Gesichter des MPI: Prof. Raoul Bunschoten

Herr Bunschoten hält einen Vortrag

Städte neu denken – Architekt und Stadtplaner Professor Raoul Bunschoten engagiert sich für biogenes Bauen – die Nutzung von Baustoffen, die aus nachwachsenden, biologischen Rohstoffen hergestellt werden.

„Wald zu Stadt, Stadt zu Wald“: So beschreibt der Professor Raoul Bunschoten seine Vision für eine städtische Baukultur, die Ressourcen nicht verbraucht, sondern bewahrt. Städte sollen zu Orten werden, an denen Baustoffe wie Holz oder andere biogene Materialien als CO₂-Speicher genutzt und später in neuen Formen wiederverwendet werden. Denn durch ihren Einsatz kann jedes neue Gebäude helfen, CO₂ langfristig zu binden. Gleichzeitig entstehen Rohstoffdepots, die in Zukunft rückgebaut und wiederverwendet werden können. Bunschotens Ziel ist eine nahtlose Wertschöpfungskette – vom Wald über den Entwurf bis zur Wiederverwertung. Dabei geht es ihm nicht nur um die Auswahl nachhaltiger Baustoffe, sondern um die Transformation ganzer Prozesse. Wie können Planung, Produktion, Logistik und Bau so miteinander verzahnt werden, dass echte Kreisläufe entstehen? Wie lässt sich der CO₂-Fußabdruck der Städte drastisch senken, indem aktiv Kohlenstoff gespart wird?

Menschen stehen bei einer Besprechung um einen großen Tisch

Städtebau als kreative Disziplin

Raoul Bunschoten stammt aus den Niederlanden. Nach seinem Studium an der ETH Zürich und einem Masterabschluss in den USA ließ er sich in London nieder, wo er das Architektur- und Stadtplanungsbüro CHORA gründete. 2011 wurde er Professor für Stadtplanung und Urban Design an der TU Berlin, ist inzwischen emeritiert. Schon in London beschäftigte er sich lange mit den Auswirkungen der Klimakrise sowie den Antworten, die Architektur und Stadtplanung darauf geben können. Bunschoten versteht Städtebau als kreative Disziplin, die Wirtschaft, Ressourcenmanagement, soziale Bedürfnisse und ökologische Erfordernisse integriert. Er wirkt am Smart City Netzwerk des Berliner Senats mit: Smart Cities sind für ihn keine technokratischen Projekte, sondern Plattformen, auf denen Mensch, Natur und Technologie im Gleichgewicht interagieren.

Berlin ist für den Gestalter ein idealer Ort, um neue urbane Modelle zu erproben. „Die Stadt verfügt über Flächen, Innovationskraft und ein wachsendes Bewusstsein für nachhaltige Stadtentwicklung”, sagt er. Vor allem sieht er großes Potenzial darin, Industrieflächen in der Stadt neu zu denken: als Orte, an denen Produktion, Handwerk und nachhaltiges Bauen direkt mit urbanem Leben verbunden werden. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Initiative Bauhütte 4.0, der das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik, die Technische Universität Berlin und die Tegel Projekt GmbH angehören. Bunschoten leitet sie gemeinsam mit Dr.-Ing. Holger Kohl, dem stellvertretenden Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) und Leiter des Fachgebiets Nachhaltige Unternehmensentwicklung an der TU Berlin.

Portraitbild Raoul Bunschoten
Berlin verfügt über Flächen, Innovationskraft und ein wachsendes Bewusstsein für nachhaltige Stadtentwicklung.
Professor Raoul Bunschoten, Architekt und Stadtplaner

Wichtigster Hebel Digitalisierung

Die Akteurinnen und Akteure von Bauhütte 4.0 wollen dafür sorgen, dass mehr nachwachsende Rohstoffe im Bauen eingesetzt werden – mit Hilfe einer unterbrechungsfreien Prozesskette des urbanen Holzbaus und intelligenter Vorfertigung. Es wird erforscht und erprobt, wie Holzmodulbau, Kreislaufprinzipien und urbane Produktion synergetisch zusammenwirken können: „Wir brauchen nicht nur neue Gebäude, sondern neue Bauweisen, die Rückbau und Wiederverwendung von Anfang an mitdenken.“ Wichtigster Hebel seiner Arbeit ist die Digitalisierung: Für Bunschoten ist klar, dass der nachhaltige Umbau von Städten ohne digitale Werkzeuge nicht zu bewältigen ist. Ob digitale Zwillinge von Stadtquartieren, KI-gestützte Materialflusssteuerung oder smarte Planungsprozesse – moderne Technologien ermöglichen es, Ressourcen effizienter zu nutzen, Emissionen zu minimieren und Bauprozesse grundlegend neu zu denken.

Im Rahmen des MPI-Projekts «Nahtlose Integration für den städtischen Holzbau» unter dem Dach von Bauhütte 4.0 bringen sein Team und er Akteurinnen und Akteure entlang der Prozesskette Wald zu Stadt zusammen, um gemeinsam die nahtlose Integration und zirkuläre Nutzung von biogenen Baustoffen voranzutreibenentwickeln sein Team und er eine digital vernetzte Prozesskette für den urbanen Holzbau, um biogene Baustoffe zirkulär und effizient zu nutzen. Ziel ist es, Bauteile so zu gestalten, dass sie rückbaubar und über den gesamten Lebenszyklus digital dokumentiert sind. Unternehmen entlang der regionalen Wertschöpfungskette – von Sägewerken bis zu Startups im Recycling – werden eingebunden und durch Werkstattformate vernetzt. Digitale Tools unterstützen dabei die datengestützte Entscheidungsfindung und machen zirkuläres Bauen praxistauglich.

4 große Monitore auf rollbaren Gestellen

MPI gibt Möglichkeit zur Mitwirkung

Am Masterplan Industriestadt Berlin gefällt Bunschoten vor allem die systemische Perspektive: „Hier geht es nicht nur um Einzelprojekte, sondern um das große Ganze – um die nahtlose Verbindung von Materialflüssen, digitalen Werkzeugen und städtebaulicher Vision.“ Der MPI ermögliche es, unterschiedliche Akteurinnen und Akteure – von der Bauindustrie über die Politik bis hin zu Wissenschaft und Handwerk – an einen Tisch zu bringen. In Workshops und Netzwerktreffen werden konkrete Projekte angestoßen, Erfahrungen ausgetauscht und Strategien entwickelt. Im Rahmen des Masterplans Industriestadt Berlin sieht er die Chance, genau das zu tun: Brücken bauen. „Der MPI gibt uns die Möglichkeit zur Mitwirkung: Wir können vernetzen, übersetzen, anstoßen.“

Für Raoul Bunschoten den Architekten ist Stadtplanung eine Disziplin, die technische, politische, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte vereint: „Die kreative Seite ist genauso wichtig wie die systemische. Städte müssen heute nicht nur gebaut, sondern intelligent kuratiert werden. Er sieht den Bedarf an einem neuen Beruf: „Urban Curator“. Diese Rolle möchte er als neue Figur zwischen Gestaltung, Politik und Produktion etablieren. Denn: „Was heute fehlt, ist jemand, der das alles zusammenbringt. Der versteht, was ein Baum mit einer Wohnung, ein Algorithmus mit einer Genehmigung oder ein Klimaziel mit einem Grundriss zu tun hat. Und der dabei nicht vergisst, dass wir für Menschen bauen.“ Der MPI, erklärt er, schafft dafür genau den richtigen Resonanzraum.