Rede von Senatorin Katja Kipping zur zweiten Lesung des Haushalts vor dem Berliner Abgeordnetenhaus

23. Juni 2022

- Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Abgeordnete!

Dieser Haushalt ist dem Ziel verpflichtet, gute Arbeit voranzubringen. So hat beispielsweise heute das Parlament die Erhöhung des Landesmindestlohns auf 13 Euro beschlossen, und das heißt, dort, wo Geld vom Land Berlin drin ist, muss künftig niemand für unter 13 Euro die Stunde arbeiten.

Um mal lebenspraktisch zu veranschaulichen, was das heißt: Ein Beschäftigter mit sagen wir einer Vierzigstundenwoche, der nach Mindestlohn bezahlt wird, bekäme 160 Euro im Monat mehr als ein Beschäftigter, der allein nach Bundesmindestlohn bezahlt wird. Berlin hat schon immer Trends gesetzt, und das gilt auch, wenn es heißt, Vorreiterin für gute Arbeit und gute Ausbildung zu sein.

Frau Jasper-Winter! Nicht gute Löhne bedeuten Bürokratie, sondern zu niedrige Löhne führen zu Bürokratie, weil Menschen womöglich mit dem Geld nicht über die Runden kommen und dann aufstocken und Sozialleistungen beantragen müssen und das jede Menge Antragswust nach sich zieht.

Wir leben in Zeiten großer Unsicherheiten; umso wichtiger ist Sicherheit in der Arbeitswelt. Sicherheit in der Arbeitswelt beginnt beim Arbeits- und Gesundheitsschutz. Das Landesamt, das den Arbeitsschutz kontrolliert, wird in diesem Doppelhaushalt aufgestockt, und wir schaffen dort 65 neue Stellen. Das ist ein in Stellen geronnenes Bekenntnis für Arbeitsschutz.

Zu diesem Bekenntnis mache ich noch eine politische Ansage: Der Markt der Kurierdienste ist als neuer Markt gerade besonders umkämpft, und dieser Konkurrenzkampf wird nur zu schnell auf dem Rücken von Beschäftigten ausgetragen. Wenn nun ein wirtschaftlicher Player meint, den Arbeitsschutz ignorieren zu können, so muss er damit rechnen, dass die Vollzugsbeamtinnen des LAGetSi ihm auf die Schliche kommen, und das wird für ihn Konsequenzen haben, denn Arbeitsschutz ist eine Frage von Sicherheit, und es ist nicht hinnehmbar, wenn der Konkurrenzkampf auf dem Rücken von Beschäftigten und auf Risiko ihrer Gesundheit und ihres Lebens ausgetragen wird.

Der zweitgrößte Stellenaufwuchs – immerhin 32 Stellen in zwei Jahren – steht ganz im Zeichen des Bundesteilhabegesetzes und der Eingliederungshilfe. Zudem haben wir die finanziellen Voraussetzungen geschaffen, dass Menschen mit Behinderung, die auf persönliche Assistenz angewiesen sind, diese auch ordentlich nach Tarif entlohnen können. Das erleichtert es ihnen, qualifiziertes Personal zu finden.

Das Leben und die Gesellschaft stellen Menschen mit Behinderungen immer wieder vor Hindernisse. Aktuell finden die Special Olympics statt, und die großartigen Athletinnen beweisen gerade, wie man mit Freude zusammen mit anderen Hindernisse überwinden kann. Wir sollten uns an ihnen ein Beispiel nehmen, und die Hindernisse, die noch auf dem Weg zu gelebter Inklusion stehen, aus dem Weg räumen und Inklusion leben.

Berlin setzt in vielen Bereichen Standards und Beispiele, die andere inspirieren. Nehmen wir nur das Berliner Gesetz Partizipation in der Migrationsgesellschaft: Inzwischen hat auch die Bundesregierung so etwas ins Auge gefasst. Das Ziel hinter diesem Gesetz fasse ich wie folgt zusammen: Jeder dritte Mensch in Berlin hat inzwischen eine Migrationsgeschichte, und diese Vielfalt der Gesellschaft sollte sich auch in der Verwaltung widerspiegeln. Noch kürzer fasst es an bekannter Hashtag zusammen, #diversitymatters – Vielfalt zählt.

Mit dem Masterplan gegen Obdach- und Wohnungslosigkeit hat die frühere Sozialsenatorin Elke Breitenbach ein Stück Sozialgeschichte geschrieben. Um nur eine Maßnahme daraus zu nennen: Der Ansatz Housing First wird in diesem Haushalt verstetig und ausgebaut. Um Sandra Brunner zu zitieren: Housing First ist nicht nur ein Pilotprojekt – es ist inzwischen ein Leitmotiv, alles zu tun, damit Menschen wieder eine Wohnung bekommen.

Eine Gesellschaft frei von Armut ist möglich. Viele können sich das noch nicht vorstellen; nun, es gab auch Zeiten, da erschien Kinderarbeit auch irgendwie selbstverständlich. Inzwischen ist zumindest hierzulande eine Kindheit frei von der Notwendigkeit, arbeiten zu müssen, eine Selbstverständlichkeit. Ich bin zuversichtlich, dass wir eines Tages zurückschauen und uns wundern werden, warum Freiheit von Armut so lange so vielen unvorstellbar schien.

Doch die Instrumente für den garantierten Schutz vor Armut liegen ganz klar beim Bund. Auf Landesebene entscheiden wir nun mal nicht über die Höhe der Sozialleistungen und können auch nicht einfach große Gewinne stärker besteuern. Aber wir können die soziale Infrastruktur auf Landesebene stärken, und das tun wir zum Beispiel mit den Stadtteilzentren. Armut führt oft zur Vereinsamung; umso wichtiger sind Orte der Begegnung wider die Vereinsamung wie zum Beispiel die Stadtteilzentren. Da trifft sich die Nachbarschaft, da engagieren sich Junge wie Seniorinnen. Mir und uns allen war es ein Anliegen, dass diese Arbeit verstetigt und ausgebaut wird und wir weitere Stadtteilzentren ins Leben rufen können. Dafür sind im Haushalt immerhin 23 Millionen Euro eingeplant.

Heute Vormittag war viel von Drehbüchern die Rede. Die Reden von Herrn Czaja und von Herrn Wegner sollten wohl so eine Art Drehbuch für einen Piloten der Staffel „Stell dir vor, Schwarz-Gelb hätte in Berlin das Sagen“ sein.
Als Serienfan erlaube ich mir die allgemeine Behauptung, es gibt einfach Piloten, die machen keine Lust auf eine Staffel, die werden nie zu einem Serienhit.

Wenn der Einzelplan 11 dieses Haushalts ein Drehbuch wäre, so würde es den Titel tragen: „Berlin – Vorreiterin für gute Arbeit und für Ausbildung. Berlin – eine Stadt, die niemanden zurücklässt“. – Vielen Dank!