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UFO 1665

Die Luftschlacht von Stralsund

Im Jahr 1665 berichten Flugblätter und Zeitungen von einem bizarren Ereignis: am 8. April beobachten nach eigenen Angaben sechs Fischer eine Luftschlacht über der Ostsee bei Stralsund.

  • Darstellung eines fantastischen Luftschiffs aus dem Hochzeitsfest Kaiser Leopolds I., Illustration aus: Sieg-Streit deß Lufft und Wassers Freuden-Fest, Wien, 1667, Detail

    Darstellung eines fantastischen Luftschiffs aus dem Hochzeitsfest Kaiser Leopolds I., Illustration aus: Sieg-Streit deß Lufft und Wassers Freuden-Fest, Wien, 1667, Detail

  • Entwurf einer schwimmenden Untertasse, Illustration aus: Gaspar Schott, Technica Curiosa, Nürnberg/Würzburg, 1664, Tafel XXX, Detail

    Entwurf einer schwimmenden Untertasse, Illustration aus: Gaspar Schott, Technica Curiosa, Nürnberg/Würzburg, 1664, Tafel XXX, Detail

  • Feuerkugel am Himmel, Nachdencklich-dreyfaches Wunder-Zeichen/ I. Eines groß-erschröcklich-feurigen Cometen; II. Eines entsetzlichen Feuer-Kugel Lufft-Zeichens; III. einer sehr ungestalten Fontange-Mißgeburt […], 1697, Kupferstich, Detail

    Feuerkugel am Himmel, Nachdencklich-dreyfaches Wunder-Zeichen/ I. Eines groß-erschröcklich-feurigen Cometen; II. Eines entsetzlichen Feuer-Kugel Lufft-Zeichens; III. einer sehr ungestalten Fontange-Mißgeburt […], 1697, Kupferstich, Detail

  • Das in der Lufft seglende Schiff, Illustration aus: Eberhard Werner Happel: Vierter Theil Grösseste Denkwürdigkeiten der Welt Oder so genandte Relationes Curiosae, Hamburg 1689, Kupferstich, Detail

    Das in der Lufft seglende Schiff, Illustration aus: Eberhard Werner Happel: Vierter Theil Grösseste Denkwürdigkeiten der Welt Oder so genandte Relationes Curiosae, Hamburg 1689, Kupferstich, Detail

  • Wunderzeichen über Nürnberg und Bayreuth, Anno 1630. den 19 Aprilis Ist zu Nürnberg hier früe Morgens umb die 7 und 8 Uhrn diß ungewöhnliche Zeichen umb die Sonnen den gantzen Tage auff Unterschütliche Weise von Jeterman gesehen worden. […], Nürnberg 1630, Kupferstich, Detail

    Wunderzeichen über Nürnberg und Bayreuth, Anno 1630. den 19 Aprilis Ist zu Nürnberg hier früe Morgens umb die 7 und 8 Uhrn diß ungewöhnliche Zeichen umb die Sonnen den gantzen Tage auff Unterschütliche Weise von Jeterman gesehen worden. […], Nürnberg 1630, Kupferstich, Detail

  • Ausschnitte von Illustration aus Erasmus Francisci: Der Wunder-reiche Uberzug unserer Nider-Welt/Oder Erd-umgebende Lufft-Kreys/ […], Nürnberg, 1680, Detail

    Ausschnitte von Illustration aus Erasmus Francisci: Der Wunder-reiche Uberzug unserer Nider-Welt/Oder Erd-umgebende Lufft-Kreys/ […], Nürnberg, 1680, Detail

  • Biblia, Das ist, Die gantze heilige Schrifft Alten und Neuen Testaments Verteutscht durch D. Martin Luther, Frankfurt/Main 1704, Tafel IV, S. 323, Detail

    Biblia, Das ist, Die gantze heilige Schrifft Alten und Neuen Testaments Verteutscht durch D. Martin Luther, Frankfurt/Main 1704, Tafel IV, S. 323, Detail

  • So sehr war nie erzürnet Gott, emblematische Darstellung aus: Daniel Meisner: Politica – Politica, Newes Emblematisches Büchlein, I–VIII, Nürnberg 1700, Kupferstich, Detail

    So sehr war nie erzürnet Gott, emblematische Darstellung aus: Daniel Meisner: Politica – Politica, Newes Emblematisches Büchlein, I–VIII, Nürnberg 1700, Kupferstich, Detail

Gegen Abend sehen sie über der Mitte der Stadt eine dunkelgraue Scheibe. Anhand zeitgenössischer Bild- und Textquellen rekonstruiert die Ausstellung die Medienkarriere dieser sensationellen Meldung. Sie enthüllt Denkmuster und Kommunikationsstrategien, die bis heute die Berichterstattung über „Unidentified Aerial Phenomena“ (UAPs) bestimmen.

Die Ausstellung ist eine Expedition in eine fremdartige Bilderwelt, die sich vor dem Massenpublikum der Museen zwischen den Seiten alter Bücher oder in Archiven versteckt. Wer die Kunst des 17. Jahrhunderts nur aus den großen Gemäldegalerien kennt, wird sich überrascht die Augen reiben. Man hat den Eindruck, als beträte man ein barockes Paralleluniversum mit seltsamen Zeichen am Himmel, Luftschiffen, Weltraumraketen und fliegenden Scheiben. Alles dreht sich um eine der bizarrsten Mediensensationen der Neuzeit: am 8. April 1665, 14 Uhr, beobachten zeitgenössischen Berichten zufolge sechs Fischer beim Heringsfang vor Stralsund, wie sich Vogelschwärme am Himmel in Kriegsschiffe verwandeln, die sich donnernde Luftgefechte liefern. Auf den Decks wimmeln gespenstische Gestalten. Als ihnen gegen Abend über der Kirche Sankt Nikolai noch „eine platte runde Form wie ein Teller“ erscheint, ergreifen sie die Flucht. Tags darauf – so wird berichtet - zittern sie am ganzen Leib und klagen über Schmerzen.

Mediale Transformation
In den Medien verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Flugblätter und Zeitungen machten sich mit unterschiedlichsten Versionen und Interpretationen Konkurrenz. Vor allem religiöse Überzeugungen bestimmten die mediale Transformation des Ereignisses, denn die Menschen lebten in der Überzeugung, dass die Welt von einem Gott regiert wird, der bevorstehende Heimsuchungen an den Himmel projiziert. Auch die Luftschlacht wurde als ein solches „Prodigium“ (lat. „Vorzeichen“) gedeutet. Niemand kam auf die Idee, dass es sich um einen Hoax oder ein Naturphänomen, zum Beispiel eine atmosphärische Spiegelung, handeln könnte.

Nicht nur das religiöse Weltbild, sondern auch das Bilddesign hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die mediale Transformation der Luftschlacht. Eine besondere Rolle spielten futuristische Visionen von Luftschiffen, für welche sich die Menschen des 17. Jahrhunderts begeisterten. Mehr als 100 Jahre vor dem ersten bemannten Ballonflug hatte Francesco Lana Terzi (1631–1687) den Entwurf eines von Vakuumkugeln getragenen Flugboots publiziert, der europaweit Furore machte. Dass das Vorhaben nie realisiert werden konnte, tat der Euphorie keinen Abbruch. Die Menschen träumten von der Eroberung des Luftraums.

Die Macht der Mythen
Ein weiteres Thema der Ausstellung ist die Macht der Mythen: Als am 19. Juni 1670 der Blitz ausgerechnet in die Kirche Sank Nikolai schlug, über der die Scheibe fünf Jahre zuvor unheilverkündend erschienen war, wurde die Himmelserscheinung im Nachhinein als ein Zorneszeichen Gottes interpretiert. Zeitgenössische Beschreibungen und Darstellungen des Ereignisses beschworen einen geheimnisvollen Zusammenhang mit der Zerstörung Babylons durch einen gigantischen Mühlstein, wie sie in der Offenbarung des Johannes geschildert wird.

Das kollektive Bild von der Luftschlacht über Stralsund ist aber nicht nur geprägt von den Medien, Glaubenssätzen, Designs und Mythen des Barock-Zeitalters. Ebenso wird ablesbar, was man sich damals nicht vorstellen konnte. So ist in keiner Quelle des 17. Jahrhunderts im Zusammenhang mit unerklärlichen Himmelserscheinungen von Außerirdischen die Rede.  Dabei war die menschliche Fantasie längst so weit, sich Expeditionen zu bewohnten Planeten und entsprechende Antriebssysteme vorzustellen. Warum dennoch kein Mensch auf die Idee kam, Außerirdische könnten ihrerseits mit Flugapparaten an unserem Himmel erscheinen, ist eines von vielen Rätseln, das die Ausstellung zu lösen versucht.

Exkurs in die Gegenwart
Am Ende dieser kultur- und mediengeschichtlichen Ermittlungen folgt ein Exkurs in die Gegenwart. Im Fokus stehen die 2019 viral gegangenen Videos und Berichte von Sichtungen rätselhafter „Unidentified Aerial Phenomena“ (UAPs) durch das US-Militär, die es zwei Jahre später sogar auf den Titel einer Ausgabe des „Spiegel“ geschafft haben. Die Bandbreite der diskutierten Deutungen ist irrwitzig groß. Handelt es sich um physikalisch erklärbare Naturphänomene, überlegene Hightech-Drohnen chinesischer oder russischer Produktion, Außerirdische oder gar um Besucher aus der Zukunft? Selbst NASA und Pentagon scheinen keinen Schimmer zu haben. Eines ist jedoch sicher: Die für die Medienkarriere von „UFO 1665“ ausschlaggebenden Faktoren haben bis heute nichts von ihrer Macht verloren.

„UFO 1665. Die Luftschlacht von Stralsund“ wird kuratiert von Moritz Wullen, Direktor der Kunstbibliothek.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation im Wienand Verlag.

Eine Sonderausstellung der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin

Laufzeit: Fr, 05.05.2023 bis So, 27.08.2023

Preisinformationen: UFO 1665.

Preis: 6,00 €

Ermäßigter Preis: 3,00 €

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