3.1 Form und Inhalt der Verfassungsbeschwerde
Die Verfassungsbeschwerde muss schriftlich eingereicht und im Einzelnen begründet werden (vgl. § 50 VerfGHG). Dabei ist Folgendes zu beachten:
- Der Hoheitsakt (z.B. ein Verwaltungsakt, eine gerichtliche Entscheidung oder ein vom Abgeordnetenhaus beschlossenes und verkündetes Gesetz), gegen den sich die Verfassungsbeschwerde richtet, muss genau bezeichnet werden (bei gerichtlichen Entscheidungen und Verwaltungsakten sollen Datum, Aktenzeichen und Tag des Zugangs bzw. der sonstigen Bekanntgabe mitgeteilt werden).
- Das subjektive Recht aus der Verfassung von Berlin, das durch den angegriffenen Hoheitsakt verletzt sein soll, muss benannt oder jedenfalls seinem Inhalt nach bezeichnet werden.
- Der Lebenssachverhalt, aus dem die behauptete Verletzung eines subjektiven Rechts hergeleitet wird, ist aus sich heraus verständlich wiederzugeben. Ebenso ist konkret und nachvollziehbar darzulegen, inwiefern das beanstandete Verhalten des Hoheitsträgers den geltend gemachten Rechtsnachteil herbeigeführt haben soll. Ausführungen, aus denen sich kein geschlossener Geschehensablauf ergibt, genügen ebenso wenig wie pauschale Hinweise auf beigefügte Anlagen oder pauschale Bezugnahmen auf den Vortrag in einem vorangegangenen Verfahren.
- Mit der Verfassungsbeschwerde ist darzulegen, worin im Einzelnen die Verletzung des subjektiven Rechts aus der Verfassung von Berlin erblickt wird. Hierzu sind insbesondere die angegriffenen Gerichtsentscheidungen, Bescheide usw. in Ausfertigung, Abschrift oder Fotokopie vorzulegen. Ihr Inhalt einschließlich der Begründung muss zudem aus der Beschwerdeschrift ersichtlich sein, soweit er für den behaupteten Verfassungsverstoß relevant ist.
- Neben den angegriffenen Entscheidungen müssen auch sonstige Unterlagen aus dem Ausgangsverfahren (z.B. einschlägige Schriftsätze, Anhörungsprotokolle, Gutachten) vorgelegt und ggf. inhaltlich wiedergegeben werden, ohne deren Kenntnis nicht beurteilt werden kann, ob die in der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen berechtigt sind.
- Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen behördliche und/oder gerichtliche Entscheidungen, so muss aus der Begründung ferner ersichtlich sein, mit welchen Rechtsbehelfen, Anträgen und Rügen der Beschwerdeführer sich im Verfahren vor den Fachgerichten um die Abwehr des behaupteten Verfassungsverstoßes bemüht hat. Dazu sollen die im fachgerichtlichen Verfahren gestellten Anträge (z.B. Beweisanträge) und sonstigen Schriftsätze beigefügt und – soweit für die Nachvollziehbarkeit der Begründung eines Verfassungsverstoßes erforderlich – inhaltlich wiedergegeben werden.
3.2 Frist für die Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde
Die Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der Gerichte und Behörden ist innerhalb von zwei Monaten zu erheben (§ 51 Abs. 1 VerfGHG). Die Frist beginnt mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten letzten Entscheidung, soweit diese zum Rechtsweg gehört (vgl. unten 3.3), bzw. mit der Verkündung oder der sonstigen Bekanntgabe dieser Entscheidung an den Beschwerdeführer.
Richtet sich die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz, eine Rechtsverordnung oder eine Satzung, muss sie binnen eines Jahres nach deren Inkrafttreten erhoben werden (§ 51 Abs. 2 VerfGHG).
Innerhalb der Frist nach § 51 VerfGHG muss die vollständige Begründung der Verfassungsbeschwerde (vgl. oben 3.1) eingereicht werden; andernfalls ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.
Eine Verlängerung dieser Frist durch den Verfassungsgerichtshof ist ausgeschlossen.
3.3 Erschöpfung des Rechtswegs
Die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes ist grundsätzlich nur und erst dann zulässig, wenn der Beschwerdeführer zuvor den Rechtsweg erschöpft und darüber hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergriffen hat, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese zu verhindern (§ 49 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG).
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, wenn und soweit eine anderweitige Möglichkeit besteht oder bestand, die Verletzung des subjektiven Rechts aus der Verfassung von Berlin zu beseitigen. Vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde müssen daher alle verfügbaren und im Einzelfall nicht offensichtlich aussichtslosen Rechtsbehelfe (z.B. Widerspruch, Klage, Berufung, Revision, Beschwerde, Nichtzulassungsbeschwerde) genutzt worden sein. Dabei genügt es jedoch nicht, die Rechtsbehelfe lediglich einzulegen. Zu den notwendigerweise zu nutzenden Möglichkeiten, den geltend gemachten Verfassungsverstoß schon im Ausgangsverfahren vor den Fachgerichten abzuwehren, gehört vielmehr auch die Einhaltung prozessualer Bestimmungen wie Fristen und Darlegungserfordernisse sowie das Stellen geeigneter Anträge, z.B. auch – im Falle unverschuldeter Fristversäumung – eines Wiedereinsetzungsantrags.
Wird die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 15 Abs. 1 VvB) gerügt, so gehört zur Erschöpfung des Rechtswegs auch die Erhebung einer in der jeweiligen Verfahrensordnung geregelten Anhörungsrüge (vgl. insbesondere § 321a ZPO, § 152a VwGO, § 178a SGG, § 78a ArbGG, § 44 FamFG,
§ 133a FGO, §§ 33a, 356a StPO). Wird von diesem außerordentlichen Rechtsbehelf – soweit er nicht offensichtlich aussichtslos oder sonst dem Beschwerdeführer unzumutbar ist – kein Gebrauch gemacht, so ist die Verfassungsbeschwerde nicht nur im Hinblick auf die behauptete Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern auch wegen etwaiger anderer geltend gemachter Verfassungsverstöße zu dem gleichen Streitgegenstand unzulässig.
Gesetze, Rechtsverordnungen oder Satzungen können mit der Verfassungsbeschwerde nur dann direkt angegriffen werden, wenn sie den Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar beschweren
(§ 49 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG). Meist bedürfen Rechtsvorschriften jedoch des Vollzuges, d. h. der Anwendung im einzelnen Fall durch eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung; dann muss der Betroffene zunächst den Rechtsweg zu den zuständigen Gerichten beschreiten und ausschöpfen.
Der Verfassungsgerichtshof kann nach seinem Ermessen eine Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise vor der Erschöpfung des Rechtswegs zulassen, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde (§ 49 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG).
In aller Regel ist die Verfassungsbeschwerde aber erst nach der Entscheidung des letztinstanzlichen Fachgerichts zulässig.