Neues Gutachten der Berliner Landestierschutzbeauftragten und der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht zeigt: Bundesregierung verweigert Versuchstieren nach wie vor elementarsten Schutz und verstößt gegen europäisches Recht!

Pressemitteilung vom 24.09.2021

Gerade sprach sich das Europäische Parlament mit einer überwältigenden Mehrheit für einen konkreten EU-Aktionsplan zum Ausstieg aus dem Tierversuch und für die Förderung innovativer, human-relevanter, tierfreier Forschung aus (vgl. PM v. 23.09.2021). Dass die deutsche Bundesregierung von dem auf europäischer Ebene bereits spürbaren, dingend erforderlichen Paradigmenwechsel indes noch weit entfernt ist, zeigt jetzt ein neues Gutachten der Berliner Landestierschutzbeauftragten Dr. Kathrin Herrmann und des ersten Vorsitzenden der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht Dr. Christoph Maisack auf. Dieses arbeitet deutlich heraus, dass selbst die am 11.08.2021 aufgrund des gegen die Bundesrepublik laufenden Vertragsverletzungsverfahrens durch die Bundesregierung reformierte Fassung der Tierschutz-Versuchstierverordnung immer noch in mindestens 12 wesentlichen Punkten gegen die europäische Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere verstößt. Weiter formuliert das Gutachten die Änderungen, die erforderlich sind, um eine Übereinstimmung mit den Zielen der Richtlinie herbeizuführen.

Dr. Herrmann, die selbst viele Jahre in der zuständigen Behörde für Tierversuche gearbeitet hat, betont: „Das Verfahren zur Genehmigung von Tierversuchen ist in dieser Verordnung nach wie vor so geregelt, dass die Genehmigungsbehörden nicht in der Lage sind, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines beantragten Tierversuchs selbständig und unabhängig von den Darlegungen des antragstellenden Wissenschaftlers und seiner Hilfspersonen zu beurteilen. Die Bundesregierung versucht sogar, die Behörden im Genehmigungsverfahren an Beurteilungen zu binden, die ihnen von Gutachtern vorgelegt werden, die der antragstellende Wissenschaftler zuvor beauftragt und bezahlt hat! Diese Gutachter sind jedoch in hohem Maße parteiisch!“

Im Gegensatz dazu hatte die EU-Kommission die Bundesregierung schon im Juli 2019 darauf hingewiesen, dass nach der EU-Tierversuchsrichtlinie von den Mitgliedstaaten eine unabhängige und „vollumfänglich selbständige Beurteilung“ aller gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen durch die Behörden gewährleistet werden muss. „Eine solch selbständige Beurteilung wird den Behörden in Deutschland entgegen den zwingenden Vorgaben der EU-Tierversuchsrichtlinie weiterhin nicht ermöglicht.“, so Dr. Herrmann.

Der bekannte Kommentator des Tierschutzgesetzes und erste Vorsitzende der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V., Dr. Christoph Maisack, ergänzt: „Dass die Behörden in Genehmigungsverfahren nach dem Willen der Bundesregierung an die Darlegungen von Parteigutachtern, die der antragstellende Wissenschaftler beauftragt und bezahlt hat, gebunden sein sollen und nicht berechtigt sind, einen von ihnen selbst ausgesuchten, neutralen Sachverständigen mit der Beurteilung des beantragten Tierversuchs zu beauftragen, stellt einen eklatanten Verstoß gegen die Vorgaben der EU-Tierversuchsrichtlinie dar.“

In einer mit Gründen versehenen Stellungnahme hatte die EU-Kommission am 25.07.2019 die deutsche Bundesregierung darauf hingewiesen, dass zahlreiche Bestimmungen der Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere durch das deutsche Tierschutzgesetz und die Tierschutz-Versuchstierverordnung nicht korrekt umgesetzt worden seien. Die Bundesregierung legte daraufhin u. a. am 10.05.2021 einen Entwurf für eine Änderung der Tierschutz-Versuchstierverordnung vor [1], der jedoch weiterhin zahlreiche und zum Teil sogar neue Verstöße gegen wesentliche Bestimmungen der EU-Richtlinie enthielt.
[1] BR-Drucksache 393/21

Das angesprochene Gutachten ist unter folgender Internetadresse abrufbar

Kontakt: Dr. Kathrin Herrmann, Landestierschutzbeauftragte, Tel. (030) 9013 3212, E-Mail: tierschutzbeauftragte@senjustva.berlin.de