Das Jahr fing mit einer Gasexplosion an

Ein zerstörtes Haus

von Rudolf Winterfeldt

Das Kraftwerk Boxberg sollte das größte Kraftwerk der DDR werden. Zur eventuell notwendigen Brandbekämpfung war ein Werksfeuerwehr-Kommando vorgesehen. Da ich bereits eine Fachschule der Feuerwehr absolviert hatte, war meine Versetzung von der Werksfeuerwehr Schwarze Pumpe nach Boxberg beschlossen und wurde zum 1. November 1967 wirksam. Nun war ich hier Kommando-Leiter und damit nicht mehr im Schichtdienst tätig. Wenn es keine Brände und Havarien gab, war ich am Abend, an den Wochenenden und an Feiertagen zu Hause.

So konnte ich also den Jahreswechsel 1967/68 zu Hause in Hoyerswerda feiern (ein Umzug nach Boxberg war für 1968 vorgesehen). Wir wohnten hier in Neubaublocks in Plattenbauweise mit fünf Stockwerken. Silvester hatten wir mit Brigitte, der Ehefrau meines Berufskollegen, gefeiert. Sie wohnten im Nebenblock und ihr Mann befand sich zu dieser Zeit auf einer Fachschule. Der Neujahrstag zeigte sich ohne Schnee, aber kalt und verlief für uns, unter Katerbeschwerden, im Wesentlichen normal.

Die Kinder wollten beschäftigt und die Wohnung musste aufgeräumt werden. Am Nachmittag saßen wir dann alle vor dem Fernseher. Draußen war alles still und friedlich, denn die Knallerei hörte in diesen Jahren wirklich am Neujahrsmorgen um 8:00 Uhr auf und man konnte sich von der anstrengenden Nacht etwas erholen.
Es war so gegen 15:00 Uhr, als ein furchtbarer Knall diese Stille zerriss. Es hörte sich an, als wenn ein Flugzeug die Schallmauer durchbricht. Ich schaute aus dem Fenster und schimpfte auf das Militär, die an diesem Feiertag solche Flugübungen machten. Aber ich hörte kein Geräusch eines Triebwerkes, wie es sonst üblich ist. Was sollte das denn bloß gewesen sein?

Ich schaute aus dem Schlafstubenfenster in die andere Richtung, auch hier war nichts zu sehen. Wir rätselten noch, was dieser Knall für eine Ursache haben könnte, als an unserer Wohnungstür heftig geklingelt wurde. Vor uns stand Brigitte, kreidebleich und völlig verstört und stammelte etwas von einer Explosion. Da war mir alles klar. Sofort rief ich die Feuerwehr an. Dort wusste man schon Bescheid. So wie ich war, in Hemdsärmeln und in Filzpantoffeln, lief ich zum Nebenblock. Schon bei Annäherung sah ich, dass etliche Fensterscheiben fehlten.

Besonders die Fenster des Treppenhauses und in der 4. Etage waren zerstört. Flammen waren nicht zu sehen, also augenscheinlich kein Brand in den Wohnungen, sondern vermutlich eine Gasexplosion, denn wir hatten hier noch Gasherde in den Küchen. Vor dem Hauseingang lagen Glasscherben und Holzstücke von den Fenstern des Treppenhauses. Davor auch einige Menschen, die offensichtlich unter Schock standen. Sie starrten entgeistert auf das Haus und jammerten um ihr Hab und Gut. Einige Schaulustige hatten sich auch schon eingefunden. Im Haus selbst allerdings eine Seltsame Ruhe.

Keine Menschen, die umherliefen oder anderweitig zu bemerken waren. Da ich von den Anwesenden keine Auskunft über noch im Hause befindliche Bewohner erhielt, die Feuerwehr auch noch nicht da war, nahm ich die Sache selbst in die Hand und begab mich in das Haus, um die Lage zu erkunden. Im Treppenhaus kam mir von oben Wasser entgegen gelaufen. Die Wohnungseingangstüren im Erdgeschoss, links und rechts im Treppenhaus, waren offen, aber weiter keine Beschädigungen sichtbar.

Auf mein Rufen erhielt ich keine Antwort. Da keine Zerstörungen erkennbar waren, ging ich davon aus, dass es auch keine verletzten Personen in diesen Wohnungen gab. So war es auch bis zum 3. und auch im 5. Obergeschoss. Aber im 4., da waren die Eingangstüren gar nicht mehr vorhanden. Hier also hatte die vermutliche Gasexplosion stattgefunden. Vom Treppenhaus ging man links in den Korridor und von diesem links in die Küche, dahinter lag gleich das Bad.

Die Küche war ein einziger Trümmerhaufen. Die Zwischenwand zum Bad fehlte zur Hälfte und die Küchenmöbel lagen zersplittert übereinander, der Küchenherd war seitlich geneigt und es brannten alle vorhandenen Gasflammen oben, aber nicht im Backofen. Ich drehte den Gashahn zu, um ein Ausströmen von Gas zu verhindern. Bei meiner Suche nach verletzten Personen fand ich unter den Trümmern eine leblose Person. Sie fühlte sich kalt an und lebte offensichtlich nicht mehr. Weitere Personen fand ich nicht in der Wohnung. Das Wohnzimmer und das Schlafzimmer sahen aus, als wenn ein Riese mit einem Besen einmal quer durchgefegt hätte. Welch eine ungeheure Kraft muss hier wohl gewirkt haben.

Nun war für mich klar, dass hier die Ursache des Ganzen zu suchen war. In der gegenüberliegenden Wohnung fast das gleiche Bild. Glücklicherweise auch hier, wie in den anderen Etagen, niemand, der zu Schaden gekommen ist. Nur fand ich hier die Eingangstür am Ende des Korridors. Die Tür von der anderen Wohnung war nicht mehr vorhanden. Die Wucht der Explosion hatte sie in kleine Splitter zerlegt. Später fanden wir nur noch den Türknopf.

Inzwischen war die Feuerwehr Hoyerswerda eingetroffen und ich konnte dem Einsatzleiter meine Erkenntnisse mitteilen. Er übernahm alles Weitere bei diesem Einsatz. Ich sagte ihm meine Adresse und begab mich nach Hause. Eines allerdings hatte ich vergessen, ich hatte nicht gesagt, dass ich den Gashahn am Herd zugedreht hatte. Später kamen dann der Einsatzleiter der Feuerwehr und die Kriminalpolizei zu mir, um mich zu befragen. Dabei rätselten sie mit mir um die Ursache der Explosion.

Da der Gashahn zu war, konnte ja kein Gas ausströmen. Nachdem das allerdings geklärt war, löste sich der Fall auf. Später erfuhr ich, dass der Mann in der Wohnung aus Liebeskummer Selbstmord begangen hatte. Er hatte alle Gashähne des Küchenherdes geöffnet und die oberen Flammen angezündet. Das ausströmende Gas tötete ihn zuerst und nachdem es die notwendige Konzentration erreicht hatte, entzündete sich das explosive Gemisch an den brennenden Flammen.

Glück im Unglück war hier trotzdem im Spiel. Alle anderen Bewohner waren nicht in ihren Wohnungen. Nur unsere Bekannte, die genau darüber wohnte und ein älteres Ehepaar im Erdgeschoss. So wurde niemand weiter verletzt. Den Schock haben diese Leute bald überwunden. Alles andere musste später geklärt werden. Der Aufgang wurde gesperrt und geräumt. So fing das Jahr 1968 für meine Familie und mich mit einer großen Aufregung an.