Das Neue Kriminalgericht in Moabit von Alois Wosnitzka. Festschrift zum 100. Geburtstag.

  • Säule im Treppenhaus

    *Festschrift zum 100.Geburtstag*

  • Blick aus luftiger Höhe in die Mittelhalle

    *Blick aus luftiger Höhe in die Mittelhalle*

  • Treppenhaus Q

    *Treppenhaus Q*

"Ein Gebäude wird 100: Und Gerichtsunkundige brauchen fast genauso lang, um sich darin zurecht zu finden".

  • Ein geflügeltes Juristenwort besagt, dass Recht haben und Recht bekommen zwei grundverschiedene Dinge sind. Im Kriminalgericht Moabit spielt dabei bereits das Gebäude selbst eine tragende Rolle auf dem Weg zur „Rechtsbekommung“.

    Schon im April 1906 soll die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ die Möglichkeiten der Orientierung im Kriminalgericht mit den Worten beschrieben haben: „Um sich in dem Labyrinth von Korridoren, Treppen und Seitengängen zurecht zu finden, wird es eines längeren Studiums bedürfen“ . Dabei ist das Gebäude doch so einfach zu überschauen: Es hat im Mittelteil um die Haupthalle herum drei und ansonsten vier für Besucher relevante Etagen, die über ein gutes Dutzend versteckter und offener Treppen erreichbar sind. Drei Längsgänge in Ost-West-Richtung und fünfeinhalb bis sechs Quergänge durchkreuzen jede Etage. Zur Haupthalle hin verlaufen der vordere und mittlere Längsgang im Übergang vom Drei- ins Vieretagensystem in Zwischenetagen. Die Numerierung der Räume tut ein Übriges zur Orientierungshilfe. Sie beginnt beispielsweise im Untergeschoss im vorderen Längsgang rechts von der Haupthalle mit Raum 201. Die ungeraden Anfangszahlen sind der linken Gebäudehälfte vorbehalten. Der Übergang zu den weiteren Gerichtsgebäuden B, C, D, und E befindet sich von der Haupthalle aus betrachtet in der rechten hinteren Gebäudeecke, wo man beispielsweise bei Raum 429, also im ersten Obergeschoss über eine Halbtreppe in die dritte Etage des Gebäudes C und dort logischerweise den Räumen C 201 ff. gelangt.

    Zur Veranschaulichung dieser Systematik begleiten wir den Zeugen Z. auf seinem Weg in einen Gerichtssaal, in dem Z. sich die Erlangung von Gerechtigkeit erhofft. Z. erhielt vor Wochen einen ebenso schmerzhaften wie grundlosen Schlag auf die Nase und möchte nun erleben, wie der Schläger dafür seine gerechte Strafe erhält. Ein mehrseitiges Gerichtsschreiben hat ihn zu 9.15 Uhr in das Kriminalgericht, Saal D 707 geladen und Z. findet sich mit reichlich Zeit am Haupteingang in der Turmstraße ein.
    Um diese einfache Geschichte nicht unnötig zu verkomplizieren sei unterstellt, bei Z. handele es sich um einen nach allgemeinen Maßstäben billig und gerecht denkenden, verständigen, der Gerichtssprache Deutsch ausreichend mächtigen Menschen, der Dank ausreichender körperlicher Fitness zur Überwindung von Entfernungen und Treppen nicht auf einen Fahrstuhl angewiesen und sowohl willens als auch grundsätzlich in der Lage ist, seine Rechte und Pflichten als Zeuge nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen. Kurzum, guten Mutes betritt also Z. das Portal in der Turmstraße. Dort trifft er auf zwei Flügeltüren, einen Warnhinweis zur Strafbarkeit der Mitführung von Fotoapparaten, Handys und (anderer) Waffen und auf einige Hinweisschilder zu Gerichtssälen. Darunter weist ein kleiner Pfeil nach links. Bei genauerem Studium der Schilder wäre zu erahnen, dass dieser kleine Pfeil sich nicht auf die vor Z. befindlichen Flügeltüren bezieht, sondern nur für eine ausgesuchte Zahl von Sälen auf deren Extra-Zugang durch das wenige Meter weiter links gelegene weitere Portal 5 verweist. Da Z. diese Feinheit entgangen ist, versteht er den kleinen Pfeil als Wegweiser nach links zu den Gerichtssälen. Die von Z. daher gewählte linke Flügeltür verfügt statt über einen Türgriff nur über ein vor der eingelegten Milchglasscheibe befestigtes Gitter, an dem Z. die Tür zudem nach außen hin aufziehen muss, so als wolle das Gebäude ihn sofort wieder hinauswerfen. Nach der Überwindung einer weiteren Flügeltür -wieder ohne Griff, dafür aber auch ohne Gitter und somit nur unter Einsatz der Fingernägel zu öffnen- endet der Weg ins Gebäude an einem aus dieser Richtung nicht passierbaren mannshohen massiven Stahldrehkreuz und entpuppt sich daher als Ausgang. Zurück zu den ersten beiden Flügeltüren, den Pfeil nach links ignorieren und die rechte Tür probieren. Diese bietet Z. einen Türgriff an und schwingt einladend nach innen auf. Z. betritt einen rechteckigen Vorraum, wobei die Bezeichnung Glas-Holz-Kasten passender wäre, mit mehreren „türähnlichen“ Segmenten. Diese laden den Besucher ein, wie in einem Glashaus-Irrgarten auf dem Rummelplatz das Weiterkommen zu ertasten. Das Erfolgserlebnis einer beweglichen Tür ereilt Z. nach einer Drehung um 45 Grad am hintersten Segment. Schwingt diese Tür auf, gelangt man in eine noch kleinere viereckigen Box mit einem weiteren Türflügel. Dann erhascht Z. einen ersten Blick in die majestätische Haupthalle, kann sich aber nicht daran erfreuen, denn noch stemmt sich eine Warteschlange dem schnellen Vorankommen entgegen. Die Schlange führt zu einem hüfthohen Drehkreuz, an dem ein Wachtmeister per Knopfdruck über die Durchlässigkeit des Hindernisses entscheidet. Das Drehkreuz hat einen „Zwillingsbruder“ vor dem keine Warteschlange steht und Z. daher beflügelt, unter Umgehung der Warteschlange dort sein Glück zu versuchen. Was ihm außer den bösen Blicken der Wartenden nur den Hinweis des Wachtmeisters einbringt, das zweite Drehkreuz sei Inhabern eines Hausausweises vorbehalten. Z. reiht sich also wieder hinten in die Warteschlange ein. Ein erster Blick auf die Uhr verrät, dass sein Zeitpolster schrumpft. Endlich durch das Drehkreuz ein paar Stufen hoch zur Einlasskontrolle, die deutlich an die akribische Passagierkontrolle am Flughafen erinnert und Z. ist drin.
    Ein freundlicher Wachtmeister erklärt den Weg zum Gerichtssaal: „Den hinteren Längsgang nach rechts bis fast zum Ende, eine halbe Treppe hoch in den Übergang, dann den anschließenden Gang ganz durch und hoch in den obersten Stock.“ Dieser Hinweis erfüllt alle erforderlichen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße juristische Auskunft: Die Auskunft ist vollkommen richtig, nur kann der Adressat nichts damit anfangen.
    Denn ohne es zu ahnen, verfehlt Z. bereits mit den ersten Schritten die beschriebene Wegvorgabe. In der Haupthalle am Fuße der Haupttreppe sind lediglich zwei der drei Längsgänge sichtbar. Der Längsgang an der Gebäuderückseite ist durch die Haupttreppe verdeckt und wäre nur durch Umrundung des breiten Treppenansatzes und dem damit verbundenen Eintauchen in die sich hinter der Treppe deutlich ausbreitende Dunkelheit erreichbar. Dem verständigen Zeugen Z. stellt sich daher der mittlere Längsgang als der beschriebene „hintere“ dar. Am Ende des vermeintlich hinteren mittleren Längsganges hat Z. schon mehr als 80 Meter hinter sich gelegt und die Wegbeschreibung des Wachtmeisters nur noch vage in Erinnerung. Jedenfalls hieß es „Treppe hoch“ und tatsächlich findet sich am Gangende eine Treppe (in diesem Fall die Treppe Q), die Z. erklimmt. Eine Etage höher erinnert nichts mehr an die längst vergessene Wegbeschreibung. Daher beschließt Z., sich fortan an der Raumnumerierung zu orientieren. Ein erster Hinweis auf die Räume 419-422 verrät, dass er jedenfalls noch nicht im richtigen Stockwerk ist. Z., dessen Zeitpolster mittlerweile erschöpft ist, hechtet die Treppe Q weiter hoch, registriert glücklich den Hinweis auf die Räume 629 – 636 und klettert eine Etage höher, dorthin, wo er nach Adam Riese die Räume 700 erwartet. Ungläubig nimmt er oben angekommen die Hinweise auf die Räume 806 – 816 wahr, ärgert sich, dass er offensichtlich zu weit gestiegen ist und steigt wieder hinunter. Eine Treppe tiefer empfangen ihn die Räume 629 – 636 wieder, die sich zwischenzeitlich -wie im Übrigen auch seit 100 Jahren- nicht bewegt haben. Auch zwei weitere sorgfältige Absuchen der Treppe führen nicht zur Auffindung der in Verlust geratenen Räume 700. Es stimmt also: Iudex non calculat. Auf der Suche nach einer logischen Erklärung entdeckt Z. in der Nähe des Hinweises auf die Räume 629- 636 in Richtung Gebäuderückseite den weiteren Hinweis auf Raum 641. Der Logik der aufsteigenden Zahlen folgend, hofft Z. sich über Raum 641 seinem Raum 707 nähern zu können.

    An dieser Stelle sei die Anmerkung erlaubt, dass die Hinweise an den Wänden in benutzerfreundlicher Weise immer nur auf die Räume verweisen, die sich im unmittelbar angrenzenden Teilstück eines jeweiligen Ganges befinden. Wie es im nächsten Gangabschnitt aussieht, bleibt am jeweiligen Anfang eines Gangabschnittes ein Geheimnis. Eilig macht Z. sich vom rechten Ende des mittleren Längsgangs durch den westlichsten Quergang in Richtung Gebäuderückseite auf den Weg und wird nach 20 Metern prompt belohnt. Er prallt fast gegen einen Aktenwagen, der unbemerkt aber ebenso eilig aus einem Seitengang geschoben wird. Den Schreck, der jeden Herzschrittmacher vor ernste Problem gestellt hätte, ignorierend, läßt sich Z. vom aktenwagenschiebenden Wachtmeister Orientierungshilfe geben: Die ungeraden Raumnummern befinden sich in der linken Gebäudehälfte, also vom gegenwärtigen Standpunkt aus auf der anderen Seite der Haupthalle.

    Die Numerierung beginnt von der Haupthalle aus gesehen im vordersten Längsgang. Saal 707 ist also im vordersten Längsgang, eine Etage höher in der anderen Gebäudehälfte.

    Z. reagiert sofort mit einer Kehrwendung um 180 Grad, hechtet den Quergang zurück Richtung Gebäudefront, passiert den mittleren Längsgang, steigt die schon hinlänglich bekannte Treppe Q nach oben, missachtet die irritierenden Hinweise auf die Säle 800 ff, biegt im vordersten Längsgang in Richtung Haupthalle ein, spurtet etwa 60 Meter durch den Gang und kommt an eine undurchsichtige Panzerglaswand, die den Gang komplett versperrt. Dahinter muss sich der Zugang zu Saal 707 befinden. (Das ist theoretisch auch vollkommen richtig: Der vordere Längsgang in der obersten Etage führt von den Sälen 800 ff kommend an Saal 700 vorbei direkt zu den weiteren Räumen, darunter 707. Allerdings ist der Saal 700 der Hochsicherheitssaal. Der Gang davor ist aus Sicherheitsgründen gesperrt.) Z. steht daher in einer gebäudetechnisch bedingten Sackgasse. Da trotz energischen Klopfens gegen die Panzerglasscheiben niemand reagiert, stürmt Z. in seiner Verzweiflung in die nächstgelegene Tür, womit er unsachgemäß in die Gerichtsverhandlung in Saal 806 poltert, vom Saalwachtmeister energisch wieder auf den Gang gedrängt und auf den weiteren Weg geschickt wird: Den vorderen Längsgang ein Stück zurück, den nächsten Quergang links bis zum mittleren Längsgang, wieder nach links, durch den mittleren Längsgang auf die andere Seite der Haupthalle und dort wieder zur Gebäudefront in den vorderen Längsgang. Z. eilt zweimal links und steht endgültig vor dem Abgrund. Der mittlere Längsgang mündet in die Haupthalle und gibt einen bewunderungswürdigen Blick aus etwa 20 Metern Höhe in das Herzstück des Gebäudes frei, das Z. freilich herzlich wenig interessiert. Er sieht sich lediglich erneut an seinem direkten Weg gehindert, muss er doch die Haupthalle in luftiger Höhe umrunden, also aus dem unterbrochenen mittleren Längsgang rechts rum bis zur Rückseite der Haupthalle, links rum die Rückseite entlang, auf der anderen Seite wieder links, mehrere Meter mit Blickrichtung zur Gebäudevorderseite bis zum mittleren Längsgang, diesmal in der linken Gebäudehälfte. Hier belohnt ihn der Gerichtssaal 729 mit der Gewißheit, dass er endlich in der „richtigen“ Etage angekommen ist. Den nächsten Quergang links zum vordersten Längsgang und tatsächlich ! Z. vermag sein Glück nicht zu fassen. Da steht an der Tür die Zahl 707.

    Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät, dass die Verspätung nicht mehr entschuldbar ist. Z. atmet tief durch und tritt ein. Was er sieht, sprengt jegliche Vorstellung eines Gerichtssaales von Barbara Salesch bis Alexander Hold. „Besenkammer“ drängt sich als Bezeichnung förmlich auf, gefüllt mit Akten, Akten und nochmals Akten. Akten in Regalen, Akten auf dem Boden, Akten unter der Decke, Akten auf dem Schreibtisch. Von einem Richter keine Spur. Zwischen den Akten ist mühsam ein menschliches Wesen zu erkennen, das sich höflich nach Z.s Wünschen erkundigt. Sprachlos zeigt Z. seine Ladung. Ebenso sprachlos wird er auf einen Zettel am Stahlschrank auf dem Flur neben der Tür verwiesen, dem er bislang keinen Beachtung geschenkt hat: „Der Sitzungssaal D 707 ist nicht hier, sondern im Neubau“. Der Buchstabe D ist rot hervorgehoben. Z. starrt auf seine Zeugenladung. Tatsächlich wird er dort aufgefordert, in Saal D 707 zu erscheinen. Ein Detail, dem er bislang keine Bedeutung zugemessen hatte. Aber in der Tat sind die Räume 707 und D 707 nicht identisch. Wie der Hinweiszettel am Schrank offenbart, ist Z. nicht der erste, dem dieser Irrtum unterläuft. Nur ein schwacher Trost. Wo also ist D 707 ? In den hintersten Längsgang, vorbei an der Haupthalle in die andere Gebäudehälfte, dort am Ende links in den Übergang zum Gebäude C, das Gebäude C komplett durchqueren, eine halbe Treppe tiefer in das Gebäude D. Dort hinauf in den 7. Stock zu Saal 707. Z. macht sich auf den Weg. Immerhin offenbart der erste Quergang ihm gütig den Weg zum hintersten Längsgang, in dem Z. zur Haupthalle will. Doch wo ist die Haupthalle ? In bester David-Copperfield-Manie spurlos verschwunden. (Der Längsgang auf der Gebäuderückseite mündet anders als die beiden vorderen Längsgänge nicht in die Halle, sondern führt ununterbrochen hinter der Haupthalle vorbei. Innerhalb des Ganges ist die Halle daher nicht zu sehen. Dafür erstreckt sich der Gang in seiner vollen Länge vor dem Betrachter.)

    Z. stürmt mutig vorwärts, orientiert sich an den Raumnummern. Noch befindet er sich im 700er-Bereich. Nach einem weiteren Quergang steigen die Nummern auf 800, obwohl Z. die Etage jedenfalls nicht bewusst gewechselt hat. (Hat er auch nicht, er hat nur die rechte Gebäudehälfte und daher den Nummernbereich mit den geraden Anfangszahlen erreicht.) Unermüdlich strebt Z. den scheinbar endlosen Gang entlang, fixiert die sich am Ende abzeichnenden Rundtreppe und passiert kurz davor eine unscheinbare Öffnung in der Gebäuderückwand. Er will ihr schon keine Beachtung schenken, als er aus den Augenwinkeln heraus feststellt, dass sich dahinter ein größerer Durchgang öffnet. „Zu den Gebäuden C, D, E“ lädt ein Hinweis an der Wand ein.
    Z., der tief in seinem Inneren ahnt, dass er im Kreis gelaufen ist und bei seinem Fast-Zusammenstoß mit dem Aktenwagen schon einmal nur wenige Meter vor diesem entscheidenden Durchbruch zum Gebäude C gestanden hatte, betritt den Durchgang, eilt hindurch und kommt, wieder ohne auch nur eine Stufe betreten zu haben von den Räumen 800 ff im dritten Stock des Altbaus zu den Räumen C 400 ff im fünften Geschoss des Gerichtsbäudes C. Z. hat keine Zeit, sich darüber zu wundern, hofft nur noch, dass, wenn er schon bei C ist, D nicht mehr weit ist. Stur durchquert Z. das Gebäude C, das im Vergleich zu den endlosen Gängen im Altbau erfreulich kurz ist und in ein weiteres querstehendes Gebäude übergeht. Z. traut seinen Augen kaum. Gebäude D ! Eine Treppe ist auch schnell gefunden und diesmal geizt Justitia auch nicht mit Etagen. Gebäude D ist tatsächlich so konzipiert, dass Etagen und Raumnumerierung miteinander korrespondieren.

    Der siebte Stock, der Besucher nach der mühsamen Erklimmung mit einer beachtlichen Aussicht auf die Berliner Skyline belohnt, beherbergt tatsächlich die Räume mit den Nummern 700 ff. Raum 707 befindet sich bezogen auf die Treppe, die Z. benutzt hat, lediglich an der entgegen gelegenen Gebäudeseite. Ein letzter 40 Meter-Spurt nun auch quer durch Gebäude D. Doch dann kommt die Erlösung: In persönlicher Bestzeit von 36 Minuten und 27 Sekunden hat Z. die Odyssee über 630 Meter und 274 Stufen durch das Gebäudelabyrinth gemeistert. Gerade mal 390 Meter und 105 Stufen mehr als die kürzeste Verbindung zwischen Portal und Saal D 707 (es sei denn, jemand findet den Fahrstuhl im Gebäude D, der sich von C kommend am anderen Ende von D beim Übergang zu B befindet und 140 Stufen einspart). Z. öffnet vorsichtig die Tür und befindet sich tatsächlich in einem Gerichtssaal mit Richterbank und sogar einem Menschen in schwarzer Robe. Der entpuppt sich als der Protokollführer und klärt Z. über die zurückliegenden Ereignisse auf. Der Angeklagte konnte wegen der Schläge gegen Z. nicht verurteilt werden, weil Z. als Zeuge fehlte. Gegen den trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erschienenen Zeugen Z. wurde ein Ordnungsgeld von 150 Euro ersatzweise sechs Tage Ordnungshaft angeordnet.

    Z. hatte nicht geahnt, dass Justitia derart blind sein könnte. Der Schläger läuft weiter frei herum, aber ihm droht Gefängnis. Krasser kann ein Fehlurteil einen Unschuldigen nicht erschlagen. Den Hinweis auf eine neue Verhandlung in nicht absehbarer Zukunft, zu der Z. dann erneut erscheinen muss und deren Ausgang völlig ungewiss ist, nimmt Z. kaum noch wahr.
    Wo findet Z. den Richter oder den Staatsanwalt ? Wenn er seine Kenntnisse der Gebäudeanatomie schon unfreiwillig derart vertieft hat, dass er sechs Tage ins Gefängnis muss, will er den ungerechten Vertretern Justitias auf Erden wenigstens direkt in die Augen sehen. Also, wo muss er hin ? Egal, ob in Gebäude A, B, C, D, oder E, jetzt kennt Z. sich aus.
    Aber gegen Volkes Zorn hält Justitia für ihre Schergen einen besonderen Schutz bereit: Der Staatsanwalt sitzt nämlich im Gebäude T.
    Und die neuen Leiden des jungen Z. auf dem Weg von D nach T sind eine andere Geschichte.

    1 Volker Kähne „Gerichtsgebäude in Berlin“, Berlin 1988

    Von Michael Grunwald. Entnommen aus der Festschrift zum 100. Geburtstag. Erschienen im Berliner Wissenschafts-Verlag, ISBN 3-8305-1176-0.