Zeitzeuginnen und Zeitzeugen erinnern sich

Kennedy mit Gruppe vor dem abgehängten Brandenburger Tor

John F. Kennedy vor dem verhängten Brandenburger Tor

Christian M. Sack

Rückblickend gesehen war dieser Tag im Juni 1963 für West-Berlin sehr wichtig und das Signal überfällig, da sich Lethargie nach dem Mauerbau 1961 in der Stadt ausbreitete (Firmenwegzüge, Privatumzüge nach Westdeutschland etc.).
Für mich war es die Zeit zwischen Schulende und Lehrzeitbeginn. Mit der Voigtländer meines Vaters konnte ich mich nahe genug an die provisorische Bühne herandrängeln, leider mangelte es noch an der praktischen Bildumsetzung. In späteren Jahren wurden die USA für einige Zeit unser bevorzugtes Reiseziel.
Ich wünschte die Einreiseprozedur wäre Heute wieder so kurz und einfach wie damals !

Prof. Dr. Walther Stützle

Der freiwillig verlängerte Wehrdienst bei der Marine lag hinter mir, und Berlin mit dem Otto-Suhr-Institut war damals für den Studenten der Politikwissenschaft, der Journalist werden wollte, der einzig ernst zu nehmende Studienort – die geteilte Stadt war das Labor der Ost-West-Konfrontation. Meine erste Studentenbude bezog ich unweit einer amerikanischen Kaserne – täglich war mit anzusehen, daß die Gegnerschaft der Systeme kein Kinderspiel war sondern bitter ernst. Kennedys Botschaften vom Balkon des Schöneberger Rathauses wie in der Freien Universität, – und beide habe ich vor Ort miterlebt – gerieten zu einem Fest der Ermutigung; die Strahlkraft des Präsidenten erlaubte keinen Zweifel daran, daß die Vereinigten Staaten von Amerika West-Berlin nicht preisgeben würden. Die Kraft seiner Sprache verursachte Gänsehaut. Überdies strahlte das Licht seiner Fackel tief hinein auch in das von der damaligen Sowjetunion beherrschte Ost Berlin: an jenem dunklen Novembertag vor 50 Jahren, da Kennedy in Texas einer Mörderkugel zum Opfer fiel, fuhr ich hinüber nach Ost Berlin, Freunde zu besuchen – mit westdeutschem Ausweis war das möglich. Der Grenzbeamte prüfte meinen Ausweis, vergewisserte sich, daß keine Lauscher um uns waren und sagte dann: “Eine große Hoffnung ist ermordet worden.” Wortlos, aber mit sichtlich feuchten Augen, trennten wir uns.

Noch heute versuche ich meinen Studenten jene tiefen Empfindungen inmitten des Ost-West-Konfliktes zu vermitteln – denn: Wahrnehmung begründet ein Urteil über Politik – und meine Wahrnehmung war Begeisterung für diesen Präsidenten.

Kennedy in Steglitz

Fenster und Balkone boten die beste Sicht auf den US-Präsidenten

Sabine Sinnig

Ob wir, mein kleiner Bruder Thomas mit seinen sieben Jahren und ich, mit meinen neun Jahren schulfrei hatten oder wir geschwänzt haben, und ob mein Vater sich einen Urlaubstag nehmen musste, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls waren wir, die ganze Familie sehr aufgeregt von Lichterfelde-Ost in die Schloßstraße nach Steglitz gefahren, um John F. Kennedy zu sehen.
Der glückliche Zufall wollte es, dass unser Vater gerade eine Baustelle am Titania-Palast hatte und wir dort alle, insbesondere aber auch wir beiden Knirpse, von der ersten Etage aus beste Sicht auf den Konvoi hatten.
Am kommenden Tag wurde in der Schule aufgeregt ausgetauscht wer wo Kennedy gesehen hat und ob man selber vielleicht auch mit auf den Fernsehbildern zu sehen war.
Dass der Kennedy-Besuch für uns wichtig war, spürten auch wir Kinder. Uns wurde früh vermittelt, dass die Amis Garanten für unsere Freiheit seien. Für diese Freiheit haben wir 1958 den Ost-Teil der Stadt Richtung Westen verlassen und waren so zu einer typischen Berliner Familie mit Verwandtschaft „drüben“ geworden.
Zu den Paraden der Amis sind wir Grundschulkinder oft mit der gesamten Klasse gegangen und standen beeindruckt – und sicher mit großen Augen – am Straßenrand wenn die Panzer und die Spatzenschießer, wie wir die amerikanischen Jeeps mit dem Gewehraufbau nannten, vorbeifuhren. Die Amis gehörten im positiven Sinne zu unserem Leben, auch mit ihren großen Festen auf dem Flughafen Tempelhof.
Genau erinnere ich mich noch, dass der Mord an John F. Kennedy unsere Eltern extrem erschüttert haben muss. Das Attentat muss große Angst vor einem 3. Weltkrieg und tiefe Sorgen um die Existenz von West-Berlin ausgelöst haben, denn unsere Mutter weckte uns Kinder am nächsten Morgen mit den Worten „Es sei etwas Furchtbares passiert“. Alle Sorgen und Ängste kamen in diesen wenigen Worten zum Ausdruck und sind mir bis heute präsent.

Thomas Völz

Ich kann mich noch vage erinnern, dass ich und meine Mutter am 26.6.63, genau zwei Tage nach meinen 6. Geburtstag, zum Schöneberger Rathaus wollten. Dort sollte JFK seine berühmte Rede halten. Wir kamen nur bis zum Rand der Martin-Luther-Straße an, weil der Rest vor dem Rathaus übervoll mit Menschen war. Wir hörten nur in der Ferne die Rede, obwohl wir nur Geschrei und frenetischen Jubel hörten. Meiner Mutter wurde es zu voll und wir fuhren wir Steglitzer Schlossstraße. Dort waren auch abertausende Menschen an den Straßen und bejubelten die Kolonne von JFK und Adenauer. Viel später regestrierte ich, dass dieser Tag ein historischer für Berlin war. Ich war wie gesagt noch klein, aber an diesen Tag kann ich mich noch gut erinnern. Die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein. Am 22. November 1963 weinte meine Mutter am Fernsehschirm, denn JFK wurde an diesem Tag in Dallas ermordet. Sie meinte zu mir, dass ist der Mann den wir im Juni in Berlin gesehen haben. Das sind meine Erinnerungen.

Detlef Radüntz

“Ich bin ein Berliner” und war am 26 Juni 1963 vierzehn Jahre alt.
Meine Eltern standen mit meinem Bruder und mir zusammen vor dem Rathaus Schöneberg, und wir lauschten in der großen Menschenmenge den Worten des größten Mannes der damaligen Welt, aus der Nation, welche wir den “Großen Bruder” nannten,
Natürlich habe ich nicht so viel verstanden was er sagte, das Eis schmeckte und als er sagte: “Ich bin ein Berliner” da tobte das Volk. Ich verstand mit 14 Jahren schon, dass er gar kein Berliner ist, doch fühlte es sich für mich so an als sei er einer ‘von uns’.
Das war beeindruckend.

Kennedy, Brandt und Adenauer im Auto am 26.061963

Michael H. Winkelmann

Abgesehen davon, dass „JFK“ einer der populärsten Präsidenten der U.S.A. war, war er der einzige Präsident auf der ganzen Welt überhaupt, der mir die Hand gab. Und das begab sich folgendermaßen:
Am 26.6.1963 absolvierte Kennedy im Rahmen seines Deutschland-Aufenthaltes einen knappen Tag lang seinen legendär gewordenen Berlin-Besuch (nachdem zwei Jahre zuvor, kurz nach dem Mauerbau von 1961, „nur“ sein Vizepräsident Lyndon B. Johnson nach Berlin gekommen war). Die ganze Halbstadt fieberte dem angekündigten Besuch entgegen, am meisten ich selbst, denn auch ich gehörte und gehöre bis auf den heutigen Tag zu der großen, weltweiten Fan-Gemeinde, die dieses neuartige, fast väterlich-freundschaftliche Wesen wie einen neuen Heilsbringer liebte und liebt – trotz allem, was man seither gegen ihn, seine Familie oder seine Politik vorzubringen versuchte.

Da alle Berliner Schulen schulfrei gegeben hatten, konnte ich mir schon am Vormittag einen Zeitpunkt und Ort aussuchen, wo ich ihn aus möglichst großer Nähe würde sehen können. Meine Wahl fiel auf die Tegeler Seidelstraße, in die der Fahrzeugkonvoi mit dem Präsidenten und seinen Begleitern (kurz nach Verlassen des Flughafens Tegel, wo die Präsidentenmaschine „Air Force One“ landen und am frühen Abend auch wieder starten würde) nach der Ankündigung in den Zeitungen einbiegen sollte. Dabei ging ich von der Überlegung aus, dass umso mehr Jubel-Berliner die Ränder der Straßen säumen würden, je näher der Konvoi sich der Innenstadt näherte.

So ganz ging meine Rechnung aber, wie ich beim Versuch, eine günstige Position am Straßenrand zu erwischen, doch nicht auf. Ganz offensichtlich war ich nicht der einzige gewesen, der sich so schlau anstellen wollte: schon in der Seidelstraße, kurz hinter der Ecke der Zufahrtsstraße, die auf den Flughafen hin führte, warteten schon Hunderte an beiden Rändern der Straße. Allerdings gab es hier kaum Polizisten, um eventuelle Drängler zurückzuhalten, und schon gar nicht Absperrungen irgendwelcher Art, wie man es heute bei derartigen Ereignissen gewöhnt ist – Kennedy gehörte zu den beliebtesten Politikern jener Zeit, und niemand auf der Welt, schon gar nicht in Berlin, hatte eine Ahnung davon, was sich, nur einige Monate später, in Dallas/Texas ereignen würde…

Um die beste Position herauszufinden, lief ich in Erwartung des nahen Autokonvois rasch die Seidelstraße in Richtung Scharnweberstraße hinunter und wechselte dabei mehrmals unschlüssig die Straßenseite, ohne jedoch einen Platz zu finden, der mir vorteilhaft genug vorkam – als plötzlich ein rasch ansteigender Jubellärm das Nahen der Kolonne ankündigte. Gerade wollte ich schnell noch einmal die Straßenseite wechseln, als ein Polizist in unmittelbarer Nähe mich barsch zurückrief: „Halt! Bleiben Sie da stehen! Räumen Sie sofort die Fahrbahn!“ Zögernd und unzufrieden verharrte ich und sah mich suchend um. Da kam auch schon der erste Funkwagen mit Blaulicht und bald danach der Ehrenkordon der „Weißen Mäuse“, die keilförmig dem Präsidenten-Fahrzeug den Weg freimachten. Doch die neugierige, jubelnde Menschenmenge an beiden Rändern der Straße rückte rasch immer näher zur Straßenmitte, und der Weg für die Fahrzeugkolonne wurde enger und enger. Schon war der offene Wagen, in dem Kennedy stehend seine „Fans“ begrüßte, fast zum Stehen gekommen, und die begleitenden Beamten zu Fuß und auf den Motorrädern versuchten nach Kräften, den Weg wieder frei zu räumen. Gerade schien ihnen dies zu gelingen, die Motorrad-Eskorte war schon vorüber, als JFK in nur zwei, drei Metern Entfernung langsam an mir vorüber fuhr.

„Jetzt oder nie“, kommandierte mir meine Eingebung, „oder du hast dir diese günstige Position ein für allemal umsonst errungen!“

Den Präsidenten fest im Blick, brach ich aus vorderster Linie rechts des schweren Fahrzeugs hervor, das nur langsam wieder Fahrt aufnahm, stürmte auf mein Ziel zu, das plötzlich zum Greifen nahe war. Da packte mich eine kräftige Hand des Sicherheitsbeamten, der rechts auf der hinteren Stoßstange des Präsidentenwagens stand, und riss mir fast das Hemd vom Leib. Wie eine Maschinengewehr- salve sprangen drei, vier, fünf meiner Hemdknöpfe vor mir in die Luft. Offenbar hatte entweder ich oder auch der Sicherheitsbeamte laut gerufen oder irgendein anderer Umstand führte dazu, dass Kennedy sich endlich zu mir umwandte und mich bemerkte. Trotz der Gegenwehr des Beamten auf dem Trittbrett streckte ich eine Hand Kennedy entgegen – und endlich ergriff der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika meine Rechte, ein weicher, fast weiblicher Händedruck, während ich ihm tief in seine Augen blickte und mir vor Rührung die Tränen kamen…

Wir ließen einander wieder los, denn das Fahrzeug fuhr wieder schneller, und ich wich – mit aus der Hose gezerrtem Hemd und vermutlich knallrotem Kopf – zur Seite zurück, während JFK – sich nach vorn beugend und sich an der Vordersitzlehne festhaltend – sich von mir entfernte, um den nächsten Jublern zuzuwinken…

Am Nachmittag desselben Tages, als er seine Rede auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses mit dem weltberühmten Schlusssatz „And therefore I take pride with the words: Iisch bin ein Berliner“ hielt, stand auch ich natürlich inmitten der Viertelmillion begeisterter Zuhörer, weit, weit entfernt von ihm, so dass ich ihn kaum richtig erkennen konnte. Doch das machte mir jetzt nichts mehr aus, denn Stunden zuvor war ich ihm so nahe gewesen wie kaum einer der Umstehenden! Voller Stolz und Bewunderung applaudierte ich am Ende seiner Rede, bis meine Handflächen zu glühen begannen. Nie in meinem Leben würde ich diesen 26. Juni je vergessen können…

Nachtrag:
Ein Sachverhalt, von dem ich damals noch nicht wusste (aber heute weiß), dass und inwiefern er – nur dem Anschein nach vollkommen unabhängig von John F. Kennedy und seinem weiteren Schicksal – mein späteres Leben mehr oder weniger heftig beeinflussen würde, ereignete sich nahezu gleichzeitig:
Unter den jungen und ehrgeizigen Beamten der Ehrenformation der Berliner Polizei, die auf dem Flugplatz Tegel in Wichs und Tschako zum Empfang des U.S.-Präsidenten angetreten war, befanden sich zwei, die – spätestens zehn Monate später, als ich meinen Spind in der Stube 14 im 1. Stock der 14. Bereitschaft der III. Abteilung der Bereitschaftspolizei in Beschlag nahm – Angehörige eben dieser Bereitschaft waren: Polizeikommissar Klaus Magiera (heute bereits im Ruhestand) sowie der etwa gleichaltrige Polizeihauptwachtmeister Wolfgang Seipold. Am 1.4.1964 ergriff ich denselben Beruf wie sie, und der erste der beiden wurde mein Zugführer und der zweite mein Gruppenführer, und keiner der beiden war mir zuvor auch nur annähernd bekannt. Erst später, während mehr oder weniger privater Gespräche mit Herrn Seipold, kamen wir wie zufällig auch auf diese Ehrenformation zu sprechen – und seitdem glaube ich beinahe fatalistisch an die Existenz von „Kommissar Zufall“.

Kennedybesuch, Clay winkt aus Auto

Lucius D. Clay begleitete John F. Kennedy auf seiner Fahrt durch Berlin

Georg Krüger

Wie das Leben so spielt:
Ich selbst (Jhg.1960) habe später direkt die Besuche von Carter 1978, Reagan 1982 und Obama als Kandidat 2008 miterlebt. Unsere Familie lebte hier in Wilmersdorf 20 min. Fußweg vom Rathaus Schöneberg. Aber just an diesem warmen Sommertag konnten wir nicht zum JFK-Besuch, weil meine Schwester Geburtstag hatte (Jhg.1955) – so war Kindergeburtstag zu Hause angesagt statt Staatsbesuch! Meine Mutter wäre gern mit uns Kindern dorthin gegangen – aber so…
Meine Eltern sind bereits verstorben. Wir Kinder leben und erinnern uns jeden 26. Juni erneut an diese Koinzidenz. So bleibt nur die Erinnerung an ein schönes Geburtstagsfest UND an einen unvergesslichen 26. Juni.

Günter Kernchen

Ich war in dieser Zeit bei der Firma Reemtsma in Wilmersdorf beschäftigt. Kann mich noch genau daran erinnern, dass wir Mitarbeiter von der Werkleitung aus die Möglichkeit bekamen uns für die Teilnahme an der Kundgebung anzumelden. So wurden dann einige Doppeldeckerbusse der BVG gechartert, wir wurden dann vom Werk aus zum Schöneberger Rathaus gefahren und nach der Veranstaltung wieder zurück zur Firma. Ein riesiges Erlebnis das immer in meiner Erinnerung seinen Platz hat. Und eine große Geste der damaligen Firma H.F. & Ph. F. Reemtsma.

Wilfried Welz

Der 26. Juni 1963 war und ist einer jener Tage, den die “West-Berliner”, die ihn erlebt haben, nie vergessen werden. Noch nicht ganz 11 Jahre alt, war ich mit meinen Eltern den ganzen Tag unterwegs, um den amerikanischen Präsidenten zu begrüßen und ihm zuzujubeln. Am Vormittag standen wir in der Nähe der Kongresshalle im Tiergarten, am späteren Nachmittag dann in der Garystraße in Dahlem. Sein berühmtes Bekenntnis zu Berlin hörten wir im Bus auf dem Heimweg zum Mittagessen. Viele Jahre später habe ich für das Bezirksamt Schöneberg die Geschichte des Rathauses Schöneberg erforscht und in mehreren Publikationen veröffentlicht. Den weit verbreiteten Irrtum,dass Kennedy vom Balkon des Rathauses zu den Berlinern gesprochen hätte, habe ich leider nicht ausräumen können. Aber es war mir eine große Freude und auch Genugtuung, am Vormittag des 10. November 1989 im Foyer des Rathauses Willy Brandt und Egon Bahr zu beobachten und ihre Ergriffenheit zu sehen, dass ihre Ostpolitik zum Erfolg geführt hat.

Hans-Joachim Genzel

Ich war Lehrling im zweiten Lehrjahr. Meine Arbeitsstelle war in der Belziger Strasse 25. Wir Lehrlinge haben für kurze Zeit frei bekommen und durften zum Rathaus Schöneberg gehen, um J.F. Kennedy zu erleben. Dort habe ich Kennedy gesehen und habe auch die komplette Rede live miterlebt. Als Kennedy ermordet war, gab es wieder eine Kundgebung am Rathaus Schöneberg, an der ich auch teilnahm. Beides waren sehr ergreifende Momente in meinem Leben.

Wolfgang Herzer

Ich war 19 Jahre alt, in der Lehre, hatte einen Führerschein und ein Auto. Unser Arbeitgeger hat uns ab dem Vormittag frei gegeben. Zu viert sind wir mit dem Auto nach Schöneberg gefahren und haben mit den anderen 499996 Menschen der Rede des Präsidenten gelauscht. Als die Wagenkolonne an der Kongresshalle im Tiergarten ankam, hatten wir eine völlig freie Sicht auf Kennedy. Am Nachmittag sind wir mit dem Auto durch das Spalier der am Straßenrand stehenden Menshen zum Flughafen Tegel gefahren. Ein erhabendes Gefühl. Heute wegen der strengen Sicherheitsvorkehrungen undenkbar. Seit seiner Wahl zum Präsidenten von Amerika war ich ein begeisterter Anhänger von Kennedy. Nach dem Berlinbesuch kante meine Begeisterung kaum noch Grenzen. Zur Erinnerung habe ich mir aus Presse- und eigenen Fotos ein kleines Buch von einem Buchdrucker binden lassen. Heute betrachte ich den Politiker und Menschen John F. Kennedy wesentlich distanzierter.

Kennedy begeistert die Menschen vor dem Schöneberger Rathaus

Kennedy spricht am Rathaus Schöneberg zu den West-Berlinern

Ulrich F. Krüger

„Kennedy-Besuch in Berlin – ich war damals mit vor dem Schöneberger Rathaus – gewissermaßen ‘ dienstlich’ in der Uniform der 1960 vom damaligen Innensenator Joachim Lipschitz ins Leben gerufenen Freiwilligen Polizeireserve“
Unsere Grundausbildung hatten wir mit jeweils zweimal zweiwöchiger Ausbildung (à 12 Tagen) und zusätzlichen Abendkursen sowie jährlichen Wiederholungslehrgängen so erfolgreich als ehemalige Soldaten und bzw. Angehörige einer demokratischen Jugendorganisation (Jusos/Die Falken, Junge Union, Julis) hinter uns, so dass wir irgendwie auch sinnvoll eingesetzt werden sollten und auch konnten, ohne Waffen als Stabilisatoren im Sinne der aktiven Polizei, um diese kräftemäßig zu entlasten. Wir hatten also bei bestimmten Ereignissen eine Art Spalier oder Absperrung zu bilden, das war erfolgreich vor dem Reichstagsgebäude bei den Maikundgebungen des DGB der Fall. die ja in ihrer Art zu Freiheitskundgebungen des freien Teils der Stadt und des Landes Berlin geworden sind, aber auch bei Staatsbesuchen. Als ich die Sentenz hörte, ‘Ich bin ein Berliner’ war mir ohne einen Wimpernschlag zu zögern klar, welche Bedeutung das hatte, es war das gleiche wie der Apostel vor dem Landpfleger sich auf sein römisches Bürgherrecht berief und damit als Recht eines freien Bürgers, sich nur dem Kaiser verantworten zu müssen.
Was immer ich seit dem Schuhschlagenden Chrutschschew in Wien und dem damals nachgiebigen Weichei John F. auch hielt, das Wort eines US Präsidenten überzeugte mich und beflügelte mich mehr als der kurz zwei Jahre zuvor so verspätete Besuch des deutschen Kanzlers.
Für den Stabilisierungsdienst gab es ja keine Bezahlung als allein einen Fahrschein, für uns PRes war es ja Ehrendienst, und als Bonus ein Tanzabend im Herbst im Palais am Funkturm, wie groß war da der Schock, als plötzlich die Polizeiband die Musik unterbrach und die Meldung vom Attentat auf den Präsidenten bekanntgab. Selten habe ich eine derartige Erschütterung noch einmal verspührt, höchstens noch einmal am 11. September beim World Trade Center. Der just begonnene Ball war beendet, alle gingen mehr als bedrückt nach Hause. Eine Ära ging damit zu Ende. Für mich erwuchs im Laufe der Zeit die unabdingbare Notwendigkeit, aus Gründen der Dankbarkeit Marshall-Plan, Luftbrücke, Kennedys Bekenntnis gerade als Berliner die Beziehungen und Verbindungen mit den USA zu stützen, zu fördern, zu pflegen.

Kennedybesuch, Autokorso mit Siegssäule im Hntergrund

Kennedys Fahrt durch Berlin

Dr. Karin Ritter-Pichl

Am 26.6.1963 stand ich mit zwei Studienkollegen auf dem Platz vorm Rathaus Schöneberg in dichtem Gedränge bei strahlendem Himmel und hörte Kennedys Rede mit dem berühmt gewordenen Satz “Ich bin ein Berliner”. Es herrschte eine hoffnungsvolle Stimmung/ Begeisterung, allerdings war es derart eng, dass man im Gedränge kaum Platz fand für seine Füße, so dass die Gefahr bestand, dass man UNTER die Füße geriete, falls man das Gleichgewicht verlöre. Meine Kollegen riefen deshalb laut “Ketten bilden” und viele Menschen gaben sich die Hände, um den Druck der Menge abzufangen. Nachdem sich später die Menschenmenge verlaufen hatte, war der Platz nass von den Ausdünstungen der gedrängten Körper und die Beine bis zu den Knien verschmiert.
Was ich damals nicht wissen konnte: in der Martin-Luther-Straße103 in der 1. Etage, genau gegenüber vom Kennedy-Balkon, habe ich ab 1973 über 30 Jahre als Fachärztin für Allgemeinmedizin gearbeitet.

Kennedey in Steglitz3

Begehrte Plätze beim Kennedy Besuch

Norbert Kaczmarek

John F. Kennedy machte an diesem Tag alles gut, was er mir vorher an Enttäuschungen bereitet hatte: Seine „three essentials“ vom 25. Juli 1961, von denen ich in Potsdam-Babelsberg im RIAS hörte und die mir plötzlich klarmachten, dass die USA immer nur West-Berlin gemeint hatten, wenn sie von Berlin geredet hatten. Für Ost-Berlin und damit für Berlin als Ganzes, fühlten sie sich trotz Vier-Mächte-Vereinbarungen offenbar nicht zuständig. Dies beschleunigte meine Fluchtüberlegungen erheblich; am 10. August fuhr ich die zwei S-Bahn-Stationen endgültig nach West-Berlin. Drei Tage später trat das Befürchtete ein: Walter Ulbricht hatte seine Mauer mitten durch Berlin bauen dürfen und der Westen schaute zu – sie wurde ja in Ost-Berlin gebaut. Ein Jahr später schauten US-Soldaten am Checkpoint Charlie weg, als hinter dieser Mauer Peter Fechter verblutete.
Da wirkte es wie eine Erlösung, so viel starke, glaubwürdig klingende Worte aus dem Mund des amerikanischen Präsidenten zu hören, ihn dabei vor mir zu sehen, wenn auch nur aus der Mitte des Platzes, seit zweieinhalb Stunden eingezwängt in eine unübersehbare, bei seiner Rede immer wieder jubelnde, verzückte und euphorische Menschenmenge, die nach Zuspruch lechzte.
Damals dachte ich noch, sein Bekenntnis, er sei ein Berliner, wäre wohlüberlegt, von Beratern auf seine Haltbarkeit überprüft und mehr als eine rhetorische Geste. Jetzt weiß man, es war ein später Einfall seines engen Vertrauten Ted Sorensen, den er spontan aufgriff. Aber vielleicht war gerade dies so genial?
Beglückt fuhr ich vom Rudolf-Wilde-Platz vor dem Rathaus Schöneberg nach Dahlem, um den Präsidenten noch einmal, bei seiner Fahrt zur Freien Universität, zu sehen. Im Rückblick bleibt davon ein heute seltsam wirkendes Erlebnis haften. Die wegen der Wagenkolonne unterbrochenen Pflasterarbeiten auf dem Bürgersteig Unter den Eichen hatten genügend herumliegende Steinplatten hinterlassen, um damit am Straßenrand kleine Tribünen zur besseren Sicht in den hinteren Reihen errichten zu können. Kein Mensch kam damals auf den Gedanken, die Pflastersteine anders zu verwenden. Wie sicher durfte sich ein amerikanischer Präsident in Deutschland fühlen!
Die Erinnerung an diesen Tag bleibt überschattet von der an den 22. November des selben Jahres, als ich vom Attentat erfuhr und um Mitternacht mit Hunderten anderer Studenten ratlos in einem Trauerzug vom Amerika-Haus und vom Steinplatz zum Rathaus Schöneberg unterwegs war.
Hätte ich seine Rede vom 10. Juni 1963 auf dem Campus der American University in Washington gekannt und seinen Vortrag vor dem Henry-Ford-Bau der FU am 26. Juni gehört, in denen er die Notwendigkeit von Veränderungen auf beiden Seiten, in Ost und West (!), beschwor, wären in meiner damaligen, vom Kalten Krieg geprägten Stimmung nur neue Zweifel an seiner Politik geweckt worden. Es dauerte lange, bis ich seine Vision verstand und seine Absichten akzeptierte. Es war ein langer Weg, bis mein Gefühl vom 26. Juni 1963, einen großen Politiker erlebt zu haben, auch von meinem Kopf zugelassen wurde.

Die Präsidenten-Maschine auf dem Flughafen Tegel

Die Präsidentenmaschine am Flughafen Tegel

Peter Groth

Mein Erlebnis an diesem Tag ist noch heute lebhaft. Ich arbeitete damals bei der Firma Pankrath am Flughafen Tempelhof. Wir waren zuständig für die Bordverpflegung. Als Kennedy in Berlin-Tegel landete, fuhren wir mit unserer Klippercousine von Tempelhof nach Tegel. Vor und hinter uns als Begleitpersonal Polizei und FBI-Fahrzeuge. Auf unserem Fahrzeug fuhren 4 FBI Beamte mit, damit wir uns nicht an dem Essen zu schaffen machen konnten, welches extra aus Paris eingeflogen wurde.
Nachdem wir die Präsidentenmaschine entladen hatten, wurden die erlesenen Speisen für den Weiterflug immer unter den wachsamen Augen der Sicherheitskräfte eingeladen. Wir konnten nicht einen Handschlag machen, ohne dass wir nicht kontrolliert wurden.
Es gibt dazu noch viel zu erzählen.

Aline Lenel

Wir hatten Schulfrei an diesem Tag. Ich war 11 Jahre alt. Mit meiner Schwester zusammen fahre ich zum Flughafen Tegel. Entlang der Ausfahrt stehen schon viele Menschen. Wir drängen uns ganz nach vorne an die Absperrung. Endlich kommt Kennedy im offenen Wagen. Er schaut mir genau in die Augen.

Die Kennedys waren mein Ideal. Die schöne, Jackie, der willensstarke Kennedy, die süßen Kinder – an den schwarzweißen Fotostrecken im “Stern” konnte ich mich nicht satt sehen. Wie ein elektrischer Schlag trifft mich sein Blick. Danach rennen wir zur Telefonzelle, um unsere Mutter anzurufen und lassen vor Aufregung den Regenschirm darin liegen. Am nächsten Tag steht in der Zeitung, dass Kennedy auf den ersten Kilometern seiner Fahrt durch Berlin gedacht hätte, die Menschenmassen am Straßenrand seien dorthin beordert worden. Wie konnte er das denken? Er hatte mich doch gesehen!

Peter-Michael Riedel

Einen Tag nach meinem Geburtstag kam J.F. Kennedy hinter und vor das Rathaus Schöneberg. Schon seit dem Vormittag waren alle Straßen rund um das Rathaus Schöneberg abgesperrt. Ich wohnte direkt hinter dem Rathaus in der Straße “Am Rathaus”. Alle Anwohner durften die Wohnungen nur noch in Begleitung eines Polizisten und nach Vorzeigen des Personalausweises verlassen. Das gleiche geschah dann bei der Rückkehr in die Wohnung. Am Nachmittag war es dann soweit. Die Wagenkolonne mit dem Präsidenten fuhr hinter das Rathaus, in die Straße Am Rathaus. Die Kolonne stoppte an der mittleren Eingangstür vom Rathaus, direkt ca. 30 Meter gegenüber meiner Wohnung. Ich selbst war in dem Moment an der genannten Eingangstür und sah den Präsidenten aussteigen, 3 Meter von mir entfernt. Ein Zurufen meinerseits wurde mit einem “Hello” , Lächeln und Handzeichen beantwortet. Der Präsident verschwand mit seinem Gefolge im hinteren Teil des Rathausese, auf den Weg vor das Rathaus. Ich auch.

Kennedy auf dem Flughafen Tegel

Begrüßung am Flughafen Tegel

Wolfgang Stumm

Ich war damals als junger Mann bei der “Berlin Brigade” der US-Army in Lichterfelde als “Taxi-Driver” beschäftigt. Wir waren Zivilangestellte, die amerikanische Soldaten im Rahmen ihrer Tätigkeiten mit besonders gekennzeichneten PKWs durch Berlin fuhren. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass zwei Tage vor dem Kennedy Besuch sein offener Wagen über Tempelhof eingeflogen wurde und zu uns in den “Andrew Baracks” nach Lichterfelde gebracht wurde. Der Wagen wurde ständig von 4 Secret Service Mitarbeitern geputzt und bewacht. Es war der Wagen, in dem Kennedy in Dallas erschossen wurde.

Am 26.Juni haben wir dann mit unseren “Taxis” den Tross begleitet und haben die leitenden amerikanischen Offiziere der “Berlin Brigade” zu der Veranstaltung gefahren. Es war für sie genauso wie für uns ein einmaliges und besonderes Erlebnis so nah dabei zu sein.

Eva Quistorp

Mit einer Schülerinnnenreise kam ich aus Kleve nach Berlin,das erste Mal im Leben und hörte im Radio vom Kennedy-Besuch. Wir gerieten irgendwie in die Nähe des Rathaus Schöneberg, doch ich wollte zur Freien Universität, wo ich dann, ich weiss nicht wie, ausgerechnet in dem Moment ankam, als Kennedy aus seinem schicken Auto stieg, ich ahnungslos in einer Reihe vor dem Eingang zum Henry Ford Bau stand.Wir bildeten dann zwei Reihen. Ich war von dem guten Aussehen von Kennedy, so jung und schön und elegant irre beeindruckt, so einen Mann hatte ich noch nie gesehen. Ich habe ihm dann aber merkwürdiger Weise nicht die Hand entgegengestreckt , wohl weil ich aus einer Anti-Nazi Familie sehr zu Distanz gegenüber Mächtigen erzogen worden aber zu der Zeit auch noch so schüchtern war und spürte: das ist ein historischer Moment. Aber nicht wusste, wie zu reagieren. Seine Rede an der FU und sein Tod haben mich sehr geprägt, ich wurde Gründerin der Grünen.

Wolfgang Koch

Hallo, mein Name ist Wolfgang Koch und ich habe 1963 in Friedenau gelebt. Ich war damals 14 Jahre alt. Ich glaube, es gab schulfrei an dem Tag. Ich bin sehr früh zum Rathaus Schöneberg gegangen, mindestens sieben Stunden vor der Rede und habe einen sehr guten Platz direkt mit Sicht auf das Rednerpult ergattert. Vor mir waren vielleicht schon zehn Reihen belegt. Ich habe mir vorher einen kleinen Klappstuhl besorgt, um nicht so lamge stehen zu müssen. Und ich war ausgerüstet mit einem Transistorradio und habe von der Ankunft Kennedys bis zur Rede Jürgen Graf im Rias verfolgt. Ich wusste immer, wo er ist und habe die mit mir Wartenden mit Infos versorgt. Später habe ich die Autokolonne noch am Roxy Kino, kurz vor dem Rathaus Friedenau gesehen. Mein Eltern hatten dort eine Schneiderei und ihre Näherinnen schnitten aus Stoffresten Konfetti, das sie in großen Mengen zur Erheiterung des Präsidenten in seine Wagen warfen. Ein großer, schöner sonniger Tag!

Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus

Jerry Gerber

Am 26. Juni 1963 ging ich von meiner Wohnung in der Babelsberger Strasse die Paar Schritte zum Schöneberger Rathaus, um die angekündigte Rede von Präsident John F. Kennedy anzuhören. Ich stand mit einem Freund an der Nordseite des Platzes, der damals Rudolf-Wilde-Platz hiess. Ich war neu in Berlin, da ich Anfang März aus den USA (New York) gekommen war. Anders als die allermeisten Westberliner, die nach dem Bau der Mauer nicht mal zwei Jahren zuvor, dringend Aufmunterung brauchten, waren meine Erwartungen an den Präsidenten nicht sehr hoch. Seine Rede allerdings und die unwahrscheinliche Begeisterung der grossen Menge wegen des nun berühmten Ausspruchs, “Ich bin ein Berliner!”, hat mich echt mitgerissen.
Im November im Jahr darauf stand ich an der Südseite des Platzes, leise weinend wie fast alle anderen dort, währen des Zapfenstreichs nach Kennedys Tod. Seine Rede hat mir die Entscheidung, in Berlin zu bleiben, leichter gemacht.

Gabriele Helbig

Ich war gerade 15 Jahre alt geworden, als JFK seinen legendären Berlin-Besuch absolvierte. Meine Eltern waren eher unpolitisch und hegten ein tiefes Misstrauen gegenüber Massenveranstaltungen jedweder Couleur. Als ich meinen Wunsch kundtat, den amerikanischen Präsidenten bei seiner Fahrt durch die Stadt sehen zu wollen, stieß ich also auf gebremstes Verständnis. Es wurde jedoch schnell klar, dass die Stadt in einen kollektiven Rauschzustand geriet, je näher der Termin rückte. Die Hoffnung, die mit dem charismatischen jungen Präsidenten verbunden war, war ungeheuer groß. Ich setzte mich durch und durfte an drei Stationen den Wagenzug sehen. Auf dem Platz vor dem Rathaus Schöneberg sah ich wenig, hörte aber alles und war wie alle Berliner hingerissen. Die Zeitungen und auch die Schallplatte mit der Rede hob ich einige Umzüge lang auf.
Am Abend, als ich wieder zu Hause war und die Berichterstattung im Fernsehen sah, seufzte meine Mutter: “Gott sei Dank ist ihm in Berlin nichts passiert!”

Karla Herrmann

An diesem Tag war ich knapp 15 Jahre alt und lebte im damaligen West-Berlin.
Aufgrund dieser Tatsache war ich schon damals ein recht politisch interessierter Mensch und wollte unbedingt vor dem Rathaus Schöneberg live dabei sein. Leider ließ mich meine Mutter nicht hinfahren, und so saßen wir zusammen mit Oma vor unserem Fernseher. Ich fast IN der Röhre…..Aber es ist mir gelungen, ein paar Fotos von den TV-Bildern zu machen. Was für ein Tag…ich hab in nie vergessen!

Kennedy in Steglitz2

Kennedy fährt durch Steglitz

Gisela Morel-Tiemann

26. Juni 1963 Kennedy in Westberlin
28. Juni 1963 Chrustschow in Ost-Berlin
Damals war ich, Jahrgang 1944, Studentin im 1. Semester am Otto-Suhr-Institut der FU. Am Morgen war ich natürlich am Schöneberger Rathaus, bin dort allerdings in Panik nach dem „Ich bin ein Berliner“-Satz weggelaufen. Die Masse hat gejohlt, als ob er gefragt hätte: „Wollt Ihr den…“ In der viel ruhigeren Atmosphäre vor dem Henry-Ford-Bau war ich fasziniert von diesem jungen, gut aussehenden Mann, der die alten Männer in der amerikanischen Politik abgelöst hatte. Er stand da mit dem alten Adenauer – für mich ein Symbol vergangener Zeiten – und dem jungen, gut aussehenden Willy Brandt – meine Hoffnung für die Zukunft. Von Kennedys Rede erinnere ich – ehrlich gesagt – nicht sehr viel, aber die Botschaft vom „wind of change“ hat sich mir damals ebenso tief eingeprägt wie seine Überzeugung, das Wettrüsten durch Verhandlungen beenden zu können. Sein Glaube an die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Großmächte mit dem Ziel, die feindseligen Beziehungen zum Besseren zu wenden, war in der Zeit des Kalten Krieges in dieser Stadt Berlin geradezu elektrisierend. Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit waren die drei Begriffe, die – sicher nicht ohne Reminiszens an die Französische Revolution – seine Rede prägten. Der „wind of change“, den Deutschland so dringend nötig hatte, deutete sich damals in Berlin erst als ganz laues Lüftchen an. Wer als Student wagte etwas zu kritisieren – und zu kritisieren gab es wahrlich genug in der damals noch von alten Nazis durchsetzten Politik und Gesellschaft – hörte regelmäßig: wenn es Dir nicht passt, geh doch „nach drüben“. Nach drüben wollte ich mit Freunden zwei Tage später, um den Besuch Chrustschows in „Berlin – Hauptstadt der DDR“ zu verfolgen, wurde aber von den Vopos daran gehindert, in eine Holzhäuschen geführt und verhört – Leibesvisitation inbegriffen. Warum es dazu kam, ist eine lange Geschichte. Nur so viel: nach stundenlangen Befragungen sollte ich erläutern, was Kennedy meint, wenn er von Freiheit spricht. Die Ungewissheit, wie dies wohl ausgehen würde, und die blanke Angst machten mich von Minute zu Minute aufmüpfiger und frecher, und so antwortete ich: „Wenn ich bei uns sage: „Adenauer ist ein Vollidiot“, werden viele empört sein und das als äußerst ungehörig und als „Majestätsbeleidigung“ empfinden, aber mir passiert nichts. Das ist nämlich die Freiheit der Meinungsäußerung bei uns. Wenn ich aber bei Ihnen sage: „Ulbricht ist ein Vollidiot“ komme ich in den Knast.“ Erstaunte Gegenfrage des Verhörers: „Wieso in den Knast? Eher in die Psychiatrie“. Dann nahm mich der Vopo wie ein verwirrtes Kleinkind an die Hand und „überstellte“ mich den westlichen Grenzkontrollen. So hat Kennedy mir mit seiner Rede von der Freiheit genau diese nach 6 Stunden wieder gegeben. Fünf Monate später war ich im Renaissance-Theater – was gespielt wurde, weiß ich nicht mehr. Der Vorhang fiel mitten im Stück, ein Herr trat vor und teilte mit zitternder Stimme mit, Kennedy sei erschossen worden. Die Feinde der Freiheit sterben nie aus – die, die sie einfordern und dafür selbst ihr Leben riskieren, glücklicherweise aber auch nicht.