Denkmalbilanz

Innenraum während der Sanierung

Innenraum während der Sanierung

Die Baumaßnahmen begannen im Mai 2000 und wurden plangemäß im Juli 2004 abgeschlossen. Die umgebenden Außenanlagen sind im Dezember 2004 wiederhergestellt. Die schrittweise in vier Bauabschnitten durchzuführende Baumaßnahme musste bei laufendem Spielbetrieb logistisch und organisatorisch bewerkstelligt werden; eine Leistung, für die den ausführenden Unternehmen – allen voran Walter Bau-AG und ARCADIS – nur Respekt und Anerkennung gezollt werden kann.

(So musste z. B. gewährleistet sein, dass für alle Bundesligaspiele zu jeder Veranstaltung 55.000 Plätze zur Verfügung standen; für das jährlich im Mai traditionell in Berlin stattfindende DFB-Pokalendspiel sogar 70.000.)

Segmentweise wurden jeweils zunächst im Uhrzeigersinn beginnend im Nordwesten die Betonkonstruktion und die Natursteinverkleidung unter Wahrung der denkmalfachlichen Prinzipien der Material-, Form- und Werkgerechtigkeit in enger Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Fachfirmen, den Denkmalbehörden und dem beauftragten Begleitarchitekten für die Denkmalpflege saniert. Die behutsame und differenzierte Vorgehensweise bei der Reinigung, Ergänzung, Ertüchtigung sowie der Oberflächenbearbeitung im Bereich der Beton- und Natursteinsanierung gehört zu den gelungensten Bereichen der Sanierung. Als außerordentlich zufriedenstellend ist in diesem Zusammenhang nicht nur der weitestmögliche Erhalt der überlieferten Substanz, die Bewahrung von Alters- und Schadensspuren, sondern auch die hohe haptische Qualität der Oberflächenbehandlung bei der Natursteinsanierung (überwiegend Muschelkalk und Gauinger Travertin, aber auch Granit) zu bezeichnen, deren ausschließliche Ausführung per Hand wegen der höheren Kosten im Vergleich zur Maschinenbearbeitung hart erkämpft werden musste.

Ähnlich befriedigend und gelungen ist die Reparatur und Nachrüstung der erhaltenen Bestandsfenster und -türen, der historischen Leuchten in den äußeren Umgängen (Kandelaber wie Fackeln), der überlieferten Geländer und Scherengitter – kurz aller Bestandselemente aus Stahl, die nach der Überarbeitung einen Anstrich in der ursprünglichen Farbigkeit gemäß Befunduntersuchung erhielten.

Außenbau während der Sanierung

Schon vor Baubeginn stand fest, dass die Unterringtribüne in Ortbetonkonstruktion auf wirtschaftlich tragbarer Weise nicht sanierbar war – nicht zuletzt, weil sie nur in der westlichen Hälfte durch die sogenannten Katakomben unterkellert, in der Osthälfte jedoch vollständig mit Sand verfüllt war. Hinzu kam die inzwischen politisch abgesegnete Tieferlegung der Sportfläche um 2,65 Meter um den Gewinn von zwei Zuschauerreihen mit etwa 1600 Sitzplätzen. Der Unterring wurde schrittweise durch einen Neubau aus Betonfertigteilen ersetzt, der mit einer steileren und erweiterten Stufengeometrie ausgeführt wurde.

Auf diese Weise rückte die Tribünenanlage optisch an das eigentliche Fußballspielfeld heran und erzielte eine Wirkung wie im “Kessel” eines reinen Fußballstadions bei gleichzeitiger Verbesserung der Sichtlinien im unteren Bereich. Hinsichtlich des Anschlusses der um eine neunte Startposition ergänzten Laufbahn an den Unterring wurde eine aus denkmalpflegerischer Sicht befürwortete Grabenlösung realisiert, die die ursprünglich bestehende Zäsur durch den sogenannten Reportergraben wiederherstellte – eine Lösung, die auch in sportfunktionaler Hinsicht aus Sicherheitsaspekten favorisiert worden war.

Durch die veränderte Stufengeometrie und die zusätzlichen Sitzreihen des Unterrings wurden im Bereich von Ehrentribüne und Marathontreppe Anpassungen erforderlich, die nur in sorgfältigster Detailabstimmung umgesetzt werden konnten. Im Bereich der Ehrentribüne, die ja nun im Unterring einen vollständigen Neubau darstellte, musste von der Denkmalpflege ein vollständiger Ausbau mit zwei zusätzlichen Logenebenen hingenommen werden. Zweifellos störend für das linear strukturierte Gesamtbild der Tribüne sind auch die “Kämme” des neuen Fluchtwegsystems. Selbst diese Lösung konnte nur über den Bestandsschutz erreicht werden, da andernfalls im Unterring Mundlöcher, Fluchttunnel und Treppenhaustürme erforderlich geworden wären. Die ursprüngliche Befürchtung, dass sich die Absenkung und die damit verbundene veränderte Geometrie der Tribünenanlage als negativ für die Gestaltung des Stadioninnenraumes erweisen würden, hat sich hingegen nicht bestätigt.

Die Stahlbetonkonstruktion der Oberringtribüne blieb erhalten; auch hier wurden allerdings in Veränderung der ursprünglichen Planung gegen das entschiedene denkmalfachliche Votum die Betonfertigbauelemente der eigentlichen Tribünenanlage schließlich doch gegen neue Winkelstufen in Fertigteilbauweise ausgetauscht. Nur die letzten acht oberen Reihen, die 1936 in Ortbeton ausgeführt worden waren, durch eine Schlämme als Karbonatisierungsschutz vergleichsweise geringe Schäden aufwiesen und zudem der Aussteifung der Gesamtkonstruktion dienten, konnten erhalten bleiben.

Die neue Tribünenüberdachung, die die für die Fußball-Weltmeisterschaft 1974 errichtete Teilüberdachung ablöste, sollte nach dem Willen des Entwurfsverfassers “die vorhandenen architektonischen Qualitäten des Bestands durch ein ebenso hochwertiges Element der Dachkonstruktion ergänzen. Das neue Dach setzt sich durch seine feingliedrige Konstruktion und die Materialwahl der Oberflächen – eine Stahlkonstruktion bespannt mit transluzenter Dachmembran – bewusst von der festen Tektonik des historischen Stadionbaus ab” (Volkwin Marg, in: Baukammer Berlin 4 (1999), 3).

Im Gegensatz zu vielen anderen Vorschlägen für eine Überdachung stellt das neue Dach in der Fernwirkung keine neue Dominante dar und bedeutet eine geringere Beeinträchtigung des Stadionaußenbaus und des Stadionumfelds als befürchtet. Die Integration von Beleuchtung und Beschallung in die Dachkonstruktion machte sogar die Pylonen der Flutlichtanlage sowie die Lautsprechertrichter überflüssig. Als besonders attraktiv gilt eine spezielle Lichtgestaltung vor allem für Abendveranstaltungen. Unbestritten ist allerdings, dass die leichte und elegante Wirkung der im Innenraum auf zwanzig schlanken Stahlstützen ruhenden Dachkonstruktion mit massiven Eingriffen in die Bausubstanz der Oberring- wie der Unterringkonstruktion bezahlt werden musste, um die vertikale Lastabtragung zu gewährleisten. Was grundsätzlich schon für die Teilüberdachung anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 galt, trifft aber erst recht für das neue Dach zu: Es steht in der Außen- wie in der Innenansicht dem archaischen Charakter einer antikisierenden Arena entgegen.

Äußerer Umgang nach der Renovierung

Als besonders wichtig galt das Ziel, VIP- wie allgemeine Zuschauerbereiche durch Restaurants, Kioske, Läden, aber auch mit Sanitäreinrichtungen, Presse- und Medienräumen, Vereins- und Verwaltungsbüros attraktiv und komfortabel auszustatten. Die Schaffung und Erschließung bevorzugter VIP-Nutzungsbereiche wie auch die Sicherung einer optimalen Versorgung der allgemeinen Zuschauerbereiche waren aus denkmalpflegerischer Sicht in den ausgedehnten Räumlichkeiten, die im alten Stadion keine nennenswerte Ausstattung besessen hatten, vergleichsweise unproblematisch. Kritisch zu hinterfragen war insbesondere der Einbau von insgesamt 113 Logen ebenerdig im inneren Umgang, in der neuen Ehrentribüne und in den sogenannten Sky-boxes des ehemaligen Reporterrings über der Südtribüne.

Auch wenn die Logen der Nord- und Südtribüne sich in die vorhandene architektonische Struktur einfügen und unterordnen und die notwendigen Einbauten reversibel erfolgten, geht hier die Attraktivität des offenen inneren Umgangs zwischen Ober- und Unterring verloren, durch den bislang das gesamte Stadion umrundet werden konnte. Da ist es ein schwacher Trost, dass die Einbauten bei geringer Nachfrage vergleichsweise problemlos zurückgebaut werden können. Durch die funktionalen Einbauten verloren geht auch der grandiose Raumeindruck der sogenannten Katakomben unter der Westhälfte der Unterringtribüne, wenngleich dieser Bereich auch früher dem “normalen” Stadionbesucher entzogen blieb.

Äußerer Umgang nach der Renovierung

Erfolgreich abgeschlossen ist inzwischen auch der Wiederaufbau und die Wiederherstellung der Ehrentribüne, der einzigen Raumfolge von nennenswerter historischer Ausstattung mit Coubertinsaal, Ehrenloge und Ehrensaal. Der Aus- und Wiedereinbau waren erforderlich geworden und mussten nach langen Auseinandersetzungen von der Denkmalpflege als das “kleinere Übel” hingenommen werden, um das unkalkulierbare und deshalb auch nicht versicherbare Risiko einer bleibenden Beschädigung oder gar eines Totalverlustes zu minimieren, wie sie durch Erschütterungen im Zuge der mehrgeschossigen Unterfahrung der Südtribüne für die unterirdischen Erschließungen nicht ausgeschlossen werden konnten. Nach dem unter umfangreichen restauratorischen Vorkehrungen vorgenommenen Ausbau der kostbaren Marmorbeläge der Wände und Böden wurde eine spezielle Unterfangung der verbleibenden Konstruktion während der Bauarbeiten errichtet. Beim Wiedereinbau ist es gelungen, die qualitätvoll ausgestatteten Räume zurückzugewinnen. Einigkeit besteht nach dem gelungenen Wiedereinbau auch mit den zukünftigen Nutzern darüber, dass diese einzigartige Raumfolge ungestört und unverbaut erhalten bleibt und funktionale Anforderungen gegebenenfalls hinter die Erhaltung des Raumeindrucks zurückstehen müssen. Eine gelungene Einbeziehung in das modernisierte Nutzungs- und Erschließungssystem erfuhren zudem der Große und der Kleine Marchhof als die wichtigsten oberirdisch erhaltenen baulichen Anlagen aus dem “Deutschen Stadion” von 1913 mit ihrer kaiserzeitlichen Architektursprache.

Leider nicht durchgesetzt werden konnte der anfänglich vorgesehene Rückbau der Anzeigetafel auf der Osttribüne auf ihre ursprüngliche Gestalt, die hinter den voluminösen jüngeren Vorbauten noch immer vorhanden war. Die Rahmungen der alten Anzeigentafel bleiben zwar auch weiterhin erhalten, werden aber nunmehr durch eine weitere moderne Anlage verdeckt, die angeblich die geforderte optimale Lesbarkeit für die Zuschauer erreicht. Eine zusätzliche neue Anzeigetafel wurde in die Konstruktion des Dachtragwerks auf der Nordseite integriert.

Nach der Fertigstellung der Sanierung des Olympiastadions im Sommer 2004 finden dort etwa 76.000 Zuschauer Platz. Insgesamt hat die Baumaßnahme 242 Mio. Euro gekostet. Die Kosten verteilen sich wie folgt: Der Bund zahlte 195,8 Mio. Euro, die Walter Bau-AG 42 Mio. Euro, die über einen Kredit finanziert wurden, für den das Land Berlin gebürgt hat. Eine Betreibergesellschaft, bestehend aus dem Land Berlin, der Walter Bau-AG und dem derzeitigen Bundesligisten Hertha BSC als Hauptgesellschafter soll zukünftig für Großveranstaltungen sorgen, um die Refinanzierung der Stadionmodernisierung und den Bauunterhalt für das Denkmal sicherzustellen. Nicht erst seit der Insolvenz der Walter Bau-AG und der Krise der Stadion GmbH steht freilich in Frage, ob wirklich alle von der Sportpolitik und Fußball-Lobby auf Kosten des Steuerzahlers und zu Lasten des Denkmals durchgesetzten “Standardverbesserungen” auf Dauer angemessen und finanziell sinnvoll waren. Der TV-gerechte Werbegag einer Hertha-blauen Laufbahn im Stadionoval ist nur das medienwirksamste Beispiel fragwürdiger Neuerungen.