Tag der Regional- und Heimatgeschichte „Zur Kirchengeschichte von Marzahn-Hellersdorf“

Kirchenraum mit Altar der Jesuskirche in Kausldorf

von Waltraud Käß

Wenn ich in eine fremde Stadt komme und das Zentrum suche, denke ich immer: Da, wo die Kirche ist, ist die Mitte. Die Mitte des Ortes suchte ich auch heute, am 5.11.2016.

Dieser Ort des Stadtbezirks war mir bisher unbekannt geblieben. Der Heimatverein Marzahn-Hellersdorf e.V., in diesem Jahr feierte er sein 25-jähriges Bestehen, hatte an diesem Tag in die Jesuskirche in Kaulsdorf eingeladen. Ein wenig erhoben und erhaben, mitten auf dem alten Dorfanger stehend, man meint, gar nicht mehr in Berlin zu sein, steht sie da und erregt Aufmerksamkeit schon von weitem. Dass sie eine der ältesten Kirchen Berlins ist und vor knapp 800 Jahren gebaut wurde, sieht man ihr nicht an.

Als ich sie betrat, empfand ich in ihrem Innenraum eine eigentümliche Gemütlichkeit. Von außen schien sie mir größer. Ich fühlte mich wohl, denn sie erdrückte mich nicht mit ihrer Wucht und Dunkelheit, sondern der helle Altar, viel Weiß und viel Gold, die kleine umlaufende Galerie, die Kirchenbänke luden zum Verweilen ein.

Eine interessierte „Gemeinde“ hatte sich versammelt, um den Ausführungen der Referenten zu lauschen, die versuchen wollten, von den Anfängen der Reformation vor 499 Jahren einen Bogen bis in die Neuzeit zu schlagen. So war also auch Martin Luther ein Gast, von dem einiges zu berichten war. Offensichtlich war auch Bischof Dröge von dieser Veranstaltung angetan, denn er sandte ein Grußwort.

Der Vertrieb der Ablassbriefe, der berüchtigste Verkäufer war Johann Tetzel, war zunächst der äußere Anlass der 95 Thesen, die Luther an die Schlosskirche in Wittenberg schlug. Da jedoch der Erlös dieser Ablassbriefe auch in den Bau neuer Kirchen floss, wollte auch Luther diesen Ablasshandel nicht direkt verboten wissen.

Aber er wandte sich an den Herzog Albrecht von Meißen bzw. Brandenburg, der für den Vertrieb sozusagen staatlich zuständig war. Welche Auswüchse diese Ablassbriefe hatten, zeigt ein Beispiel: Ein Schächter (Fleischer) hatte seinen Sohn erschlagen und wollte sich mit einem Ablassbrief von seiner Sünde frei kaufen. So war dann also zu lesen, dass der Sohn ihm in die Axt lief, als er die Sau erschlagen wollte. Niemand dürfe mehr sagen, dass er seinen Sohn erschlagen hätte.

Die Sprache der Kirche und der Gelehrten war zur damaligen Zeit Latein, die den einfachen Menschen, den Bauern auf dem Lande nicht geläufig oder zugänglich war. Als aber Luther ein halbes Jahr nach seinen Thesen den Ablasshandel aufs schärfste in deutscher Sprache verurteilte, verbreiteten sich diese Worte sehr schnell. Einen großen Anteil daran hatten auch die Wittenberger Studenten oder der Bettelmönch Johann Briesemann, der in Cottbus predigte.

Es erschienen aber schon gedruckte Blätter, der Buchdruck war gerade erfunden, die allerdings auch nicht jeder Mensch lesen konnte. So war man vor allem auf die mündliche Verbreitung der „neuen Lehre“ angewiesen. Was sich in den folgenden 500 Jahren kirchengeschichtlich ereignete, passt nicht in diesen Beitrag. Aber wir werden sicher im Jubiläumsjahr mit Details dieser Entwicklung in den Medien versorgt.

Einer der Referenten informierte z.B. darüber, dass die evangelischen Kirchen im 19. Jahrhundert nicht alle an einem Strang zogen und oft zerstritten waren. Streitigkeiten konnten nur aus der Welt geschafft werden, wenn man miteinander redete, damals wie heute. Die Bildung einer Kirchenunion sollte zu einer gewissen Einheitlichkeit sowohl in theologischen als auch in wirtschaftlichen Fragen beitragen.

Hier mischte sich im Jahre 1817 König Friedrich Wilhelm III. mit einer so genannten „Agende“ für die Abhaltung der Gottesdienste ein. Die Kirchen mussten sich auf die gesellschaftliche Entwicklung einstellen. Die Bevölkerungsstruktur veränderte sich, es gab nicht mehr nur die Landbevölkerung.

Zwei Referenten beschäftigten sich mit der Arbeit der Pfarrer insbesondere im Terrain des heutigen Stadtbezirks. Über das Leben und Arbeiten des Pfarrerehepaares Gundula und Anselm Tietsch wurde berichtet und über Pfarrer Albert Hosemann, der 1866 als Vikar nach Malchow kam, im Krieg 1870/71 als Feldpfarrer tätig war und schließlich von 1875 – 1906 in der Gemeinde Biesdorf wirkte.

Ein dunkles Kapitel –Kirche im NS-Staat- stellte Frau Dr. Hübner vor. Viele Pfarrer hatten die Machtübernahme Hitlers zunächst begrüßt. Doch es stellte sich sehr schnell heraus, dass auch die Kirche nach den Regeln des NS-Regimes „reformiert“ werden sollte. Mit dem „Verein Deutscher Christen“, der 1932 gegründet wurde, sollten die Führungsprinzipien der NSDAP auch hier durchgesetzt werden.

Die Einführung des „Reichsbischofs“ Ludwig Müller im Berliner Dom sollte sichern, dass es nur eine einzige kirchenpolitische Richtung gab, nämlich die nationalsozialistische. Der Ariernachweis zog ein in die Lebensläufe der Pfarrer. Pfarrer mit jüdischen Wurzeln wurden entfernt, in die Konzentrationslager geschickt. Überzeugte Nationalsozialisten verließen die Kirche.

Die Kirchen der unterschiedlichen Konfessionen passten sich schließlich an, waren im System angekommen. Pfarrer segneten die Waffen der Wehrmacht. Doch es regte sich auch Widerstand. Das war aber hier nicht das Thema.

Nach dem 2. Weltkrieg mussten sich die Kirchen mit dem Aufbau der DDR und einer sozialistischen Ordnung auseinandersetzen. Ich erinnere mich an den Ausspruch „Religion ist Opium für das Volk“, der mir immer noch zu eigen ist. Es kam zu einem ambivalenten Verhältnis zwischen Staat und Kirche.

Ein Referent berichtete von einem so genannten „Jesuitenprozess“ in den 50-er Jahren, der gegen vier Jesuitenpater geführt wurde. Sie wurden der Spionage oder der Hilfe zur Republikflucht beschuldigt. Die DDR war noch jung und sehr verletzlich. Dialog und Konfrontation wechselten im Verhältnis Kirche-Staat einander also ab. Das ging so bis in die 80-er Jahre.

Dann gingen Staats- und Kirchenmänner aufeinander zu, so dass es zu der Erklärung kam „Kirche im Staat“ zu sein. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die staatlichen Zuwendungen an die Kirchen durch dieses Verhältnis nicht geschmälert wurden. Die Kirchensteuer allein reichte nicht aus, um die Pfarrersstellen zu sichern und die Kirchensubstanz zu erhalten.

Im Wohnungsbauprogramm ab Mitte der 1970-er Jahre waren für die vielen entstehenden Neubaugebiete in der DDR Kirchen zunächst nicht vorgesehen. Jedoch wurde, sicher im Zusammenhang mit dem beginnenden Dialog, ein „Sonderbauprogramm Kirchen“ der Regierung der DDR auf den Weg gebracht.

Auch im damaligen Stadtbezirk Hellersdorf wurde eine Kirche gebaut – nicht in der Mitte- sondern am Rande des Bezirks. Heute hat sie ca. 3600 Gemeindemitglieder. Sie verfügt über diakonische Einrichtungen wie z.B. „Laib und Seele“, eine „Haltestelle“ (eine Einrichtung für Demenzkranke und ihre Angehörigen) und eine eigene Kindertagesstätte.

Es kommt also nicht darauf an, wo man platziert ist, sondern wo man wirklich steht – und da steht die Kirche Hellersdorf mitten im Leben mit vielen weiteren sozialen Projekten.

Was habe ich für mich an Erkenntnissen gewonnen?
- Kirche war und ist ein Machtfaktor
- Sie hat eigene Machtstrukturen im Rahmen ihrer Gemeinden
- Sie unterliegt Veränderungen – sowohl theologisch als auch strukturell bzw. territorial
- Sie kann sich anpassen
- Sie lebt mit den jeweiligen politischen Machtverhältnissen im Konsens oder Dissens
- Sie leistet heutzutage eine enorme, soziale Arbeit
- Kirche und Staat sollten sich aber nicht vermischen

Die Informationen, die sehr gut recherchiert im Rahmen dieses Tages der Regional- und Heimatgeschichte den Zuhörern vermittelt wurden, waren so umfangreich, dass sie nur punktuell erwähnt werden konnten. Es wird, wie auch in jedem Jahr, eine Broschüre zu diesem Ereignis geben, welche beim Heimatverein Marzahn-Hellersdorf e.V. bestellt werden kann.