Die Ehm-Welk-Bibliothek in Marzahn-Hellersdorf

Außenfassade mit Inschrift auf Hausfassade

von Waltraud Käß

Die Passanten, die von der Straßenbahn der Linie M 6 kommend, die Bibliothek besuchen möchten, müssen die gesamte Passage an der Alten Hellersdorfer Straße bis an ihr Ende entlang laufen, um die Nummer 125 zu finden. Was eigentlich ein Glücksumstand ist, denn zwischen den ins Auge springenden Werbeschriften von Frauen-Fitness und Reha-Sport würde man den Eingang zur Bibliothek vielleicht übersehen.

Obwohl sich hinter der Eingangstür ein Eldorado für große und kleine Leser verbirgt, welches sich aber erst dann erschließt, wenn man die Eingangstür öffnet. Die Inschrift „Hier sprechen die Stummen und leben die Toten“, die ich vor Jahren an einer Bibliothek einer kleinen, tief im Südwesten Deutschlands liegenden Stadt entdeckte, könnte auch über dem Eingang dieser Bibliothek stehen.

Ich bin mit der Leiterin der Bibliothek, Frau Bandurski, verabredet. Nicht von ungefähr, denn es gibt am 15. August einen Jahrestag zu feiern, der gebührend erwähnt werden sollte.

„Nun ist das so ein Ding mit den Jahrestagen“, erzählt sie mir. Und: „Eigentlich, wenn der Betrachter die alte Zeitrechnung anwenden würde, müssten wir den 30. Geburtstag feiern, denn die Bibliothek wurde am 15.8. 1986 in der Luziner Straße im so genannten „Mecklenburger Viertel“, im Dreh von Kummerower Ring/Ehm-Welk-Straße, eröffnet.

Im März 1994, da hatten wir schon die neue Zeitrechnung der Bundesrepublik, zogen wir mit Kisten und Kasten in die Alte Hellersdorfer Straße 125. Und so kam es, dass wir vor zwei Jahren eine ganze Woche lang mit unseren Lesern das 20-jährige Bestehen der Bibliothek feierten.“ „Ihren Namen hat die Bibliothek dann wohl der Nähe zur Ehm-Welk-Straße zu verdanken?“ frage ich. „Offensichtlich ist es so, eine andere Deutung geben die Unterlagen nicht her“, so Frau Bandurski.

Als DDR-Bürgerin kenne ich natürlich Ehm Welk, zumindest seine wichtigsten Werke. „Die Heiden von Kummerow und ihre lustigen Streiche“ wurden 1967 als Gemeinschaftsproduktion DDR/BRD von der DEFA verfilmt. Während der Recherche finde ich, dass Ehm Welk (29.8.1894 – 19.12.1966) in der DDR als bekannter Schriftsteller und Journalist belegt ist.

Was ich nicht wusste: Ab 1946 lebte er in Mecklenburg und gründete dort sechs Volkshochschulen. Er war Ehrendoktor und Professor an der philosophischen Fakultät der Universität Greifswald. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Die Heiden von Kummerow“ und „Die Gerechten von Kummerow“. Es ist also eine Ehre für eine Bibliothek, diesen Namen zu tragen und seiner zu gedenken. Dazu böte sich z.B. im Dezember 2016 sein 50. Todestag an.

Wir laufen durch die Bibliothek und ich sehe, dass die Stellflächen intensiv ausgenutzt und die Räumlichkeiten mit viel Liebe vom Team der drei Bibliothekarinnen und der drei Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste gestaltet wurden. Hinter dem Angebot von ca. 52 000 Bestandseinheiten (der Fachbegriff für Bücher und audiovisuelle Medien) ist kaum zu erkennen, dass diese sich auf 800 qm Stellfläche befinden.

Ich lese die Namen von Schriftstellern, die einen Nobelpreis erhielten und ich lese die Namen der Verstorbenen. Mitunter trifft beides für eine Person zu. Die Kinderbibliothek ist gut ausgestattet, für alle Altersgruppen findet sich Lesenswertes. In den Räumlichkeiten befinden sich Leseplätze zum schnellen Reinschauen oder konzentriertem Arbeiten, ich sehe Computerplätze, über die im Bestand der Bibliothek recherchiert und die Bestellung erfolgen kann.

„Wir sind die zweitgrößte Bibliothek des Stadtbezirks“ erzählt mir die Leiterin und ergänzt stolz, dass monatlich etwa 8700 Leser von den Mitarbeiterinnen betreut werden. „Bei den Neuerwerbungen orientieren wir uns vor allem an den Interessen unserer Leser und wollen allen im Kiez lebenden Gruppen den Zugang zur Literatur ermöglichen. Zunehmend besuchen uns auch Leser mit Migrationshintergrund.

Das müssen wir berücksichtigen. Deshalb wird es in der Zukunft auch Neuerwerbungen in „leichter Sprache“ geben, die eine große Hilfe beim Erlernen und Anwenden der deutschen Sprache sein werden“, meint Frau Bandurski. Die Anzahl der Leser ist natürlich noch zu toppen, und deshalb unterbreitet das Team monatlich seinen Stamm- und Gelegenheitslesern viele interessante Angebote.
„Was machen Sie so im Einzelnen?“ möchte ich wissen.

„Nun, wir arbeiten besonders gern auch mit den Kindern, mit Kita-Gruppen und Schulklassen, denn unser Angebot bietet sich als Ergänzung zum Unterricht an. Es gibt für die Gruppen eine Einführung in die Arbeit der Bibliothek, das betrifft die Leserausweise, die Modalitäten der Ausleihe, die Benutzung der Bücher und Medien.

Gut besucht sind unsere Veranstaltungsangebote für die Verkehrserziehung der Kinder. Man kann ja nie früh genug damit anfangen. Als einzige Bibliothek im Stadtbezirk haben wir eine „Kontaktstelle für Schulen“. Bei uns finden die Erzieher von Kitas und die Pädagogen der Grund- und Sekundarschulen Klassenlesesätze und thematische Medienkisten, die für den Unterricht ausgeliehen werden können.“ „Das klingt alles streng und geregelt, aber Lesen soll doch auch entspannen und Spaß machen“, sage ich.

„Ja, natürlich, dem tragen wir besonders Rechnung. Alles läuft entspannt. Außerdem haben wir weitere entspannende Angebote für Jung und Alt“, ergänzt sie. „ Zum Beispiel haben wir sechs Mal im Jahr eine Märchenerzählerin zu Gast. Die Berliner Märchentage und der Bezirksvorlesewettbewerb zählen ebenfalls zu unseren Angeboten. Und es gibt Autorenlesungen für alle Altersgruppen.

Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass ein Entwicklungshelfer der deutschen Welthungerhilfe bei uns Vorträge über das Leben, die Kultur, die Probleme in den verschiedensten Ländern unserer Erde hält.
Auch Hobbykünstler finden bei uns eine Plattform für die Präsentation ihrer Werke. Jährlich gibt es sechs Ausstellungen, so etwa alle zwei Monate eine neue.

Und schon gar nicht möchte ich die Gruppe der 50 + vergessen, eine stark vertretene Leserschaft in unserer Bibliothek. Monatlich bieten wir diesen Lesern einen „Literarischen Kaffeeplausch“ an. Am 1. Mittwoch im Monat geht es ab 15.00 Uhr sehr gemütlich bei uns zu. Für alle unsere Veranstaltungen brauchen wir keine Werbung mehr zu machen, die sind sozusagen schon zu Selbstläufern geworden.

Auf unserer Homepage www.berlin.de/bibliotheken-mh können sich aber auch weitere Interessenten über diese Aktivitäten informieren. Und unsere Stammleser wissen sowieso Bescheid.“

Übrigens läuft der nächste „Literarische Kaffeeplausch“ am 6.Juli, 15.00 Uhr unter dem Thema „Die sieben Hunde und Koyo“. Clemènt Drabo hat Geschichten aus seinem westafrikanischen Heimatland Burkina Faso aufgeschrieben und Cornelia Wiekort hat die einfühlsamen Illustrationen geschaffen.

Ich bin sehr beeindruckt, denn alle diese zusätzlichen Aktivitäten müssen ja auch vom Team der Bibliothek gemanagt werden. Da ist der Veranstaltungsraum einzuräumen, umzuräumen und auch auszuräumen. Da wird für den „Literarischen Kaffeeplausch“ der Kuchen selbst gebacken, der Kaffee gekocht und die Tische eingedeckt. Wenn das kein Engagement ist!

Ich habe eine ungefähre Vorstellung davon gewonnen, wie viel (für den Besucher unsichtbare) Arbeit hier zu leisten ist.
„Ist der Beruf der Bibliothekarin Ihr Lebenswunsch gewesen?“ frage ich Frau Bandurski. „O ja,“ meint sie, „ich liebe meinen Beruf. Seit 1977 bin ich nach dem Studium an der Fachhochschule Leipzig im Öffentlichen Dienst tätig, das sind bald 40 Jahre. Und jeden Tag fahre ich von Zepernick immer wieder gerne an meinen Arbeitsplatz hier in Marzahn-Hellersdorf.

Allerdings haben wir heute andere Anforderungen und auch bürokratische Hemmnisse zu stemmen als zu Beginn meiner Laufbahn. Wir müssen uns jetzt insbesondere auf dem Gebiet der elektronischen Medien jeden Tag neu qualifizieren. Heutzutage gibt es die Möglichkeit, zuhause am PC oder unterwegs auf dem Tablet ein Buch zu lesen. Da müssen wir auf der Höhe der Zeit bleiben.

Deshalb ist es auch in Zukunft unsere wichtigste Aufgabe, die Attraktivität einer Bibliothek durch immer neue Verlockungen zu erhöhen. Unsere Benutzer haben hohe Erwartungen. Doch da trifft Nachfrage nicht immer auf Angebot. Z.B. wäre der freie WLAN-Zugang in unserem Stadtbezirk sehr wünschenswert.“

Von Joseph Addison las ich neulich das Zitat „Lesen ist für den Geist, was Gymnastik für den Körper ist.“ Da scheint es doch eine Gemeinsamkeit zwischen Frauen-Fitness-Studio und der Bibliothek am Ende der Passage zu geben.

Für Alle, die diese Bibliothek besuchen oder sich über das Angebot informieren möchten, hier die Koordinaten: Ehm-Welk-Bibliothek, Alte Hellersdorfer Straße 125, 12629 Berlin. Die Telefon-Nr. lautet: 99 895 26. Oder sie besuchen die genannte Internetseite. Die Einrichtung hat Mo., Di. und Do. von 10.00 – 19.00 Uhr sowie Mi. und Fr. von 10.00 – 15.00 Uhr geöffnet.

Bleibt mir nur, Danke zu sagen für die interessanten Aussagen. Möge der Erfolg dem Team der Bibliothek und seiner Leiterin weiterhin sicher sein.