Die wechselvolle Geschichte der Finckensteinallee 63- Teil I

Gebäude der Kadettenanstalt

von Waltraud Käß

Nicht nur Menschen erleben und können Geschichten erzählen. Mitunter erkennt der Mensch am Stil und Aussehen öffentlicher oder anderer Bauwerke die jeweilige geschichtliche Epoche, in der solche Bauten entstanden sind. Und er möchte die Geschichten kennenlernen, die sie erzählen könnten.

Warum und wie sind sie entstanden, was hat sich in ihnen ereignet? Wie kam es dazu, dass sie heute einem anderen Zweck dienen als zum Zeitpunkt ihrer Entstehung? In der Berliner Geschichte finden sich viele solcher Attraktionen.

Wer auf Wanderungen durch Berlin vom S-Bahnhof Lichterfelde-Süd den Kadettenweg bis zum Ende hinauf läuft, erkennt schon vom weitem rot geklinkerte Gebäude, eine trutzige Toreinfahrt, ein sehr großes, mit einem Eisenzaun umgebenes Freigelände. Dieses Ensemble von Gebäuden sieht aus, als ob es schon lange an dieser Stelle steht. Was mag sich dahinter verbergen? Machen wir uns also auf die Suche nach seiner Geschichte und seinen Geschichten.

Es war einmal…Alles begann mit dem Bauunternehmer und Bodenspekulanten Johann Anton Wilhelm Carstenn, der im Jahre 1865 die Rittergüter Lichterfelde (erste urkundliche Erwähnung im Jahre 1289) und Giesendorf mit einer Fläche von 5 500 Morgen vom Grafen Karl von Königsdorf für 345 000 Taler erwarb. Das Land lag günstig zwischen den Bahnlinien der Berlin-Anhalter und der Berlin-Potsdamer-Eisenbahn. Carstenn parzellierte das Land, investierte in die Anlage von Straßen und Alleen, so dass mit der Zeit eine Wohngegend entstand, die begüterte Menschen anzog.

Seine Pläne waren ehrgeizig, er war umtriebig und auch an der städtebaulichen Entwicklung des nahe gelegenen Berlins sehr interessiert. Es blieb nicht aus, dass er durch seine Immobiliengeschäfte auch mit Kreisen der Regierung, u.a. mit dem Militärfiskus Kontakte knüpfen konnte. Der amtierende Kriegsminister, Albrecht v. Roon, war ein ehemaliger Kadett und für die Geschäfte von Carstenn von höchstem Interesse.

V. Roon wollte dem Kadettenkorps des Kaisers breite Entwicklungsmöglichkeiten einräumen, scheiterte jedoch an der räumlichen Enge des Kadettenhauses in der Neuen Friedrichstraße 13 in Berlin. Zwar bestanden Pläne für den Neubau einer Central-Kadettenanstalt, sie stießen jedoch an finanzielle Grenzen. Carstenn erkannte seine Chance und unterbreitete dem Kriegsminister den Vorschlag, dem Militärfiskus 93 Morgen Land in Lichterfelde für den Bau einer Kadettenanstalt zu schenken (1 Morgen = 2500 qm oder ¼ ha).

Er schätzte ein, dass im Nachzug Offiziers- und Beamtenwohnungen und somit ein vornehmer Villenvorort entstehen würde. Die Schenkung würde sich als Gewinnquelle erweisen. Was uns zeigt, dass Korruption kein Produkt der Neuzeit ist. Mit dem Schenkungsvertrag verpflichtete sich Carstenn zudem zur Erschließung des Kasernengeländes als auch zur Herstellung eines Verkehrsanschlusses. Im Zuge dessen wurde die erste elektrische Straßenbahn der Welt gebaut. Sie fuhr vom heutigen Bahnhof Lichterfelde-Ost zur Central-Kadettenanstalt.

Die Grundsteinlegung für das gesamte Ensemble wurde für den 1.September 1873 festgelegt.
Unter der Überschrift „Grundsteinlegung zur Hauptkadettenanstalt“ gibt die Spenersche Zeitung vom 2. September 1873 einen Einblick in die Zeremonie: „…Von dem Anhaltinischen Bahnhof bis Lichterfelde führt ein Schienenstrang bis unmittelbar auf den Bauplatz, der zu der gestrigen Feier von dem Decorateur Bernau sinnig geschmückt war.

Ein Vorbau war hergerichtet, auf dem die kaiserlichen Majestäten Platz nahmen. Unmittelbar davor befand sich die Baugrube zur Aufnahme des Grundsteins, der in Form eines Sarkophags aus dem Steinmetzatelier von Wimmel hervor gegangen ist. Über demselben wird sich in Zukunft der Altar der protestantischen Kirche des Cadettenhauses erheben.

Die Kirche soll eine Simultankirche werden, die im Vordergrund die katholische Kirche mit 200 Sitzplätzen, im Hintergrund die evangelische Kirche mit 1000 Plätzen haben soll. Sie ist das Zentrum der ganzen Anstalt…“
Die in den Grundstein eingelegte Kassette wurde im Jahre 1952 von den in Westberlin stationierten amerikanischen Streitkräften bei der Sprengung der Ruine der alten Anstaltskirche gefunden. Die darin befindlichen Dokumente, Münzen, Orden und Tageszeitungen wurden dem Landesarchiv Berlin übergeben.

Während der Bautätigkeit zwischen den Jahren 1873 – 1878 entstand ein Ensemble mit prachtvollen Bauten an der damaligen Zehlendorfer Straße. G.-Michael Dürre führt in seinem Buch „Die steinerne Garnison – Die Geschichte der Berliner Militärbauten“ u.a. folgendes aus: „Die Hauptgebäude der Anlage wurden im Stil der italienischen Renaissance mit Rundbogenfenstern und roten Verblendern errichtet.

Verzierte Gesimse, plastischer Schmuck mit militärischen Motiven und andere Gestaltungselemente aus Terrakotta lockerten die zweckmäßige Architektur auf.“ Eines dieser Gebäude ist bis auf eine Reparatur des im 2. Weltkrieg zerstörten nordöstlichen Kasernenflügels im Originalzustand bis heute erhalten und steht unter Denkmalschutz.

Die feierliche Einweihung der Hauptkadettenanstalt fand im September 1878 statt. Sie entwickelte sich in den Jahren danach zur wichtigsten Ausbildungsstätte des militärischen Nachwuchses. Während der Jahre 1878 – 1920 waren ständig 800 – 1000 Zöglinge in der Anstalt untergebracht.

Als Dank für die Schenkung und die finanziellen Zuwendungen erhielt Carstenn vom Kaiser Wilhelm I. den erblichen Adelsstand. Außerdem wurde ihm die Erlaubnis erteilt, sich ab 1874 Johann Anton Wilhelm v. Carstenn-Lichterfelde zu nennen.

Doch mit den finanziellen Aufwendungen für die Kadettenanstalt hatte er sich total übernommen. Außerdem führte er Gerichtsprozesse gegen den preußischen Staat, die ihn zudem auch gesundheitlich zermürbten. V. Carstenn-Lichterfelde stirbt im Dezember 1896 als verarmter Adliger. Sein Grab konnte ich auf dem alten Dorffriedhof von Lichterfelde finden.

Wie geht es weiter? Bleiben sie gespannt. Die Fortsetzung können sie in der Ausgabe November/Dezember 2016 lesen.