Logo anabrid und Deep Tech Award

Kurz nachgefragt bei: Anabrid

24.08.2022

Auch Anabrid konnte sich in diesem Jahr über einen Platz unter den Finalist:innen der Deep Tech Awards 2022 freuen. Welche Probleme ihr Produkt im Bereich Social/Sustainable Tech löst, das erfahrt ihr im Interview mit CSO Dr. Sven Köppel.

Profil von Dr. Sven Köppel vor blauem Hintergrund

Dr. Sven Köppel, Chief Scientist Officer von Anabrid

Hallo Sven, vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview genommen hast.

Was ist ein analog-digitales Hybrid Computing? Wie funktioniert es? Was ist eure Mission?

Unsere Mission ist es, jeden Computer der Welt grün zu machen. Das erreichen wir, indem wir die digitale Monokultur durchbrechen mit einem neuen – alten – Computerparadigma. Die Rede ist von klassischem Analogrechnen, einer Rechnertechnologie, die vor Jahrzehnten ausgestorben ist und von der viele noch nie gehört haben. Das Analogrechnen hat allerdings Lösungen für viele drängende Probleme unserer Zeit, etwa den enormen Energieverbrauch und den damit verbundenen CO2-Ausstoß der modernen Computertechnik (vom Smartphone bis zum Rechenzentrum) oder die stetig wachsenden Datenmengen und ihre schnelle Verarbeitung, die uns erst Dinge wie selbstfahrende Autos und den Durchbruch bei Künstlicher Intelligenz ermöglichen wird.

Uns ist bewusst, dass es für diese Probleme viele Ansätze im Bereich des „unkonventionellen Computings“ gibt, zum Beispiel die vielfältigen Bestrebungen in der Quantencomputer-Szene. Unsere Botschaft ist allerdings einfach und stark: Klassisches Analogrechnen ist als historische Technologie komplett verstanden, es gibt keine nennenswerten risikobehafteten Forschungsfragen mehr zu lösen. Anabrid bringt diese ehemals raumfüllenden Technologien auf einen fingernagelgroßen Mikrochip, der schnell und energiesparend Probleme löst, an denen sich digitale Mikrochips die Zähne ausbeißen.

Genauso wie das Quantencomputing wird das Analogcomputing vielfältige Anwendungen haben, etwa bei Simulationen in der Medikamentenforschung, Logistik oder Finanzmathematik. Dabei bauen wir ein System, das sowohl digital als auch analog arbeiten kann – wir sprechen daher von einem Hybriden, der das Beste aus beiden Welten vereint.

Woher habt ihr vom Deep Tech Award erfahren und welche Innovation bringt ihr mit Anabrid auf den Deep-Tech-Markt?

Die Gründer der Anabrid waren schon vor der Firmengründung deutschlandweit tätig. Damit haben wir bereits viel Zeit vor Zoom & Co. verbracht, noch bevor mit der Covid-19 Pandemie die ganze Nation hinter die Webcam rückte. Wir sind stolz darauf, im Deep-Tech-Bereich zwei Gegensätze zusammengebracht zu haben: Den starken Bedarf eines Labors zur Entwicklung physischer Hardware und eine Remote-First-Kultur. Der Sitz in Berlin bot uns dafür ideale Voraussetzungen: An der Schaltstelle der Republik sind wir mit wichtigen Persönlichkeiten schnell vernetzt. Aber auch an der Lausitz, in Westfalen, Rhein-Main, dem High-Tech-Standort München und seit diesem Jahr am Quantencomputing-Forschungsstandort Ulm (gefördert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik) zeigen wir Präsenz. Vom Deep Tech Award hörten wir das erste Mal im Übrigen ganz klassisch über LinkedIn.

Welche Branchen und Felder können von eurer Technologie profitieren?

Wir denken „Deep Tech“ in einer Weise, wie es Prof. Sebastian Halecker vom German Deep Tech Institute in seiner Keynote am Tag der DTA-Preisverleihung am 15. Juni 2022 dargestellt hat: Als Baustein in einem wirtschaftlichen Ökosystem, auf dem ein ganz neuer Wirtschaftszweig etwa in Form von Start-ups entsteht. Nach Jahrzehnten der Digitalisierung ist dieses Grundprinzip der datenbasierten Ökonomie dennoch nicht flächendeckend verstanden worden: Dass Hardware und Software zwei verschiedene Dinge sind und dass ohne immer leistungsfähigere Hardware keine Innovationen in der Software möglich sind. Ein zentrales Versprechen der Anabrid ist es, diesen Innovationsmotor am Laufen zu halten. Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe, den nächsten analog-digitalen Fitnesstracker zu entwickeln. Stattdessen wollen wir die bestehende Computerbranche neu erfinden, indem wir mit unseren Hybrid-Prozessoren bis in den letzten Winkel der Digitalisierung vorstoßen. In diesem Sinne verstehen wir Analogcomputer als Nachbrenner der Digitalisierung, die von kaum einer Anwendung wegzudenken sein werden. Interessent:innen, die mit unserer Technologie neuartige Fitnesstracker bauen wollen, haben wir übrigens schon eine ganze Menge.

Welche Pläne habt ihr mit Anabrid für die Zukunft?

Unser Mitgründer und Analog Evangelist Prof. Bernd Ulmann gilt als weltweit führender Experte auf dem Gebiet des Analogrechnens und hat den einzigen modernen Analogrechner nach klassischer Bauart, den Anabrid, gebaut, vertrieben und weiterentwickelt. Diese leistungsfähige Technologieplattform hat ein hohes Technological Readiness Level (TRL), ist aber lediglich als großer (wir sagen „diskreter“) Prototyp von dem zu verstehen, was unsere Vision darstellt: Die Integration der Technologie auf Nanometerstrukturen in einem Siliziumchip, umgangssprachlich Computerchip genannt. Erst durch die enorme Verdichtung von Rechenelementen können wir eine Leistungsfähigkeit herstellen, an der die digitale Chipindustrie nicht mehr vorbeikommt.

Gleichzeitig wollen wir unseren Werten treu bleiben: Anabrid hat sich (sicherlich wegen seiner starken akademischen Wurzeln) einen Bildungsauftrag gegeben, der bislang etwa in der Erschaffung von „The Analog Thing“ mündete, einem erschwinglichen Analogrechner klassischer Bauart für Lehr- und Ausbildungszwecke. Dank diesem Produkts, welches wir sowohl in Massenproduktion herstellen als auch als Open Source/Open Hardware publiziert haben, konnten wir bereits eine enorme Community von Enthusiast:innen, Early Adopters und „Groupies“ um uns versammeln. Wir machen weiter, indem wir ehrlich und offen leistungsfähige Elektronik entwickeln, die ihre Versprechen einhält und beweist, was der Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland und im Besonderen Berlin leisten kann.