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Stickoxide - Emissionen und Immissionen 1991

Einleitung

Wirkung von Stickoxiden

Stickoxide sind Säurebildner. Sie sind schädlich für die menschliche Gesundheit, bewirken Schäden an Pflanzen, Bauwerken und Denkmälern und sind wesentlich an der übermäßigen Bildung von Ozon und anderen gesundheitsschädlichen Oxidantien während sommerlicher Hitzeperioden beteiligt.

Bei Menschen und Tieren führen Stickoxide und insbesondere Stickstoffdioxid zu Reizungen der Schleimhäute im Atemtrakt und können das Infektionsrisiko erhöhen (vgl. Kühling 1986). Auch Zellveränderungen wurden beobachtet (vgl. BMUNR 1987). Verschiedene epidemiologische Untersuchungen haben einen Zusammenhang zwischen Verschlechterung der Lungenfunktion, Atemwegssymptomen und erhöhter Stickstoffdioxidkonzentration gezeigt (vgl. Nowak et al. 1994).

Grenzwerte

Seit Beginn der 80er Jahre hat mit der Diskussion um die schädlichen Auswirkungen des Kraftfahrzeugverkehrs auf die Umwelt auch das Thema Belastung der Luft mit Stickoxiden verstärkt Beachtung gefunden. So wurden in der Ersten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft – TA-Luft) die zulässigen Immissionswerte für Stickstoffdioxid bei mehreren Novellierungen bis 1986 schrittweise um 20 bis 30 % gesenkt.

Überschreitungen der Immissionswerte der TA-Luft bzw. der 22. BImSchV ziehen Maßnahmen an Anlagen nach sich, die als Verursacher identifiziert werden. Wenn die Überschreitung nicht einem bestimmten Verursacher zugeordnet werden kann, müssen die zuständigen Behörden einen Luftreinhalteplan aufstellen und bei der Genehmigung neuer Anlagen verschärfte Anforderungen bezüglich der zulässigen Emission stellen.

Außerdem hat die Europäische Gemeinschaft – nach der Begrenzung der Konzentration von Schwefeldioxid, Schwebstaub und Blei in der Luft – mit ihrer Richtlinie vom 7.3.1985 über Luftqualitätsnormen auch für Stickstoffdioxid einen Grenzwert und Leitwerte festgelegt. In der 22. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wurde dieser 98 %-Grenzwert 1993 in nationales Recht überführt.

Überschreitungen des Grenzwertes der EG-Richtlinie sind an den Rat der Europäischen Gemeinschaft zu melden. Die nationalen Behörden müssen Pläne vorlegen, nach denen der Wert innerhalb einer bestimmten Frist eingehalten werden soll. Auch sollen die Leitwerte der EG-Richtlinie bei der Verkehrs- und Bauplanung berücksichtigt werden. Während Grenzwerte verbindlich gelten, dienen Leit- und Richtwerte der Orientierung und haben lediglich empfehlenden Charakter.

Darüber hinaus müssen zur langfristigen Sicherung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes Immissionswerte eingehalten werden, die die Empfindlichkeit von Ökosystemen berücksichtigen. So bewirkt der Filtereffekt durch die Oberflächenstruktur von Wäldern eine hohe Schadstoffeinwirkung und -akkumulation. Mit den schädlichen Stickoxiden und ihren Folgeprodukten sind entsprechend vielfältige Wirkungen auf Waldökosysteme verbunden. Die seit Anfang der 80er Jahre auf internationaler Ebene intensiv betriebene Waldschadensforschung hat auf dem Gebiet der Immissionswirkungen neue Erkenntnisse geliefert, die zu einer sehr kritischen Grenzwertfestlegung führten. Grenzwerte, bei deren Einhaltung keine Veränderungen in Struktur und Funktion von Ökosystemen zu erwarten sind, wurden von der UN-ECE 1992 aufgestellt (critical levels, critical loads). Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Erstunterzeichnern und Mitinitiatoren des Übereinkommens und hat die Beschlüsse über neue Strategien in der europäischen Luftreinhaltung ratifiziert.

Tab. 1: Grenz-, Richtwerte und Empfehlungen zur Immission von Stickstoffdioxid in der Luft
Tab. 1: Grenz-, Richtwerte und Empfehlungen zur Immission von Stickstoffdioxid in der Luft
Bild: Umweltatlas Berlin

Verursacher und Entwicklung von Stickoxidemissionen

Die Emissionen von Stickoxiden werden hauptsächlich verursacht bei Verbrennungsprozessen in Kraftwerken und großen Industriefeuerungsanlagen sowie in Motoren. Stickoxide bilden sich aus dem Stickstoff und dem Sauerstoff der Verbrennungsluft und zum geringen Teil auch durch die Oxidation von stickstoffhaltigen Bestandteilen des Brennstoffs. Die Stickoxidbildung nimmt mit der Verbrennungstemperatur stark zu. Hauptemittenten sind in Berlin die Kraftwerke mit einem Anteil von mehr als 50 % (42.757 t) und der Kraftfahrzeugverkehr mit 21.490 t zu etwa 30 % (vgl. Abb. 1). Der Ostteil Berlins hatte im Jahr 1989 an der gesamten Emission von 65.708 t nur den verhältnismäßig geringen Anteil von 20 % (12.651 t). Das ist vor allem darauf zurückzuführen, daß sowohl die dort vorwiegend eingesetzten Braunkohlefeuerungen als auch die Zweitaktfahrzeuge eine relativ geringe spezifische Stickoxidemission verursachen. Außerdem war der Motorisierungsgrad im Ostteil mit ca. 230 PKW pro 1.000 Einwohner erheblich geringer als im Westteil, wo er bei ca. 320 PKW pro 1.000 Einwohner lag; der Durchschnitt in den alten Bundesländern betrug 480 PKW pro 1.000 Einwohner (vgl. Karte 07.01, SenStadtUm 1995 und Umweltbundesamt 1992b).

Abb. 1: Stickoxid-Emissionen der einzelnen Verursachergruppen in Berlin (Tonnen pro Jahr)
Abb. 1: Stickoxid-Emissionen der einzelnen Verursachergruppen in Berlin (Tonnen pro Jahr)
Bild: Umweltatlas Berlin

Zu mehr als 90 % werden die Stickoxide von den Emittenten als Stickstoffmonoxid abgegeben. Vor allem durch die Reaktion mit Ozon bildet sich daraus in der Atmosphäre das für die menschliche Gesundheit wesentlich schädlichere Stickstoffdioxid. Da bei diesen Reaktionen Ozon verbraucht wird, weisen Ballungsgebiete im Mittel eine geringere Ozonkonzentration in der bodennahen Luft auf als ländliche Regionen. Neben dem Ozon tragen aber auch Verbindungen mit Kohlenwasserstoffmolekülen zur Umwandlung von Stickstoffmonoxid in Stickstoffdioxid bei. Durch weitere Oxidation und Verbindung mit Kohlenwasserstoffmolekülen bilden sich aus Stickstoffdioxid saure Aerosole, die sich auf Oberflächen niederschlagen bzw. überwiegend als saurer Regen aus der Atmosphäre ausgeschieden werden.

Unter der Einwirkung von intensivem Sonnenlicht finden in der Atmosphäre gleichzeitig Reaktionen statt, bei denen Stickstoffdioxid wieder in Stickstoffmonoxid und Sauerstoffatome zerfällt. Bei diesem Prozess, an dem ebenfalls Wasser- und Kohlenwasserstoffmoleküle beteiligt sind, wird mehr bodennahes Ozon produziert als verbraucht. Die Ozonkonzentration in der Luft kann dabei stark ansteigen (vgl. Karte 03.06, SenStadtUm 1994c).

Gesicherte Angaben über die Langzeitentwicklung der Stickoxidemission und -immission liegen für Berlin nicht vor. Aufgrund von Messungen in Frankfurt am Main muss in der Zeit von 1962 bis 1976 von einem Anstieg der Belastung mit Stickoxiden um das Achtfache ausgegangen werden (vgl. Umweltbundesamt 1989).

Entwicklung der Stickoxidimmissionen

In Berlin wurden Stickoxidmessungen seit 1979 vom Bundesgesundheitsamt im Westteil der Stadt an der Schloßstraße in Steglitz und von der Bezirkshygieneinspektion Berlin im Ostteil an der Parochialstraße im Bezirk Mitte durchgeführt. Im Rahmen des Berliner Luftgüte-Messnetzes (BLUME) wurde 1984 mit Stickoxidmessungen auch an einer Station in Wedding begonnen.

Während die verkehrsnahe Messung an der Schloßstraße stark durch wechselnde Verkehrsverhältnisse geprägt ist und keine Trendaussage zulässt, zeigen die Messungen an der verkehrsabgewandten Parochialstraße, die als repräsentativ für die mittlere Innenstadtbelastung gelten kann, bis 1987 im Mittel eine jährliche Zunahme der Konzentration um etwa 3,5 % (von 35 auf 45 µg/m3 in acht Jahren). Seit 1987 deutet sich sowohl hier als auch an der Meßstelle Wedding ein leichter Rückgang an (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Verlauf der Jahresmittelwerte von Stickstoffdioxid 1979 - 1993
Abb. 2: Verlauf der Jahresmittelwerte von Stickstoffdioxid 1979 - 1993
Bild: Umweltatlas Berlin

Als Ursachen für die leichte Abnahme kommt die Einführung von Entstickungsmaßnahmen an den großen Kraft- und Heizwerken (vgl. Tab. 2) sowie die Einführung des geregelten Dreiwege-Katalysators bei Personenkraftwagen in Frage. Die Umstellung auf Katalysatorfahrzeuge ist in Berlin besonders schnell vorangeschritten. 1992 lag der Anteil der mit Katalysator ausgerüsteten PKW in Berlin bei 40 %.

Tab. 2: Inbetriebnahme von Entschwefelungs- und Entstickungsanlagen in den Berliner Heizkraft- und Kraftwerken (Stand Januar 1994)
Tab. 2: Inbetriebnahme von Entschwefelungs- und Entstickungsanlagen in den Berliner Heizkraft- und Kraftwerken (Stand Januar 1994)
Bild: Umweltatlas Berlin

Im Vergleich zu dieser positiven Emissionsentwicklung ist die Immissionsentwicklung bisher unbefriedigend verlaufen. Ursache ist, dass das Verkehrsaufkommen ständig zunimmt und dass die bodennahe Stickoxidemission etwa zur Hälfte von Lastkraftwagen und Bussen hervorgerufen wird. Für diese Fahrzeuge gibt es bisher keine technischen Verbesserungen, um den Ausstoß von Stickoxiden zu reduzieren. Deshalb muß davon ausgegangen werden, daß im Zeitraum 1987 bis 1992 die verkehrsbedingten Emissionen und Immissionen um weniger als 10 % abgenommen haben. Der Beitrag der Emittentengruppe Verkehr wird in Zukunft den entscheidenden Faktor zur Entwicklung der Berliner Luftbelastung durch Stickoxide darstellen.