„Das geht einem schon unter die Haut“ – Ein Besuch im medizinhistorischen Museum der Charitè

Klinkerbau Museum

von Waltraud Käß

Wer einen Besuch im medizinhistorischen Museum der Charitè einplant, muss wissen, worauf er sich einlässt. Die Die Ausstellung zeigt Ergebnisse und Präparate jahrhundertelanger Forschungsarbeit von Ärzten, Pathologen und Rechtsmedizinern am menschlichen Körper, die sich vor allem „unter der Haut“ befinden. Und das ist nichts für schwache Nerven.

Das Museum befindet sich am Charitèplatz 1, ein roter Klinkerbau in der typischen Bauweise der „alten Charitè“. Vom Eingang aus schaut man auf das Humboldtbecken, seine umliegenden Baustellen, auf den wuchtigen Hauptbahnhof bis hinüber zum Regierungsviertel. Damals, als die Charitè gegründet wurde, lag sie noch außerhalb der Stadt.

Es war der 14. November 1709, als König Friedrich I. eine Kabinettsorder erließ, in der die Gründung von „Lazareth-Häusern“ außerhalb der Städte angeordnet wurde. Am 13. November 1710 gründete man die „Vorsorgeeinrichtung“ für Berlin, deren erster Direktor der Leibarzt des Königs, Theodor Eller, wurde. Im Laufe der Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte entwickelte sich aus der Vorsorgeeinrichtung ein Gesundheits- und Forschungszentrum internationalen Ranges.

Auf der Personalliste der Einrichtung stehen viele berühmte Namen wie Rudolf Virchow, Herrmann von Helmholtz, Christoph Wilhelm Hufeland, Carl August Wilhelm Berends, Emil Adolf von Behring, Paul Ehrlich, Carl Bonhoeffer, Robert Koch, Wilhelm Griesinger, Ferdinand Sauerbruch und viele andere Ungenannte, darunter auch einige Nobelpreisträger.

Rudolf Virchow begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Sammlung pathologisch-anatomischer Präparate, um anhand dieser Sammlungen seinen Studenten, den Ärzten, der Öffentlichkeit die Krankheiten zu zeigen, die den menschlichen Körper plagen. Ziel seiner Bemühungen war vor allem, bei Gesunden und Kranken eine Verbesserung ihres persönlichen Verhaltens zu erreichen, denn vor allem die Hygiene jener Zeit ließ sehr zu wünschen übrig.

Bereits im Juni 1899 eröffnete Virchow das pathologische Museum, in dem er über 20 000 Präparate präsentierte. Durch den 2. Weltkrieg wurde die Sammlung stark dezimiert und erst im Jahre 1998 verfügte die Charitè wieder über ein eigenes Museum mit einer Dauerausstellung.

Diese befindet sich in der 2. und 3. Etage des Hauses und gliedert sich in die „Präparate-Sammlung“, den Bereich Medizingeschichte und den historischen Krankensaal. Die gesamte Ausstellung umfasst einen Entwicklungszeitraum der Medizin von 300 Jahren. In der Präparate-Sammlung steht der Besucher fasziniert vor den großen Glasvitrinen mit 750 Feucht- und Trockenpräparaten des menschlichen Körpers, die auf die Sammlung von Virchow zurückgehen.

Wichtige Organsysteme wie Gehirn, Herz, Lunge, Leber, Nieren oder auch die Haut werden in ihrer Normalität aber auch in ihrer krankhaften Entwicklung gezeigt. Es ist nicht jedem Menschen bekannt, wie z.B. ein Hirntumor mit seinen Metastasen aussieht oder wie sich eine Leberzirrhose entwickelt. Die Darstellung aller Krebsarten in den inneren Organen des Menschen nimmt einen breiten Raum ein.

Was bei einem Herzinfarkt passiert oder wie groß Nieren- und auch Gallensteine werden können, das zeigen eine Vielzahl von Präparaten. Auch Fehlentwicklungen ungeborenen Lebens werden gezeigt und es schmerzt, wenn man diese kleinen, nicht voll ausgebildeten oder missgebildeten Körper sieht. Alle Präparate stehen noch heute der Wissenschaft zu Studien- und Lehrzwecken zur Verfügung. Denn daraus können die Studenten wichtige Schlüsse für Diagnostik und Therapie ziehen.

Äußerst aufschlussreich ist die Sammlung des medizinischen Bestecks und seine Entwicklung über 300 Jahre. Unförmig und klobig waren viele der ersten medizinischen Instrumente, mit denen die Kranken (ohne Narkose) malträtiert wurden – wie z.B. die Geräte für eine Zangengeburt. Kaum zu glauben, dass Frauen diese Tortur ausgehalten haben.

Da kann man froh sein, 300 Jahre später zu leben. Und natürlich hat die technische Entwicklung auch vor den medizinischen Untersuchungsgeräten nicht Halt gemacht. Im historischen Krankensaal werden in beeindruckender Weise solche Gerätschaften gezeigt wie z.B. der Gebärstuhl, ein Krankenbett, der Untersuchungsplatz eines Augenarztes, die Eiserne Lunge, die insbesondere bei an Kinderlähmung Erkrankten zur Anwendung kam. Wer darin liegen musste, war wie in einem Gefängnis eingesperrt.

Welche rasante, segensreiche technische Entwicklung sich in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Medizin vollzogen hat, kann der Besucher dann ermessen, wenn er die Gerätschaften zur Sonographie, zur Endoskopie, zum EKG, zum EEG, zum Röntgen oder zur Computertomographie betrachtet. Insgesamt eine sehenswerte Ausstellung, die ihresgleichen sucht.

Nicht vergessen möchte ich die Hörsaalruine des ehemaligen Rudolf Virchow-Hörsaales. Man kann in sie durch ein kleines Schaufenster von einem der Ausstellungsräume hineinsehen. Dieser Hörsaal im einstigen pathologischen Museum wurde Ende des 2. Weltkrieges durch Fliegerbomben zerstört. Er wurde notdürftig widerhergestellt und dienst seit Mitte der 1990-er Jahre auch als Veranstaltungsort für festliche Begegnungen.

Hat man diesen Rundgang durch die Medizingeschichte beendet, sollte man nicht vergessen, die Sonderausstellung „Hieb und Stich – den Tätern auf der Spur“ in der 1. Etage zu besuchen. Diese Sonderausstellung ist allerdings nur noch bis zum 14. Januar 2018 geöffnet. Die Ausstellung befasst sich mit dem plötzlichen Tod z.B. durch Hieb oder Stich oder Gift oder Schuss. Der Rundgang beginnt mit einem „Tatort“ – die Rekonstruktion eines Tötungsdeliktes.

Hier ist man den Spuren auf der Spur. Akribisch werden alle Bereiche der Spurenbildung, der Spurensuche, der Spurenauswertung oder auch die Mordwerkzeuge gezeigt. Ich habe Tötungswerkzeuge gesehen, von denen ich bisher nicht einen Schimmer Ahnung hatte. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Was ein Mensch einem anderen Menschen antun kann, kann sich ein normales Gehirn fast nicht vorstellen.

Aufschlussreich ist die Darstellung der Arbeit in den Kommissariaten der Kriminalpolizei, in den Sektionssälen und Laboren der Rechtsmedizin. Welch ein Aufwand muss getrieben werden, um die tatsächliche Todesursache oder den wirklichen Tathergang nachzuweisen. Da reicht eine Stunde SOKO München, SOKO Wismar oder SOKO Stuttgart nun wirklich nicht aus. Es wäre dem Zuschauer auch nicht zuzumuten, die tatsächlichen Vorgänge anzuschauen.

Das medizinhistorische Museum der Charitè hat folgende Öffnungszeiten:
Dienstag, Donnerstag, Freitag und Sonntag von 10.00 – 17.00 Uhr
Mittwoch und Samstag 10.00 – 19.00 Uhr

Es gibt auch Führungen auf Anfrage: museums-fuehrungen@charite.de oder unter Tel. 030/450 536 102/-122

Pro Erwachsener kostet die Karte 9,00 €, ermäßigt 4,00 €.
Nach dem Rundgang bietet sich ein Spaziergang durch das gesamte Charitè – Gelände mit seinen historischen und neuen Gebäuden an.

Dieses Museum ist ein herausragender Berliner Ort.