Einst als „Geschmacksbildungsanstalt“ in der Blütezeit der Industrialisierung entstanden

Interessierte Besucher im Kunstgewerbemuseum Berlin

Ursula A. Kolbe

Wer kennt es nicht – Das Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin mit seinen Standorten am Kulturforum und im Schloss Köpenick. Es gilt als eine der bedeutendsten Sammlungen europäischen Kunsthandwerks vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

Auf stolze 150 Jahre Existenz kann es nunmehr zurückblicken. Als „Geschmacksbildungsanstalt“ in der Blütezeit der Industrialisierung entstanden, wurde die Sammlung zur Grundlage der preußischen Designreform, deren Ideen bis heute nachwirken.

Informationen darüber im Programm der Staatlichen Museen Berlin (1. Quartal 2018) machten mich neugierig, Weiteres über die Anfänge bis zum Heute zu erfahren.

Also: Den Anstoß hatte die Queen Victoria gegeben. Nach der Heirat ihrer Tochter mit Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen lernte sie die Sanitäranlagen der preußischen Schlösser kennen, die weit hinter dem gewohnten Standard in Großbritannien lagen. Möblierung und Ausstattung insgesamt galten alles andere als modern.

Inspiriert vom technologischen Fortschritt, der seit Beginn der Industrialisierung ihre englische Heimat prägte, beauftragte Victoria den Statistiker Hermann Schwabe, eine Studie über die „Förderung der Kunst-Industrie in England und den Stand dieser Frage in Deutschland“ anzufertigen.

Bereits 1851 hatte die Weltstadt London in der ersten großen Weltausstellung im Crystal Palace ihren Reichtum und das Know-how zur Schau gestellt. 1863 dann in der Stadt die Inbetriebnahme der ersten U-Bahn der Welt. Und Frankreich gab seit langem mit seiner großen Kunsttradition den Ton an. Vor allem aber waren es harte wirtschaftliche Faktoren, die die Suche nach den Regeln der Gestaltung vorantrieben. Für die Entschließung neuer Märkte brauchten die jungen Industrienationen gute Produkte.

Victorias Studie war letztlich dann der Anlass zur Erörterung einer Kunst-Industrie-Schule für Berlin und gleichzeitig die Initialzündung für die Gründung des Berliner Kunstgewerbemuseums im Jahre 1867. Und immer wieder wurde in den Folgejahren eine breite Diskussion um die richtige Gestaltung geführt. Das Kunstgewerbemuseum sollte helfen, Kreativität von Kunsthandwerk und Industrie in Preußen in geordnete Bahnen zu lenken.

Das erste Ausstellungsstück ein vergoldetes Kupferkästchen

Eine bedeutende Rolle in den Anfangsjahren spielt u. a. der Stettiner Kunsthistoriker und Archäologe Julius Lessing, der über das Rheinland nach Berlin gekommen war. Er begeisterte sich seit seiner Auseinandersetzung mit der Schrift „Der Stil“ des berühmten Dresdner Architekten Gottfried Semper für das Kunsthandwerk und die Rolle von Material, Zweck und Technik als stilbildende Elemente, berichtete u. a. für das liberale und eines der auflagenstärksten Zeitung, dem Berliner Tagesblatt „National-Zeitung“, von der Weltausstellung 1867 in Paris.

1872 wurde Lessing Schulungsleiter in der neuen Trias aus Schule, Bibliothek und Anschauungs-Sammlung, die das Kunstgewerbemuseum in seinen Anfängen war. Der Bestand, den er zusammentrug, war die Grundlage für die Lehre am neuen Kunstgewerbemuseum.

Die erste offizielle Erwerbung, die sich heute noch, nach 150 Jahren Museumsgeschichte und zwei Weltkriegen, noch im Besitz des Museums befindet, trägt die Inventarnummer 1867.33 – ein kleines vergoldetes Kupferkästchen mit grünem Damast-Seidenfutter und kostbarer Emailornamentik, auf dem sich sein Schöpfer verewigt hat: ELE PHILIPPE FECIT 1866 Paris.

Dieses Kästchen wurde 1867 auf der Pariser Weltausstellung für 80 Mark aus Mitteln des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe erworben. Es galt als Vorbild für die gelungene Adaption von künstlerischen Stilformen längst vergangener Epochen, die für Architektur und Kunsthandwerk im 19. Jahrhundert über Jahrzehnte formprägend war. – Der Bestand, den Lessing zusammengetragen hatte, war die Grundlage für die Lehre am neuen Kunstgewerbemuseum.

Kunsthandwerk vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Wie ging es nun weiter? 1881 erfolgte der Umzug in den neuen Martin-Gropius-Bau mit Spezialsammlungen zur Goldschmiedekunst und Keramik, Glas und Textilien sowie einen chronologischen Überblick über die Geschichte von Einrichtungskunst vom Späten Mittelalter bis zur Gegenwart.

1921 bezog das Museum einen Teil des Berliner Stadtschlosses und bildete zusammen mit Objekten aus dem Besitz der Hohenzollern das „Schlossmuseum Berlin“. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Museumsräume und Teile des Bestandes zerstört und die Sammlungen zwischen Ost- und Westberlin geteilt; die aus dem Osten 1963 im Schloss Köpenick, die Westberliner im Schloss Charlottenburg. Schloss Köpenick fungiert seit der Wende als Dependance und zweites Ausstellungshaus.

Das Kunstgewerbemuseum sammelt europäisches Kunsthandwerk aller nachantiken Stilepochen der Kunstgeschichte, darunter Gold- und Silberschmiedearbeiten, Glas, Email- und Porzellangefäße, Möbel und Raumgetäfel sowie Tapisserien, Kostüme und Seidenstoffe.

Im Museumsgebäude am Kulturforum führt ein Rundgang auf einer Fläche von 7.000 Quadratmetern durch die historische Entwicklung des Kunsthandwerks vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Gezeigt werden u. a. Stücke mittelalterlicher Schatzkunst aus bedeutenden Kirchen dieser Zeit, so aus dem Dionysius-Schatz der Stiftskirche St. Dionysius in Enger; darüber hinaus über 40 Werke aus dem Welfenschatz.

Für die Epoche der Renaissance steht das Repräsentationssilber der Ratsherren der Stadt Lüneburg mit dem Bürgereidkristall des Hans von Laffert. Exponate der Höfe italienischer Fürstentümer zur Renaissancezeit sind Bronzen, Bildteppiche, Möbel, Venezianer Gläser und Majoliken im Erdgeschoss.

Schätze aus barocken Kunstkammern, Delfter Fayencen und barocke Gläser können im Obergeschoss bewundert werden. Weiterhin ist europäisches Porzellan, vor allem aus Meißen und der Königlich-Preußischen Porzellan-Manufaktur, Zier- und Tischgerät vom Rokoko und Klassizismus über den Historizismus bis zum Jugendstil ausgestellt.

Überregional bedeutend ist die Mode- und Kostümsammlung. Bereichert wurde sie vor allem 2003 durch den Ankauf der Sammlung Kamer/Ruf und 2005 durch die Übernahme der Sammlung des Berliner Modeschöpfers Uli Richter. Die Hauptwerke dieser Sammlung werden seit 2014 im neu etablierten Ausstellungsschwerpunkt „Mode-Kunst-Werke“ im Erdgeschoss gezeigt. Im Untergeschoss wird in der „Neuen Sammlung“ Kunsthandwerk des 20. Jahrhunderts durch Industrieprodukte ergänzt.

„Raumkunst aus Renaissance, Barock und Rokoko“ in Köpenick

Der zweite Museumsstandort im Schloss Köpenick zeigt in einer Dauerausstellung mit dem Titel „Raumkunst aus Renaissance, Barock und Rokoko“ einen Querschnitt der Ausstattungskunst des 16. Bis 18. Jahrhunderts. Abschließend sei noch resümiert werden, dass aus der Kunstgewerbeschule die Universität der Künste hervorgegangen ist, die bis heute für exzellente gestalterische Ideen steht.

So ist Victorias Wunsch am Ende wahr geworden und das Kunstgewerbemuseum zu einem Nukleus guter Gestaltung, der weltweit bedeutsame Designrichtungen wie das Bauhaus hervorgebracht hat. Aus Anlass seines 150jährigen Jubiläums blickt das Kunstgewerbemuseum Berlin auch mit Ausstellungen auf seine Anfänge zurück.
Weitere Informationen

Und ganz zum Schluss Worte in diesen Tagen von Lisa Keller, der Chefdesignerin der Kahla/Thüringen Porzellan GmbH; eine Firma, 1844 gegründet, zu DDR-Zeiten das dortige Zentrum der Porzellanindustrie, nach der Wende schwere Zeiten glanzvoll gemeistert. Ihr Credo:

„Gutes Design darf keinem Trend folgen. Ein Trend geht, Design muss bleiben.“

Auch heute ist Kahla in. Der online-Verkauf boomt, der Exportanteil liegt bei 40 Prozent. – Kunst, Design, Industrie – Sie bilden einen Dreiklang.