Interview mit Patrick Teuffel

Betonwände eines Neubaus werden mit Hilfe von Kränen hochgezogen

Prof. Patrick Teuffel ist gelernter Bauingenieur und Experte für zirkuläre Tragwerksplanung an der Schnittstelle zwischen Baupraxis und Forschung. Zudem ist er Gründer von CIRCULAR STRUCTURAL DESIGN, Industriepartner des von der EU geförderten Forschungsprojekts ReCreate, Geschäftsführer von TEUFFEL ENGINEERING CONSULTANTS in Berlin sowie Professor für Innovation und Nachhaltigkeitsstrategien an der Berlin School of Technology und der Berlin University of Applied Sciences.

Portrait Patrick Teuffel

Können Sie uns etwas zum Forschungsprojekt ReCreate erzählen? Worum genau geht es da?

ReCreate ist ein EU-weites Forschungsprojekt, das sich mit der Wiederverwendung von Betonfertigteilen aus dem Gebäuderückbau beschäftigt – also mit dem sogenannten „Urban Mining“. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf einzelnen Aspekten wie dem Rückbau oder der Statik, sondern auf der gesamten Wertschöpfungskette: Vom selektiven Rückbau über Logistik und Qualitätssicherung, den Entwurfs- und Planungsprozess, bis hin zu Ökobilanzierung, Stakeholder-Akzeptanz und der Entwicklung tragfähiger Geschäftsmodelle.

Besonders wichtig ist uns, dass wir nicht in der Theorie bleiben. In vier der fünf teilnehmenden Länder – Deutschland, Schweden, Finnland und den Niederlanden – wird ein konkretes Bauwerk rückgebaut und mit den gewonnenen Betonfertigteilen neu konfiguriert und realisiert. Damit testen wir unter realen Bedingungen, wie Wiederverwendung tatsächlich funktionieren kann – technisch, planerisch, rechtlich und wirtschaftlich.

Ein zentrales Arbeitspaket leiten wir als Industriepartner mit CIRCULAR STRUCTURAL DESIGN. Hier geht es darum, neue Entwurfsstrategien für das Planen mit gebrauchten Bauteilen zu entwickeln – also: Wie lässt sich mit vorhandenen Elementen kreativ, sicher und ästhetisch anspruchsvoll gestalten? Diese gestalterische Perspektive ist entscheidend, wenn Re-Use im Bauwesen aus der Nische herauskommen soll.

Was sind die Herausforderungen bei der Wiederverwendung von Betonfertigteilen?

Im Unterschied zum Bauen im Bestand, wo ein ganzes Gebäude erhalten, saniert oder umgebaut wird, konzentriert sich die Wiederverwendung von Betonfertigteilen auf das gezielte Herauslösen einzelner Bauteile im Falle eines Rückbaus – mit dem Ziel, diese in völlig neuen Gebäuden weiterzuverwenden. Das ist ein Paradigmenwechsel, denn unser heutiges Bauwesen – auch der Bestandserhalt – ist kaum auf zirkuläre Materialflüsse vorbereitet.

Technisch geht es zunächst um den selektiven Rückbau: Die Elemente müssen so ausgebaut werden, dass ihre Qualität erhalten bleibt. Das kann aufwändig sein – vor allem, wenn keine originalen Pläne mehr vorhanden sind. Die logistischen Herausforderungen sind ebenfalls nicht zu unterschätzen: Betonfertigteile sind groß, schwer und in der Regel objektspezifisch gefertigt. Das heißt, sie müssen individuell dokumentiert, transportiert und gelagert werden.

Auch die Qualitätssicherung ist zentral: Wie lässt sich die Tragfähigkeit eines gebrauchten Bauteils zuverlässig bewerten und nachweisen? Hier braucht es angepasste Prüfverfahren, Normen und Vertrauen auf Seiten der Planerinnen und Genehmigungsbehörden.

Auf gestalterischer Ebene verändert sich der Entwurfsprozess grundlegend: Planende müssen den Entwurf an das verfügbare Material anpassen – nicht umgekehrt. Das ist eine Herausforderung, eröffnet aber auch kreative Freiräume, gerade wenn digitale Werkzeuge, parametrische Methoden oder KI-Unterstützung zum Einsatz kommen.

Und nicht zuletzt muss Wiederverwendung wirtschaftlich tragfähig sein. Hier sehen wir durchaus positive Signale: Wenn Rückbau, Planung und Wiederverwendung frühzeitig integriert werden, können Re-Use-Projekte kosteneffizient und konkurrenzfähig sein – gerade im Vergleich zu Neubauten mit hohem CO₂-Fußabdruck.

Sie haben auch Projekte im Ausland, u.a. in den Niederlanden. Würden Sie sagen, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Baubranche schon angekommen ist? Wenn nicht, woran fehlt es und in welcher Hinsicht können wir von anderen Ländern lernen?

Nachhaltigkeit ist zweifellos ein zentrales Thema in der Baubranche – sowohl in Deutschland als auch international. Der Unterschied liegt allerdings in der Umsetzungsdynamik. In Ländern wie den Niederlanden oder Dänemark sehen wir, dass zirkuläre und CO₂-bewusste Bauweisen nicht nur diskutiert, sondern zunehmend auch in politische Vorgaben und Planungsinstrumente übersetzt werden.

In Dänemark beispielsweise ist mittlerweile ein CO₂-Grenzwert für Neubauten verpflichtend. In den Niederlanden existieren mit dem sogenannten MPG-System (Milieuprestatie Gebouwen) bereits methodische Ansätze, um den Ressourcen- und Klimafußabdruck von Gebäuden zu erfassen und in eine monetäre Umweltwirkung umzurechnen – also eine Art ökologischer Preis, der vergleichbar macht. Das ist international noch nicht flächendeckend weit verbreitet, aber es zeigt: Man schafft Orientierung und ein regulatorisches Umfeld, das Innovation begünstigt.

Durch meine akademische Arbeit bin ich auch in verschiedenen Ländern aktiv und sehe aus erster Hand, wie solche Rahmenbedingungen konkret wirken. Ein gutes Beispiel ist das EU-Interreg-Projekt Smart Circular Bridge, das wir gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Industrie initiiert haben und mehrere Fußgängerbrücken aus hanf- bzw. flachsfaserverstärkten Biowerkstoffen realisieren konnten. Nach der Pilotbrücke in den Niederlanden konnte Anfang 2025 auch in Ulm eine biobasierte, smarte Circular Bridge realisiert werden. Diese Projekte zeigen: Mit den richtigen Partnern und etwas Gestaltungsspielraum lassen sich auch in Deutschland zukunftsweisende Lösungen umsetzen.

Letztlich hängt viel davon ab, ob es gelingt, ambitionierte Ziele mit praktischen Handlungsmöglichkeiten zu verbinden – und ob Menschen in Verwaltung, Planung und Bau bereit sind, Verantwortung für neue Wege zu übernehmen. In dieser Hinsicht können wir von der Offenheit und dem Experimentiermut einiger Nachbarländer durchaus etwas mitnehmen.

Wir blicken mit unseren Interviewpartner*innen immer gern auch auf administrative und regulatorische Hürden, die zirkuläres Wirtschaften erschweren. Welche konkrete Vorschrift sollte angepasst, hinzugefügt oder gestrichen werden, um Re-Use (z.B. von Betonfertigteilen) im Gebäudebereich zu stärken? Ganz besonders interessiert uns, wo das Land Berlin eigene, direkte Gestaltungsmöglichkeiten hätte.

Ein zentrales Hindernis ist, dass unser aktuelles Bauordnungs- und Zulassungswesen fast ausschließlich auf Neuprodukte ausgerichtet ist. Für wiederverwendete Bauteile – insbesondere tragende – fehlt eine eigenständige rechtliche Kategorie. Das führt dazu, dass jedes Re-Use-Element als „Einzelfall“ behandelt wird, mit hohem Aufwand und Unsicherheit für Planende und Prüfingenieurinnen.

Was es braucht, ist eine anerkannte Prüfsystematik oder Produktklasse für gebrauchte Bauteile, die Sicherheit mit Praxistauglichkeit verbindet. Das muss nicht gleich ein vollwertiger CE-Prozess sein – aber es braucht klare Kriterien und Verfahren, damit solche Bauteile unkompliziert in Standardbauvorhaben integriert werden können.

Auf Landesebene – und da kommt Berlin ins Spiel – gibt es durchaus Spielräume: Zum Beispiel könnte die Bauaufsicht Pilotprojekte mit erleichterten Genehmigungswegen unterstützen oder den Prüfbehörden explizit ermöglichen, Re-Use-Materialien unter definierten Bedingungen zuzulassen. Auch ein zirkuläres Bauen-Förderprogramm mit Fokus auf Wiederverwendung wäre denkbar, etwa in Kombination mit städtischen Liegenschaften oder Vorhaben der öffentlichen Hand.

Was fehlt, ist oft nicht der Wille, sondern der Rahmen, der das „Erlauben“ systematisch erleichtert. Berlin hat als Stadt mit hohem Bauvolumen und einer aktiven Szene im nachhaltigen Bauen das Potenzial, hier Vorreiterin zu sein – nicht nur durch pragmatische Pilotregelungen, bessere Vernetzung und gezielte Förderanreize, sondern als Modellregion für zirkuläres Bauen.

Das Interview mit Patrick Teuffel wurde im April 2025 geführt.

Kontakt:

Koordinierungsstelle für Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz und Klimaschutz im Betrieb (KEK)