Porträts von Fabian Westerheide und Peter Udo Diehl

KI meets Social Tech

08.02.2022

Können KI und Social Tech zusammenfinden? Wo genau liegen die Schnittstellen und wohin werden sich beide Bereiche 2022 entwickeln? Fabian Westerheide und Peter Udo Diehl stehen uns als Jurymitglieder des Deep Tech Awards Rede und Antwort.

Lieber Herr Westerheide, lieber Herr Diehl, wie schön, dass Sie Zeit für das Interview gefunden haben. Sie beide waren bereits im vergangenen Jahr Teil der Deep Tech Award-Jury in den Kategorien Künstliche Intelligenz und Social/Sustainable Tech. Wir freuen uns sehr, dass Sie auch 2022 wieder dabei sind.
Wenn Sie einmal den Blick auf Ihre Bereiche KI und Social & Sustainable Tech legen, wo denken Sie, liegen die Schnittstellen der beiden Disziplinen?

FW: Die große Frage ist, wie Künstliche Intelligenz
a) nachhaltig an sich sein kann und
b) Nachhaltigkeit exponentiell fördern kann
Das heißt, zukünftige KI-Projekte von Anfang an unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zu entwickeln und gleichzeitig neue KI-Lösungen für die Reduktion des Klimawandels zu bauen.
Daher glaube ich, dass 2022 KI & Sustainable Tech zusammenwachsen, es jedoch auch Diskurse und Spannungen geben wird. KI ist die Speerspitze der Digitalisierung und nicht jede digitale Errungenschaft ist gleichzeitig auch gut für die Umwelt.

Wir haben das Dilemma, dass die USA und China technologisch weit vorne sind. Wenn Europa seine digitale Souveränität zu langsam ausbaut, machen wir uns gefährlich abhängig von anderen Großmächten – mit negativen Folgen für Freiheit, Wirtschaft und Gesellschaft. Gleichzeitig wollen wir erneuerbare Energien, die Kreislaufwirtschaft und den Naturschutz ausbauen. Bisher kann Künstliche Intelligenz diese beiden Pole nicht ausreichend verbinden, doch gemeinsam sollten wir danach streben.

PUD: KI wird mehr und mehr zu einer Grundlage für neue Technologien, ähnlich zur Elektrizität im 17./18. Jahrhundert. Viele Technologien im Gesundheitswesen profitieren von der Auswertung von Daten, die in dem Umfang nicht von Menschen übernommen werden können, wie z. B. konstante Analyse von Blutzuckerwerten, Vorhersage von Bettenauslastungen an einem Krankenhaus, oder die automatisierte Verbesserung von Sprache in Hörgeräten. Was aktuell oft noch gezielte Anwendungen mit hochgradig spezialisierter Technologie sind, wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu einer Basistechnologie entwickeln, so wie wir es für selbstverständlich halten, dass Strom unsere Geräte und mittlerweile Autos betreibt.

Wir stehen gerade noch am Anfang von 2022. Ein neues Jahr – ein neuer Deep Tech Award. Was erhoffen Sie sich beide in diesem Jahr von dem Award?

FW: Mehr diverse Teams, die Technologien mit gesellschaftlichem Mehrwert entwickeln.

PUD: Ich hoffe auf die weiterhin starke Repräsentation von Health-Tech Startups und insbesondere auf neue Technologien im Gesundheitsbereich. Zum Beispiel habe ich trotz des unglaublichen Fortschritts der Technologielandschaft wenige gute KI-Lösungen für die Hilfe bei der anhaltenden Pandemie gesehen. Ich würde mich sehr über Bewerbungen und innovative Lösungen in diesem Bereich freuen (z. B. bessere Vorhersage von Ausbreitung des Virus und den möglichen Mutationen).

Herr Westerheide, werfen wir doch einmal einen Blick auf den vergangenen Deep Tech Award 2021. Nostos Genomics wurde für die Arbeit im Bereich der Diagnostik zum Deep Tech Star gekürt. Was können die künftigen Bewerber:innen von Nostos Genomics lernen?

Sie können lernen, die großen Probleme der Menschheit mit Technologie zu lösen und dabei Mitarbeiter:innen und Investor:innen zu gewinnen, die einen auf dieser langen Reise unterstützen.

Herr Diehl, in Ihrer Kategorie war es das Unternehmen Visseiro, das für seine Arbeit im Bereich der digitalen Healthcare ausgezeichnet wurde. Inwieweit dienen sie als Vorbild für Bewerber:innen?

Visseiro hat den Sweet Spot von Impact und Deep Tech getroffen. Vitalparameter zu messen ist außerordentlich wichtig für die Diagnose und Schnellerkennung vieler Krankheiten, insbesondere im fortgeschrittenen Alter. Visseiros Sitzkissen kann z. B. Blutdruck und Atmung messen, auswerten und Familienangehörige oder Ärzt:innen alarmieren, ohne eine Interaktion der Nutzer:innen zu erfordern. Dies adressiert ein (immer größer werdendes) Problem unserer alternden Bevölkerung und stellt gleichzeitig eine clevere und technisch anspruchsvolle Lösung dar.

Herr Westerheide, Ihre Visionen für 2022 – wohin wird sich die KI in diesem Jahr entwickeln?

Aus meiner Sicht sind die drei Schlüsselthemen für KI 2022 folgende:
1. Wie kann KI nachhaltig sein und wie kann KI Nachhaltigkeit fördern?
2. Welche Auswirkungen werden die KI-Gesetze der EU auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft haben?
3. Wie kann Europa im Bereich der KI die digitale Souveränität erreichen, ohne dass wir technologisch noch weiter ins Hintertreffen geraten?

Herr Diehl, was schwebt Ihnen als Vision für Social/Sustainable Tech vor?

Aufgrund der anhaltenden Pandemie erwarte ich mehr Lösungen, die die Primärversorgung entlasten und somit stärken. Insbesondere innovative Lösungen für die Versorgung von Zuhause aus (z. B. Fortschritt in der Telemedizin) oder auch Verbesserung der Diagnose/Behandlung/Pflege von Patient:innen (z. B. Fortschritt in der automatisierten Überwachung von Patient:innen).

Herr Westerheide: Bitte vervollständigen Sie einmal den Satz: Berlin ist für mich Deep-Tech, weil …

… hier ungemein viele kreative und ambitionierte Talente zusammen an den großen Themen arbeiten.

Herr Diehl, wie würde Ihr Satz aussehen? Berlin ist für mich Deep-Tech, weil …

… Berlin eine der längsten Historien für ausgezeichnete Forschung und Entwicklung hat. So sind zum Beispiel mehr als die Hälfte der deutschen Nobelpreisträger:innen für Medizin und Physiologie mit der Charité affiliiert.

Herr Diehl, welchen abschließenden Tipp geben Sie jungen Unternehmen, die in der Hauptstadt Fuß fassen wollen?

Nutzt die zahlreichen Institutionen, die in Berlin verfügbar sind. Von Berlin Partner (die mit Bürosuche, Recruiting und vielem mehr helfen), über Kooperationen mit den Universitäten und Kliniken, bis hin zu den Angel-Netzwerken, Investitionsbank Berlin und VCs, die das Startup finanzieren können.

Vielen Dank für Ihre Zeit.