“Diversität? Haben wir in Berlin doch längst!“ Warum das ein Irrtum ist und was Diversität im öffentlichen Dienst konkret bedeutet.
Wieso reicht es nicht, Vielfalt einfach nur zu begrüßen? Warum müssen Führungskräfte aktiv gestalten, wenn sie echte Veränderung wollen? Rea Eldem, Dozentin an der Führungsakademie, spricht mit uns im Interview über die Bedeutung von Diversity in der Führung – und warum wir dieses Thema an der Verwaltungsakademie weiter ausbauen möchten.
Rea Eldem ist die Gründerin und Geschäftsführerin von IN-VISIBLE, Berliner Agentur für gendergerechte Arbeitskultur. Mit ihrem Team berät sie Organisationen darin, strategische Ansätze für strukturelle Veränderungen in Bezug auf Gleichstellung zu entwickeln und umzusetzen. Rea wuchs in Deutschland, Japan und Hongkong auf und studierte Kulturwissenschaften am Bodensee und Gender Studies an der Universität Cambridge.
“Diversität kann einiges bedeuten. Wenn eine Gruppe divers ist, dann ist damit meistens gemeint, dass sie aus Menschen besteht, die unterschiedlich sind, z.B. in Bezug auf ihr Alter, ihr Geschlecht, ihre ethnische Herkunft, ihre Hautfarbe, Nationalität, Religion, Behinderung – und weitere Faktoren. Klar, Berlin ist nach dieser Definition sehr divers. Diese Diversität wird allerdings keineswegs im öffentlichen Dienst abgebildet, und schon gar nicht in der Führung. Das ist ein Problem, denn dadurch gehen Perspektiven verloren, die wichtig wären.”
Manche Führungskräfte sehen Diversität als politisch aufgezwungenes Thema. Warum ist es in Wahrheit eine Frage von guter Führung und Organisationsentwicklung?
“Es ist egal, ob man Diversität nun gut oder schlecht findet – und auch, welche politische Einstellung man hat. Fakt ist: Wir haben schon heute deutlich mehr Diversität als früher und sie wird steigen. Das hat viele Gründe, wie zum Beispiel sich verändernde Geschlechterrollen und der demografische Wandel. Mit dieser Diversität kommen neue Anforderungen an Führungskräfte. Denn: Wenn Personen unterschiedlicher Geschlechter, Sozialisierungen, Alter und anderen Merkmalen aufeinander kommen, dann gibt es auch mehr Reibung. Es entstehen neue Trennlinien, die die Kultur und Zusammenarbeit beeinflussen. Führungskräfte sind hier gefragt, sie müssen diese Diversität managen. Dazu sollten sie wissen, worauf sie zu achten haben und wie sie Strukturen aufbauen, die sicherzustellen, dass sich unterschiedliche Menschen im Team wohlfühlen (können).”
“Aber ich behandle doch sowieso alle gleich!” Viele glauben, dass Sie mit einer neutralen Haltung bereits genug tun. Warum reicht das nicht und was bedeutet es, wirklich diversitätsorientiert zu führen?
“In einer neutralen Welt wäre eine neutrale Haltung gut genug. Da die Arbeitswelt aber nicht neutral ist und Menschen auch nicht, bedarf es einer Auseinandersetzung. Diese finden viele nervig, auch weil sie von sich behaupten, sie würden ja niemanden diskriminieren. Das würde ich mir wünschen, so einfach ist das aber nicht. Um ein Beispiel zu nennen: Frauen wurden jahrhundertelang aus Institutionen ferngehalten. Dadurch sind Strukturen entstanden, die nicht an ihren Bedürfnissen orientiert sind. Wir versuchen nun diese Strukturen anzupassen, z.B. indem wir Modelle wie Teilzeit, flexible Arbeitszeiten, Job-sharing usw. ausprobieren. Diese Optionen werden aber in ein bereits etabliertes System eingesetzt, das in seiner Grundstruktur eigentlich nicht für Mütter gemacht ist, die Karriere und Kind haben wollen. Genauso verhält es sich mit anderen historisch gewachsenen Systemen. Auch längst überholte kulturelle Normen und Vorstellungen wirken in unseren Köpfen nach und führen dazu, dass wir manchmal nicht so neutral beurteilen, wie wir uns wünschen. Bias sitzt im Kopf und in den Prozessen und geht nicht ‘einfach so’ weg, nur weil wir theoretisch alle gleich behandeln wollen. Ein guter Wille ist ein gut, aber nicht gut genug.”
Welche Risiken entstehen für Organisationen, wenn Führungskräfte das Thema nicht ernst nehmen und einfach ignorieren?
“Organisationen, die zukunftsrelevante Themen ignorieren, sind nicht zukunftsfähig. So einfach ist das, auch bei Diversität. Diese ist vielerorts schon Realität, insbesondere was die Zusammenarbeit zwischen Generationen angeht. Wenn Führungskräfte nicht lernen, diese und andere Aspekte von Diversität zu managen, entstehen mitunter toxische Arbeitskulturen, die wiederum zu Unzufriedenheit, schlechter Performanz bis hin zu hoher Fluktuation führen. Schon jetzt ist Diversität ein Faktor bei der Jobsuche, in Zeiten des Fachkräftemangels kann man es sich allein personalpolitisch nicht leisten, dieses Thema zu ignorieren. Wer das tut, läuft Gefahr als Arbeitgeberin unattraktiv zu werden.”
Es wird deutlich: Diversität in der Führung braucht mehr als gute Absichten – sie erfordert Wissen, Reflexion und konkrete Werkzeuge.