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ARCHIV: Rundschreiben Soz Nr. 04/2017 über Leistungen nach dem SGB XII für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger und deren Familienangehörige sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen aus der Schweiz und aus den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Norwegen, Liechtenstein und Island mit Änderungen vom 12. November 2019

p(. vom 26. Juni 2017, mit Änderungen vom 12. November 2019 aufgehoben durch die Ausführungsvorschriften AV §23 SGB XII

Inhalt

Das Rundschreiben stellt die Leistungsansprüche von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern und deren Familienangehörige sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellten Personen aus der Schweiz und aus den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Norwegen, Liechtenstein und Island im SGB XII dar.

Für die Prüfung von Leistungsansprüchen nach dem SGB II oder dem SGB XII ist jeweils zunächst vorab zu ermitteln, ob ein oder mehrere Tatbestände für ein Freizügigkeitsrecht bestehen. Für die Leistungsgewährung ist es ausreichend, wenn ein Freizügigkeitsrecht festgestellt wird und ein Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII nicht vorliegt (dazu unter I.).

Aufgrund der Anwendungssperre des § 21 Satz 1 SGB XII ist für erwerbsfähige Personen zunächst zu prüfen, ob ein Freizügigkeitsrecht besteht und damit ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Betracht kommt. Ist dies wegen des in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II geregelten Leistungsausschlusses nicht der Fall, so ist das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe nach § 23 SGB XII zu prüfen (dazu unter II.).

I. Freizügigkeitsrecht von Unionsbürgerinnen und Unionsbürger und deren Familienangehörige sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellten Personen nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU)

Auf der Grundlage des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) haben alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt und Einreise.

Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sind Staatsangehörige der Länder:
Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn, Vereinigtes Königreich (Großbritannien), Zypern.

Den Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern aufenthaltsrechtlich gleichgestellt sind Bürgerinnen und Bürger der Schweiz und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Zum EWR gehören auch Norwegen, Liechtenstein und Island.

Unionsbürgerinnen und Unionsbürger und deren Familienangehörigen sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, die z. B. als Touristin oder Tourist nach Deutschland einreisen, haben für die ersten drei Monate nach ihrer Einreise ein voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht (§ 2 Abs. 5 FreizügG/EU).
Diese Personen sind, sofern sie weder als Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer, als Selbständige bzw. Selbständiger sowie als Auszubildende bzw. Auszubildender noch nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes (Frist beginnt mit dem Tag der Einreise) von Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB II und § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XII).

Für einen Aufenthalt, der über drei Monate hinausgeht, ist die Freizügigkeitsberechtigung an einen Aufenthaltszweck gebunden. Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind u.a. (§§ 4a, 2 Abs. 2 und Abs. 3 FreizügG/EU):
  • Personen mit einem Daueraufenthaltsrecht,
  • Personen, die sich als Arbeitnehmerin oder als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhalten,
  • Personen, die eine selbständigen Erwerbstätigkeit ausüben,
  • Personen, die sich zum Zweck der Arbeitssuche aufhalten, für mindestens sechs Monate und darüber hinaus, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden,
  • Personen, die unfreiwillig nach mehr als einem Jahr Tätigkeit ihre Arbeit verloren haben, wenn dies die Agentur für Arbeit bestätigt hat, oder ihre selbständige Tätigkeit unverschuldet aufgeben mussten (Verbleibeberechtigung) (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/ EU),
  • Personen, die unfreiwillig nach weniger als einem Jahr Tätigkeit arbeitslos geworden sind, wenn dies durch die Agentur für Arbeit bestätigt worden ist, für die Dauer von sechs Monaten,
  • nicht erwerbstätige Unionsbürgerinnen und Unionsbürger mit ausreichendem Krankenversicherungsschutz und ausreichenden Existenzmitteln (§ 4 FreizügG ),
  • Familienangehörige (§ 3 FreizügG ),

Für weitere Einzelheiten wird auf die detaillierten Regelungen im FreizügG/EU bzw. auf den weiteren Text verwiesen.

1. Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen mit einem Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU

Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, die sich seit fünf Jahren ständig im Sinne des Freizügigkeitsrechts rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben oder die die Voraussetzungen von § 4a Abs. 2 oder 3 FreizügG/EU erfüllen, haben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Freizügigkeitsvoraussetzungen aus § 2 Absatz 2 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a FreizügG/EU).

Dieser Personenkreis ist nicht von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II noch von Sozialhilfe nach dem SGB XII ausgeschlossen.

Darüber hinaus besteht u.a. ein Daueraufenthaltsrecht nach mindestens dreijährigem Aufenthalt und Ausüben einer Erwerbstätigkeit in den letzten zwölf Monaten, sofern die Person bei Ausscheiden aus dem Erwerbsleben 65 Jahre alt ist, eine Vorruhestandsregelung nutzt oder voll erwerbsgemindert ist (§ 4a Abs. 2 FreizügG/EU). Die Familienangehörigen sind entsprechend daueraufenthaltsberechtigt, § 4a Abs. 4 FreizügG/EU.
Das FreizügG/EU regelt weitere Daueraufenthaltsrechte für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die Aufzählung hier ist nicht abschließend.

Familienangehörige, die nicht Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sind, haben dieses Recht insbesondere, wenn sie sich seit fünf Jahren mit der Unionsbürgerin bzw. dem Unionsbürger ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben (§ 4a Abs. 5 FreizügG/EU).

2. Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, die als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer, zur Berufsausbildung oder zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit freizügigkeitsberechtigt sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FreizügG/EU)

Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, die sich als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer, zum Zwecke der Berufsausbildung oder zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit im Bundesgebiet aufhalten, sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Gleiches gilt für die Familienangehörigen (§ 3 FreizügG/EU).

Dieser Personenkreis ist dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II und nach § 21 Satz 1 SGB XII von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen.

2.a Unfreiwillige Arbeitslosigkeit nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU nach mehr als einem Jahr Tätigkeit und Satz 2 FreizügG/EU nach weniger als einem Jahr Tätigkeit ( Verbleibeberechtigung)

Darüber hinaus sind folgende Personen dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem
SGB II:

Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU behalten Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen auch bei Arbeitslosigkeit für einen Zeitraum von sechs Monaten ihren unionsrechtlichen Arbeitnehmerstatus, wenn sie:
  • weniger als ein Jahr als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer beschäftigt waren,
  • unfreiwillig arbeitslos geworden sind
  • und letzteres durch die Agentur für Arbeit bestätigt wurde.

Bestand die Tätigkeit hingegen mindestens ein Jahr, bleibt die Arbeitnehmereigenschaft auch über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus dauerhaft weiter bestehen (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU) mit der Folge, dass bei Hilfebedürftigkeit Leistungen nach dem SGB II über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus zu gewähren sind.

Voraussetzung für das Bestehen eines fortbestehenden Aufenthaltsrechts ist, ob es sich bei der ausgeübten Tätigkeit um ein „echtes“ Arbeitsverhältnis gehandelt hat. Kennzeichnend hierfür ist die Erbringung einer Arbeitsleistung innerhalb einer vom Arbeitgeber bestimmten und gestalteten Organisation. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterliegen bezüglich des Inhaltes, der Durchführung, der Zeit und Dauer der Tätigkeit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Die Arbeitszeit und Höhe der Vergütung sind bei der Beurteilung des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen. Es ist von einem weiten Arbeitnehmerbegriff im Wege einer Gesamtwürdigung auszugehen. Denn Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer ist auch diejenige bzw. derjenige, der über ein geringfügiges, nicht das Existenzminimum deckendes Einkommen verfügt, so dass auch bei einer Tätigkeit von z.B. acht Wochenstunden im Regelfall ein Arbeitsnehmerstatus vorliegt. So hat die Rechtsprechung die Arbeitnehmereigenschaft bei 7,5 Wochenstunden bei einem Entgelt von 100 Euro (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R) bzw. bei 5,5 Wochenstunden bei einem Entgelt von 175 Euro bejaht (EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010, C-14/09).

Zudem bedarf es der Bestätigung der Agentur für Arbeit, dass die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu vertreten hat. Wird die Bestätigung erteilt und steht die Unionsbürgerin bzw. der Unionsbürger der Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit bzw. des Jobcenters zur Verfügung, ist davon auszugehen, dass ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU besteht.

Darüber hinaus bleiben Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, die durch Krankheit oder Unfall vorübergehend erwerbsgemindert sind, freizügigkeitsberechtigt (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU).

2.b Unfreiwillige Aufgabe einer selbständigen Tätigkeit nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU

Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, die mehr als ein Jahr ununterbrochen selbständig tätig waren und ihre Selbständigkeit infolge von Umständen aufgegeben haben, die sie nicht zu vertreten haben, bleiben ebenfalls gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU als Selbständige freizügigkeitsberechtigt und damit leistungsberechtigt nach dem SGB II.

Zu prüfen ist, ob es sich bei der Tätigkeit tatsächlich um eine „echte“ Selbständigkeit handelt.
Selbständig ist, wer tatsächlich und weisungsunabhängig eine Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht ausübt. Eine bloße Gewerbeanmeldung ist nicht ausreichend. Erforderlich ist eine tatsächliche und kontinuierliche Teilnahme am Wirtschaftsleben. Daran fehlt es, wenn die Tätigkeit völlig untergeordnet ist, etwa weil die Selbständigkeit in einem zu geringen zeitlichen Umfang ausgeübt wird oder keine nennenswerte Einkünfte erzielt werden. Es ist jedoch im Wege einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen, dass insbesondere zu Beginn der Selbständigkeit kein oder nur ein marginaler Gewinn erzielt werden kann. Die selbständige Tätigkeit bedarf im Regelfall der gewerblichen Niederlassung im Sinne von § 4 Abs. 3 Gewerbeordnung (GewO). Auch freiberufliche Tätigkeiten, die keine Gewerbeanmeldung erfordern, sind selbstverständlich umfasst.

3. Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, die sich zum Zwecke der Arbeitssuche im Inland aufhalten – § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU

Das Freizügigkeitsrecht zur Arbeitssuche besteht für die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU für die Dauer von mindestens sechs Monaten.

Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern, die sich nur zum Zwecke der Arbeitssuche im Bundesgebiet aufhalten, sind von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchstb. b SGB II ausgeschlossen (EuGH, Rechtssache Alimanovic, C-67/14

3.a Zeitliche Begrenzung des Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche

Die Unionsbürgerin bzw. der Unionsbürger sowie die aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Person, die sich im Bundesgebiet zum Zwecke der Arbeitssuche aufhält, ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU für bis zu sechs Monate freizügigkeitsberechtigt. Es gelten die Leistungsausschlüsse des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II bzw. des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII (n.F.).
Soll das Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche nach Ablauf von sechs Monaten fortbestehen, so muss die Unionsbürgerin bzw. der Unionsbürger bzw. die aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Person nachweisen können, dass sie bzw. er weiterhin Arbeit sucht und die begründete Aussicht besteht, eingestellt zu werden.

Sofern die erwerbsfähige Unionsbürgerin bzw. der erwerbsfähige Unionsbürger oder die aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Person einen Antrag auf Sozialhilfe nach dem SGB XII stellt, ist zu prüfen, ob andere Freizügigkeitsrechte in Betracht kommen und ob das Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU fortbesteht.

Für die Prüfung des Fortbestands des Freizügigkeitsrechts zur Arbeitssuche ist im Rahmen der Amtshilfe eine Stellungnahme von der zuständigen Agentur für Arbeit bzw. des Jobcenters einzuholen. Die Stellungnahme soll die Umstände des Einzelfalles würdigen und darstellen, ob die Unionsbürgerin bzw. der Unionsbürger bzw. die aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Person als arbeitssuchend gemeldet ist, sich nachweislich (z.B. durch qualifizierte Bewerbungen) um Arbeit bemüht und Aussicht hat, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Die Bewertung der Erfolgsaussichten der Arbeitssuche soll sich orientieren an:
  • den Sprachkenntnissen, insbesondere der deutschen Sprache,
  • den Qualifikationen (insbesondere Schul-, Hochschul-, Berufsabschluss, sowie vorhandener Berufserfahrungen),
  • der Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen nach dem Berufsanerkennungsgesetz bzw. den entsprechenden Landesgesetzen,
  • den Gegebenheiten des örtlichen Arbeitsmarktes,
  • nachgewiesenen Einladungen zu Vorstellungsgesprächen und
  • einer der Arbeitssuche vorausgegangenen Berufstätigkeit.

3.b Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, deren Freizügigkeitsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche über einen Zeitraum von sechs Monaten fortbesteht

Werden die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche der Unionsbürgerin bzw. des Unionsbürgers sowie der aufenthaltsrechtlich gleichgestellten Person durch die Agentur für Arbeit bzw. des Jobcenters als positiv beurteilt, ist sie bzw. er weiterhin freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU. Der Leistungsausschluss nach dem SGB II wie auch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII n.F. gilt – hier mit Ausnahme für die Staatsangehörigen der EFA-Signatarstaaten und der Republik Österreich (vgl. Punkt II.8 und 9) – fort.

3.c Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, deren Freizügigkeit zum Zwecke der Arbeitssuche nach Ablauf von sechs Monaten nicht mehr fortbesteht

Bestehen für die Unionsbürgerin bzw. den Unionsbürger oder die aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Person nach der Stellungnahme der Agentur für Arbeit bzw. des Jobcenters keine begründeten Erfolgsaussichten zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, endet das Recht zur Freizügigkeit nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU. Es ist jeweils zugleich zu prüfen, ob die Unionsbürgerin bzw. der Unionsbürger oder die aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Person sich auf ein anderes Recht auf Freizügigkeit nach § 2 Abs. 2, § 3, § 4, § 4a FreizügG/EU berufen kann. Ist dies nicht der Fall, unterfällt die Person dem Leistungsausschluss nach dem SGB II wie auch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII n.F..

4. Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, die über ein Aufenthaltsrecht zur Ausübung der elterlichen Sorge verfügen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c SGB II bzw. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XII)

Ferner kann ein Aufenthaltsrecht direkt aus Art. 10 der FreizügigkeitsVO bestehen. War oder ist eine Unionsbürgerin bzw. ein Unionsbürger bzw. die aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Person Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer, so haben ihre bzw. seine Kinder nach Art. 10 der Verordnung über die Freizügigkeit des Arbeitnehmers in der Union (VO [EG] 492/2011) das Recht, am allgemeinen Schulunterricht und an der Berufsausbildung teilzunehmen. Das Kind kann daraus ein eigenes Aufenthaltsrecht ableiten, das bis zum Abschluss des jeweiligen Ausbildungsganges besteht. Damit das Kind nicht am erfolgreichen Abschluss der begonnenen Schul- oder Berufsausbildung gehindert wird, wenn die Eltern bzw. das sorgeberechtigte Elternteil ausreisen müsste, können diese bzw. kann dieser ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht geltend machen, wenn:
  • das Kind bereits seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte, als mindestens ein sorgeberechtigtes Elternteil (Unionsbürgerin bzw. Unionsbürger oder aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Person) in Deutschland abhängig beschäftigt war,
  • das Kind sich aktuell in einer Berufsausbildung befindet oder zur Schule geht und dieser Ausbildung auch regelmäßig nachgekommen ist. Für die Entstehung des Aufenthaltsrechts nach Art 10 VO (EU) 492/2011 muss der Arbeitnehmerstatus eines Elternteils nicht bei Beginn der Ausbildung bestehen, sondern es genügt, wenn dieser bei fortgesetzter Ausbildung der Kinder (z.B. Besuch einer Grundschule) später hinzutritt;
  • und der Elternteil, dessen Aufenthaltsrecht geprüft wird, die elterliche Sorge auch tatsächlich ausübt.
    Das Aufenthaltsrecht des Kindes besteht bis zum Abschluss des jeweiligen Ausbildungsganges (Schule, Ausbildung, Studium). Soweit das Kind noch nicht volljährig ist, ist das Aufenthaltsrecht der Unionsbürgerin bzw. des Unionsbürgers oder der aufenthaltsrechtlich gleichgestellten Person, die die elterliche Sorge tatsächlich ausübt, akzessorisch.

Auch dieses Aufenthaltsrecht bedingt einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c SGB II bzw. nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB XII (n.F.) mit Ausnahme für die Staatsangehörigen der EFA-Signatarstaaten und der Republik Österreich (vgl. Punkt II. 8 und 9).

Im Übrigen bleibt die Rechtsprechung zu diesem Punkt abzuwarten. Mit gewichtigen Argumenten (vgl. LSG Schleswig, Beschluss vom 17. Februar 2017, L 6 AS 11/17 B ER) wird der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c) SGB II als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen.

II. Leistungsansprüche und Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellten Personen nach dem SGB XII

5. Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen mit einem Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU nach fünfjährigem rechtmäßigen Aufenthalt

Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, die über ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU verfügen, und deren Familienangehörige sind deutschen Staatsangehörigen sozialhilferechtlich gleichgestellt. Sie sind von den Einschränkungen der Leistungen nach § 23 SGB XII ausgenommen (vgl. Punkt I.1.).

6. Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, die seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben ohne Vorliegen eines Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU

Personen,
  • die kein Aufenthaltsrecht haben oder die sich nur zum Zwecke der Arbeitssuche im Bundesgebiet aufhalten (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII) oder
  • deren Aufenthaltsrecht sich allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Nummer 2 aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.05.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.04.2016, S. 1) geändert wurde, ableitet (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB XII)

und deren Familienangehörige erhalten Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahre ohne wesentliche Unterbrechungen im Bundesgebiet aufhalten und hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nicht festgestellt wurde (§ 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII). Auf das Bestehen eines materiellen Aufenthalts- oder Aufenthaltsrechts kommt es nicht an (BT-Drs. 18/10211). Es muss sich nicht um einen erlaubten Aufenthalt handeln (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. April 2017, L 15 SO 353/16 B ER).
Diese Rückausnahme vom Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII schließt u.a. die Erbringung von Hilfen zum Lebensunterhalt ein, sofern die betroffene ausländische Person nicht als erwerbsfähig oder deren Familienangehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II ist. In letzterem Fall besteht ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (zur vglb. Vorschrift im SGB II: § 7 Absatz 1 Satz 4 und 5 SGB II in Verbindung mit § 21 Satz 1 SGB XII).

Die Fünf-Jahres-Frist nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht – bspw. durch Feststellung des Verlusts oder des Nichtbestehens des Aufenthaltsrechts – bestand, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Dabei bleiben Unterbrechungen wegen kurzfristiger Auslandsaufenthalte, wie z.B. Klassenfahrten, Besuche von Angehörigen oder die Teilnahme an Beerdigungen von Angehörigen, leistungsrechtlich außer Betracht. Bei der Prüfung, ob ein Aufenthalt im Ausland zu einer wesentlichen Unterbrechung führt, ist neben der Dauer des Aufenthalts auch zu berücksichtigen, wodurch dieser veranlasst ist (zum Beispiel familiäre, schulische Gründe) und welches Gewicht diese Gründe für die betroffene Person haben. Bei nicht nur unwesentlichen Unterbrechungen beginnt die Frist mit der Wiedereinreise erneut.

Im Übrigen ist nicht erforderlich, dass die betreffende Person auch unter der Meldeadresse tatsächlich gewohnt hat. Durch Vorlage entsprechender Bescheinigungen (bspw. Bestätigung der fortlaufenden Behandlung durch einen Arzt, Mietverträge, andere Urkunden, Vorlage von Kontoauszügen, o.ä.) kann der tatsächliche Aufenthalt durch die betreffende Person nachgewiesen werden.

7. Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen, die noch nicht fünf Jahre ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben und nicht über ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU verfügen

Personen,
  • die weder Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind oder
  • die kein Aufenthaltsrecht haben oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU) oder
  • deren Aufenthaltsrecht sich allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Nummer 2 aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27. Mai 2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22. April 2016, S. 1) geändert wurde, ableitet,
    und
  • die sich noch nicht fünf Jahre tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und
  • bei denen der Verlust des Freizügigkeitsrechts (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) nicht festgestellt wurde

und deren Familienangehörigen werden – unabhängig von der Frage nach einer Erwerbsfähigkeit – nur eingeschränkte Hilfe (Überbrückungsleistungen) gewährt (§ 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII).

7.a Überbrückungsleistungen (§ 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII) und besondere Härte (§ 23 Abs. 3 Satz 6, 1. und 2. Halbsatz SGB XII)

Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern – auch ohne objektiv bestehendes materielles Aufenthaltsrecht – sind so lange Überbrückungsleistungen gem. § 23 Abs. 3 Satz 6, 2. Halbsatz SGB XII zu gewähren, wie die Ausländerbehörde gegen sie keine bestandskräftige und weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung erlassen hat, die mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verknüpft ist (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.07.2019 – L 15 SO 181/18).
Ihnen sind – diesem Urteil folgend – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wenigstens in dem in § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII benannten Umfang über einen Monat hinaus zu gewähren.

Im Übrigen – dies gilt insbesondere für Drittstaatenangehörige, die nicht leistungsberechtigt nach dem AsylbLG oder nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des SGB XII sind – werden die Überbrückungsleistungen bis zur Ausreise, grundsätzlich jedoch längstens für die Dauer von einem Monat, gewährt. Die Überbrückungsleistung darf nur einmalig innerhalb von zwei Jahren gewährt werden (§ 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII).

Über die Einmaligkeit der Erbringung der Überbrückungsleistungen innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren sowie der Möglichkeit der Beantragung eines Darlehens für die Gewährung der Rückreisekosten sind die Personen im Bescheid zu informieren.

Gem. § 23 Abs. 3 Satz 6, 1. Halbsatz SGB XII sind, wenn besondere Umstände dies erfordern, im Einzelfall zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne des § 23 Abs. 1 SGB XII zu gewähren (z. B. Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft, Hilfe zur Pflege). Darüber hinaus können weitere Leistungen (beispielsweise Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. SGB XII) gewährt werden (§ 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII).

Nach § 23 Abs. 3 Satz 6, 2. Halbsatz SGB XII sind Leistungen zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage über einen Monat hinaus zu erbringen.

Die Härtefallansprüche der Halbsätze 1 und 2 des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII können auch kumulativ auftreten (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.03.2018, L 7 AS 430/18 ER-B; LSG NRW, Beschluss vom 28.03.2018, L 7 AS 115/18 B ER).

Bei länger andauerndem Aufenthalt gem. § 23 Abs. 3 Satz 6, 2. Halbsatz SGB XII sind Leistungen der Höhe nach orientierend an den laufenden Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII zu gewähren und gegebenenfalls darüber hinaus können gem. § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII weitere Ermessensleistungen gewährt werden.

Insbesondere in den Fällen, in denen Familien oder andere vulnerable Personen betroffen sind, ist ein Härtefall gegeben, der eine Bewilligung der Überbrückungsleistungen über einen Monat hinaus begründet.

Eine besondere Härte, in denen Leistungen über einen Monat hinaus und/oder über den Umfang der Überbrückungs¬leistungen hinaus zu erbringen sind, ist insbesondere in folgenden Fällen zu bejahen:
  • bei ärztlich festgestellter Reiseunfähigkeit (BT-Drs. 18/10211, S. 17),
  • bei Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung bzw. Behinderung, deren Behandlung bzw. Betreuung im Herkunftsland nicht oder nicht zeitnah sichergestellt ist, z. B. wenn unklar ist, ob ein ausreichender Krankenversicherungsschutz besteht (LSG Hessen, Beschluss vom 13.06.2017, L 4 SO 79/17 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.03.2018, L 7 AS 430/18 ER-B),
  • bei bestehender Tuberkuloseerkrankung für den Zeitraum der Behandlung,
  • bei Mutterschutz (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. September 2019, L 31 AS 1627/19 B ER, L 31 AS 1628/19 B ER PKH),
  • bei fehlenden Reisedokumenten,
  • bei bevorstehender Familiengründung oder Eheschließung mit einer Person, von der das Freizügigkeitsrecht nicht nur zur Arbeitssuche abgeleitet werden kann (obwohl hier schon aus familiären Gründen ein SGB II-Anspruch bestehen dürfte) [Vorwirkung des Art. 6 GG],
  • bei Besuch einer Ausbildung durch das Kind und tatsächlicher Ausübung der Personensorge durch die Eltern bzw. das Elternteil,
  • bei einer Nierenerkrankung mit notwendiger Dialysebehandlung (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.03.2018, L 7 AS 430/18 ER-B),
  • bei notwendiger Tumor-Nachsorge (LSG Hessen, Beschluss vom13.06.2017, L 4 SO 79/17 B ER),
  • bei mehrfacher schwerer Behinderung und/oder Gewährung von Eingliederungshilfe (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.07.2017, L 8 SO 129/17 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29.11.2018, L 8 SO 134/18 B ER),
  • bei schwerer Krebserkrankung bei zuerkanntem Grad der Behinderung von 100 und anerkanntem Merkzeichen „G“ und „B“ (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.03.2018, L 25 AS 337/18 B ER),
  • bei schwerer Suchterkrankung, in medizinischer Behandlung, ungewisse Lebens- und Behandlungsperspektive im Heimatland (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.03.2018, L 7 AS 115/18 B ER).

Ordnungsrechtliche Unterbringung bei Wohnungslosigkeit:

Personen, die obdachlos sind oder denen die Obdachlosigkeit droht und diesen Umstand nicht aus eigenen Kräften und Mitteln in zumutbarer Weise und Zeit abwenden können, haben – unabhängig von dem Bestehen eines Anspruchs auf Überbrückungsleistungen (mit oder ohne Vorliegen eines Härtefalls) oder sonstiger sozialhilferechtlicher Ansprüche – einen ordnungsrechtlichen Unterbringungsanspruch nach dem Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz – ASOG Bln).

Dies gilt ebenso für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger. Auf eine Rückkehroption in das Herkunftsland kommt es nicht an.

7.b Leistungserbringung nach § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 sowie Satz 6, 1. Halbsatz SGB XII – Bestimmung der Höhe der Überbrückungsleistung für Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege sowie weitere Leistungen im Einzelfall zur Überwindung einer besonderen Härte

Die Höhe der zu erbringenden Überbrückungsleistungen soll – ausweislich der Gesetzesbegründung – den eingeschränkten Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG entsprechen. Insoweit wird auf die zu § 1a AsylbLG erlassenden Ausführungsvorschriften und Rundschreiben verwiesen.

Der Anspruch nach § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 SGB XII ist auf die Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege beschränkt. Dementsprechend sind folgende Bestandteile des notwendigen Bedarfes zu gewähren:

Abteilung 1 Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke
Abteilung 6 Gesundheitspflege
Abteilung 12 Anteil Körperpflege

Ein Anspruch auf Gewährung der Abt. 3 Bekleidung und Schuhe sowie Abteilung 4 Wohnen, Energie- und Wohnungsinstandhaltung besteht in der Regel nicht.

Nach § 23 Abs. 3 Satz 6, 1. Hs. SGB XII können im Einzelfall zur Überwindung einer besonderen Härte auch Leistungen im Sinne von § 23 Abs. 1 SGB XII gewährt werden. Es ist zu prüfen, ob über das Niveau der Überbrückungsleistungen hinausgehende Bedarfe wie Bekleidung, Mehrbedarfe, Pflegekosten, an Haushaltsenergie bei Personen, die in einer Wohnung leben, etc. zu decken sind.

7.c Leistungserbringung nach § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 2 SGB XII – Gewährung der Leistungen zur Deckung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung

Darüber hinaus sind nach § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 2 SGB XII als Überbrückungsleistungen angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung einschließlich der Bedarfe für zentrale Warmwasserversorgung (§ 35 Abs. 4 SGB XII) und des Mehrbedarfs für dezentrale Warmwassererzeugung (30 Abs. 7 SGB XII) zu erbringen.

7.d Gewährung von Krankenhilfe nach § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 3 SGB XII

Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände bzw. bei Schwangerschaft und Geburt ist als Überbrückungsleistung auch die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung zu gewähren.

Die Gewährung dieser Krankenhilfe nach § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 3 SGB XII hat nachrangig zu einer bestehenden Krankenversicherung der leistungsberechtigten Person zu erfolgen.

Bei den neu eingereisten Personen ist auf Grundlage der Arbeitshilfe „Zugang zur medizinischen Versorgung von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern“ vom 8. Mai 2015 zu prüfen, ob und inwieweit eine Krankenversicherung im Herkunftsland besteht.

Personen, die während ihres Aufenthaltes in Deutschland bereits sozialversicherungspflichtiges Einkommen erzielt haben (Erwerbseinkommen, Arbeitslosengeld I oder II), können unter bestimmten Voraussetzungen nach § 9 SGB V freiwilliges Mitglied in einer gesetzlichen Krankenversicherung werden.

In den Fällen, in denen eine freiwillige Versicherung nach § 9 SGB V nicht möglich ist, ist nach § 188 Abs. 4 SGB V das Vorliegen einer obligatorischen Anschlussversicherung zu prüfen. Die obligatorische Anschlussversicherung kommt in den Fällen in Betracht, in denen eine Pflichtversicherung endet und im Anschluss, d.h. innerhalb eines Monats nach Ende der Pflichtversicherung, keine Leistungen nach dem SGB II, dem SGB XII bzw. dem AsylbLG bezogen werden. Bei Beendigung einer Familienversicherung nach § 10 SGB V greift die obligatorische Anschlussversicherung unmittelbar und unabhängig davon, ob Leistungen nach dem SGB XII bezogen werden. Voraussetzung für das Eintreten der obligatorischen Anschlussversicherung ist, dass seitens der bzw. des Versicherten keine Austrittserklärung gegenüber der Krankenkasse abgegeben wurde.

Der Beitrag zur freiwilligen gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII i.V.m. § 32 SGB XII ist als Bedarf anzuerkennen.

Personen, bei denen kein Krankenversicherungsschutz besteht, ist bei Vorliegen eines unabweisbaren notwendigen Bedarfes ein Behandlungsschein (U-Schein) entsprechend der Vereinbarung gemäß § 264 Abs. 1 SGB V zwischen dem Land Berlin und der AOK Berlin auszuhändigen. Der Behandlungsschein ist für die Dauer der Bewilligung der Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 und 6 SGB XII zu befristen. Ist im Einzelfall eine stationäre Behandlung erforderlich, werden die Kosten dafür im Rahmen der Vereinbarung mit der AOK Nordost vom 11./19. September 2005 in der Fassung vom 27./30. September 2005 abgerechnet.

7.e. Gewährung einer Rückkehrbeihilfe nach § 23 Abs. 3a SGB XII

Leistungsberechtigten Personen sind neben den Überbrückungsleistungen auf Antrag die angemessenen Kosten für die Rückreise zu gewähren. Die darlehensweise Erbringung der Rückreisekosten kommt auch für die Personen in Betracht, deren Hilfebedürftigkeit allein durch die Kosten der Rückreise herbeigeführt wird.

8. Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie deren Familienangehörige und aufenthaltsrechtlich gleichgestellte Personen aus einem EFA-Vertragsstaat

Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die Staatsangehörige eines Signatarstaats des Europäischen Fürsorgeabkommens sind, sowie deren Familienangehörige und aufenthaltsrechtlich gleichgestellten Personen ist Sozialhilfe nach § 23 Abs. 1 SGB XII zu gewähren.
Das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) wurde von folgenden Staaten unterzeichnet:

Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, Türkei, Vereinigtes Königreich.

Das EFA begründet für die Staatsangehörigen der Vertragsschließenden, die sich erlaubt auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten, den gleichen Zugang zur sozialen und Gesundheitsfürsorge wie sie den Staatsangehörigen des Aufnahmestaats zusteht.

Einbezogen sind gemäß Zusatzprotokoll auch Flüchtlinge i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention.

Der Aufenthalt gilt im Sinne dieses Abkommens als erlaubt, wenn die bzw. der Betroffene im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis ist (oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis, auf Grund welcher der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist). Ausländerinnen und Ausländer halten sich in der Bundesrepublik Deutschland erlaubt auf, wenn sie einen Aufenthaltstitel nach § 4 AufenthG besitzen (Visum, Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis, Blaue Karte EU oder Daueraufenthaltserlaubnis – EU) sind. Die Frage, wann ein Aufenthalt als erlaubt gilt, ist nicht abschließend geklärt. Der Aufenthalt von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern aus EFA-Signatarstaaten gilt daher grundsätzlich als erlaubt. Die Vermutung greift (erst dann) nicht, wenn gegen die Betroffenen eine bestandskräftige und weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung (Verlustfeststellung nach §§ 6, 7 FreizügG/EU) ergangen ist, die mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verknüpft ist.
Die Beantragung der Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis, nachgewiesen durch eine Fiktionsbescheinigung auf der Grundlage des § 81 Abs. 4 AufenthG gilt ebenfalls als erlaubter Aufenthalt i.S.d. EFA.

Die vertragsschließenden Staaten haben im Anhang II des EFA zum Teil Vorbehalte bei der Umsetzung der innerstaatlichen Anwendung des Abkommens geltend gemacht. Auf Grund eines entsprechenden Vorbehalts der seinerzeit amtierenden deutschen Bundesregierung können in Deutschland keine Ansprüche auf die Gewährung von Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (früher § 72 BSHG, jetzt Achtes Kapitel des SGB XII) aus dem Abkommen abgeleitet werden. Für alle anderen Leistungen des SGB XII ist das EFA dagegen anwendbar, und zwar wegen des Vorbehalts bzgl. des SGB II auch dann, wenn die Person erwerbsfähig ist. Die Ausschlussgründe des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB XII (kein Aufenthaltsrecht ohne Verlustfeststellung, Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche, Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der VO Nr. 492/2011) gelten nicht.

Ferner hat die bis zum 16. Dezember 2013 amtierende Bundesregierung von der Möglichkeit nach Art. 16 Buchstabe b) EFA Gebrauch gemacht, mit der Notifikation des SGB II einen Vorbehalt hinsichtlich der Anwendung dieser neuen Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden zu erklären. Dieser Vorbehalt bewirkt, dass Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die Staatsangehörige eines Signatarstaates des EFA sind, über das EFA keine Leistungen nach dem SGB II beanspruchen können.
Das BSG hat (Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 43/13 R) den Vorbehalt der Bundesregierung für formell und materiell wirksam erklärt.
Im Internet ist ein Abdruck des Wortlauts des EFA unter der URL: http://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/014 abrufbar.

9. Österreichische Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die sich auf das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Fürsorge – und Jugendwohlfahrtspflege vom 17. Januar 1966 berufen können

Österreichische Staatsangehörige haben Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (bei Erwerbsfähigkeit) bzw. auf Sozialhilfe. Den Vorbehalt, den die Bundesregierung erklärt hat, gilt nur für das EFA. Österreich ist kein Signatarstaat des EFA.
Sie sind bei der Gewährung von Sozialhilfe deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt, sofern sie nicht einreisen, um Vergünstigungen aus dem Fürsorgeabkommen in Anspruch zu nehmen oder um sich wegen einer im Augenblick der Einreise bestehenden Krankheit pflegen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 2016, B 4 AS 32/15 R, Rn. 17). Eine Gleichstellung ergibt sich für österreichische Staatsbürger aber vorrangig aus der Tatsache, dass diese Personen Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sind.
Im Internet ist ein Abdruck des Wortlauts des Abkommens unter der URL:
http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008234 abrufbar.

III. Leistungsansprüche von vollziehbar ausreisepflichtigen Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern

Personen, bei denen der Verlust oder das Nichtbestehen eines Freizügigkeitsrechts durch die Ausländerbehörde festgestellt wurde (§§ 6, 5 Abs. 4 und 6, 2 Abs. 7 FreizügG/EU) sind vollziehbar ausreisepflichtig und damit leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).

IV. Umsetzung und Anwendung in OPEN/PROSOZ

Für die Gewährung der neuen Bedarfe nach § 23 Abs. 3 und 3a SGB XII sind in der Fallkonfiguration Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt zu aktivieren. In den Personendaten ist nur der Personenkreis 1 zulässig. Regel- und ggf. Mehrbedarfe sind um 100% zu kürzen. Bei den Kosten der Unterkunft ist ausschließlich die Adresse zu erfassen. Alle noch in Frage kommenden Bedarfe sind im Bereich “SGB XII HLU – Sonstiger lfd. Bedarf – Sonstiges” des Bedarfsbaumes mit folgenden Bezeichnungen und Haushaltsstellen hinterlegt.
Hilfe nach § 23 (3) S. 5 Nr. 1 SGB XII (3911/68135/130)
KV/PV nach § 23 (3) SGB XII (3911/68135/133)
Mehrbedarf nach § 23 (3) SGB XII (3911/68135/137)
Miete nach § 23 (3) SGB XII (3911/68135/140)
Unterkunft n. Tagessätzen nach § 23 (3) SGB XII (3911/68135/148)
Rückreisekosten als Darlehen nach § 23 (3a) SGB XII (3911/86322/132)
Die Zahlbeträge müssen manuell ermittelt werden und sind immer mit einen Monatszeitraum zu erfassen (Beispiel: 1. Februar.2017 bis 28. Februar 2017), da sonst anteilige Beträge ausgezahlt werden.

Das Schreiben vom 3.Februar 2014 über die Auswirkungen völkerrechtlicher Abkommen der Bundesrepublik Deutschland auf die Gewährung von Sozialleistungen wird hiermit aufgehoben.

Hier erhalten Sie weitere Informationen:

Archiv

  • Schreiben vom 03.02.2014 über Auswirkungen völkerrechtlicher Abkommen der Bundesrepublik Deutschland auf die Gewährung von Sozialleistungen