendbildung. An dieser können Lernprozesse anknüpfen und zugleich wird so das Recht junger Menschen auf Teilhabe verwirklicht. Die Erfahrung von Beteiligung ist aber selbst noch keine politische Bildung, hierzu sind ergänzende Angebote der Reflexion und der Bildung notwendig.

Außerschulische politische Jugendbildung ist dann besonders erfolgreich, wenn Sie regelhaft in allen Angeboten der Jugendhilfe vorgehalten wird. Die Orientierungsfragen von Kindern und Jugendlichen verlangen nach einem Angebot, welches schon vorhanden ist, bevor es zu besonderen Problemlagen kommen kann. Politische Bildung als Sonderprojekt ist nur da sinnvoll, wo sie über diese Grundausstattung hinausgehend, neue Ansätze erprobt werden sollen oder sich neue Problemlagen zeigen, die die Regelangebote überfordern würden, da besondere Kenntnisse und Angebote notwendig sind. Regelangebote können nicht durch Sonderprojekte ersetzt werden.

Ohne Zweifel ist angesichts der aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen mit Diskursverschiebungen, offenem Rassismus und Rechtsterrorismus politische Jugendbildung dringend erforderlich. Trotzdem sollte sie nicht aus diesen Entwicklungen heraus begründet werden, weil sie sonst ihren eigenen Zweck verleugnen würde. Politische Bildung will jungen Menschen Angebote unterbreiten, die bei der Verarbeitung gesellschaftspolitischer Entwicklungen helfen, die Möglichkeit zur Orientierungsfindung bieten und unterstützen, eigene Haltungen zu entwickeln. So verstanden ist außerschulische politische Jugendbildung unverzichtbarer Teil des demokratischen Gemeinwesens.

3. Außerschulische politische Jugendbildung in den Arbeitsfeldern der Jugendhilfe – Darstellung und Handlungsempfehlungen

Arbeitsfeld Offene Kinder- und Jugendarbeit

Wie ist außerschulische politische Bildung im Arbeitsfeld verankert? Welche Formen/Arbeitsansätze gibt es bereits?
Außerschulische politische Bildung ist sowohl rechtlich, konzeptionell als auch in den Angebotsformen mit dem Handlungsfeld Offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) verbunden. In den Angeboten der OKJA treffen sich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene freiwillig, um gemeinsam mit anderen ihre „freie Zeit“ zu verbringen. Sie besuchen Offene Treffs, Gruppen, Kurse und Workshops, nehmen an Ausflügen, Ferienangeboten und Reisen teil. Die Angebote richten sich nach den Interessen der jungen Menschen wie beispielsweise Musik und Kultur, Medien und Technik, Natur und Umweltschutz, Sport und Bewegung. Die Treffs verstehen sich inklusiv als Orte für alle. Die jungen Menschen können sich aktiv beteiligen und mitbestimmen.

Offene Kinder- und Jugendarbeit ist in §11 SGB VIII rechtlich verankert. Der gesetzliche Auftrag umfasst, auch in einem konzeptionellen Verständnis, die Entwicklung zum Subjekt sowie zu demokratisch und gesellschaftlich engagierten Bürger*innen und beinhaltet hierin implizit wesentliche Elemente politischer Bildung. Darüber hinaus benennt §11 Abs. 3 politische Bildung ausdrücklich als einen Schwerpunkt der Jugendarbeit. Auch das AG KJHG benennt seit 2020 „Demokratiebildung“ als einen Schwerpunkt der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Auch das Handbuch „Qualitätsmanagement der Berliner Jugendfreizeiteinrichtungen“ (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie: 4. überarbeitete Auflage 2019) beinhaltet sowohl in impliziter und expliziter Form eine Verankerung außerschulischer politischer Bildung)

Welche Potentiale für die bessere/umfangreichere Verankerung von außerschulischer politischer Bildung gibt es im Arbeitsfeld? Wo/wie könnte außerschulische politische Bildung verstärkt vorkommen?
Die strukturelle Situation der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, insbesondere in Bezug auf die relativ unverbindliche rechtliche Situation sowie die nicht auskömmliche Finanzierung ist kritisch zu betrachten. Dies betrifft auch das Verhältnis zwischen Land und den Bezirken, z.B. im Hinblick auf eine gemeinsame Qualitätsentwicklung. Der Stellenwert von Offener Kinder- und Jugendarbeit in den Bezirken und somit auch deren Qualitätsentwicklung ist in den Bezirken sehr unterschiedlich.
Die Offene Kinder- und Jugendarbeit kooperiert in vielfältiger Form mit institutionellen Akteuren der Bildung und Kinder- und Jugendhilfe. Hier kommt der Offenen Kinder- und Jugendarbeit häufig zu wenig eine eigenständige Rolle zu.

Was ist nötig, um die Potentiale auszuschöpfen?
Für die Weiterentwicklung außerschulischer politischer Jugendbildung im Arbeitsfeld müssen rechtlich verbindlichere Strukturen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene für die Offene Kinder- und Jugendarbeit geschaffen werden.

Im Land Berlin ist eine verbindliche Vereinbarung des Landes und der Bezirke für eine kontinuierliche Weiterentwicklung einer qualitätsorientierten Offenen Kinder- und Jugendarbeit auf der Basis des Jugendförder- und Beteiligungsgesetzes erforderlich. Dabei sind eine enge Zusammenarbeit mit den Trägern der freien Jugendhilfe und die Partizipation von Kindern und Jugendlichen unverzichtbar.

Die Weiterentwicklung von Kooperationen mit Schulen und zivilgesellschaftlichen Akteuren im Sinne einer sozialräumlichen Vernetzung und einer Etablierung von Bildungsverbünden kann außerschulische politische Jugendbildung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit stärken. Offener Kinder- und Jugendarbeit kommt hier eine aktivierende Rolle zu.

Arbeitsfeld Jugendverbandsarbeit

Wie ist außerschulische politische Bildung im Arbeitsfeld verankert? Welche Formen/Arbeitsansätze gibt es bereits?
In Jugendverbänden schließen sich junge Menschen selbstorganisiert zusammen, um gemeinschaftlich Jugendarbeit zu gestalten. Dafür ist ehrenamtliches Engangement junger Menschen konstitutiv. In Jugendverbänden vertreten Kinder und Jugendliche ihre Interessen und bringen sich in die Gesellschaft ein.
Politische Bildung in Jugendverbänden findet in drei Dimensionen statt:
a) Kinder und Jugendliche erleben in der Jugendgruppe die freie Verfügung über Raum, Zeit und Gemeinschaft. In der konkreten praktischen gemeinschaftlichen Gestaltung des Gruppenlebens machen junge Menschen die Erfahrung der grundsätzlichen Gestaltbarkeit ihrer Lebensbedingungen gemeinsam mit anderen. Dies ist eine grundlegende politische Lernerfahrung.
b) Jugendverbände sind demokratische Organisationen. Indem Kinder und Jugendliche in Jugendverbänden Verantwortung als Gruppenleitung oder als gewählte Vertreter*in auf bezirklicher, Landes- oder Bundesebene und in Jugendringen übernehmen, erlernen sie demokratisches Handeln. Darüber hinaus stellt die Mitarbeit in (temporären) Arbeitsgruppen, Ausschüssen oder Projekten und die damit verbundene demokratische Mitgestaltung des Jugendverbandes ein Lernfeld politischer Bildung dar.
c) Jugendverbände bieten explizite Maßnahmen und Projekte der politischen Bildung an. Dazu gehören Seminare, Workshops, Gedenkstättenfahrten, thematische Schwerpunkte bei Jugendfahrten, international Begegnungen bis hin zu bundesweiten und verbandsübergreifenden Projekten wie die Jugendwahlen U18.
Alle drei Dimensionen gehen ineinander über, wirken zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Sie ermöglichen individuelle Lernerfahrungen, die sich langfristig summieren und positiven Einfluss auf Engagement, Wertefestigung, kritische Reflexion und politisches Handeln haben.

Welche Potentiale für die bessere/umfangreichere Verankerung von außerschulischer politischer Bildung gibt es im Arbeitsfeld? Wo/wie könnte außerschulische politische Bildung verstärkt vorkommen?
Jugendverbände sind gefordert, sich ihre Funktion als demokratische und politische Lernorte immer wieder selbst zu vergegenwärtigen. Das Erleben des gemeinschaftlichen Gestaltens des Jugendverbands muss als wesentliche Grundlage der Jugendverbandsarbeit im Verband gelebt werden. Dazu gehören die Reflexion der im Jugendverband gemachten Erfahrungen mit demokratischen Prozessen und die Übertragung auf andere gesellschaftliche Bereiche. Dies stellt eine Herausforderung für ehren- und hauptamtlich Tätige in den Jugendverbänden dar.

Politische Jugendbildung in der Jugendverbandsarbeit verändert sich unter postmigrantischer Perspektive in ihren Zielen, Ansätzen, Zugängen und Themen, (nicht nur) wenn sie von Vereinen junger Menschen mit Migrationsbiografien (VJM) und/oder Zusammenschlüssen von People of Color umgesetzt wird. Die damit einhergehenden Potentiale für die außerschulische politische Bildung müssen im Sinne der Stärkung einer pluralen Gesellschaft genutzt werden.

Was ist nötig, um die Potentiale auszuschöpfen? – Handlungsempfehlungen
Jugendverbände werden in Berlin nur eingeschränkt als wichtige Akteure im Feld der außerschulischen politischen Bildung wahrgenommen und geschätzt. In den bezirklichen Jugendämtern und auch außerhalb der Jugendhilfestrukturen, bspw. im Landes-Demokratiezentrum, müssen Jugendverbände stärker wahrgenommen und gefördert werden. Vor allem auf der Ebene der Bezirke sollen Jugendverbände sowohl als demokratiefördernde Strukturen (bspw. in der Form von Bezirksjugendringen) als auch als Anbieter konkreter Maßnahmen und Projekte politischer Bildung (hier bspw. im Rahmen der Angebotsform „gruppenbezogene, curricular geprägte Jugendarbeit“ nach §6c AG KJHG) stärker gefördert werden.

VJM sind als Träger von außerschulischer politischer Jugendbildung gemessen an dem, was sie leisten, zu wenig sichtbar. Die spezifischen Ermöglichungsräume für politische Bildungsprozesse aus postmigrantischer Perspektive müssen sichtbarer werden und Eingang in die Fachdebatten der politischen Jugendbildung und der Kinder- und Jugendarbeit insgesamt finden. Hier ist eine besondere Förderung der VJM zur Stärkung ihres Charakters als Jugendverbände und als Ermöglichungsräume für politische Bildungsprozesse in der postmigrantischen Gesellschaft wichtig. Es bedarf einer diskriminierungskritischen Reflexion der bestehenden Zugangsbarrieren für VJM in bestehende Förder- und Verbandstrukturen. Maßnahmen zum Abbau struktureller Ungleichheit von VJM müssen entwickelt und umgesetzt werden.

Um Erfahrungen der Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit in der Jugendverbandsarbeit noch stärker für Angebote der politischen Bildung fruchtbar zu machen, muss die Aus- und Weiterbildung von ehren- und hauptamtlich Tätigen in den Jugendverbänden als Fachkräfte der außerschulischen politischen Bildung verstärkt werden. Die Berliner Hochschulen, das Sozialpädagogische Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB), der Landesjugendring Berlin und die Berliner Jugendbildungsstätten sind hier gemeinsam gefordert.

Arbeitsfeld Jugendbildungsstätten

Wie ist außerschulische politische Bildung im Arbeitsfeld verankert? Welche Formen/Arbeitsansätze gibt es bereits?
Die Jugendbildungsstätten des Landes Berlin weisen als Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung ein eigenes pädagogisches Profil auf. Sie sind die einzigen Einrichtungen der Jugendhilfe mit dem genuinen Auftrag der außerschulischen politischen Jugendbildung.

Die Lernsituation mit Übernachtungsangebot in Jugendbildungsstätten stellt ein „Ausbrechen“ aus dem Alltag dar, das ein intensives prozessorientiertes Zusammenleben und –arbeiten ermöglicht. Die Angebote der Jugendbildungsstätten sind offen und die Teilnahme daran erfolgt freiwillig. Als Lernorte bieten sie Ausgangspunkte für inhaltliche Auseinandersetzungen, bei denen die Erfahrungen, Interessen und Bedürfnisse der Teilnehmenden im Mittelpunkt stehen. Wissensvermittlung ordnet sich in diesem Kontext ein und steht nicht im Zentrum der Angebote. Das zeitlich begrenzte Zusammenleben in einem geschützten „Erfahrungsraum“, in dem Beteiligung und Mitgestaltung erwünscht sind, stärkt auch informelle Lernprozesse. Lernen, Debatten und Freizeitgestaltung gehören zusammen. Diese werden so verknüpft, dass Reflexionsprozesse, Erfahrungen und Handlungsoptionen verbunden sind, und daraus ein ganzheitlicher Bildungsprozess entsteht, der auch den Transfer in Alltagsituationen und unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche ermöglicht. Die Mitwirkungs- und Gestaltungserfahrung in den Lernprozessen bietet Anknüpfungspunkte für Engagement, Mitbestimmungs- und Gestaltungswillen auch außerhalb der konkreten Lernsituation. Um diesen Transfer in den Alltag und die Nachhaltigkeit zu sichern, gehen Jugendbildungsstätten langfristige Kooperationen ein und entwickelten Modelle, die verschiedene Bildungsangebote miteinander verschränken. So gelingt es ihnen, Themen aus verschiedenen Blickwinkeln anzugehen, mit unterschiedlichen Methoden aufzugreifen und durch die Kooperationspartner auch im Alltag der Teilnehmenden zu etablieren.

Welche Potentiale für die bessere/umfangreichere Verankerung von außerschulischer politischer Bildung gibt es im Arbeitsfeld? Wo/wie könnte außerschulische politische Bildung verstärkt vorkommen?
Die Berliner Jugendbildungsstätten haben das Potential, gemeinsam als Kompetenzzentren für außerschulische politische Jugendbildung in der Jugendhilfe zu agieren. Sie besitzen neben vielfältigen pädagogischen Konzepten qualifiziertes, vielfältiges Personal mit didaktischen Qualifikationen sowie einem umfangreichen Methodenrepertoire. Ein diversitätssensibles, rassismuskritisches und inklusives Bildungskonzept gehört zum Verständnis ihrer Arbeit. Mit der guten bundesweiten Vernetzung der Einrichtungen und Kooperationen mit verschiedensten Akteur*innen sind sie in aktuelle fachwissenschaftliche Diskurse involviert und können einen interdisziplinären Diskurs aus politischer Bildung und Jugendhilfe zusammendenken und -führen. Diese Kompetenzen können deutlich stärker für die Fort- und Weiterbildung und die Qualifizierung von Multiplikator*innen genutzt werden.

Die unterschiedlichen Angebotsformate ermöglicht es Kindern und Jugendlichen mehrfach an Veranstaltungen teilzunehmen und von den unterschiedlichen Angeboten zu profitieren. Die Jugendbildungsstätten weisen langjährige Kooperationen mit Jugendhilfeträgern, Jugendverbänden, Vereinen junger Menschen mit Migrationsbiografien (VJM), Zusammenschlüssen von People of Color, Hochschulen, Ausbildungsträgern etc. auf und werden als Partner und Akteure der außerschulischen Bildung u.a. auch fest als Ergänzung in schulische Curricula eingeplant. Dieses Potential für Vernetzung und Theorie-Praxis-Dialog gilt es, verstärkt strategisch auszubauen.

Was ist nötig, um die Potentiale auszuschöpfen? – Handlungsempfehlungen
Der Anspruch, dass jedem jungen Menschen in Berlin die Teilnahme an einer fünftägigen Bildungsveranstaltung in einer Jugendbildungsstätte ermöglicht wird, besteht seit über 20 Jahren und hat an seiner Aktualität und Bedeutung nichts verloren. Dazu bedarf es einer Erhöhung der Zuwendungen für die Jugendbildungsstätten, damit diese mehr Angebote für junge Berliner*innen durchführen können. Darüber hinaus muss der bauliche Unterhalt durch öffentliche Zuwendungen gesichert werden. Einrichtungen und Angebote, die dauerhaft vorgehalten werden, benötigen eine dauerhafte institutionelle Absicherung und Förderung.

Jugendbildungsstätten sind neben pädagogischem und hauswirtschaftlichem Fachpersonal auf zahlreiche freie Honorardozent*innen angewiesen, um die Lernarrangements gestalten zu können. Dies bedarf einer ausreichenden Bezahlung der nebenamtlichen Mitarbeiter*innen und vor allem einer arbeitsrechtlichen Absicherung ihrer Freiberuflichkeit.

Jugendbildungsstätten müssen verstärkt politische Bildungsprozesse aus postmigrantischer Perspektive anbieten. Maßnahmen zum Abbau struktureller Ungleichheit werden in Jugendbildungsstätten entwickelt und umgesetzt, um so Angebote politischer Bildung für junge Menschen in der postmigrantischen Gesellschaft zu stärken.

Jugendbildungsstätten könnten darüber hinaus Kristallisationspunkt eines „Berliner Netzwerk außerschulische politische Jugendbildung“ sein mit dem Ziel der Weiterentwicklung der außerschulischen politischen Jugendbildung und der strukturellen Vernetzung mit der schulischen politischen Bildung. Diese Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Partner*innen benötigt unterschiedliche Formen der Kooperation und betrifft völlig unterschiedliche Interessenlagen und verschiedene Arbeitsbereiche. Dabei müssen diversitätsorientierte Perspektiven stärker in die Fachdebatten der politischen Jugendbildung Eingang finden. Um dies erarbeiten und entwickeln zu können, bedarf es ebenfalls entsprechender Ressourcen.

Arbeitsfeld Jugendarbeit an Schulen

Wie ist außerschulische politische Bildung im Arbeitsfeld verankert? Welche Formen/Arbeitsansätze gibt es bereits?
Jugendarbeit an Schule fördert durch die Stärkung von Teilhabe und Selbstorganisation von Schüler*innen die Demokratisierung der Schule und ist damit ein wichtiges Feld der politischen Jugendbildung. Dabei gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Formen und Ansätzen innerhalb des Feldes. Die Bandbreite reicht von Angeboten, die sich direkt auf Partizipations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten innerhalb der Schule beziehen, (z.B. Schüler*innenvertretungs-Arbeit, Partizipationswerkstätten, Schüler*innen-Haushalte) über Angebote, welche die curricularen Inhalte und Perspektiven ergänzen und erweitern (z.B. Projekttage/Projektwochen / Planspiele /AGs / Auseinandersetzung mit Diskriminierung, Vielfalt und Rassismus) hin zu Angeboten, die außerhalb des Sozialraums Schule stattfinden und damit neue Perspektiven schon alleine durch den räumlichen Wechsel mit sich bringen (z.B. Gedenkstättenfahrten/ Seminare in Jugendbildungsstätten). Dabei geht es darum, Grundprinzipien der Jugendarbeit wie Freiwilligkeit, Subjektorientierung und Mitbestimmung am Ort Schule zu etablieren.

Welche Potentiale für die bessere/umfangreichere Verankerung von außerschulischer politischer Bildung gibt es im Arbeitsfeld? Wo/wie könnte außerschulische politische Bildung verstärkt vorkommen?
Die bisherige Zusammenarbeit zwischen Schule und außerschulischer politischer Jugendbildung im Feld der Jugendarbeit verfolgt noch zu oft eine Interventionslogik, außerschulische Akteure werden im Konfliktmoment von den Schulen dazu geholt. Jugendarbeit an Schulen kann ihre Potentiale bei der Demokratisierung von Schule wesentlich besser entwickeln, wenn langfristige Kooperationen zwischen Schulen und außerschulischen Trägern der Jugendarbeit auf- und ausgebaut werden. Wenn politische Jugendbildung mit den Ansätzen der außerschulischen Jugendarbeit am Ort Schule planmäßig entwickelt und institutionell verankert wird, kann sie wichtige Beiträge zur Stärkung von demokratischen Prozessen an Schulen leisten, beispielsweise durch eine externe Unterstützung der SV-Arbeit oder die Förderung der sozialräumlichen Vernetzung von Schulen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Insbesondere die Ganztagsschule, in ihrer unterschiedlichen Ausprägung in Grund- und Sekundarstufen, bietet hervorragende Ansätze für die Etablierung von Angeboten der politischen Bildung durch Träger der Jugendarbeit in Kooperation mit Schulen.

Was ist nötig, um die Potentiale auszuschöpfen? – Handlungsempfehlungen
Langfristigste Kooperationen zwischen Schulen und Trägern der Jugendarbeit scheitern häufig an den kurzen Projektlaufzeiten außerschulischer politischer Bildung, deshalb brauchen Träger der Jugendarbeit eine Regelfinanzierung dieser Angebote. Daneben sollte eine dauerhafte und sinnvolle Verschränkung zwischen schulischem Curriculum und außerschulischen Angeboten angestrebt werden. Voraussetzung dafür ist, dass Träger der Jugendarbeit und Schulen konzeptionell gleichberechtigt arbeiten. Schule muss als demokratischer Raum ausgestaltet werden und Mitbestimmungsstrukturen für Schüler*innen müssen dabei institutionell verankert werden. Eine Demokratisierung der Schule gelingt umso besser, wenn die Angebote sozialraumbezogen, niedrigschwellig und diskriminierungssensibel gestaltet werden.

Für Angebote der politischen Bildung im Ganztagsangebot von Schulen brauchen Träger der Jugendarbeit eine dafür angemessene verlässliche regelhafte Finanzierung.

Arbeitsfeld Kulturelle Jugendbildung

Wie ist außerschulische politische Bildung im Arbeitsfeld verankert? Welche Formen/Arbeitsansätze gibt es bereits?
Die Angebote der Kulturellen Jugendbildung sind Handlungsangebote, zum Beispiel im aktiven Theater- oder Musikspielen, im Gesang, kreativen Gestalten oder im urbanen Lernen. In der Reflexion liegt die Chance, die Wechselwirkung von persönlichen Themen und gesellschaftlichen Gegebenheiten und politischen Situationen zu erkennen. Aus den Erkenntnissen heraus kann Handlungsfähigkeit entstehen. Ziel ist die Selbstermächtigung und das Erleben von Verschiedenheit durch das Prinzip des Perspektivwechsels, um den Mut für einen eigenen Identitätsentwurf zu entwickeln. Die niedrigschwellig angelegten Angebote ermöglichen Chancengleichheit beim Zugang und Erwerb Kultureller Bildung. Die kreativen Methoden wie Rollenspiel, Improvisationstheater, Fotografie, Malerei oder Film unterstützen auf besondere Weise die Anliegen der außerschulischen politischen Jugendbildung. Sie ermöglichen eine spielerische Auseinandersetzung mit den Themen und sprechen über die Kenntnisvermittlung hinaus die Gefühle an. Sie ermöglichen und fordern den Perspektivwechsel und stärken damit das positionale Denken (die Sicht von Anderen einnehmend), eine Voraussetzung für empathisches Verhalten. Entwickelt werden so das kritische Denken und die Fähigkeit zur Reflexion und zur Hinterfragung der eigenen Haltung.

Welche Potentiale für die bessere/umfangreichere Verankerung von außerschulischer politischer Bildung gibt es im Arbeitsfeld? Wo/wie könnte außerschulische politische Bildung verstärkt vorkommen?
Kulturelle Jugendbildung schafft Erfahrungs- und Experimentierräume für Selbstwahrnehmung und Weltaneignung. Sie kann mit dem Anknüpfen an sozialräumliche Lebenswelten und dem Aufgreifen gesellschaftlicher Fragen und aktueller Themen wie z.B. Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder Diversität sowie der Ausrichtung an den Stärken der jungen Menschen meinungs- und haltungsbildend wirken. Die Mitwirkungserfahrung in kreativen Prozessen kann Ausgangspunkt für Engagement und Mitbestimmungswillen sein.

Was ist nötig, um die Potentiale auszuschöpfen? – Handlungsempfehlungen
Kulturelle und politische Jugendbildung sind als Allgemeinbildung anzuerkennen und als gleichberechtigte Partner der formalen Bildung zu verankern. Sie sind strukturell so auszustatten, dass sie allen Kinder und Jugendlichen den Zugang ermöglichen können. Auf dieser Grundlage ist die Zusammenarbeit durch Kooperationen, Fachkräfteaustausch und –weiterbildung zu verbessern, bei gleichzeitigem Erhalt der je spezifischen Ziele und Ansätze der Arbeitsgebiete.

Der konsequente Einsatz von auf Beteiligung ausgerichteten Arbeitsmethoden und eine feste Verankerung von Reflexionsarbeit in den Angeboten und in der Fort- und Weiterbildung ermöglicht allen Akteur*innen eine Stärkung der Urteils- und Handlungsfähigkeit. Die Arbeit in multiprofessionellen temporären Teams muss auch die kulturelle Vielfalt widerspiegeln. Künstler*innen und Pädagog*innen sind zu ermutigen, ein hohes Maß an Mitbestimmung bis zur Selbstbestimmung bei der Ausgestaltung der Angebote zuzulassen und zu fördern. Geleitet von Wertschätzung z.B. der Diversität und der Mehrsprachigkeit ist an den Stärken der Kinder und Jugendlichen anzusetzen. Ein Beispiel dafür ist das Urbane Lernen mit der ästhetische Auseinandersetzung mit dem Lebensumfeld, der kreativen Aneignung und Mitbestimmung bei der Gestaltung.

Arbeitsfeld mobile Jugendsozialarbeit/Streetwork

Wie ist die außerschulische politische Bildung im Arbeitsfeld verankert? Welche Formen und Arbeitsansätze gibt es bereits?
Das Arbeitsfeld hat durch den aufsuchenden und freiwilligen Charakter besondere Herausforderungen und Potentiale für die Implementierung von außerschulischer politischer Jugendbildung. Grundlage für eine gelingende politische Bildungsarbeit in der mobilen Jugendsozialarbeit ist eine stabile Beziehung zu den Adressaten. Diese kann in Einzelgesprächen, in der Gruppenarbeit, in der Gemeinwesenarbeit, aber auch in der Projektarbeit aufgebaut werden. Streetworker*innen begeben sich in öffentliche Räume bzw. betreten die Räume der Jugendlichen und begreifen sich als Gäste in diesen Räumen. Um einen Beziehungsaufbau erfolgreich zu gestalten erfordert es ein hohes Maß an Sensibilität, Empathie und Geduld. Ist diese Beziehung aufgebaut, können Angebote der außerschulischen politischen Bildung unterbreitet werden. Diese setzen an den Alltagserfahrungen, Wünschen und Bedürfnissen der Zielgruppe an. Ansätze für politische Jugendbildung in der mobilen Jugendsozialarbeit ergeben sich oft situativ. Bei thematischen Fahrten, bei Sportevents und anderen Gruppenaktionen mit Begegnungscharakter entstehen weitere Anknüpfungspunkte. Parteilichkeit der Fachkräfte und die Unterstützung der Zielgruppe, ihre Interessen selbst zu vertreten, sind wesentliche Leitgedanken im Arbeitsfeld, die Ansätze für politische Bildung befördern.

Welche Potentiale für die bessere/umfangreichere Verankerung von außerschulischer politische Bildung gibt es im Arbeitsfeld? Wo/Wie könnte außerschulische politische Bildung verstärkt vorkommen?
Streetwork unterstützt Menschen bei der Überwindung von gesellschaftlichen Benachteiligungen. Durch Partizipation an politischen Prozessen kann außerschulische politische Bildung erlebbar gemacht werden (z.B. U-18 Wahl, Teilnahme an öffentlichen Diskussionsforen). Eine kritisch akzeptierende Haltung der Streetworker*innen bietet für junge Menschen eine Orientierung und hilft beim Neugier wecken für Themen der politischen Bildung. Mehrsprachigkeit und einfache Sprache, geringe finanzielle Hürden sowie ein Angebot, das an den Lebensrealitäten ansetzt, führen zu einer höheren Bereitschaft, sich mit diesen Themen freiwillig auseinander zu setzen. Die Schaffung von attraktiven Angeboten im digitalen Raum spielt für die Zielgruppe der mobilen Jugendsozialarbeit insbesondere bei der Kontaktanbahnung eine besonders wichtige Rolle, um Partizipation und Teilhabe zu ermöglichen.

Was ist nötig, um die Potentiale auszuschöpfen? – Handlungsempfehlungen
Außerschulische politische Jugendbildung in der mobilen Jugendsozialarbeit bedarf vor allem zusätzlicher personeller und finanzieller Ressourcen bei den Trägern der Angebote. Der situative Ansatz in der mobilen Jugendsozialarbeit erfordert dabei keine projektbezogenen, sondern eine langfristige regelstrukturelle Finanzierung. Gezielte Fort- und Weiterbildungsangebote sind wichtig, um politische Jugendbildung auch bei den Fachkräften der mobilen Jugendsozialarbeit als integralen Bestandteil ihres Tätigkeitsprofils zu verankern. Divers zusammengesetzte Fachteams senken unter anderem die Zugangsbarrieren für die Zielgruppe. Dem Ausbau digitaler Ansätze muss verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Arbeitsfeld Jugendberufshilfe

Wie ist außerschulische politische Bildung im Arbeitsfeld verankert? Welche Formen/Arbeitsansätze gibt es bereits?
Die Jugendberufshilfe ist ein Bereich der Jugendsozialarbeit und gliedert sich in Berlin auf in sozialpädagogisch begleitete Angebote der ambulanten Betreuung, Berufsorientierung, Berufsvorbereitung, Ausbildung und des „Ausbildungs“-Wohnens (§13.3 SGB VIII). Junge Menschen in der Jugendberufshilfe sind oft von individueller Herabsetzung und struktureller Ausgrenzung betroffen. Ihre Biographien sind geprägt von schwierigen ökonomischen und sozialen Verhältnissen. Oft gehen der spezifisch auf die Bedarfe dieser jungen Menschen zugeschnittenen Hilfeleistung verschiedene Stationen in Maßnahmen anderer Rechtskreise (SGB II/III) voraus. Fragen der Selbstpositionierung und der persönlichen Selbstbestimmung nehmen für die jungen Menschen eine besonders wichtige Rolle ein. Politische Bildung muss daher inhärenter Bestandteil in allen Angeboten der Jugendberufshilfe sein.

Die Jugendberufshilfe lässt sich grob in drei konzeptionelle Bereiche einteilen: Allgemeinbildung, berufliche und soziale Kompetenzen. Im Bereich der Allgemeinbildung findet politische Bildung in Form von Projektwochen, Exkursionen oder durch Diskussionen zu Themen wie Rassismus, Antisemitismus, Religion usw. statt. Im beruflichen Bereich kommt politische Bildung dann zum Tragen, wenn die spezifischen Berufstugenden, die Pflichten und Rechte als Arbeitnehmer*in oder bestimmte Arbeits- und Produktionsbedingungen behandelt werden. Im Bereich der sozialen Kompetenzen geht es immer auch um die Förderung gesellschaftlicher Teilhabe durch Reflexion von Themen wie Demokratie, Diversität, Gerechtigkeit und die Diskussion tagesaktueller Themen.

Welche Potentiale für die bessere/umfangreichere Verankerung von außerschulischer politischer Bildung gibt es im Arbeitsfeld?
Bei den Trägern bzw. in den Einrichtungen könnten durch ein geeignetes curriculares Angebot bestehende individuelle Angebote ergänzt werden. Zudem könnten in der Jugendberufshilfe (und hier auch im „Ausbildungs“-Wohnen) Partizipationsformate, wie z.B. eigene Selbstvertretungsgremien verankert und begleitet werden wie in anderen Bereichen der (stationären) Jugendhilfe. Auch die politische Bildung durch Förderung von eigenem ehrenamtlichem Engagement der jungen Menschen und die Möglichkeit zu internationalem Austausch ist im Arbeitsfeld bisher zu wenig verankert.

Was ist nötig, um die Potentiale auszuschöpfen? – Handlungsempfehlungen
Politische Bildung ist als eigener Auftrag in die Leistungsvereinbarungen aufzunehmen. Vorhandene Programme der Engagement-Förderung (wie z.B. das Programm „Berufene Helden“) sind mit Angeboten der Jugendberufshilfe stärker zu verzahnen. Programme des internationalen Austausches (wie Erasmus+ Berufsbildung oder das Europäische Solidaritätskorps ESK) sind für die besondere Zielgruppe zu öffnen und spezifisch zuzuschneiden.
Den jungen Menschen sind methodisch-didaktisch angepasste Workshopangebote anzubieten bzw. Zugang zu bestehenden Formaten zu ermöglichen.
Den Fachkräften ist ausreichend Zeit für die Themen der politischen Bildung zur Verfügung zu stellen. Themen der politischen Bildung sind in die Ausbildung zu integrieren. Außerdem sind spezifische (kostenfreie) Fortbildungen anzubieten.

Arbeitsfeld Jugendsozialarbeit an Schulen

Wie ist außerschulische politische Bildung im Arbeitsfeld verankert? Welche Formen/Arbeitsansätze gibt es bereits?
Jugendsozialarbeit an Schulen im Sinne des § 13 SGB VIII agiert vorrangig im außerunterrichtlichen Bereich am Standort Schule. Die Angebote richten sich vom Grundsatz an alle Schülerinnen und Schüler im Alter von 6 – 21 Jahren, schwerpunktmäßig aber an junge Menschen mit sozialpädagogischem Unterstützungsbedarf.

In Berlin haben die Träger der Jugendsozialarbeit an Schulen eine langfristige Perspektive am jeweiligen Schulstandort, was eine gute Basis darstellt über kurzzeitige pädagogische Interventionen im Einzelfall hinauszudenken. Da Schulen außerdem zunehmend ganztägige Aufenthaltsorte (Lebensorte) für junge Menschen sind, ergeben sich zahlreiche Anlässe und Gelegenheiten politisch wirkende Bildungsangebote verlässlich im Alltagshandeln zu verankern.

Es ist Selbstverständnis der Jugendhilfe in Netzwerken zu agieren, was die Chance beinhaltet, politische Bildungsthemen übergreifend zu befördern. Dies geschieht daher auch durch Ansprache der weiteren pädagogischen Akteure am Schulstandort (Ganztagsteams, Lehrkräfte u.a.) und durch die Einbindung von weiteren außerschulischen Partnern. Damit können übergreifende bildungspolitische Konzepte erarbeitet und umgesetzt werden.

In Grundschulen nimmt im Bereich politischer Jugendbildung soziales Lernen einen breiten Raum ein, wobei in partizipativ entwickelten und selbstbestimmt ausgestalteten Projekten und Workshops Themen wie Akzeptanz von Vielfalt, Gerechtigkeit, Gewaltprävention, Deeskalationstraining usw. zentral sind. In der Sekundarstufe findet in unterschiedlichen Settings eine kritische Auseinandersetzung zum Beispiel mit dem System Schule, zu Grenzen der Einflussnahme, zu Digitalen Welten, FakeNews, DeepNews oder zu demokratiegefährdenden Angeboten statt. Hier übernimmt die Jugendsozialarbeit oft die Rolle als „Initiator und Motivator“, um Eigeninitiative zu fördern und zur Mitgestaltung der persönlichen und schulischen Lebenswelt anzuregen.

Welche Potentiale für die bessere/umfangreichere Verankerung von außerschulischer politischer Bildung gibt es im Arbeitsfeld?
Politische Jugendbildung in der Jugendsozialarbeit an Schulen kann umso stärker wirken, je besser sie konzeptionell von Schulen und den Trägern der Jugendsozialarbeit gemeinsam in die Kooperation eingebettet ist. Dafür ist es notwendig, dass beide Kooperationspartner politische Bildung als integralen Bestandteil von Jugendsozialarbeit an Schulen verstehen. Konzeptionell muss politische Bildung gerade bei jungen Menschen, die Benachteiligung oder Diskriminierung erfahren, an Alltagerfahrungen ansetzen. Sowohl konzeptionell als auch methodisch-didaktisch besteht ein Bedarf nach Arbeitsansätzen, die lebensweltliche Orientierung, soziales Lernen und Empowerment bzw. Teilhabe verbinden. Gerade am Ort Schule kann Jugendsozialarbeit aufgrund der guten Kontakte zu benachteiligten jungen Menschen Angebote der politischen Jugendbildung unterbreiten.

Was ist nötig, um die Potentiale auszuschöpfen? – Handlungsempfehlungen
In der Jugendsozialarbeit an Schule muss politische Jugendbildung als verbindliche Zielstellung benannt und verpflichtend in den Konzepten verankert werden. Dazu gehört auch eine Festschreibung in der Förderrichtlinie des Landesprogramms und in bezirklichen Konzepten. Sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Fachkräften brauchen für Angebote der politischen Jugendbildung Zeitressourcen und Sachmittel.

In der Kooperation von Trägern der Jugendsozialarbeit mit Schule muss politische Jugendbildung als gemeinsamer Bildungs- und Verantwortungsbereich erkannt und auf allen Kooperationsebenen (Land, Bezirke, Praxis) wahrgenommen werden. Eine Übersicht über vorhandene Programme und Ansprechpartner könnte eine hilfreiche Grundlage sein, um ggf. projektbezogen auf externe Expertise zurückgreifen zu können.

Zu prüfen wäre, ob und inwieweit mit Blick auf die besonderen Belange junger Menschen mit besonderen Bedarfen vorhandene Materialien der politische Bildung attraktiv sind. Ggf. müssen neue methodisch-didaktische Materialien durch Träger und Weiterbildungsinstitutionen in der Jugendhilfe entwickelt werden. Fortbildungsangebote, bspw. durch das Sozialpädagogische Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB), müssen verstärkt werden.

Arbeitsfeld Kindertagesbetreuung

Wie ist außerschulische politische Bildung im Arbeitsfeld verankert? Welche Formen/Arbeitsansätze gibt es bereits?
Außerschulische politische Bildung beginnt bereits in der Kindertageseinrichtung. Kinder erlernen demokratisches Verhalten, wie das Entwickeln von Kompromissen oder das Anerkennen anderer Meinungen, vor allem dann, wenn ihnen ein hohes Maß an Mitbestimmung und Selbstregulierung zugetraut und zugestanden wird.

In der Kita muss viel entschieden werden: Wohin geht der nächste Ausflug? Wie wird der Raum gestaltet? Was wird gekocht? Welches Spielzeug wird gekauft? Wer wird die neue Erzieher*in? Partizipation stellt die Frage nach den Selbst- und Mitbestimmungsrechten der Kinder im Alltag der Kindertageseinrichtung. Die Verteilung von Entscheidungsbefugnissen und damit die Frage nach der Machtverteilung zwischen Erwachsenen und Kindern steht dabei im Vordergrund.

Die außerschulische politische Bildung ist in den Kindertagesstätten von Berlin zum einen über das Berliner Bildungsprogramm in den Einrichtungen verankert und zum anderen durch die Haltung und den konzeptionellen Ansatz der Kita-Träger. Dabei spielen rassismuskritische Ansätze sowie eine geschlechterdifferenzierende Pädagogik mit den Vielfaltsdimensionen der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung im Kontext von Inklusionspädagogik in der Arbeit mit den Kindern wie mit den Eltern eine entscheidende Rolle.

Welche Potentiale für die bessere/umfangreichere Verankerung von außerpolitischer Bildung gibt es im Arbeitsfeld? Wo/wie könnte außerschulische politische Bildung verstärkt werden?
Eine wichtige Grundlage für eine dauerhafte Implementierung politischer Bildung in der Kindertagesbetreuung ist die Verankerung des Kinderrechts auf Partizipation im Grundgesetz.

Für eine bessere und umfangreichere Verankerung von außerschulischer politischer Bildung in Kindertagesstätten wäre zudem dieser Aspekt in Ausbildungsgängen für Erzieher*innen zu stärken.
Eine weitere Ressource stellt die Zusammenarbeit mit Eltern dar. Neben der demokratischen Teilhabe der Kinder in der Kindertagesbetreuung ist die der Eltern auszubauen.

Ebenso wichtig ist es, dass die Kinder im Übergang von der Kita zur Schule auf ähnliche demokratische Strukturen treffen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Kinder hier widersprüchliche Erfahrungen machen und der Lernprozess konterkariert wird.

Was ist nötig, um die Potentiale auszuschöpfen? – Handlungsempfehlungen
Das Land Berlin sollte sich weiterhin für eine Verankerung des Kinderrechts auf Partizipation im Grundgesetz, im SGB VIII und im Berliner Kindertagesförderungsgesetz einsetzen.

Die Mitbestimmungsrechte als Teil politischer Bildung müssen in der Kita unter fachlicher Begleitung diskutiert werden und in einen Prozess der Institutionalisierung münden, der die Erstellung eines verbindlichen Rahmens zur Folge hat (z.B. in Form einer Kitaverfassung).

Curricula an den öffentlichen wie privaten Erzieher*innen-Fachschulen müssen dahingehend überarbeitet werden, dass politische Bildung zentraler Bestandteil der Ausbildung wird. Die Berliner Kitas brauchen in erster Linie geeignetes, qualifiziertes und ausreichendes Personal sowie weitere finanziellen Ausstattungen. Dazu werden auch regelmäßige Fort- und Weiterbildungsangebote für die pädagogischen Fachkräfte zu diesem Thema benötigt.

Eine auch auf Aspekte der politischen Bildung hin orientierte Zusammenarbeit mit den Eltern ist ein wichtiger Faktor bei der Förderung von demokratischem Lernen und Teilhabe bei Kindern. Dieser Aspekt benötigt zeitliche und personelle Ressourcen für die Vor- und Nachbereitung sowie die inhaltliche Ausgestaltung. Dies muss konzeptionell und bei der Finanzierung der Kitas stärker Berücksichtigung finden.

Arbeitsfeld Familienförderung

Wie ist außerschulische politische Bildung im Arbeitsfeld verankert? Welche Formen/Arbeitsansätze gibt es bereits?
Familien stellen bei der Herausbildung politischer Orientierungen junger Menschen einen zentralen sozialen Raum dar. Grundlegende politische Haltungen und Orientierungen werden in Familien gelebt und haben Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Kinder und Jugendliche erfahren in der Familie politische Einstellungen und Artikulationen Erwachsener und haben unterschiedliche Partizipations- und Mitgestaltungsmöglichkeiten.

Familienförderung als Arbeitsfeld der Jugendhilfe hat auch die Aufgabe, eine demokratische politische Sozialisation von Kindern und Jugendlichen in der Familie zu fördern. Sie richtet sich dabei vor allem an Eltern mit dem Ziel, diese bei der Erziehung ihrer Kinder zur politischen Mündigkeit zu unterstützen. Angebote der Familienbildung und -beratung tragen die Verantwortung auch politische Jugendbildung als ihre Aufgabe wahrzunehmen. Politische Bildung im Rahmen der Familienförderung greift nicht in die Autonomie und Privatheit der Familie zum Schutz von Kindern und Jugendlichen ein, sondern unterstützt Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung.

Hinzu kommt die Unterstützung von Familien in Situationen, in denen diese mit antidemokratischen Orientierungen von Familienmitgliedern konfrontiert sind.

Welche Potentiale für die bessere/umfangreichere Verankerung von außerpolitischer Bildung gibt es im Arbeitsfeld? Wo/wie könnte außerschulische politische Bildung verstärkt werden?
Der Aspekt der außerschulischen politischen Bildung ist in der Familienförderung bisher nur sehr punktuell verankert. Familienzentren, Familienbildungsstätten, sozialraumbezogene Gruppenangebote aber auch mediale Bildungsangebote sind Orte, an denen politische Bildung als Aufgabe der Familienförderung angeboten werden kann. Dabei müssen Angebote an konkreten und alltagsnahen Begegnungen ansetzen. Politische Bildung im Rahmen der Familienförderung geht dabei über konkrete Erziehungsfragen hinaus und stellt Bezüge zum gesellschaftlichen und politischen Raum her.

Was ist nötig, um die Potentiale auszuschöpfen? – Handlungsempfehlungen
Familienzentren, Familienbildungsstätten, sozialraumbezogene Angebote für Familien und mediale Bildungsangebote müssen so konzipiert und ausgestattet sein, dass sie politische Bildung als Teil der Familienförderung verstehen und anbieten können. Dies erfordert bei Fachkräften, Trägern und Zuwendungsgebern ein Bewusstsein für die Notwendigkeit politischer Bildung im Rahmen der Familienförderung. Der Aspekt der politischen Bildung muss dabei zum einen „im Regelbetrieb“ verankert werden, zum anderen sollten aber auch spezifische Angebote für Eltern und Familien konzipiert und vorgehalten werden. Leistungsbeschreibungen, Förderrichtlinien und Ausschreibungen im Rahmen der Familienförderung müssen dementsprechend Kosten für Angebote der politischen Bildung berücksichtigen. Das Familienfördergesetz biete dafür gute Anknüpfungspunkte.

Beratungsangebote für Familien, die mit antidemokratischen Orientierungen von Familienmitgliedern konfrontiert sind und Unterstützung bei der Auseinandersetzung damit suchen, sind bedarfsgerecht vorzuhalten.

Arbeitsfeld Hilfen zur Erziehung

Wie ist außerschulische politische Bildung im Arbeitsfeld verankert? Welche Formen/Arbeitsansätze gibt es bereits?
Die Leistungen der Hilfen zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB VIII) zielen darauf ab, die Personensorgeberechtigten bei der Erziehung ihres Kindes/Jugendlichen zu unterstützen, wenn eine dem Wohl des jungen Menschen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Ein Auftrag zur außerschulischen politischen Bildung lässt sich ableiten, wenn man dabei das grundsätzliche Recht der jungen Menschen auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (§ 1 Abs.1 + 3 Nr. 1 SGB VIII) im Blick hat. Die Leistungen der individuellen Hilfen folgen in erster Linie den im Hilfeplan festgelegten Zielen. In der Regel lässt sich die politische Bildung dort nicht finden. Mit der Intensität der gewährten Hilfe gewinnt die politische Bildung aber in der ganzheitlichen Betrachtung von Erziehung – insbesondere in der stationären Betreuung über Tag und Nacht – an Bedeutung.

Generell ist außerschulische politische Jugendbildung in den Hilfen zur Erziehung wenig konzeptionell verankert. Wenn, dann werden Querschnittsthemen beschrieben, die der Persönlichkeitsentwicklung dienen, beispielsweise Diversity, Sexualpädagogik, Gerechtigkeit oder Medienkompetenz. Diese werden häufig im Zusammenhang mit Alltagssituationen bearbeitet. Aktuelles politisches Geschehen oder Feier- und Gedenktage werden ebenfalls regelmäßig aufgegriffen. Teilweise werden auch Gedenkstätten und Museen im Rahmen von Gruppenaktivitäten aufgesucht, um die Auseinandersetzung mit ausgewählten Themen zu fördern.
Ein bedeutendes Thema stellt die Beteiligung von jungen Menschen und ihren Familien dar, die im SGB VIII verankert ist (§§ 5 und 8 SGB VIII) und durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) noch eine Stärkung erfahren hat (Information, Befragung, Möglichkeiten der Selbstvertretung, Beschwerdewesen, Ombudstelle Jugendhilfe).

Welche Potentiale für die bessere/umfangreichere Verankerung von außerschulischer politischer Bildung gibt es im Arbeitsfeld?
Geeignete Themen für Angebote der außerschulischen politischen Jugendbildung finden sich insbesondere in den Wohnformen und in Auseinandersetzung bzw. Abgrenzung zu den Erwachsenen (Eltern, Fachkräfte, Lehrer*innen, …) und den Mitbewohner*innen. Der allgemeine (politische) Bildungsauftrag sollte bei den Fachkräften mehr ins Bewusstsein rücken, um die Themen gezielter aufzugreifen. Die Bewältigung der Alltagsaufgaben und die Organisation der Tagesabläufe nehmen jedoch in der Regel einen Großteil der Kapazitäten in Anspruch.
Die langjährigen Erfahrungen in den Hilfen zur Erziehung mit der Beteiligung junger Menschen und ihrer Familien sind eine gute Grundlage, um die Selbstvertretung noch besser auszubauen. Ziel von Ansätzen der politischen Jugendbildung sollte es sein, Beteiligung hin zu Mitwirkung weiter zu entwickeln.
Um die außerschulische politische Bildung auch in Trägerverträgen (Leistungsbeschreibung) und Hilfeplänen zu verankern, muss das Thema auch bei den Fachkräften des Regionalen Sozialpädagogischen Diensts im Jugendamt (RSD) ins Bewusstsein rücken.

Was ist nötig, um die Potentiale auszuschöpfen? – Handlungsempfehlungen
In Studium und Ausbildung der Fachkräfte müssen die Auseinandersetzung mit dem Auftrag zur außerschulischen politischen Jugendbildung sowie die Methodenkompetenz und -vielfalt stärker verankert werden. Darüber hinaus sind gemeinsame Fortbildungsangebote für Fachkräfte des RSD und der Leistungserbringer eine wichtige Voraussetzung, um politische Jugendbildung in den Hilfen zur Erziehung zu stärken. Außerschulische politische Jugendbildung muss zukünftig Berücksichtigung in den Trägerverträgen finden, um Personalressourcen für das Thema als Querschnittsaufgabe (gilt generell für Querschnittsaufgaben, die in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen haben) zur Verfügung stellen zu können. Ergänzend kann eine gezielte Förderung von Einzelmaßnahmen, bspw. im Rahmen eines Landesförderprogramm, wirken. Die im KJSG verankerte Förderung der Organisation der Selbstvertretung von jungen Menschen in den Hilfen zur Erziehung bietet einen wichtigen Anknüpfungspunkt für Angebote der außerschulischen politischen Jugendbildung in den Hilfen zur Erziehung, der bei der konzeptionellen Ausgestaltung berücksichtigt werden muss.

4. Arbeitsfeldübergreifende Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen

Neben den spezifischen Schlussfolgerungen und Empfehlungen, wie in den einzelnen Arbeitsfeldern der Jugendhilfe außerschulische politische Jugendbildung gestärkt werden kann, werden im Folgenden strukturelle und arbeitsfeldübergreifende Handlungsanforderungen vorgestellt:

1) Außerschulische politische Jugendbildung muss als wichtiger Bestandteil in allen Arbeitsfeldern der Jugendhilfe anerkannt und verankert werden. Dies betrifft das Selbstverständnis der Fachkräfte, das Verständnis der Träger von Jugendhilfeangeboten und das Verständnis des öffentlichen Trägers als Zuwendungsgeber.
Das SGB VIII beschreibt als Aufgabe der Jugendhilfe die Förderung der Entwicklung junger Menschen zu selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten. Dieses Ziel kann die Jugendhilfe nur erreichen, wenn sie politische Bildung als unverzichtbaren Bestandteil ihrer Arbeit anerkennt. Dieses Verständnis müssen Fachkräfte, Träger und Zuwendungsgeber teilen, um die Angebote der Jugendhilfe entsprechend gestalten zu können. Eine konsequente Umsetzung des im SGB VIII formulierten Anspruchs an die Jugendhilfe erfordert das Zusammenwirken aller Beteiligten.

2) Außerschulische politische Jugendbildung bedarf einer stabilen Förderung durch Bezirke und Land. Bei der Finanzierung und Förderung von Angeboten der Jugendhilfe muss politische Jugendbildung als integraler Bestandteil der Jugendhilfe berücksichtigt werden.
Angebote der Jugendhilfe können ihr Ziel nur erreichen, wenn politische Jugendbildung als integraler Bestandteil der Jugendhilfeangebote berücksichtigt wird. Für den Bereich der Jugendarbeit wird dies durch das AG KJHG geregelt, für andere Arbeitsfelder der Jugendhilfe fehlt bisher eine solche Verbindlichkeit. Leistungsbeschreibungen, Förderrichtlinien und Ausschreibungen im Rahmen der Jugendhilfe müssen dementsprechend Kosten für Angebote der politischen Bildung berücksichtigen. Politische Bildung muss Teil der Regelfinanzierung von Jugendhilfeangeboten sein. Die vorherrschende vorrangige Finanzierung von Angeboten der politischen Bildung im Rahmen der Jugendhilfe über zusätzlich Projektfinanzierungen widerspricht dem Grundverständnis von Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII. Dies schließt eine modellhafte Erprobung neuer Arbeitsansätze in spezifischen Projekten nicht aus, allerdings müssen Erfahrungen aus erfolgreichen Modellprojekten dann auch in die Regelfinanzierung integriert werden.

3) Die Zuständigkeit für außerschulische politische Jugendbildung muss auf Bezirks- wie auf Landesebene im Jugendamt bzw. in der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung verankert sein.
Politische Bildung kann nur als Teil der Jugendhilfe gestärkt werden, wenn die fachliche Zuständigkeit für außerschulische politische Bildung im bezirklichen Jugendamt bzw. in der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung liegt. Eine Anbindung der Zuständigkeit für außerschulische politische Bildung an andere Ressorts verhindert die enge Einbindung in die Jugendhilfe. Die Zuständigkeit für außerschulische politische Jugendbildung unterscheidet sich von Zuständigkeiten für Antidiskriminierung oder für die Prävention von Rechtsextremismus, Gewalt, Rassismus und Antisemitismus. Außerschulische politische Jugendbildung ist eigenständig und braucht eine eigene fachliche Zuständigkeit in den für Jugend zuständigen Verwaltungen.
Neue Akteure der politischen Jugendbildung müssen in die Jugendhilfe einbezogen und in die Regelstrukturen integriert und bei Vorliegen der Voraussetzungen entsprechend gefördert werden.

4) Eine klare personelle Verantwortlichkeit in den bezirklichen Jugendämtern und in der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung ist erforderlich.
Eine Verantwortung für außerschulische politische Jugendbildung in den für Jugend zuständigen Verwaltungen muss personell und mit sachlichen Ressourcen untersetzt sein. In jedem bezirklichen Jugendamt muss eine volle Personalstelle, in der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung müssen zwei volle Personalstellen für den Aufgabenbereich der außerschulischen politischen Jugendbildung und deren Stärkung in der Jugendhilfe eingerichtet werden. Diese Personalstellen wirken handlungsfeldübergreifend im Bereich der Jugendhilfe und sind konzeptionell und vernetzend tätig.

5) Außerschulische politische Jugendbildung muss in allen Angebotsformen der Jugendarbeit, wie sie im Ausführungsgesetz zum SGB VIII Berlin beschreiben werden, berücksichtigt werden.
Außerschulische politische Jugendbildung hat in der Jugendarbeit einen Schwerpunkt. Die im AG KJHG Berlin § 6c Abs. 1 beschriebenen Angebotsformen der Jugendarbeit (standortgebundene offene Jugendarbeit, standortungebundene offene Jugendarbeit, Erholungsfahrten und –reisen und internationale Begegnungen, Unterstützung der Beteiligung von jungen Menschen, gruppenbezogene, curricular geprägte Jugendarbeit) müssen in den Arbeitsfeldern Offene Kinder- und Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit, kulturelle Jugendbildung, Jugendbildungsstätten und Jugendarbeit an Schule konsequent mit dem Fokus auf außerschulische politische Jugendbildung umgesetzt werden. Politische Jugendbildung beschränkt sich nicht auf Projekte und besondere Vorhaben in der Jugendarbeit sondern muss als grundlegender Bestandteil der Jugendarbeit konzeptionell und finanziell berücksichtigt werden.

6) In den bezirklichen Jugendförderplänen und dem Landesjugendförderplan muss außerschulische politische Jugendbildung als wichtiger Bestandteil von Offener Kinder- und Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit, kultureller Jugendbildung, Jugendbildungsstätten und Jugendarbeit an Schule explizit ausgewiesen werden.
Die nach AG KJHG verbindlich zu erstellenden Jugendförderpläne auf Bezirks- und Landesebene müssen Angebote der außerschulischen politischen Jugendbildung explizit berücksichtigen. Sowohl bei der Formulierung von Schwerpunkten und Zielen der Jugendarbeit als auch bei der Erfassung vorhandener Angebote und der Planung der Angebote muss außerschulische politische Jugendbildung als verbindlicher Bestandteil von Jugendarbeit berücksichtigt werden. Entsprechende konzeptionelle Schwerpunkte und deren Umsetzung müssen explizit ausgewiesen werden.

7) Außerschulische politische Jugendbildung muss in der Ausbildung wie in der Fort- und Weiterbildung von Fachkräften der Jugendhilfe integraler Bestandteil sein.
Außerschulische politische Jugendbildung spielt in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fachkräften der Jugendhilfe nicht die Rolle, die sie bei einer an den Vorgaben des SGB VIII orientierten Jugendhilfe haben müsste. Einschlägige Studiengänge an den Hochschulen des Landes Berlin sowie Ausbildungen an den Fachschulen berücksichtigen außerschulische politische Jugendbildung als Aufgabe der Jugendhilfe praktisch nicht. Durch fachliche Schwerpunktbildungen bei Studiengängen und Ausbildungen sowie die Einrichtung eines Lehrstuhls „Soziale Arbeit und politische Bildung“ an einer Berliner Hochschule muss dieser Entwicklung Einhalt geboten werden. Die Einrichtung eines dualen Studiengangs „Politische Bildung in der Jugendhilfe“ könnte ebenfalls eine entsprechend fachlich orientierte Ausbildung stärken. Ebenso ist ein universitärer Studiengang „Außerschulische politische Bildung“ an einer Berliner Universität einzurichten. Das Sozialpädagogische Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB) muss durch eine stärkere Fokussierung auf außerschulische politische Bildung und die Einrichtung einer entsprechenden Referent*innenstelle Fachkräfte in diesem Themenbereich qualifizieren.

8) Die Pluralität von Trägern und Akteuren ist konstituierend für außerschulische politische Jugendbildung wie für die Jugendhilfe und muss anerkannt und gefördert werden. Politische Bildung ist den Grundwerten von Demokratie und Menschenrechten verpflichtet. Außerschulische politische Jugendbildung darf daher nicht durch ein falsches Verständnis von „Neutralität“ im politischen Raum behindert werden.
Ziel politischer Bildung ist politische Mündigkeit. Politische Mündigkeit reicht von der Fähigkeit, selbstbestimmt innerhalb des bestehenden gesellschaftspolitischen Rahmens agieren zu können bis hin zur kritischen Infragestellung dieses Rahmens und der Suche nach alternativen Entwicklungsmöglichkeiten. Dabei basiert politische Bildung auf den Grundsätzen von Demokratie und Menschenrechten. Sie ist also nicht wertneutral, sondern hat eine klare Wertebasis. Politische Bildung ist nicht bloßer Wissenserwerb, sie beinhaltet Handlungsfähigkeit, Urteilsfähigkeit, Wissen über Zusammenhänge und Erwerb von politischer Kommunikationskompetenz als Bildungsziele. Politische Bildung steht daher in einem engen Zusammenhang mit Engagement und Beteiligung. Politische Bildung in diesem Sinne ist kein Selbstzweck, sondern unverzichtbarer Teil des demokratischen Gemeinwesens. Dies drückt sich auch in einer Trägervielfalt aus, die im SGB VIII gesetzlich verankert ist.

9) Vereine junger Menschen mit Migrationsbiografien (VJM) und Zusammenschlüsse von People of Color müssen konsequenter als Akteure in der außerschulischen politischen Jugendbildung wahrgenommen, einbezogen und gefördert werden.
Außerschulische politische Jugendbildung verändert sich unter postmigrantischer Perspektive in ihren Zielen, Ansätzen, Zugängen und Themen. Dies gilt angesichts der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse generell, aber vor allem, wenn sie von Vereinen junger Menschen mit Migrationsbiografien (VJM) und/oder Zusammenschlüssen von People of Color umgesetzt wird. Die damit einhergehenden Potentiale für die außerschulische politische Bildung müssen im Sinne der Stärkung einer pluralen Gesellschaft genutzt werden. VJM und Zusammenschlüsse von People of Color bringen wichtige Themen und Inhalte in die außerschulische politische Bildung ein. Sie müssen als Akteure in der außerschulischen politischen Jugendbildung im Rahmen der Jugendhilfe stärker wahrgenommen und konsequenter einbezogen, gestärkt und gefördert werden.

10) Digitale Ansätze im Bereich der außerschulischen politischen Bildung müssen (weiter)entwickelt und ausgebaut werden.
Außerschulische politische Jugendbildung ist mit einer immer weiter zurückgehenden Unterscheidung zwischen online und offline, Realität und Virtualität bzw. Umwelt und Vernetzung gerade bei jungen Menschen konfrontiert und muss darauf konzeptionell reagieren. Angebote der außerschulischen politischen Jugendbildung müssen in den sozialen Räumen vorgehalten werden, in denen junge Menschen sich aufhalten – dazu gehört auch der soziale Raum digitaler Medien. So wie Jugendhilfe generell auch im digitalen Raum verortet sein muss, müssen auch ihre Angebote der politischen Bildung im digitalen Raum junge Menschen erreichen. Erforderlich sind sowohl digitale Angebote, die von dezentralen „realen Orten“ der Jugendhilfe ausgehen als auch zentrale landesweite Angebote. Die Verankerung von außerschulischer politischer Jugendbildung im digitalen Raum muss konzeptionell entwickelt, mit Ressourcen ausgestattet und bei der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fachkräften der Jugendhilfe berücksichtigt werden.

11) Zur Sicherung der Qualitätsentwicklung wird ein „Berliner Netzwerk außerschulische politische Jugendbildung“ als Akteursnetzwerk gegründet.
Angesichts der gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen ist die außerschulische politische Jugendbildung aufgefordert, sich regelmäßig ihrer grundlegenden Ziele und Konzepte zu versichern. Zugleich ist die kontinuierliche Weiterentwicklung zu diversitätssensiblen, diskriminierungskritischen und inklusiven Strukturen, Haltungen und Praxen durch einen gemeinsamen Qualitätsdialog zu verankern. Eine solche Qualitätsentwicklung kann im Rahmen eines „Berliner Netzwerk außerschulische politische Jugendbildung“ erfolgen. Das Netzwerk sollte durch die Träger außerschulischer politischer Jugendbildung getragen und durch die für Jugend zuständige Senatsverwaltung begleitet werden. Entsprechende Ressourcen müssen zur Verfügung gestellt werden.

(Anmerkung der Redaktion: Der Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses zu diesem Thema ist unter diesem Link abrufbar.)

  • Abschlussbericht der Landesarbeitsgemeinschaft „Außerschulische politische Jugendbildung in der Jugendhilfe“ vom 16. Februar 2022

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