Was für ein Tag…

Halle mit Verkaufsständen

von Waltraud Käß

Einiges musste noch erledigt werden. Regina stand im Bad und während sie sich die Zähne putzte, überlegte sie, dass eine Vorsuppe vielleicht doch angebracht wäre, wenn der angekündigte Besuch am Donnerstag zum Essen eintreffen würde. Suppe löffeln und erste Informationen austauschen ist doch eine gute Mischung, dachte sie. Das verkürzt die Zeit bis zum Hauptgang. Alle sind beschäftigt, und Onkel Heinz kam vorerst nicht dazu, seine schon so oft gehörten Witze zu erzählen.

Aber er kam wenigstens mit knurrendem Magen, während Tante Eva wie immer klagte, dass sie doch eigentlich überhaupt keinen Hunger hätte, während sie an ihrem Martini nippte und nach den Oliven, den süßsauren Gürkchen und den Perlzwiebeln griff, die als erster Willkommenssnack dekorativ auf dem Tisch angerichtet waren.

Den Zahnputzbecher noch in der linken Hand, mit der restlichen Zahnpasta im Mund das Wort Möhren vor sich hin murmelnd, rannte Regina in die Küche, griff mit der rechten Hand zum Bleistift und notierte Möhren, Ingwer, Zahnpasta, denn die ging gerade zu Ende. Sie würde eine Möhren-Ingwer-Creme-Suppe kochen.

Die Spannung in ihrem Gesicht verlangte nach der täglichen Ration Creme und erinnerte sie daran, dass sie für die Suppe auch einen Becher Creme fraiche brauchte. Wieder rannte sie in die Küche, verrieb mit der linken Hand die Cremepickel in ihrem Gesicht und notierte Creme fraiche neben Zahnpasta.

Der forschende Blick in den Kühlschrank offenbarte ihr eine gewisse Leere. Richtig, die letzten zwei Tage hatten sie nur von Resten gelebt. Sie kochte einfach immer zu viel. Spaghetti waren übrig geblieben, Tomatensauce mit Hackbällchen wollten aufgebraucht werden, eine Vorratsdose mit Spinat hatte sich auch in der hinteren Ecke gefunden. Ein paar Eier dazu, fertig war das Mittagessen. Im Eierfach langweilte sich ein einziges Ei. Sie sollte frische Eier kaufen, denn Onkel Heinz liebte gekochte und geviertelte Eier als Dekoration auf seinem Salat.

Die Uhr zeigte bereits auf zehn. Sie rannte ins Schlafzimmer, zog ein frisches T-Shirt aus dem Schrank und dachte darüber nach, dass sie vielleicht die Betten frisch beziehen sollte, verwarf den Gedanken gleich wieder und mit ihm die frischen Eier. Schließlich würden ihre Gäste keinen Mittagsschlaf in ihren Betten machen.
Die Blumen mussten noch gegossen werden.

Während sie aus der kleinen Gießkanne die Balkonblumen mit Wasser versorgte, fiel ihr ein, dass sie doch noch mal den Getränkevorrat überprüfen sollte. Natürlich, der Bierkasten war schon wieder halb leer. Für Nachschub musste gesorgt sein. Tante Eva trank am liebsten Radler, aber Onkel Heinz wollte ein anständiges Bier und sie würde sich wie immer mit Wasser begnügen. Sie bückte sich, um die Flaschen zu zählen, als sich die halbvolle Gießkanne auf den Fußboden ergoss. Das haste nun davon, sagte sie vor sich hin, warum willst du auch immer alles gleichzeitig machen.

Für ihren Mann schrieb sie einen Extra-Einkaufszettel, Getränke waren seine Sache. Während sie Kuchenmehl und Sahne auf ihrem Einkaufszettel notierte, gab die Wohnungsklingel eindringliche Töne von sich. Dieser Ton kam von der Haustür, also begehrte jemand Einlass. Auf ihre Frage bekam sie keine Antwort. Wieder klingelte es, dieses Mal an der Wohnungstür. Ein Blick durch den Spion – es war der Paketdienst. Natürlich nicht für sie, sondern für die jungen Nachbarn. Die arbeiteten Beide, da half man doch gern.

Im Bad zog sie die Bürste durch ihre Haare, rannte wieder in die Küche, Haarwäsche und Spray standen nun einträchtig neben Butter, Sahne und Mozarella. Aber noch immer hatte sie keine Idee, welches Hauptgericht sie für ihre Gäste kochen sollte. Vielleicht kam ihr im Supermarkt die Erleuchtung.

Ob das Geld noch reicht? Komisch, in der letzten Zeit reichte das Wirtschaftsgeld nicht so lange wie sonst. Es gab wohl wieder schleichende Preissteigerungen, die nicht gleich auffielen. Hatte sie alles? Ihren Rentnerporsche, Geldbörse, vorsichtshalber auch die EC-Card, Einkaufszettel. Sonderangebote oder Vorräte für den Tiefkühlschrank wandern vielleicht noch mit in den Einkaufswagen.

Es waren nur wenige Kunden im Supermarkt. Da konnte sie in Ruhe einkaufen. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass alle Käufer ausgerechnet an das Regal wollten, vor dem sie gerade stand. Sie griff in die linke Hosentasche, in die sie immer den Einkaufszettel steckte. Wo war er? Sie suchte nervös nach ihrer Brille.

Ihr fiel ein, dass sie im Korridor liegen musste, sie hatte doch beim Paketdienst unterschrieben. Da stand sie – ohne Einkaufszettel und ohne Brille. Sie schloss die Augen und sah ihren Einkaufszettel deutlich vor sich. Das hatte ihr früher schon geholfen, wenn sie sich bei Prüfungen ihren Spickzettel vorstellte. Also los.

Die Augen leicht zusammen gekniffen, stand sie vor dem Regal und drehte der Gefahr den Rücken zu, die auf sie zu kam. Der Stoß von hinten in die Beine brachte sie zum Wanken. Halt suchend griff sie ins Regal, ihr linker Zeigefinger bohrte sich in etwas Weiches, was sie abschütteln wollte. Der Becher Sahne kippte um und die weiße Flüssigkeit rann an ihrem Hosenbein herunter. Wütend wollte sie den Angreifer zur Rede stellen, als sie in erschrockene Kinderaugen schaute.

Ist ja gut, sagte sie in beruhigendem Ton dem Kind in die Augen und seiner Mutter ins Gesicht, die erschrocken und eine Entschuldigung murmelnd, den kleinen Knirps wieder in ihre Obhut nahm. Nichts ist gut, dachte sie, heute ist nicht mein Tag. Erst vergieße ich das Blumenwasser, dann vergesse ich die Brille, verschussele den Einkaufszettel, und jetzt ist auch noch die frische Hose versaut.
Vor der Kasse hatte sich inzwischen eine lange Warteschlange angesammelt, denn es gab nur diese eine Kasse.

Der Wagen der Dame vor ihr blockierte den nachfolgenden Verkehr. Regina bat sie, den Wagen doch ein wenig um die Ecke zu schieben, damit sie an ihren eigenen käme – denn die Kassiererin hatte bereits in einem Wahnsinnstempo mit dem Einscannen der Artikel begonnen. Schon hatte sie diesen wartenden Ausdruck in ihren Augen – schnell, schnell, die nächsten Kunden warten schon.

Das musste schief gehen. Reginas Geldbörse sprang auf, alle ihre Cents und Euros kullerten, sprangen und hüpften über die Kasse und auch in den Einkaufswagen ihrer Vorgängerin, was die Dame noch immer nicht störte. Seelenruhig packte sie weiter ihre Einkäufe ein. Nun war Regina die Blockade in der Kassenschlange, was ihr nicht nur strafende Blicke der ungeduldig wartenden Kunden einbrachte. Die Kommentare hörten sich nicht gut an.

Mit rotem Kopf und schweißgebadet erreichte sie ihre Wohnung. Der Einkaufszettel lag nicht auf dem Küchentisch und auch sonst nirgends. Sie räumte den Rolli aus, aus der Tüte Zucker rieselten einige Gramm desselben, was sie zwang, zum Auswischen den Boden aufzunehmen. Der Einkaufszettel. Friedlich lag er zwischen den Zuckerkrümeln. Er war die ganze Zeit bei ihr. Und natürlich hatte sie die Hälfte vergessen.

Kurzerhand nahm sie den Einkaufszettel ihres Mannes und ergänzte ihn mit den fehlenden Artikeln. Sie würde heute nicht mehr aus dem Haus gehen. Es war einfach nicht ihr Tag.