Eine nicht ganz unwahrscheinliche Begegnung

Bildnis der Ulrike von Levetzow

von Wolfgang Prietsch

„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“ (Thomas Mann, Joseph und seine Brüder-Präambel)

Am Rande der Leipziger Tieflandbucht im Dreiländereck Sachsen/Thüringen/Sachsen-Anhalt, 25 km südlich von Leipzig, 20 km nördlich von Zeitz liegt in einer flachen Landschaft das Dorf Löbnitz. Wer fährt dorthin? Zum Beispiel Leute, die im Alter (wo man nun Zeit hat) auf den Spuren ihrer Vorfahren in die Vergangenheit reisen. So auch wir.

In diesem Löbnitz lebte und arbeitete nämlich ein Alt-Urgroßelternpaar (6. Generation, Ur-4x-Großeltern). Der Alt-Urgroßvater Johann August Höhne, ein Zimmermann, hatte – wie wir im Gatzener Kirchenbuch fanden – am 26.10.1788 in Löbnitz (zuständigen Kirche in Gatzen) geheiratet. Er starb auch in Löbnitz am 3.2.1824.

Bei Recherchen zu diesen Vorfahren wurden wir bald auf den Namen ULRIKE VON LEVETZOW aufmerksam: Sie wurde am 4. Februar 1804 gegen halb neun Uhr in Löbnitz als Tochter des Hochwürdigen und Hochwohlgeborenen Herrn Joachim Otto Ulrich Freihern v. Levetzow und seiner Ehefrau Amalie Theodore Caroline, geb. v.Brösigke geboren und am 17. März getauft.

Bekannt wurde Ulrike von Levetzow als die letzte große Liebe Goethes. Als Goethe 1821 in den böhmischen Kurort Marienbad reiste, die Gebrechen des Alters und auch eine gewisse Einsamkeit deutlich wurden, lernte er die 17-jährige Ulrike kennen, die mit der Mutter und den beiden jüngeren Schwestern dort den Sommer verbrachten.

Der fast 72-Jahre alte Goethe verliebte sich in großer Leidenschaft in das 54 Jahre jüngere Mädchen. Er war schon vorher in Bad Lauchstädt (einem nahe Halle gelegenen sächsischen Kurort mit viel Bezug zu Goethe) mit Ulrikes Großvater, dem Freiherrn Friedrich Leberecht von Bröesigke bekannt.

Blind vor Liebe hielt er zwei Jahre später (1823) mit Hilfe seines Freundes Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach schriftlich, also ganz offiziell, um die Hand der jungen Frau an.

Und seinen 74. Geburtstag feierte Goethe im gleichen Jahr mit Ulrike im heutigen „Hotel Weißer Hirsch“, tschechisch: Bily kun – ehemals Schwarzenberg- Lusthaus.
Ulrike lehnte den Heiratsantrag höflichst ab: Sie hätte noch gar keine Lust zu heiraten.

Diese letzte bittere Enttäuschung in der Liebe brachte Goethe dazu, endgültig Abschied von der Liebe zu nehmen.
Immerhin führte diese Enttäuschung zur berühmten „Marienbader Elegie“, einem Klagegedicht, dass Goethe schon in der Kutsche bei der Abreise aus Marienbad am 5.9.1823 formulierte.

In unsers Busens Reine wogt ein Streben,
Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträtselnd sich den ewig Ungenannten;
Wir heißen´s: fromm sein!- Solcher seligen Höhe
Fühl´ich mich teilhaft, wenn ich vor ihr stehe.
(Auszug aus der Elegie)

Vielfältig ist das Gedicht kommentiert worden: Johann Peter Eckermann sah es als ganz persönlichen Beleg für Goethes große Liebe, Stefan Zweig widmet der Entstehung dieser Liebe ein ganzes Kapitel in den „Sternstunden der Menschheit“, Martin Walser behandelt diese Liebesgeschichte in seinem Roman “Ein liebender Mann“.

Seit 1822 lebte Ulrike dann mit der Mutter und zwei Schwestern im Schloß Trziblitz (damals Böhmen, heute tschechisch: Trebivlice), seit 1868 als Schlossherrin. Sie blieb lebenslang unverheiratet, und starb am 13.11.1899 dort.
Zurück nach Löbnitz. Hier, im Hause ihrer Eltern, das zunächst noch ein altes Jagdschloss war, verbrachte Ulrike die ersten zehn Lebensjahre. 1798 lies Ulrikes Großvater, der schon genannte Freiherr Friedrich Leberecht von Brösigke das Schloss abreißen und ein schlichtes einfaches Herrenhaus errichten.

Der aus Mecklenburg stammende Freiherr Joachim Otto Ulrich von Levetzow, der Vater von Ulrike, kaufte seinem Schwiegervater, dem Freiherrn v. Brösigke, das Gut ab. Da v. Levetzow aber großspurig lebte, verschuldete er sich und musste das Gut verkaufen. Noch heute wird das Gut landwirtschaftlich genutzt, u.a. zur Pferdehaltung.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der in dem kleinen Dorf Löbnitz ansässige Zimmermann Johann August Höhne am Bau des neuen Herrenhauses beteiligt war. Er hatte am 17.2.1764 die Löbnitzerin Johanna Christiana Sophia Gerhard geheiratet.

Auch später könnte er als dienstleistender Zimmermann durchaus den einen oder anderen Auftrag derer von Levetzow erhalten und Ulrike gesehen haben: Für ein Kind ist ja jede Begegnung mit einem arbeitenden Handwerker sicher hochinteressant, zumal für ein aufgewecktes Mädchen, wie Ulrike eines gewesen sein dürfte.

Der Sohn aus der Ehe der Höhnes, Christian Gotthelf Höhne, war 8 Jahre alt, als Ulrike geboren wurde. Bestimmt hat er im kleinen Dorf das adlige Kind oft gesehen, wenn auch möglicherweise mit gebotenem Abstand.
Das Gutshaus steht noch, heute ist es ein Wohnhaus. Vor dem Gutshaus wurde ein schlichter Feldstein aufgestellt, der auf die berühmte ortsansässige Ulrike Bezug nimmt.

Sollten Sie, liebe Leserin und lieber Leser, auf Spuren Goethes einmal in die Leipziger Tieflandbuch kommen, so ist ein Abstecher nach Löbnitz zwar unspektakulär, aber nicht nur aus historischer Sicht durchaus empfehlenswert. Wir jedenfalls haben durch diese „Ahnenreise“ unerwartete Anregungen und Einblicke gewonnen.