Schutzauftrag des Berliner Notdienst Kinderschutz

goldener Paragraph lehnt an Wand

Die Aufgabe des Kinder- und des Jugendnotdienstes, als sozialpädagogische Einrichtung des Berliner Notdienst Kinderschutz (BNK), ist die Inobhutnahme und Betreuung von Kindern und Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gemäß § 42 SGB VIII, die meist akut von einer Kindeswohlgefährdung betroffen sind.

Der Schutzauftrag bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung bezieht sich auf ein „Rund-um-die-Uhr-Angebot“ für die ganze Stadt, das an 365 Tagen des Jahres zur Verfügung steht. Die Trägerschaft für den Berliner Notdienst Kinderschutz hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Die Aufgabenstellung der Jugendämter, Schutz vor Vernachlässigung, Misshandlung und anderen Gefährdungen zu gewährleisten, wird immer dann durch den Berliner Notdienst Kinderschutz stellvertretend wahrgenommen, wenn die zuständigen Jugendämter nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen sind.

Der Schutzauftrag

Am 1. Oktober 2005 trat das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK = Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz) in Kraft. Mit dem “Schutzauftrag” der Kinder- und Jugendhilfe bei Gefährdungen des Kindeswohls soll ein effektiverer Schutz des Kindeswohls insbesondere durch:

  • die Konkretisierung des Schutzauftrags des Jugendamtes (§ 8a SGB VIII),
  • die Neuordnung der vorläufigen Maßnahmen bei Krisenintervention (§ 42 SGB VIII),
  • eine stärkere Berücksichtigung des Kindeswohls beim Sozialdatenschutz (§§ 61 ff. SGB VIII) und
  • der verschärften Prüfung von Personen mit bestimmten Vorstrafen (§ 72a SGB VIII)

erreicht werden.

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen bei Gefahren für ihr Wohl soll verbessert und es sollen bestehende Hilfeleistungen dadurch optimiert werden, dass Gefahrensituationen früher erkannt werden. Durch verbindliche Absprachen der (interinstitutionellen) Zusammenarbeit, soll grade bei akuten Krisen, der Verfestigung von Gefährdungslagen für das Kindeswohl entgegengewirkt werden.

Es traten auch Neuerungen in Kraft, in denen Fachkräfte freier (privat-wirtschaftlicher) Träger in besonderer Weise verpflichtet werden, bei Hinweisen auf Gefährdungen für das Wohl von Kindern und Jugendlichen tätig zu werden. Der § 8a SGB VIII* benennt die Rahmenbedingungen fachlichen Handelns und auf welche Weise Fachkräfte die Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe bei der Wahrnehmung ihrer jeweils individuellen Aufgaben mit gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung umzugehen haben. Auf der anderen Seite beinhalten diese Regelungen eine Fülle von unbestimmten Rechtsbegriffen, die von juristischer und pädagogischer Seite einzugrenzen und fachlich einzuordnen sind.

Zum einen handelt es sich bei § 8a SGB VIII* um eine Verfahrensvorschrift (z. B. die Regelungen zum Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte, zur Beteiligung der Personensorge- oder Erziehungsberechtigten und der Kinder/Jugendlichen, zur Informationsweitergabe vom Träger der freien an den Träger der öffentlichen Jugendhilfe). Zum anderen beinhaltet die Vorschrift auch konkrete eigenständige Aufgaben, so etwa zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos, zur Anrufung des Familiengerichts oder zur Einschaltung anderer zuständiger Stellen außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe. Außerdem enthält § 8a Aussagen zur Inobhutnahme nach §42 Abs.3 Satz 2 SGB VIII. Zur Erfüllung des Schutzauftrages wird das Jugendamt gem. § 8a SGB VIII* Abs. 1 tätig, wenn so genannte „gewichtige Anhaltspunkte“ für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt werden. Die Jugendämter sind in einem solchen Fall angehalten, im Sinne einer retrospektiven Gesamtschau, Informationen und Anhaltspunkte zu beurteilen und das Gefährdungsrisiko abzuschätzen (vgl. Meysen/Schindler 2004, S. 449 ff.).

Die Abschätzung des Gefährdungsrisikos soll dabei nicht in der alleinigen Verantwortung einer bzw. der fallverantwortlichen Fachkraft im Jugendamt (bzw. bei einem Träger von Einrichtungen und Diensten) liegen, sondern es wird ausdrücklich bestimmt, dass diese Aufgabe „im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte“ zu leisten ist. In diesen Prozess sollen auch die Personensorgeberechtigten und das Kind/der Jugendliche einbezogen werden.

Mit der Konkretisierung des Schutzauftrages bekommen strukturierte Verfahren der Risikoeinschätzung eine neue Gewichtung und die verpflichtende Regelung zum Einbezug einer oder mehrerer Fachkräfte trägt dazu bei, die Klärungs- und Einschätzungsphase bei Hinweisen auf Gefährdungen zu strukturieren und sich standardisierten Qualitätsmaßstäben anzunähern. Durch die besondere Verpflichtung der Übernahme des Schutzauftrags für Fachkräfte freier Träger – und der damit verbundenen Aufforderung zu einer (zunächst) selbstständigen Abschätzung des Gefährdungsrisikos und der Vermittlung von Hilfsangeboten – kann die Methode der Fall- bzw. Hilfekonferenz auch hier wirksam sein, zumal die erarbeiteten und dokumentierten Ergebnisse als Grundlage für Entscheidungen im Hilfeplanverfahren (gem. § 36 SGB VIII) dienen können. Das Gesetz sieht ausdrücklich die Hinzuziehung einer „insoweit erfahrenen Fachkraft“ vor.

  • Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung

    Empfehlungen zur Umsetzung nach § 8 a SGB VIII

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Für die Erfüllung des Schutzauftrages braucht es

  • fachlich gut qualifiziertes Personal, eine angemessene finanzielle und materielle Ausstattung, eine angemessene Fallzahl (z.B. max. 50)
  • ein verlässliches, kontinuierliches Zusammenwirken aller Beteiligten
  • eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen
  • deutliche Statements und Maßnahmen zum Kinderschutz aus der Politik, die behördenübergreifend umgesetzt und finanziell unterlegt sind
  • eine respektvolle Haltung gegenüber den Eltern unter Anerkennung ihrer Erziehungsverantwortung
  • Respekt und Akzeptanz der betroffenen Kinder, Jugendlichen und Eltern
  • eine ermutigende Beteiligung der Eltern, Kinder und anderer der Familie nahestehender Personen, um an einer Lösung mitzuwirken sowie die Berücksichtigung ihrer Wünsche, Meinungen und Lösungsvorschläge. Die Verantwortung für die Lösung des Problems hat die Familie. Die Verantwortung, das Kindeswohl zu sichern, hat das Jugendamt/Familiengericht, wenn die Eltern dies nicht tun.
  • in Kinderschutzfällen müssen Mindestanforderungen (was darf nicht passieren) der Familie gegenüber klar benannt werden
  • Anerkennung der Maxime: jedes Kind ist einzigartig und der beste Platz zum Aufwachsen ist eine gute Familie

Berlineinheitliche Verfahrensstandards

Zur Sicherstellung der berlineinheitlichen Verfahrensstandards wurden Ausführungsverordnungen geschaffen. Neben der Erreichbarkeit der Jugendämter und des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes sind Regelungen zur Verwendung der entwickelten Instrumente, die Festlegung des Vier-Augen-Prinzips und die vorgeschriebene Reaktionszeit, sowie die Durchführung von Vor-Ort-Besuchen und Regelungen für die Abgabe von Kinderschutzfällen beschrieben.

Staatliches Wächteramt

Dieser gesetzliche Schutzauftrag als Kernaufgabe der Sozialpädagogischen Dienste und die damit verbundene Funktion des staatlichen Wächteramtes leiten sich unmittelbar von Art. 6 GG ab und schließt auch die Erstversorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge mit ein. Die Sicherstellung des Kindeswohls ist sowohl Bestandteil der elterlichen Erziehungsverantwortung gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als auch Teil des staatlichen Wächteramtes gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind die notwendigen Maßnahmen zum Schutz eines Kindes oder Jugendlichen zu ergreifen, die sich auch kurzfristig gegen die elterliche Erziehungsautonomie richten können. Die rechtsverbindliche Einflussnahme auf die elterliche Erziehungsverantwortung ist, sofern das zuständige Jugendamt nicht tätig werden kann, die Kernaufgabe des Berliner Notdienst Kinderschutz.

Die ausgeübte Schutzfunktion steht grundsätzlich im Spannungsfeld zwischen effektivem Kinderschutz und Elternautonomie. Wenn möglich sollte hierüber auch während der Krisenintervention eine einvernehmliche und gemeinsame Lösung gefunden werden. Die Erfassung und Bewertung gewichtiger Anhaltspunkte zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung sind die zentralen Aspekte der Arbeit. Es kommt darauf an, zur Klärung einer ‚benannten Situation’ die notwendigen Informationen zu erhalten bzw. einzuholen, diese fachlich im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen und die Wahl der geeigneten und verhältnismäßigen Mittel zur Gefahrenabwehr zu treffen.

Zur Einschätzung der Gefährdung ist ein ausführliches Gespräch mit den Eltern und, wenn vom Alter her möglich, mit dem Kind oder Jugendlichen besonders wichtig. Die Beteiligung der Kinder und Eltern sowie die Einschätzung der Kooperationswilligkeit und -fähigkeit der Eltern sind von entscheidender Bedeutung für das weitere Vorgehen. Neben den Berliner Jugendämtern sind der Kinder-, Mädchen- und der Jugendnotdienst, die zur Inobhutnahme befugten Dienststellen des Landes Berlin.

Eingriff in das Elternrecht

Der Balanceakt zwischen einem notwendigen Eingriff in das Elternrecht zum Schutz eines Kindes durch eine Inobhutnahme – im Sinne einer Gefahrenabwehr – und der Chance und Notwendigkeit, einen Hilfekontakt zur Unterstützung der Eltern zu beginnen und in Gang zu setzen, stellt hohe Anforderungen an die Ausübung des Wächteramtes und an die Ausführenden dieser Krisenintervention.

Gerade bei der Informationsgewinnung zur Gefährdungseinschätzung (Pflichtaufgabe) gilt es, Widerstand und Abwehr zu vermeiden oder abzubauen, um den weiteren Beratungsprozess und eine Inanspruchnahme von Hilfen nicht zu gefährden. Die Notdienste nehmen in diesen Fällen die Funktion der sozialpädagogischen Krisenintervention wahr und versuchen einen Weg zum weiteren Hilfeprozess im örtlich zuständige Jugendamt – zum fallführenden Sozialarbeiter – zu begleiten.

In allen Fällen von Inobhutnahmen durch die Notdienste ist grundsätzlich zu prüfen, inwieweit die Sorgeberechtigten bei der bestehenden Konfliktlage zwischen ihnen und dem Minderjährigen an der Ausübung des Sorgerechts gehindert sind. In den Fällen, in denen Minderjährige nicht rechtlich vertreten sind, wird die Sorge um das Wohl des Kindes oder Jugendlichen in öffentlich-rechtlicher Verantwortung ausgeführt (z.B. wenn die elterliche Zustimmung für eine dringend erforderliche ärztliche Behandlung fehlt).

Die aktive Einbeziehung und Beteiligung der Kinder und der Eltern spielt sowohl bei der Lösungsfindung als auch bei der Nachhaltigkeit dieser Lösung eine eminent wichtige Rolle. Hierbei wird das Familienumfeld bei der Lösungssuche einbezogen, soweit dies möglich ist.

Im Zusammenhang mit einer notwendigen Inobhutnahme sichert der Berliner Notdienst Kinderschutz den Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen in den entsprechend geeigneten Standorten.

  • Fallbeispiele – aus der Praxis

    aus der Hotline-Kinderschutz, dem Kindernotdienst, dem Jugendnotdienst, dem Mädchennotdienst und der Kontakt- und Beratungsstelle

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