„Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie“

Plakat zur Ausstellung

Plakat zur Ausstellung

von Ursula A. Kolbe

In der aktuellen Umbruchsituation zwischen dem weltweiten Aufstieg antidemokratischer Strömungen, einem drohenden Brexit und der Europa-Wahl steht das Programm des Deutschen Historischen Museums in diesen Wochen und Monaten ganz im Zeichen der Demokratie und ihrer gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse. Die derzeitige Ausstellung „Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie“, die noch bis zum 22. September diesen Jahres zu sehen ist, stellt die Herausforderungen der Demokratie in Vergangenheit und Gegenwart in den Blick und erinnert an die historischen Errungenschaften der ersten deutschen Republik vor 100 Jahren.

Blicken wir uns doch um: Heute ist die liberale Demokratie nicht mehr selbstverständlich, sondern wieder ernsthaft gefährdet. Autoritäre und antipluralistische Parteien erstarken selbst in den Ländern, die auf eine jahrhundertelange demokratische Tradition zurückblicken. Auch in Deutschland scheint das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen zu schwinden. Und mit dieser Ausstellung stellt sich anhand des historischen Beispiels der Weimarer Republik auch hierzulande die Frage „Was ist Demokratie?“.

Vor dem Hintergrund aktueller Debatten um die Krise der Demokratie beleuchtet die Ausstellung die zentralen Herausforderungen in Politik und Gesellschaft, denen sich die Demokraten und -innen von damals stellten. Neue Freiheiten und Gestaltungsspielräume wurden nicht nur erkämpft und verteidigt, sondern wirken bis in die Gegenwart hinein. Es wird daher bewusst nicht das Ende Weimars fokussiert, sondern beleuchtet, wie sich die Menschen vor hundert Jahren mit dem, was Demokratie ist und werden sollte, kontrovers auseinandersetzten und wesentliche Momente von Demokratie herausbildeten.

Staatsrechtler Hans Kelsen gab der Ausstellung den Namen

Der Ausstellungstitel geht auf die gleichnamige Schrift des Staatsrechtlers Hans Kelsen zurück, einem entschiedenen Verteidiger der Weimarer Republik und Architekt der österreichischen Verfassung. Darin griff er 1920 die Zweifel der Demokratie-Gegner auf und fragte: Warum sollten wir Demokratie anderen Formen politischer Ordnung vorziehen? Und: „Was ist Demokratie überhaupt?“ Für ihn waren Freiheit und Gleichheit nicht nur wesentliche Grundlagen einer liberalen Demokratie, sondern gewichtige Argumente, um die demokratische Idee theoretisch zu begründen.

Basierend auf diesem Grundgedanken konzentriert sich die Ausstellung auf die Ideen, Leistungen und Biografien der Menschen, die die erste Republik aufgebaut und verteidigt haben. In vier Themenräumen vergegenwärtigt sie, ausgehend vom revolutionären Umbruch im November 1918 und dem Kampf um die Demokratie, entscheidende Prinzipien und Wesensmerkmale dieser Staatsform: Kompromisse als oft unpopuläre, doch friedliche Lösung von politischen Kontroversen, Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung als Grundrechte des Einzelnen sowie ein großer Ideenreichtum bei der Ausgestaltung von gesellschaftlicher Zukunft.

Kampf und Kontroversen, Freiheit und Visionen

Eine überwältigende Mehrheit der Wahlberechtigten, darunter erstmals Frauen und Soldaten, stimmte bei den ersten Wahlen 1919 für demokratische Parteien. Doch von Beginn an war die Weimarer Republik massiven Gefahren ausgesetzt. Autoritäre Traditionen aus der Zeit der Monarchie, wirtschaftliche Instabilität und Ängste vor Veränderung führten zu massiver Verunsicherung und politischer Radikalisierung. Fast durchgehend mussten die demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten gegen rechte und auch linke Extremisten verteidigt werden.

Die Ausstellung zeigt anhand von 250 Objekten, dass Kompromisse trotz dieser politisch-ideologischen Konflikte und gesellschaftlichen Spannungen leidenschaftlich ausgehandelt und wegweisende gesellschafts- und sozialpolitische Visionen verwirklicht wurden. Das 1919 eingeführte Frauenwahlrecht, die Etablierung des Sozialstaats, der Schutz von Minderheiten, die Verankerung von Meinungs- und Pressefreiheit oder die Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Religion: Die Tatkraft und Experimentierfreude, mit der neue und noch immer gültige Grund- und Freiheitsrechte erstritten und verteidigt wurden, beeindruckt bis heute.

Exemplarisch veranschaulicht die Ausstellung diese fundamentalen Reformen und Errungenschaften anhand der heftigen politischen Streits um die Fürstenabfindung von 1926 und die staatliche Arbeitslosenversicherung, die nach langen Kontroversen schließlich 1927 parteiübergreifend im Reichstag beschlossen wurde.

Innovative städteplanerische Konzepte des „Neuen Bauens“, die nach der vollständigen Neugestaltung des Wohnens strebten, reformpädagogische Ansätze in der Schule, der Aufstieg des Radios zum Massenmedium, das einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Kultur versprach oder das Ringen um die Gleichberechtigung der Frau und einen offeneren Umgang mit Sexualität legen beispielhaft offen, wie sich die deutsche Gesellschaft in diesen Jahren grundlegend modernisierte und demokratisierte.

Und auch nicht zu vergessen: Die Ausstellung ist inklusiv und barrierefrei. Sie bietet neben Texten in deutsch und englisch auch in Braille, in Leichter Sprache sowie als Gebärdenvideo an. Fünf inklusive Kommunikations-Stationen laden zu einem partizipativen Einstieg in die Themenbereiche ein.