Jens Lambrecht Gestalt Robotics

Interview mit Gestalt Robotics

16.12.2022

Die Gestalt Robotics GmbH freute sich 2019 über den Deep Tech Award. Gestalt Robotics ist nicht nur ein Technologieunternehmen, sondern auch Dienstleister für intelligente Automatisierung. Im Fokus stehen dabei immer industrielle Lösungen, die mit Künstlicher Intelligenz ausgestattet sind. Gründer und Geschäftsführer Jens Lambrecht erzählt uns, wie sich das Unternehmen seit dem Gewinn entwickelt hat und welche Prognosen er für Entwicklungen im Bereich KI hat.

Hallo Jens, schön, dass du heute Zeit für ein Interview gefunden hast. Kannst du einmal dich und das Unternehmen Gestalt Robotics vorstellen?

Ich selbst bin Automatisierungstechniker und Robotiker und beschäftige mich mit diesen Themen mittlerweile schon seit mehr als 15 Jahren. Neben Lehre und Forschung sowie Doktorarbeit habe ich immer stark praxisbezogen gearbeitet, mit der Motivation Innovationen in die industrielle Anwendung zu bringen. 2016 ergab sich die Gelegenheit zur Gründung der Gestalt Robotics, zusammen mit den Kollegen Dr. Eugen Funk und Thomas Staufenbiel. Seit 2018 habe ich zudem eine Juniorprofessur an der TU Berlin und bin dementsprechend froh, dass meine Mitgründer die operativen Aufgaben der Unternehmensführung und -entwicklung übernommen haben.
Die Gestalt Robotics ist ein Technologieunternehmen und Dienstleister für intelligente Automatisierung. Nach dem Prinzip „Software-defined Automation“ bieten wir unseren Kunden industrielle Lösungen an, die einen klaren Mehrwert, bspw. bez. Flexibilität, Effizienz oder Erhöhung der Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen durch Künstliche Intelligenz haben. Kern unserer Arbeit ist entsprechend die Entwicklung von kundenindividuellen Lösungen an der Schnittstelle von KI und klassischer Automatisierungstechnik.
Wir sind 2016 zu dritt gleich mit Industrieprojekten gestartet, sind mittlerweile auf eine Teamstärke von ca. 60 Kolleg:innen angewachsen und nach wie vor unabhängig und selbstfinanziert. Wir arbeiten zudem aktuell zunehmend an Großprojekten und können auf ein etabliertes und stetig wachsendes Technologieportfolio und Partnerschaften zurückgreifen.

Ihr habt im Jahr 2019 den Deep Tech mit eurer KI-Pipeline „EPIC“ gewonnen. Wie funktioniert eure Künstliche Intelligenz und was macht sie innovativ?

EPIC heißt mittlerweile EfficientAI und entsprechend deutet dies schon das konkrete Wertversprechen an: Herkömmliche KI-Technologien übertreffen zwar in der Regel die Leistung klassischer Algorithmen, erfordern jedoch große Mengen an Trainingsdaten und einen umfangreichen Trainingsprozess, bevor sie in der Praxis eingesetzt werden können. Dies ist nicht selten für industrielle Anwendungen ein K.O.-Kriterium.
EfficientAI löst dieses Dilemma durch eine Few-Shot-Learning-Technologie. In der Praxis reichen bspw. fünf bis zehn Beispielbilder für visuelle Klassifizierungsaufgaben. Darüber hinaus kann für maximale Kosten- und Zeitersparnis auf umfangreiches erneutes Training verzichtet werden: Änderungen und Erweiterungen sind in Echtzeit einsetzbar, lassen sich ortsflexibel vornehmen und auf beliebige Produktivsysteme ausrollen. EfficientAI ist entsprechend eine bahnbrechende Technologie, die die breite Anwendung Künstlicher Intelligenz in der Industrie möglich macht.

Welche Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz beobachtet ihr in Berlin und darüber hinaus?

Wir kooperieren mit fast allen in unserem Bereich führenden Forschungseinrichtungen in Deutschland und führen zahlreiche F&E-Projekte mit verschiedensten Partnern durch, auch auf europäischer Ebene. Basierend darauf haben wir einen guten und stets aktuellen Überblick über Fortschritte im KI-Bereich. Nachdem bestimmte Technologien aus dem Bereich des überwachten Lernens mittlerweile bereits in der Industrie etabliert sind, sind vor allem Ansätze des Reinforcement Learning und des unüberwachten Lernens für zukünftige Anwendungen spannend. Wir schauen uns diese Themen bereits in ersten Forschungsprojekten zusammen mit Partnern an und arbeiten zielgerichtet daran, diese zur Lösung industrieller Probleme, bspw. bez. generalisierbarer Montage-Skills für Roboter, einsetzen zu können.

Wie hat sich der Gewinn des Deep Tech Awards auf eure Unternehmensentwicklung ausgewirkt?

Der Gewinn des Deep Tech Awards hat uns in einer frühen Unternehmensphase vor allem Bestätigung gegeben, dass wir technologisch und als Firma auf dem richtigen Weg sind. Als junge, selbstfinanzierte Firma haben wir zu dieser Zeit stark durch dieses „Qualitätssiegel“ profitiert und es hat geholfen unsere Bekanntheit signifikant zu verbessern. Zudem war es in der Retrospektive der erste Schritt in Richtung weiterer Auszeichnungen, die über die Jahre hinzugekommen sind, sei es die Nominierung für den Innovationspreis Berlin Brandenburg oder die jüngste Auszeichnung mit dem Lieferantenprädikat der Deutschen Bahn.

Ihr habt aktuell vier Anwendungsbereiche: KI-gestützte Bildverarbeitung, Intelligente Robotik, Autonome Mobilität und Adaptive Assistenzsysteme. Habt ihr noch weitere Anwendungsbereiche in Planung? Wie sind eure Pläne für die Zukunft?

Weitere Anwendungsbereiche sind erstmal nicht geplant, zumal dies bereits ein sehr weites Feld beschreibt, welches allerdings durch das vorhandene Technologieportfolio perfekt bedient werden kann. Vielmehr geht es aktuell darum, einzelne technologische Ansätze in den jeweiligen Bereichen zu standardisierten Lösungen weiterzuentwickeln und diese in die Breite der Anwendung zu tragen. Ein großes Thema in diesem Zusammenhang ist, neben den technologischen Ansätzen, für unsere eigenen Entwicklungen der sogenannte „Nachweis gleicher Sicherheit“, das heißt der methodische Nachweis, dass KI-basierte Systeme eine gleiche oder bessere Perfomance als die manuell durchgeführten Tätigkeiten liefern. Das ist für bestimmte Branchen wie die Pharma- oder Medizinindustrie genauso relevant wie für (sicherheitskritische) Inspektionsaufgaben in anderen Industriebereichen. Weiterführend wird unser Kundenportfolio immer internationaler, sodass ggf. in den nächsten Jahren eine internationale Erweiterung ansteht.

Zu guter Letzt: Was macht Berlin für euch als Tech-Standort aus?

Berlin hat für mich das Potential Weltstadt zu sein und als Pulsgeber für Innovationen „made in Europe“ zu wirken. Nahezu jede große Firma aus dem technischen Bereich schaut auf die Technologie- und Start-upszene in Berlin oder ist hier bereits über eine reine Repräsentanz hinaus aktiv. Dazu kommt ein Zuzug bestens ausgebildeter internationaler Spezialist:innen sowie gut ausgebildete Fachkräfte aus den Berliner Universitäten und Fachhochschulen. Weiterführend weiß Berlin junge Fachkräfte auch aufgrund der einmaligen Atmosphäre in der Stadt über die Ausbildung hinaus zu binden.
Allerdings hatte ich in der Vergangenheit oft den Eindruck, dass wir uns in Berlin oft selbst im Weg stehen und dass es kein wirkliches Ökosystem für Deep-Tech-Firmen gibt. Allerdings bewegt sich aktuell viel: Hoch anzurechnen sind jüngste Initiativen von Berlin Partner zur Etablierung eines Robotik-Ökosystems in der Hauptstadt. Zudem ermöglicht das Werner-von-Siemens Centre for Industry and Science (WvSC), in dem wir übrigens Gründungsmitglied sind, vorwettbewerblichen Austausch und Co-Creation auf dem industriellen Hallenboden. Und auch die Wirtschaftsregion um Berlin herum entwickelt sich jüngst sehr stark und positiv. Diesen Mut, Bereitschaft zur Kooperationen und Innovationscharakter wünsche ich mir mehr, damit wir gemeinsam als Standort im Bereich Automatisierung und KI führend für Europa werden!

Danke für das Interview!