Veranstaltungen im Jahr 2001

10. Januar 2001

Michael Plötz:

Westliche Friedensbewegungen im Kalkül von SED und MfS: Der Kampf um den NATO-Doppelbeschluss in den frühen 80er Jahren

Nach der Entspannungsperiode der 70er Jahre kam es 1979 zu einem dramatischen Wettersturz in den Ost-West-Beziehungen. Ursache für den Ausbruch dieses “Zweiten Kalten Krieges” war zum einen die sowjetische Expansion in der Dritten Welt, die Ende Dezember 1979 in der Invasion Afghanistans gipfelte, zum anderen eine sowjetische Militärpolitik, die trotz Abrüstungsrhetorik die ganzen 70er Jahre über einseitig militärische Potentiale angehäuft hatte. Aufgrund des nuklearen Patts zwischen den Supermächten war gerade für Westeuropa eine neue Bedrohungslage entstanden. Durch die Stationierung der SS-20-Rakete sorgte Breshnews Politbüro seit 1975 für eine stetige Verschlimmerung des westeuropäischen Sicherheitsdilemmas. Anfang Dezember 1979 fasste die NATO deshalb ihren Doppelbeschluss, der Verhandlungen über eurostrategische Waffen anbot, zugleich aber mit der Aufstellung neuer US-Mittelstreckenraketen drohte, falls es bis Ende 1983 zu keiner befriedigenden Verhandlungslösung kommen sollte.
Hierauf formierte sich in Westeuropa eine machtvolle Friedensbewegung gegen den Doppelbeschluss. Wie die Dokumente der SED, des MfS und des Friedensrats der DDR belegen, entsprang diese Bewegung keineswegs nur der spontanen Furcht vor dem Atomkrieg. Vielmehr hatten die kommunistischen Einflussapparate bereits 1975 eine “Friedensoffensive” eingeleitet, die die NATO-Staaten zu einseitiger Abrüstung zwingen sollte. Seit etwa 1982 entglitt den Kommunisten jedoch die Kontrolle über die westlichen Friedensbewegungen. Wichtige Leitfiguren wie Petra Kelly oder der Niederländer Mient Faber verbanden den Kampf gegen die Atomwaffen alsbald mit dem Kampf für Menschenrechte; sie bemühten sich um die Zusammenarbeit mit den Dissidenten Osteuropas in einer blockübergreifenden Friedensbewegung. Die SED und ihre Einflussapparate sahen sich deshalb in einen “Zweifrontenkrieg” verwickelt, bei dem sie nicht nur gegen die Militärpolitik der NATO, sondern auch gegen die so genannten “Spalterkräfte” in der Friedensbewegung kämpften. Die Niederlage, die die Sowjetkommunisten in diesem Kampf erlitten, erweist sich in der Rückschau als Auftakt für die friedlichen Revolutionen des Jahres 1989.

Michael Ploetz, geboren 1967 in Stuttgart. Studium der Geschichte in Tübingen. 1993-1998 Forschungstätigkeit am Kriegsforschungsinstitut des Londoner King’s College, u.a. über die Strategie der Sowjetunion im so genannten Zweiten Kalten Krieg (1979-85). Seit 1999 Mitarbeiter des Forschungsverbunds SED-Staat in Berlin.

14. Februar 2001

Detlef Kühn (ehem. Präs. des Gesamtdeutschen Instituts):

Das Gesamtdeutsche Institut im Visier der Staatssicherheit

Als das Gesamtdeutsche Institut, Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (BfgA) im Sommer 1969 gegründet wurde, übernahm es große Teile des Personals des “Vereins zur Förderung der Wiedervereinigung Deutschlands” in Bonn und des “Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen” in Berlin. Beide Organisationen waren für das Ministerium für Staatssicherheit von Anfang an gefährliche “Feindorganisationen”, die entsprechend “bearbeitet” wurden. Damit wurde auch die BfgA sofort als “Feind” erkannt.
An der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam haben sich mehrere Verfasser von Diplomarbeiten und Dissertationen theoretisch mit der BfgA befasst und ihre angebliche Gefährlichkeit für den Sozialismus in der DDR und den Weltfrieden dargestellt. Dabei störte besonders ihr Bemühen um Festigung des Zusammengehörigkeitsgefühls der Deutschen in Ost und West und das Festhalten an der gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit. Obwohl die BfgA eine weitgehend transparente Behörde war, wurde ihr vom MfS stets unterstellt, sie arbeite mit geheimdienstlichen Methoden.
Das MfS hat sich bis zum Schluss bemüht, seine Inoffiziellen Mitarbeiter in das hauptamtliche Personal der BfgA einzuschleusen. Dies scheint ihm aber nur in geringem Maße gelungen zu sein. Erfolgreicher war es bei der Rekrutierung freier Mitarbeiter, die vor allem in der politischen Bildung als Redner eingesetzt wurden. Ob und inwieweit sie als “Einflussagenten” der DDR zu betrachten sind, ist zweifelhaft, muss aber im Einzelnen untersucht werden. Am erfolgreichsten war das MfS sicherlich beim Abhören des Telefonverkehrs der BfgA, dem es seine wichtigsten Erkenntnisse verdankte.
Die Bearbeitung der BfgA durch das MfS beweist einmal mehr, dass die DDR nicht nur an den wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten des eigenen Systems, sondern insbesondere an der ungelösten “nationalen Frage” gescheitert ist, auf die das Regime keine ausreichende Antwort wusste.

14. März 2001

Stephan Wolf (Leiter der Außenstelle Frankfurt (Oder) der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen):

Verwaltung 2000 – Die Staatssicherheit in der NVA und den Grenztruppen

Im Unterschied zu vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen, wo das MfS lieber im Geheimen tätig wurde, verbarg es seine Aktivitäten hinsichtlich NVA und Grenztruppen weit weniger. An der Musterung von Wehrpflichtigen nahm ein Mitarbeiter des MfS offiziell teil. In den Truppenteilen und Einheiten selbst war allenthalben von der “Verwaltung 2000”, der armeeinternen Bezeichnung für die MfS-Hauptabteilung I, die Rede.
Die Abwehrarbeit der “Militärtschekisten” diente dazu, die Verteidigungsfähigkeit der DDR in funktioneller und personeller Hinsicht zu gewährleisten, sowie “subversive Angriffe äußerer und innerer Feinde” aufzudecken, zu verhindern und zu bekämpfen.
Schon beim Aufbau spezieller Polizeiorgane, den Vorläufern der NVA zu Beginn der 50er Jahre, beteiligte sich die HA I. Seit 1962, mit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, gerieten die allermeisten männlichen Bürger – häufig unfreiwillig – in den Verantwortungsbereich der HA I. Dort entstand eine Fülle von sicherheitspolitisch bedenklichen Faktoren: Junge, oftmals noch nicht gefestigte Personen erlernten den Umgang mit Waffen und bekamen diese selbst in die Hand. Der Einsatzzeitraum von lediglich 18 (Grundwehrdienst) bzw. 36 Monaten (Soldaten auf Zeit) führte zu einer ständigen Fluktuation, mehr als in jedem anderen gesellschaftlichen Bereich. Die demographische Entwicklung in den achtziger Jahren erschwerte eine personalpolitische Auswahl für besonders sensible und verantwortungsvolle Posten innerhalb der Armee. Die geringer werdende Zahl an Wehrpflichtigen wurde durch den verstärkten Rückgriff auf Reservisten ausgeglichen, über deren Werdegang aber seit ihrer Entlassung meist wenig bekannt war. Das traf in besonderem Maße auf den Dienst an der Grenze zu West-Berlin und der innerdeutschen Grenze zu.
Seit dem Mauerbau 1961 wurde der Staatssicherheitsdienst eingebunden in ein immer komplexeres System zur Verhinderung von Fluchten in die Bundesrepublik bzw. nach West-Berlin, auch über die Ostsee, und zum Schutz der Staatsgrenze bis hin zur Klärung von Vorkommnissen im Grenzgebiet. Fahnenflüchtige wurden über viele Jahre bearbeitet und Aktivitäten, die sich gegen die Westgrenze der DDR richteten, aufgeklärt. Die HA I sammelte ferner Informationen über militärische und grenzpolizeiliche Einrichtungen im grenznahen gegnerischen Gebiet, dem Operationsgebiet Bundesrepublik und West-Berlin. Schließlich war die HA I für die Errichtung von Grenzschleusen zuständig, über die Personen und Material heimlich die Grenze passieren konnten.

11. April 2001

Philipp-Christian Wachs:

Die Inszenierung eines Schauprozesses – das Verfahren gegen Theodor Oberländer vor dem Obersten Gericht der DDR

An Theodor Oberländer, Jahrgang 1905, scheiden sich bis heute die Geister. Er gehörte zur akademischen Elite des Nationalsozialismus, leitete seit 1933 das Institut für osteuropäische Wirtschaft in Königsberg und wechselte 1937 in das Amt “Ausland-Abwehr der Wehrmacht”. Während des 2. Weltkrieges war er mit Sondereinheiten der Wehrmacht an der Besetzung Osteuropas und der Sowjetunion beteiligt.
1953 wurde Oberländer von Bundeskanzler Adenauer als “Vertriebenen-Minister” ins Kabinett berufen. In einem großen Schauprozess vor dem Obersten Gericht der DDR wurde er 1960 in einem Abwesenheitsverfahren in Ost-Berlin zu lebenslanger Haft verurteilt. Ihm wurde u.a. vorgeworfen, 1941 beim Einmarsch seines Bataillons “Nachtigall” in Lemberg ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung angerichtet zu haben. Mit einer sich allein auf formale Mängel des Urteils aus dem Jahre 1960 stützenden Begründung wurde Oberländer im November 1993 vom Landgericht Berlin rehabilitiert.

Der Referent: Philipp-Christian Wachs, geb. 1967 in Hamburg, studierte in Bamberg, Paris und Berlin Zeitgeschichte und internationale Beziehungen. Im letzten Jahr veröffentlichte er die bisher umfassendste Biographie über Theodor Oberländer.

9. Mai 2001

Wolfgang Buschfort:

Geheimdienstliche Archivalien als zeitgeschichtliche Quellen: Der Nachrichtendienstliche Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen in den 50er Jahren

Das Ende der Ost-West-Konfrontation hat es ermöglicht, dass auch westdeutsche Geheimdienste, obschon weiterhin in Funktion, Einblick in ihre Archive und damit Tätigkeitsbereiche und Arbeitsmethoden gestatten. Dadurch lässt sich auch der Quellenwert bundesdeutscher Geheimdienstunterlagen für die zeitgeschichtliche Forschung bestimmen. Erleichtert wurde dies sicherlich auch dadurch, dass ehemalige vom Osten finanziell ausgehaltene Beobachtungsobjekte, so die DKP samt ihrer Nebenorganisationen, fast vollständig von der politischen Bühne verschwunden sind.
Dem Referenten war es möglich, im Rahmen eines DFG-Forschungsprojektes anhand der Originalakten 2 Jahre lang Einblick in die Gründungs- und Arbeitsgeschichte des Verfassungsschutzes von Nordrhein-Westfalen zu nehmen. Dabei wurde vor allem das Spannungsfeld zwischen britischer Besatzungsmacht, die den Deutschen zunächst keine Mittel zur politischen Überwachung geben wollte, und der preußisch-sozialdemokratischen Ministerialbürokratie deutlich, die hier an ihre Möglichkeiten in der Weimarer Republik anknüpfen wollte, vor allem nachdem sich rechte Gruppierungen reorganisierten. Die so genannte I-Stelle, die nach langen Verhandlungen mit den Briten entstand, war von ihren Initiatoren als Inlands-Nachrichtendienst für ganz Deutschland gedacht und erhielt ihre finanzielle Unterstützung auch beispielsweise aus Niedersachsen, Hessen und Hamburg. Ihr Aufgabenschwerpunkt wandte sich nach der sich manifestierenden Block-Konfrontation sehr schnell nach links, die KPD, die eine Vorgängerinstitution in NRW mitgründen half, wurde nun das Hauptobjekt nachrichtendienstlicher Ausforschung.

Der Referent: Wolfgang Buschfort, Dr. rer. soc., Jg. 1961, studierte und promovierte an der Ruhr-Universität Bochum; z.Z. wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt der DFG zur Erforschung der Geschichte des westdeutschen Verfassungsschutzes, außerdem freier Journalist beim Westdeutschen Rundfunk.
Veröffentlichungen zu Widerstand und Opposition in der SBZ/DDR und zur Sozialversicherung der DDR.

13. Juni 2001

Berlin vor dem Mauerbau – oder: Schnell mal rüber – Grenzverkehr im Berlin der 50er Jahre

Filmvorführung und Gespräch zu einem Film von Ute Bönnen und Gerald Endres

Der 45-Minuten-Film von Ute Bönnen und Gerald Endres schildert den Alltag an der Frontlinie des Kalten Kriegs, die kleinen Tricks und Schiebereien: Wie bringt man Strümpfe in den Westen und schmuggelt das neue Fahrrad aus Berlin ins Dorf? Was ist beim Geldumtausch zu beachten, und warum darf der Lottoschein den Grenzern nicht in die Hände fallen? – Der Film soll die Besucher anregen, ihre Berliner Geschichten aus der Zeit vor dem 13. August zu erzählen.

11. Juli 2001

Gesprächsrunde mit Zeitzeugen zum Thema:

“Unterirdische Grenzen” – Wie in Berlin Wasser-, Gas- und Stromnetze in “Ost und West” geteilt wurden

Veranstaltung des Berliner Landesbeauftragten in Zusammenarbeit mit den Berliner Wasserbetrieben

Mit dem Mauerbau wurden in Berlin nicht nur Menschen voneinander getrennt – auch die bis in die Nachkriegszeit hinein gemeinsamen Versorgungsstränge der Großstadt (Gas, Strom, Wasser und Abwasser, Telefon, Verkehr) wurden nach dem 13. August mehr und mehr durchschnitten. Begonnen hatte dieser Prozess aber bereits mit der Berliner Blockade 1948/49. Darüber berichten werden Mitarbeiter dieser Versorgungsbetriebe aus beiden Teilen der Stadt.

10. Oktober 2001

Bernd Stöver:

Der Fall Otto John – eine Geschichte aus dem Kalten Krieg

Der Übergang des westdeutschen Verfassungsschutzchefs Otto John in die DDR am 20. Juli 1954 wurde als eine Niederlage des Westens im Kalten Krieg wahrgenommen. John selbst behauptete nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik Ende 1955, er sei entführt worden. Auf der Pressekonferenz in Ost-Berlin 1954 hatte er jedoch betont, freiwillig in den Osten gegangen zu sein.

Der Vortrag versucht, den Gründen für das Verhalten Johns, insbesondere aber der Instrumentalisierung des “Falles John” vor dem Hintergrund des Kalten Krieges nachzugehen.

14. November 2001

Hermann Wentker:

Helmut Brandt. Ein Beispiel für Verstrickung, Widerstand und Verfolgung in der DDR

Dr. Helmut Brandt trug 1948 wesentlich dazu bei, die CDU in Berlin zu spalten. Anschließend machte er in der SBZ/DDR Karriere und wurde Staatssekretär im DDR-Justizministerium. Warum wandte sich gerade Brandt 1950 regierungsintern gegen die Waldheimer Prozesse? – eine mutige Intervention, die noch im selben Jahr zu seiner Verhaftung führte. Erst 1963 konnte ihn die Bundesrepublik freikaufen.
Der Vortrag schildert dieses deutsch-deutsche Schicksal zwischen Anpassung und Widerstand.

12. Dezember 2001

Jens Schöne:

“Wir sind dafür, daß über diese Fragen keine Berichterstattung erfolgt.” – Zum Beginn der Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR 1952/53

Als Walter Ulbricht im Juli 1952 auf der 2. Parteikonferenz der SED die Schaffung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften “auf völlig freiwilliger Grundlage” forderte, griff er lediglich eine Entwicklung auf, die in den Dörfern schon seit mehreren Wochen für Unruhe sorgte. Dabei handelte es sich jedoch keineswegs – wie propagandistisch fortwährend behauptet – um eine “spontane” Bewegung. Neue Archivfunde belegen vielmehr, dass die gesamte Kampagne an zentraler Stelle geplant und von dort aus auch zielgerichtet vorangetrieben wurde. Somit aber manifestierte sich hier nicht der Wille der ländlichen Bevölkerung, sondern vor allem der Herrschaftsanspruch der SED. Bis zum April 1952 hatte die Monopolpartei konsequent davon abgesehen, den von Zeitgenossen immer wieder vermuteten Kollektivierungskurs einzuschlagen. Warum erfolgte ein solcher Schritt dann im Frühsommer gleichen Jahres? Welcher Einfluss kam dabei der Sowjetunion zu – und hier insbesondere Stalin? In welchem Umfang war der angestrebte Sozialisierungsschub tatsächlich vorbereitet und wie erklären sich die dabei durchaus erzielten Erfolge? In welchem Verhältnis standen Freiwilligkeit und Zwang während dieser frühen Phase der LPG-Gründungen? Und nicht zuletzt: Welche Rolle spielte das Ministerium für Staatssicherheit innerhalb dieses Prozesses?
Diesen und zahlreichen weiteren Fragen wird innerhalb des Vortrages nachzugehen sein. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich dabei vom Frühjahr 1952 bis hin zu den Ereignissen im Juni und Juli des Jahres 1953; ein Zeitraum, der als erster Abschnitt der Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR angesehen werden kann.

Zur Person: Jens Schöne, geboren 1970 in Staßfurt (Sachsen-Anhalt), Stipendiat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur; nach landwirtschaftlicher Ausbildung Studium der Neueren und Neuesten Geschichte sowie Anglistik/Amerikanistik an der Humboldt-Universität zu Berlin; Veröffentlichungen zur DDR- und Agrargeschichte.