Mehringdamm 20, 28 | Obentrautstraße 19/21 | Flur 6 | Flurstück 3152 | Gemarkung Kreuzberg |…
Hinter diesen unspektakulär anmutenden Angaben verbirgt sich einer der umstrittensten Liegenschaftsfälle Berlins der jüngeren Vergangenheit: das sogenannte „Dragonerareal“. Eine 4,7 Hektar große innerstädtische Fläche, die auf eine bewegte Historie zurückblicken kann: von der Kasernen-Nutzung, dem Januaraufstand im Jahr 1919, über den Ort der Automobilität bis hin zum Ausbau als Verwaltungsstandort.
Nicht augenscheinlich schön, aber von vielen begehrt
2010 erlangte das „Dragonerareal“ bundesweit Bekanntheit. Nach der Insolvenz der Translag GmbH, Generalpächterin des Gewerbegebiets auf dem Gelände der ehemaligen Preußischen Kaserne am Mehringdamm, wurde das Areal zum Symbol einer Liegenschaftspolitik des Ausverkaufs. Der Bund als Eigentümer, vertreten durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), sah keine eigene Verwendung und entschied, das Areal im sogenannte Höchstbieterverfahren den freien Kräften des Immobilienmarktes zu überlassen. Erste zivilgesellschaftliche Akteur*innen stemmten sich gegen den Verkauf und engagierten sich für eine soziale und nachhaltige Entwicklung. Der Kampf um das sogenannte „Dragonerareal“ begann.
Jahrelang setzten sich unterschiedliche zivilgesellschaftliche Initiativen und Akteur*innen beharrlich gegen die Privatisierung des Geländes ein. Zwei Mal versuchte die BImA vergeblich das Gelände an meistbietende Investor*innen zu verkaufen. Sie scheiterte im Bundesrat, weil inzwischen auch die Politik den Ausverkauf der Stadt als Problem erkannt hatte. Nach langem Ringen gelang es schließlich im Sommer 2019 endgültig das Grundstück an das Land Berlin zu übertragen. So blieb es in kommunaler Hand, also in Gemeinbesitz, und die Grundlage für eine kooperative Entwicklung des Areals unter Einbeziehung des umliegenden „Rathausblocks“ wurde geschaffen. Das Besondere daran: Nicht die Berliner Verwaltung hat in diesem Fall Bürger*innen aufgerufen sich zu beteiligen, sondern die Stadtgesellschaft forderte die Stadtverwaltung auf, sich für eine sozial gerechte Stadtentwicklung einzusetzen.
Vom Sanierungsgebiet zum kooperativen Modellprojekt
Bereits 2016 wurde das Dragonerareal sowie die umliegenden Flächen unter dem Namen „Rathausblock“ als Sanierungsgebiet ausgewiesen, um seine Entwicklung zu begleiten und die Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu verbessern. Für rund 10 Jahre stehen Städtebaufördermittel von Bund und Land bereit. Nach einem gemeinsamen Auftakt luden Bezirk und Senat 2017 zu thematischen Arbeitsgruppen ein – zum Erinnerungsort, zum bezahlbaren Wohnen oder zur Zukunft des Gewerbes. Schnell wurde klar: Der Planungsprozess im Rathausblock schafft nur Vertrauen, wenn Beteiligung möglichst kooperativ funktioniert. Und so wurde in den folgenden Monaten nicht nur über die Inhalte der städtebaulichen Entwicklung gestritten, sondern auch über die richtigen Strukturen für ein gemeinsames Entscheiden auf Augenhöhe.
2019 unterzeichneten sechs Akteur*innen schließlich die „Kooperationsvereinbarung Modellprojekt Rathausblock Kreuzberg“. Neben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, der Wohnungsbaugesellschaft Berlin Mitte GmbH (WBM) und der BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), sind mit dem Forum Rathausblock und dem Vernetzungstreffen Rathausblock auch zwei zivilgesellschaftliche Akteur*innen gleichberechtigte Partner*innen in der Kooperation. Die Entwicklung des Dragonerareals entspricht in diesem Sinn der höchsten Stufe der Partizipation: der Mitentscheidung.
Durch die Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung haben sich die Partner*innen auf eine gemeinschaftliche und kooperative Entwicklung des Areals verständigt. Ein Anspruch, der die Beteiligten vor neue Herausforderungen stellt. So treffen beispielsweise Unternehmens- und Verwaltungsstrukturen auf ehrenamtliches und oftmals mit großen Emotionen verbundenes Engagement. Für Alle ist daraus ein Lernprozess geworden: Die Umsetzung von gemeinsamen Zielen wird von unterschiedlichen Interessen, Positionen und auch Aufgaben begleitet. Aber das wird der Prozess aushalten, denn er basiert auf dem Prinzip der „gleichen Augenhöhe“.
Der Einsatz lohnt sich – für eine sozial gerechte und solidarische Stadt
Das Modellprojekt Rathausblock Kreuzberg soll beispielhaft für einen Paradigmenwechsel hin zu einer gemeinwohlorientierten, ko-produzierten Stadtentwicklung stehen. Innerhalb der Kooperation lassen sich unterschiedliche Akteur*innen auf die Handlungsebenen der anderen Partner*innen ein, unterstützen sich, geben Impulse und arbeiten gleichberechtigt an dem Erreichen der gemeinsam gesteckten Ziele.
Mitten in Berlin bietet sich in zentraler Lage die selten gewordene Chance, bezahlbare Mietwohnungen für Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen sowie für benachteiligte Personengruppen im Einklang mit gewerblichen Nutzungen zu errichten. Dabei tragen alle sechs Partner*innen der Kooperation eine hohe Verantwortung und sind herausgefordert die gemeinsam gesteckten Ziele und die vielen unterschiedlichen Anforderungen bei der Entwicklung des Rathausblocks zu erfüllen.
Städtebauliche und baurechtliche Verfahren, mit den hierfür erforderlichen Fachgutachten, sind eingebettet in einen partizipativen Gestaltungsprozess mit vielfältigen Akteur*innen vor Ort. Die Ziele sind hoch gesteckt, es geht um leistbares Wohnen, bezahlbare Gewerbemieten, um ein Angebot an Gemeinwohlräumen auf dem Areal sowie um eine nachhaltige Entwicklung eines Gemeinwesens und um ein ökologisch zukunftsträchtiges und klimaresilientes Quartier. Das wiederum bedeutet viel Arbeit, Engagement und Zeit. Aber der Einsatz lohnt sich für diesen geschichtsträchtigen, spannenden städtebaulichen Ort. Denn es geht um echte Ko-Produktion von Stadt und darum, eine andere, sozial gerechte und solidarische Stadt vorstellbar und lebbar zu machen – zu 100 % bezahlbar, mit 100 % Teilhabe und 100 % Friedrichshain-Kreuzberg.
Stand: 17.09.2020