Runder Tisch am 11. März 2019

Der erste Runde Tisch fand am 11. März statt. Hier der Videomitschnitt und das Protokoll

Video zum Runden Tisch am 11. März 2019

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Video: Ralf Gründer

Zur Einführung in die Geschichte des Roedeliusplatzes sagte Dr. Christian Booß, Vors. Aufarbeitungsvereins Bürgerkomitee 15. Januar e.V. u.a. folgendes:

Zwei Fallbeispiele

Der Student Peter Püschel war Mitglied der CDU und pflegte Verbindungen zu studentischen Widerstandskreisen, zum Ostbüro der CDU und zur Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Er war nach Westberlin geflohen, wurde aber später bei einer Flugblattaktion in Potsdam festgenommen, 1951 in Lichtenberg zum Tode verurteilt, schließlich in Moskau hingerichtet. Im Jahr 1999 haben ihn die russischen Behörden rehabilitiert.

Fritz Storch war ökonomischer Direktor des Reichsbahnfernmeldewerks in Oberschöneweide. Das SED-Mitglied wurde wegen abfälligen Bemerkungen gegen das SED-Regime, den Besitz einer Westzeitung und persönlichen Kontakten zu einem ehemaligen SS-Offizier verhaftet, 1951 in Lichtenberg zum Tode verurteilt, ebenfalls in Moskau hingerichtet. Auch er ist 1999 von russischen Organen rehabilitiert worden.

Durch die sowjetischen Militärtribunale wurden vom 1945-1955 ungefähr 3000 Personen zum Tode verurteilt. Die Verantwortung dafür lag in vielen Fällen, nach 1950 in allen Fällen bei den Militärtribunalen in Lichtenberg, die ihren Sitz im Haftkomplex am Roedeliusplatz hatten. Das gleiche gilt für die exzessiven Langstrafen, die für viele auf Grund der nachkriegsbedingten harten Lagerbedingen faktisch ebenso mit dem Tod endeten.

Warum die Initiative zum Erinnern und Gedenken?

Es sind vor allem diese Schicksale, die uns vor eineinhalb Jahren veranlasst haben mit einer Erklärung anzuregen, bei der Gestaltung des Roedeliusplatzes auch derer zu gedenken, die dort unter den Folgen der stalinistisch geprägten Nachkriegsjustiz gelitten haben. Das gilt auch, wenngleich unter anderen Bedingungen, für die, die bis 1989 den Verfolgungen der Staatssicherheit ausgesetzt, und hier inhaftiert bzw. verurteilt worden sind.

Die Erinnerung und das Gedenken an jene Menschen scheint mir auch deswegen an diesem Ort wichtig, weil das, was wir auf dem ehemaligen Stasi-Gelände nebenan unter dem Stichwort „Campus für Demokratie“ diskutieren, ein Defizit aufweist. Das Gelände war der Sitz der Überwachungsbürokratie, aber dort ist unseres Wissens nie jemand eingesperrt oder verhört worden, es war ja geradezu ein Sperrbezirk für Fremde. Das Leiden der von der Repression Betroffenen hat an andernorts stattgefunden, wie am Roedeliusplatz.

Ich möchte von vornherein mit einem Missverständnis aufräumen. Wir sind nicht dagegen, dass der Roedeliusplatz neu gestaltet, die Qualität für die dort Verweilenden und Passanten verbessert, er grüner, ruhiger, Kind-gerechter, schöner werden soll. Grundsätzlich finden wir den 2017 ausgewählten Plan gut. Es ist auch durchaus richtig, an der Tradition des Platzes von der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert anzuknüpfen, wo der damalige Amtsgerichts-, später Wagnerplatz zum schmucken repräsentativen städtischen Zentrum für Lichtenberg werden sollte. Quasi zum Symbol der bürgerlichen Entwicklung in Gefolge der Industrialisierung.

Aber das ist eben nur die eine Hälfte der Vergangenheit. Über dieser sollte die zweite Hälfte, die 45 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht vergessen und verdrängt werden.

Um gleich mit einem zweiten Missverständnis aufzuräumen, auch wenn wir für ein Erinnern und Gedenken an diesem Platz Stelle eintreten, soll das nicht in einer Form geschehen, die so dominant oder schreckenerregend ist, das hier auf den geplanten, schönen Holzspielplätzen keine Kinder mehr spielen mögen oder die Rentner von ihren Bänken vergrault werden. Es soll ein dezentes Gedenken sein, so dass Passanten sich erinnern, und Kinder beim Vorbeigehen mit ihren Eltern vielleicht einmal fragen: Warum ist das da? Was war da mal?

Die Situation am Platz nach 1945

Rund um den Roedeliusplatz gab es ab 1945 eine erstaunliche Ballung von Institutionen, die nicht nur aber auch mit der Unterdrückung der Bevölkerung beauftragt waren. Wir können das heute nur summarisch darstellen. Ich fange im Nordosten an und gehe im Uhrzeigersinn um den Platz herum:

Schon vor Kriegsende nahm die sowjetische Militäradministration für Lichtenberg ihren Sitz in der Schottstraße 6, heute sind es Räume der evangelischen Kirche. Im Keller befand sich ein sogenannter GPU-Keller, in dem die sowjetische Geheimpolizei Personen relativ willkürlich einsperrte. Die sowjetischen Besatzungsorgane beschlagnahmten auch Nachbarhäuser am Platz, die Schottstraße 2-4. Auf diese Zeit geht zurück, dass ich dort zum Ende der DDR eine Polizeiinspektion befand. Im Nordwesten war dann der Sitz sowjetischer Organe, des sogenannten Informationsbüros, einer Nachrichten und Propagandaabteilung. Später war das der Sitz des Ministeriums für Staatssicherheit. Dann im Süden Richtung Magdalenenstraße war zunächst ein wichtiger Sitz der sowjetischen Militärjustiz, die in der Besatzungszeit auch für die Zivilbevölkerung zuständig war. Später war es Teil der Untersuchungshaft des MfS. Das Gericht selbst war zwar primär normales Stadtbezirksgericht, urteilte in Geheimprozessen aber zunehmend auch in politischen Verfahren, die die Stasi eingeleitet hatte.

Ehe ich zu einigen Detail komme, möchte ich ein drittes Missverständnis ausräumen. Es ist nach unserer Initiative die Frage aufgetaucht, ob wir einäugig sind, also uns nur auf das stalinistisch geprägte Unrecht beziehen. Das ist nicht so. Uns ist natürlich bewusst, dass die sowjetische Armee nicht einfach in Berlin stand, weil sich, um es salopp auszudrücken, der russische Bär verlaufen hatte. Ohne Hitler, den Nationalsozialismus, den zweiten Weltkrieg hätte die Geschichte des Roedeliusplatzes sicher einen anderen Lauf genommen, einen zivileren.

Wir haben daher auch die Zeit vor 1945 in den Blick genommen, schon seit der Kaiserzeit, um zu sehen, ob etwa im Gericht oder Gefängnis gravierende Rechtsverstöße oder gar Menschenrechtsverstöße zu verzeichnen sind. Die Aktenlage ist sehr dünn.

Einen überraschenden Detail-Befund will ich ihnen nicht vorenthalten. Detlef Krenz hat Belege für zwei Fremdarbeiterlager auf dem ehemaligen Stasigelände gefunden. Diese dienten nach dem Krieg wohl als Lager für Kriegsgefangene oder displaced person. Auch ein mit Stacheldraht umzogenes sowjetisches Gefangenenlager konnte er erst dieser Tage nachweisen. Aber diese Orte liegen an der Ruschestraße bzw. nördlich der Bornitzstraße, also weit von dem Platz entfernt, mit dem wir uns hier beschäftigen. Ich finde aber, diese Befunde sind so interessant, dass man den Lagern vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt eine Recherche und eine Ausstellung, vielleicht im Museum Lichtenberg, widmen könnte.

Zwischenfazit

Zurück zum Roedeliusplatz. Es ist davon auszugehen, dass natürlich Justiz und Strafvollzug in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht dem Standard entsprachen, den wir heute erwarten. Ab 1940 war die Haftanstalt Frauengefängnis, später auch für Minderjährige und allein das damalige Sexualstrafrecht war einengend und diskriminierend. Es ist auch festzustellen, dass die Polizei in der Zeit des Nationalsozialismus Denunziationen aufgriff und verfolgte. Das ist natürlich höchst problematisch. Wir haben aber für die Kaiserzeit und danach bis in den Nationalsozialismus nichts gefunden, ich bitte das nicht falsch zu verstehen, was sich von dem gravierend unterschied, was überall im Deutschen Reich zu dieser Zeit stattfand. Das ist für die Zeit ab 1945 vollkommen anders. Die Repressionsorgane, erst die sowjetischen, dann das MfS, die dann tätig wurden, prägten ganz Ostdeutschland. Hier saßen die Verantwortungsträger, hier wurde verhaftet und verurteilt, auch um damit Maßstäbe für die ganze Sowjetische Besatzungszone, bzw.die DDR zu setzen.

Sowjetische Aktivitäten

Dies gilt insbesondere für das Gefängnis des ehemaligen Amtsgerichtes. Unser Rechercheur Peter Erler schätzt, dass von 1945 bis 1953 dort ca. 8-9000 Personen inhaftiert waren. Wichtige Militärgerichte, tagten im Betsaal des Gefängnisses und sprachen oft harte Strafen aus. Von 1945 bis Januar 1947 sind 98, ab 1950 105 Todesurteile nachgewiesen. Ab 1950 tagte dort das SMT 48240, das für die gesamte DDR zuständig war. Als Reisegericht fuhr es zu Gerichtstagen, so dass das Lichtenberger Gericht für alle SMT-Todesurteile dieser Zeit verantwortlich ist. Das belegt, dass es sich um eine Institution und ein Geschehen von zentraler Bedeutung handelte.

Eine andere Frage ist, wo die Todesurteile vollstreckt wurden. Da sind in der Vergangenheit Quellen wohl etwas überinterpretiert worden. Die Hinrichtungen selbst haben wohl an anderen Orten, in späteren Jahren, in Moskau stattgefunden. Aber die Entscheidungsverantwortung bleibt.

Natürlich wird man nicht alle Verurteilten als schuldlos ansehen können. Deutschland hatte im Osten einen brutalen Vernichtungskrieg geführt. Insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren in der Haftanstalt auch Kriegsverbrecher oder Personen, denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen wurde, inhaftiert. Es ist auch klar, dass eine Besatzungsmacht, die einen verlustreichen Krieg hinter sich hat, der Bevölkerung, die sie vor sich hat, mit großer Skepsis begegnet. Dies kann aber keine Rechtfertigung für schwere Rechts- und Menschenrechtsverstöße sein. Die sowjetischen Besatzungsorgane schleppten die stalinistisch geprägten Institutionen und juristischen Praktiken ein. Es ist bekannt, dass sie es mit der Beweisführung und Formalien in Verfahren nicht sonderlich ernst nahmen. Mehr und mehr richteten sich die Repressalien auch gegen wirkliche oder vermeintliche Gegner, wobei schlecht überprüfte Denunziationen eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben dürften. Zu denken ist an die Gegner der verordneten Vereinigung von SPD und KPD, aber auch an liberale und konservative Anhänger anderer Parteien und die Aufständischen vom 17. Juni 1953.

Dass es sich bei den Urteilen der SMT überwiegend um Unrechtsurteile handelte, ist auch durch die Rehabilitierungspraxis der russischen Militärjustiz belegt, die seit der Jelzin-Ära in den 1900er Jahren hunderte von derartigen Urteilen aufgehoben hat.

MfS

Ich möchte auch noch kurz auf das MfS eingehen. Seit der Gründung 1950 saß im ehemaligen und heutigen Finanzamt die Geheimpolizei der DDR, das Ministerium für Staatssicherheit. Bis zum Ende der DDR firmierte das MfS unter dieser Adresse: Normannenstr. 22. Bis 1963 saß hier auch die Leitung der Stasi. Es war damals d a s Machtzentrum des MfS. Insofern gingen alle groben menschenrechtsverletzenden Aktivitäten von diesem Haus aus, hunderte Entführungen und tausende willkürliche Verhaftungen. Man darf nicht vergessen, dass sich diese Maßnahmen auch gegen SED-Mitglieder richteten, die sich den Luxus einer eigenen Meinung leisteten, wie z.B. Walter Janka, Wolfgang Harich und andere. Nachdem der Ministersitz in das sogenannte Haus 1, heute das Stasi-Museum der ASTAK, verlegt wurde, war die Normannenstraße 22 als Haus II Sitz verschiedener Spezialabteilungen, die sich auch der Überwachung der Bevölkerung widmeten.

Die Haftanstalt des ehemaligen Amtsgerichtes übernahm das MfS in den Jahren 1953 bis 1955. Bislang wurde die sogenannte UHA II immer eher als nachrangig im Verhältnis zur Untersuchungshaftanstalt I in Hohenschönhausen angesehen. Sebastian Stude und auch Peter Erler haben sich das erstmals genauer ansehen und können nun in einer Pilotstudie nachweisen, dass die Magdalenenstraße ein wichtiger Bestandteil des Untersuchungshaftsystems des MfS gewesen ist. Hohenschönhausen und andere Haftanstalten waren auf die Magdalenenstraße angewiesen. Das zeigen schon die Zahlen. Alle Verwandten, Anwalts- du Diplomatenbesuche fanden hier statt.
Auch die zentralen Ermittlungen der Stasi-gesteuerten Militärjustiz wurden hier durchgeführt.

Gericht

Die Haftanstalt wiewohl räumlich und organisatorisch getrennt, stand in enger Verbindung mit dem Gericht. Haftrichter bestätigten die Stasihaft. Immer mehr Gefangene aus Hohenschönhausen wurden hier in Geheimprozessen verurteilt, zuletzt ca. 1/3. Bekannt sind aus den letzten Jahre der DDR die Prozesse gegen Mitglieder der oppositionellen Umweltbibliothek und der Gegendemonstranten bei der Rosa Luxemburg-Demonstration 1988.

Fazit

Die Haftanstalt war, um es noch einmal deutlich zu machen, nicht irgendeine des MfS sondern, die, die zusammen mit Hohenschönhausen d i e zentrale Strafverfolgungsbehörde des Ministeriums in der DDR darstellte. Die Strafverfolgung hier diente nach den Worten von Stasi-Chef Mielke nicht dem Recht, sondern vorrangig der Absicherung „der Macht“, in einem Staat, in dem die Führung nur einer Partei, darüber entschied, welche Grundrechte der Bürger ausüben durften und die diese massiv beschränkte. Die politische Haft wie in der UHA II steht für diese Menschenrechtsverletzungen in besonderer Weise.

Ich hoffe, mit meinen Ausführungen deutlich gemacht zu haben, dass die Repressionsorgane nach 1945 rund um den Roedeliusplatz eine besondere Rolle weit über die lokale Bedeutung hinaus gespielt haben, und das es wichtig ist, an die zu erinnern, die unter den Rechts- und auch Menschenrechtsverletzungen dort gelitten haben, nicht nur ihretwegen, sondern auch unser selbst wegen.

Dr. Christian Booß