Organklage der Piratenfraktion und Normenkontrollantrag von Mitgliedern des Abgeordnetenhauses zu den Berliner Wasserbetrieben erfolglos

Der Verfassungsgerichtshof hat am 18. und 20. Juni 2014 in zwei Verfahren betreffend die Berliner Wasserbetriebe entschieden.

1. Organstreitverfahren VerfGH 51/13

Das Organstreitverfahren betrifft eine im Abgeordnetenhaus und in der Öffentlichkeit umstrittene, inzwischen durch die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe überholte Vertragsbestimmung, die den früheren privaten Teilhabern der Wasserbetriebe einen Gewinn garantierte.

Ab 2011 verhandelte das Land Berlin mit dem RWE-Konzern über den Rückkauf von dessen Anteilen an den im Jahr 1999 teilweise privatisierten Berliner Wasserbetrieben. Mit ihrer Organklage begehrte die Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus die Feststellung, dass der Senat die Verfassung von Berlin dadurch verletzt hat, dass er es im Rahmen der Rückkaufverhandlungen unterließ, die Nichtigkeit einer 2003 (in § 23.7 des Konsortialvertrages) vertraglich vereinbarten Gewinngarantie für die privaten Investoren gerichtlich und außergerichtlich geltend zu machen. Die Gewinnsicherungsklausel im Konsortialvertrag mit den privaten Konzernen Veolia und RWE sei nichtig gewesen, weil sie seinerzeit (entgegen Art. 87 Abs. 1 der Verfassung von Berlin) ohne Parlamentsgesetz vereinbart worden sei.

Der Verfassungsgerichtshof hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen, weil er nicht fristgerecht gestellt wurde. Ein Organstreitverfahren muss nach § 37 Abs. 3 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof VerfGHG – binnen sechs Monaten eingeleitet werden, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekanntgeworden ist. Diese Frist begann hier spätestens mit der Zuleitung der Antwort der Senatsverwaltung für Finanzen vom 28. Juni 2012 (Abghs-Drs. 17/10516) auf die Kleine Anfrage eines Abgeordneten der Piratenfraktion vom 18. Mai 2012 zu laufen. Die Senatsverwaltung erklärte bereits damals unmissverständlich, dass der Senat die Gewinnsicherungsklausel für wirksam hält und nicht beabsichtigt, deren Unwirksamkeit zivilrechtlich geltend zu machen. Der erst am 25. April 2013 beim Verfassungsgerichtshof eingegangene Antrag wahrte die sechsmonatige Antragsfrist danach nicht.

Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin: Beschluss vom 20. Juni 2014 – VerfGH 51/13

Ergänzende Hinweise:

§ 37 VerfGHG lautetauszugsweise:

(1) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch die Verfassung von Berlin übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist.
(3) Der Antrag muss binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekanntgeworden ist, gestellt werden.

Art. 87 Abs. 1 VvB lautet:

(1) Ohne gesetzliche Grundlage dürfen weder Steuern oder Abgaben erhoben noch Anleihen aufgenommen oder Sicherheiten geleistet werden.

2. Normenkontrollverfahren VerfGH 165/12

In dem Verfahren VerfGH 165/12 hat der Verfassungsgerichtshof auf einen Normenkontrollantrag von Mitgliedern des Abgeordnetenhauses entschieden, dass die Regelung im Berliner Betriebe-Gesetz vom 14. Juli 2006 (BerlBG) zur Höhe der Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals, die sich auf die Entgelt- und Tarifbemessung der Berliner Wasserbetriebe und Stadtreinigungsbetriebe auswirkt, mit der Verfassung von Berlin vereinbar ist.

Das Berliner Betriebe-Gesetz regelt in § 16 die Bemessung der Tarife und Entgelte der Berliner Wasserbetriebe und Stadtreinigungsbetriebe. Die Entgelte der Nutzer müssen danach die voraussichtlichen Kosten der Betriebe decken. Zu deren Kosten zähltnach dem Gesetz auch eine angemessene Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals. Die Höhe des Zinssatzes für die Kosten- und Tarifkalkulation setzt der Senat von Berlin durch Rechtsverordnung fest. Hierfür enthält das Gesetz (in § 16 Abs. 5 Satz 3 BerlBG) die Vorgabe, dass bei der Festlegung des Zinssatzes „die Durchschnittsrendite konservativer Vermögensanlagen in einem langfristigen, mindestens zehnjährigen, dem Kalkulationszeitraum vorausgehenden Betrachtungszeitraum zugrunde zu legen“ ist.

Die Antragsteller, 43 Mitglieder der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der Piraten des Abgeordnetenhauses, halten diese Regelung für verfassungswidrig, weil sie gegen das Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit verstoße. Insbesondere der nach oben nicht begrenzte „mindestens zehnjährige“ Betrachtungszeitraum konservativer Vermögensanlagen räume dem Verordnungsgeber einen verfassungswidrigen Spielraum ein. Die Praxis habe gezeigt, dass sich der Senat bei der Festsetzung des Zinssatzes einseitig an den Gewinnzusagen für die vormaligen privaten Anteilseignerorientiert habe (vgl. dazu auch die Mitteilung oben unter Nr. 1 zum Verfahren VerfGH 51/13). Auch das Bundeskartellamt habe die von den Berliner Wasserbetrieben erhobenen Trinkwasserpreise als missbräuchlich überhöht beanstandet.

Dem ist der Verfassungsgerichtshof nicht gefolgt. Er hat den Normenkontrollantrag als zulässig angesehen, obwohl er bereits im Jahr 2010 eine im Wesentlichen inhaltsgleiche gesetzliche Vorgängerregelung überprüft und als verfassungsgemäß bezeichnet hatte (Beschlüsse vom 14. Juli 2010 VerfGH 39/09 – und – VerfGH 29/07 ). In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof die damaligen Entscheidungen bestätigt. Die von den Antragstellern für verfassungswidrig gehaltenen gesetzlichen Vorgaben in § 16 Abs. 5 Satz 3 BerlBG sind mit der Verfassung von Berlin vereinbar. Die Verordnungsermächtigung ist ausreichend bestimmt und räumt dem Senat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein Regelungsermessen ein; sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 64 Abs. 1 Satz 3 der Verfassung von Berlin.

Der Verfassungsgerichtshof hat in den Entscheidungsgründen darauf hingewiesen, dass der Senat bei der Ausübung dieses Ermessens aber nicht völlig frei ist, sondern auch die Interessen der Nutzer angemessen berücksichtigen und die kartellrechtlichen Vorgaben beachten muss.

Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin: Beschluss vom 18. Juni 2014 – VerfGH 165/12

Ergänzende Hinweise:

§ 16 BerlBG lautet auszugsweise:

(1) 1 Die Anstalten gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 3 erheben im Bereich ihrer Aufgaben nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 und 2 (BSR) sowie nach § 3 Abs. 5 (BWB) privatrechtliche Entgelte, die dem Äquivalenzprinzip und dem Grundsatz der Gleichbehandlung genügen. 2Die Tarife sind jeweils für einen Kalkulationszeitraum von höchstens zwei Geschäftsjahren dergestalt zu bemessen, dass das veranschlagte Entgeltaufkommen die voraussichtlichen Kosten deckt.
(2) …
(3) 1 Kosten sind die bei wirtschaftlicher Betriebsführung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten. 2 Dazu gehören auch Entgelte für in Anspruch genommene Fremdleistungen, kalkulatorische Abschreibungen auf der Basis von Wiederbeschaffungszeitwerten, kalkulatorische Einzelwagnisse, Rückstellungen, eine angemessene kalkulatorische Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals und Aufwendungen für die wirtschaftliche und technische Entwicklung.
(4) …
(5) 1 Das betriebsnotwendige Kapital ist jährlich jeweils durch einen von dem Senat durch Rechtsverordnung nach Absatz 8 festzulegenden Zinssatz angemessen kalkulatorisch zu verzinsen. 2 Die Höhe des nach Satz 1 festzulegenden Zinssatzes entspricht mindestens der durchschnittlichen Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen bezogen auf den Betrachtungszeitraum der abgeschlossenen 20 Jahre, die dem jeweils nach Absatz 1 Satz 2 gewählten Kalkulationszeitraum zum Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 22 Abs. 2 vorausgehen. 3 Bei der Festlegung des Zinssatzes hat der Senat die Durchschnittsrendite konservativer Vermögensanlagen in einem langfristigen, mindestens zehnjährigen, dem Kalkulationszeitraum zum Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 22 Abs. 2 vorausgehenden Betrachtungszeitraum zugrunde zu legen, wobei abgeschlossene Jahre zu betrachten sind.“

Art. 64 Abs. 1 der Verfassung von Berlin lautet:

(1) 1 Durch Gesetz kann der Senat oder ein Mitglied des Senats ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. 2Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung müssen im Gesetz bestimmt werden. 3Die Rechtsgrundlage ist in der Rechtsverordnung anzugeben.