„Frauen und Bachs Musik“

Kaffeetasse auf Kaffeebohnen

von Waltraud Käß

Eine Ausstellung im Berliner Dom unter diesem Motto weckte meine Aufmerksamkeit. Die Sonderausstellung hatte, so muss ich sagen, das Eisenacher Bachhaus im Rahmen der Bachwochen konzipiert, denn sie war nur bis zum 1. Mai 2016 zu besichtigen. Schade!

Acht Damen, Zeitgenossinnen von Bach, habe ich in Bild und Text kennengelernt und anhand ihrer Biografien einen Einblick in das sich wandelnde Frauenbild jener Zeit erhalten. Durch ihre Salons und als Gastgeberinnen von Gesellschaften wurden sie bekannt. Damals hatte man gerade den Kaffee, dieses köstliche Heißgetränkt, entdeckt.

In der Ausstellung befindet sich ein Kupferstich, der eine Kaffeehausgesellschaft zeigt, was auch ein Beweis dafür sein dürfte. Auch Johann Sebastian Bach war diesem Getränk nicht abgeneigt und hat ihm sogar eine Kantate gewidmet. (Johann Sebastian Bach, geb. 21.3. 1685 in Eisenach)

Herausragende Dame der Ausstellung war für mich die Philosophin und Übersetzerin Luise Adelgunde Gottsched. Sie galt als gelehrteste Frau Deutschlands. Bezeichnend für die damalige Stellung der Frau ist, dass sie z.B. Vorlesungen an der Universität nur durch einen geöffneten Türspalt hören durfte.

Frauen war der Zutritt zu den Universitäten damals verwehrt. Der Ehemann dieser Dame steuerte für eine Liedersammlung Verse über studierende Frauen bei, u.a. „Ihr Mädchen lernet einmal klüger sein“, die als so anstößig empfunden wurden, dass sie aus fast allen Exemplaren der Sammlung entfernt wurden.

Beim Verlassen der Ausstellung war ich doch sehr froh über meine eigene Gleichberechtigung und empfand Dankbarkeit für deren Wegbereiterinnen. Und ich fühlte mich animiert, eine Geschichte über Bach und diese junge Frau aus der „Kaffeekantate“ zu schreiben.

„Die Kaffeekantate“

„Wir machen heute etwas eher Schluss. Ihr habt Euch angestrengt und brav gesungen. So soll auch eine Belohnung sein. Morgen proben wir die achtstimmigen, lateinischen Motetten aus dem Florilegium Portense. Es ist nicht mehr lange hin bis zur Ostermesse in der Thomaskirche.“

Johann Sebastian Bach bemühte sich, die vor ihm stehenden Knaben streng anzuschauen, obwohl ein Lächeln in seinen Augenwinkeln nistete. Er war stolz auf diese Kinder. Stolz auf diesen Chor, den er vom Kantor Johann Kuhnen übernommen hatte.

Seine fünfundfünfzig Kinder. Er nannte sie so, obwohl er selbst dreizehn eigene besaß. Es war wunderbar zu erleben, wie diese kleinen und großen Knaben ihr Talent einsetzten, und wie sie ihm bei seinen Bemühungen folgten, ihre Stimmen zu vervollkommnen. Wenn ein Solo besonders gelang, dann musste er einfach diesem Knaben zärtlich übers Haar streichen.

Obwohl es nicht leicht war, allen die notwendige Disziplin beizubringen. Schließlich war der Jüngste erst neun Jahre alt. Die diensthabenden Inspektoren konnten ein Lied davon singen. Für ihn aber war es eine Ehre, als Kantor diesen Knabenchor, der gemeinsam mit Stadtpfeifern und Kunstgeigern musizierte, zu leiten.

Heute war er selbst ein wenig müde. Vielleicht lag es an der milden Frühlingsluft, die den kalten, schneereichen Winter mehr und mehr verdrängte. Ein wenig Abwechslung und Aufheiterung konnte er schon gebrauchen und ein erfrischendes Getränk wäre auch willkommen. Er warf sich den weiten Mantel mit der Pelerine über und verließ das Schulgebäude neben der Thomaskirche.

Dann überquerte er den großen Platz und schwenkte in eine der von ihm weg führenden, kleinen Gassen ein. Zielsicher lief er dem Duft entgegen, der seit einigen Jahren über dieser Gasse in Leipzig lag. Er war Stammgast im „Arabischen Coffee Baum“, wo es dieses dunkelbraune, starke Getränk gab, welches die Geister wiederbelebte, bei dessen Genuss man manch Gespräch führen und ein Pfeifchen rauchen konnte.

Man erzählte sich, dass eine Herde Ziegen im fernen Afrika beim Grasen die Wirtspflanze dieser köstlichen Bohnen entdeckt hatte. Da die Herde weder Tag noch Nacht zur Ruhe kam, suchten die Hirten nach der Ursache und entdeckten die kleinen Büsche mit den roten Beeren.

Handelsreisende hatten die Frucht nun auch nach Leipzig gebracht. Komische Geschichte war das. Doch selbst die armen Leute hatten inzwischen der Biersuppe abgeschworen und kochten neuerdings Kaffeesuppe. Die vertrieb noch eher den Hunger.

Während er noch seinen Gedanken nachhing, öffnete er die Tür zum „Coffee Baum“ und wie immer schlug ihm auch heute lautes Stimmengewirr entgegen. Er war gespannt, wen von den Honoratioren der Stadt er heute wohl treffen würde. Sein Platz war für ein kleines Entgelt gesichert- ein Namensschild auf dem Tisch verwies auf den Eigentümer desselben.

„Jungfer Liesgen, bring sie mir ein Schälchen Heeßen“, rief er der Tochter des Wirtes zu, die alsbald in einer Kupferkanne das dampfende Getränk vor ihn hin stellte.

Während er in kleinen Schlucken den heißen, aromatischen Kaffee genussvoll über seine Zunge rollen ließ, versuchte er mit seinen Blicken die dicken Rauchschwaden auf der Suche nach einem bekannten Gesicht zu durchdringen und entdeckte Picander, den Dichter, der seinen Lebensunterhalt mit mehr oder weniger guten Versen für die Feiern der guten Gesellschaft verdiente. „Setz er sich doch zu mir, lieber Picander“, rief er und winkte ihm zu. Picander war ein unterhaltsamer Zeitgenosse und vielleicht hatte er fürs Amüsement eine kleine Dichtung parat.

„Sieh an, sieh an, der Kantor Bach. Hat er seine Knaben heute wieder arg gequält?“ Ein gutmütiges Lächeln lag auf seinem Gesicht und nahm den Sätzen ihre Strenge.
„Meister Bach“, sagte er, „hat er schon gehört? Liesgen wird heiraten. Wer das sein wird, weiß sie noch nicht. Sie sucht noch. Ihr Vater, der Wirt Schlendrian, hat es aber schon erlaubt.

Weil sie ihm dafür versprochen hat, endlich mit dem Kaffeetrinken aufzuhören. Was er nicht weiß, ist, dass Liesgen heimlich überall verbreiten lässt, dass sie nur einen Freier nimmt, der mit ihrer Kaffeeleidenschaft einverstanden ist. Ich habe dazu einige Verse geschrieben. Will er sie hören?“

Schon nach dem ersten Vers schlug Bach vergnügt mit seiner Hand auf den Tisch. Das war das pralle Leben. Eine Auseinandersetzung zwischen einem wütenden Vater und einer ungehorsamen Tochter. Er hörte Vater Schlendrian sagen:

„Du böses Kind, Du loses Mädchen,
Ach! Wenn erlang ich meinen Zweck:
Tu mir den Kaffee weg!“
Dann die Antwort von Liesgen:
„Ei, wie schmeckt der Coffee süße,
Lieblicher als tausend Küsse,
milder als Muskatenwein.
Coffee, Coffee muss ich haben,
und wenn jemand mich will laben,
Ach, so schenkt mir Coffee ein.“

Bach tippte bereits mit seinem Finger einige Noten auf den Tisch. Daraus ließ sich was machen, vielleicht eine Kantate, etwas Weltliches. Es müsste einen Erzähler geben, er würde diese Stimme für einen Tenor schreiben. Der Vater müsste einen drohenden Bass bekommen und Liesgen in ihrer Leichtfertigkeit natürlich eine Sopranstimme. Er hatte die Melodie schon ein wenig im Ohr.

Kein großes Orchester sollte spielen. Nur eine Traversflöte, zwei Violinen, die Bratsche würde er arrangieren, und als Basso continuo würde er ein Cembalo einsetzen. Bach räusperte sich vernehmlich. „Hat er noch mehr davon, Picander? Ich wäre an seiner Dichtung sehr interessiert.“

Das Brodeln und Gluckern meiner getimten Kaffeemaschine weckte mich aus einem kurzen Halbschlaf. Ach schade. Die Ausstellung war doch anstrengend gewesen.

Die CD im Recorder war fast abgelaufen. Gerade noch hörte ich den Schlusschor aus der „Kaffeekantate“

„Die Katze lässt das Mausen nicht,
die Jungfern bleiben Kaffeeschwestern.
Die Mutter liebt den Kaffeebrauch,
die Großmama trank solchen auch,
Wer will nun auf die Töchter lästern?“

Die ganze Geschichte hatte ich offensichtlich geträumt. Aber wer weiß. Vielleicht hatte sie sich damals genauso zugetragen.
Und jetzt brauchte auch ich endlich ein Schälchen „Heeßen“.