Als Berliner Frauen ihr Korsett abstreiften

Ephraim-Palais mit Ausstellungswerbung "Berlin - Stadt der Frauen"

von Ursula A. Kolbe

Sie haben die Geschichte Berlins mitgeprägt, Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Haben das Korsett abgestreift. Das sie lange Jahrzehnte nicht nur körperlich einzwängte. Es steht als Sinnbild über der gegenwärtigen Ausstellung „Berlin – Stadt der Frauen“ im Ephraim-Palais.

Hier werden Biographien von 20 Protagonistinnen erzählt, zeigen, wie diese das Korsett gesellschaftlicher Zwänge abwarfen, was sie erlebten und wie sie dabei die Geschichte der Stadt mit geformt haben.

Diese Berlinerinnen geben einen facettenreichen Blick auf die Frauenbewegung, vor allem aber auf das Generalthema Emanzipation durch Bildung, kennzeichnend für die Lebenswege von Frauen des 19. Und 20. Jahrhunderts. Gleich welcher Epoche sie angehörten und welcher Profession sie folgten, sie haben ihr Leben selbstbestimmt gestaltet.

Und sie sind verbunden durch ihre Herkunft aus dem Bildungsbürgertum, durch ähnliche Chancen, aber auch durch Widerstände, die sie zwischen Tradition und Emanzipation überwinden mussten. Sie schufen Neues und eröffneten mit ihrer Neugier und Emanzipation neue Horizonte.

Diese couragierten Frauen sind bekannt, weniger bekannt oder wurden wiederentdeckt. Sie stehen für Abenteuerlust, Unangepasstheit und Selbstbewusstsein und damit für Berlin. Denn schon vor 150 Jahren war diese Stadt ein Ort, an dem vieles möglich war, was woanders unmöglich schien.

Dafür spricht u. a. der 1866 von Wilhelm Adolf Lette gegründete Verein zur Förderung der Erwerbstätigkeit des weiblichen Geschlechts, dem heutigen Lette Verein. Der Sozialpolitiker, Jurist und Paulskirchen-Abgeordnete erkannte, dass die Modernisierung Berlins von der Biedermeier-Residenz zur Metropole nur durch gemeinsame Anstrengung aller Bevölkerungsgruppen vollzogen werden konnte.

Er schuf Ausbildungsangebote speziell für Frauen; ein Werk, das seine Tochter Anna Schepeler-Lette nach seinem Tod fast 30 Jahre erfolgreich weiterführte und das nun schon seit 150 Jahren fortbesteht.

Marie Kundt, lange Jahre Direktorin der bekannten Berliner „Frauenakademie“ des Lette-Vereins, war übrigens diejenige, die 1896 als erste Person den Mut hatte, ihre Hand durchleuchten zu lassen. Sie erweiterte ab 1913 diese Akademie zur Ausbildungsstätte für wissenschaftlich-technische Frauenberufe. Dabei bildete sie auch Röntgenschwestern aus, die im Ersten Weltkrieg an die Front geschickt wurden. Einige von ihnen „fielen“ Hat man ihrer je gedacht?

Der Lette-Verein mit der bis heute berühmten Lette-Schule am Viktoria-Luise-Platz ist jetzt 150 Jahre alt. Und diese Ausstellung zugleich ein Höhepunkt des Jubiläums. Schülerinnen und Schüler aus den Klassen Grafikdesign und Medieninformatik gestalteten die einzelnen Bereiche mit – von Großprojektionen bis zu Videoinszenierungen.

Alle in der Ausstellung vorgestellten 20 couragierten Frauen haben die Gleichberechtigung vorangetrieben. Geeint vom starken Willen nach Unabhängigkeit und sich Nicht-Unterkriegen-Lassen, sagt Martina Weinland, Abteilungs-Direktorin im Stadtmuseum Berlin.

300 Objekte aus den Beständen des Stadtmuseums, viele persönliche Erinnerungsstücke, Film- und Tondokumente zeichnen enorm sinnlich alle diese Lebensstationen nach.

„Ob Malerin, Bildhauerin, Fliegerin, Lehrerin oder Wissenschaftlerin: So unterschiedlich sie auch sind, alle haben tiefe Zäsuren erlebt und erlitten. Und alle haben sich an den eigenen Haaren wieder herausgezogen. Das finde ich sehr vorbildhaft.“

Eine von ihnen war die Fliegerin Elly Beinhorn. Eine Weltkarte zeigt die Flugrouten dieser unerschrockenen Pionierin der Lüfte – Allein nach Afrika und als erste Frau rund um die Welt. Elly Beinhorn sei eine der prominentesten Damen im Deutschen Reich der 1930er Jahre gewesen, so Manfred Gräfe, Ausstellungs-Kurator . „Populär, eine hübsche Dame, sehr aufgeschlossen – eine Fliegerin zum Anfassen, hat man gesagt. Eine Frau mit Starkult.“

Ja, Frauen steckten in engen gesellschaftlichen Korsetts. Die Korsettstangen, die ihnen Halt ohne die üblichen Werte Ehe und Mutterschaft gaben, hießen Recht auf Bildung, Recht auf Arbeit, Recht auf Selbstbestimmung, Recht auf Gleichberechtigung.

Diese Rechte ziehen sich durch die Ausstellung im ersten und zweiten Stock des Ephraim-Palais, und dafür haben sie alle gekämpft: die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm (Großmutter von Katia Mann), die Sängerin und Schauspielerin Fritzi Massary, die Fotografin Eva Kemlein, die Architektin Emilie Winkelmann.

Unvergessen sind die Künstlerin Käthe Kollwitz, die Ausdruckstänzerin Mary Wigman. Andere wie die Frauenrechtlerin und Autorin Hedwig Dohm wird vielen erst mit der Ausstellung bekannt. Die Tochter eines jüdischen Tabakfabrikanten und Ehefrau des Chefredakteurs vom Satiremagazin „Kladderadatsch“ Ernst Dohm, forderte u. a. 1873 als eine der Ersten das Stimmrecht für Frauen.

Ihre Publikationen machten sie damals auf einen Schlag berühmt. Dohm starb 1919 und erlebte damit noch die Einführung des Frauenwahlrechts im Jahre 1918.
Von der Malerin Behrend Corinth war das Bild einer gebärenden Frau mit dem Titel „Die schwere Stunde“ eine Sensation der großen Sezessionsausstellung und ein Prüfstein ihrer Ehe mit Lovis Corinth, denn sein Bild war auf der gleichen Ausstellung kaum beachtet worden.

In den Blick rücken die Politikerin und Berliner Oberbürgermeisterin Louise Schröder, bis heute einzige Frau an der politischen Spitze Berlins, oder die Zoodirektorin Katharina Heinroth. Letztere wurde 1945 zur Direktorin des im Krieg schwer beschädigten Berliner Zoos ernannt, der nur noch 91 ausgemergelte Tiere zählte.

Heinroth, zuvor Assistentin im Zoo, profitierte in dieser Situation davon, dass es keine qualifizierten Männer für den Posten gab. Sie veranstaltete Kunstausstellungen, Boxkämpfe, organisierte ein Oktoberfest. Obwohl sie wirtschaftlich den Zoo wieder aufbaute, wurde sie 1956 entlassen und ausgetauscht – gegen einen Mann.

Es fällt auf, dass zehn dieser Frauen aus jüdischen Familien kamen. Das liege daran, erklärt Martina Weinland, dass die Juden als „Volk des Buches“ keine Geschlechterunterschiede in der Bildung ihrer Kinder machten. „Egal ob kleiner Junge oder kleines Mädchen: Die Kinder bekamen eine sehr fundierte, sehr gute Bildung.“ Darauf konnten dann auch die Frauen in ihrem künftigen Leben aufbauen.

Interessant ebenso: Zu jeder Biographie gehört ein Satz, sozusagen ein Credo dieser innovativen, kreativen Frauen. Die Journalistin und Literatin Hedwig Dohm forderte „werde die, die du bist“. Die Schauspielerin Fritzi Massary stellte fest: „Der Beginn einer Karriere ist ein Geschenk der Götter. Der Rest ist harte Arbeit.

“Die Malerin und Bildhauerin Jeanne Mammen, in Berlin geboren, in Paris aufgewachsen, konstatierte: „Die Wandlung kommt mit dem Wissen“.
Sie alle verbindet neben ihrem Mut und ihrer Eigenwilligkeit noch etwas: Berlin. Die Stadt, in der sie wirken konnten. Diese Stadt war nicht nur der schlichte topographische Ort, an dem alles passiert, sondern eine Bühne für diese Frauen, sagt Martina Weiland.

“Es ist die Stadt mit ihrer Durchlässigkeit der Gesellschaften und der Toleranz, die es in Berlin gibt. So trafen sich die Frauen, so unterschiedlich sie auch waren, immer wieder an bestimmten Schnittpunkten wieder.“ Das sei in keiner anderen Stadt so möglich wie in Berlin.

Übrigens: Viele Jahrzehnte blieb Katharina Heinroth die einzige Zoodirektorin Deutschlands. Das Korsett der Frau ist durchlöchert – ganz verschwunden ist es noch nicht. Unser konkreter Alltag hat viele Beispiele.