„Nachtigall, ick hör dir trapsen...“

Nachtigall im Geäst

Nachtigall im Geäst

von Hans-Jürgen Kolbe

Auch wenn diese Redensart einem alten Volkslied entnommen ist, so hat sie im übertragenen Sinne doch etwas mit der Nachtigall zu tun: Man hört sie singen aber man sieht sie nur selten. Wer zum ersten Mal die legendäre Sängerin im Gebüsch oder im Baum entdeckt, ist vielleicht enttäuscht von ihrem schlichten Aussehen.

Ich habe das große Glück, seit vielen Jahren diesen etwa 15 cm großen Vogel in meinem Garten gewissermaßen begrüßen zu können. Und ich hoffe sehr, das er sich auch in diesem April, wenn er aus seinem Winterquartier in Afrika zurückkehrt, bei mir im wahrsten Sinne des Wortes wieder einnistet. Ich denke der Vogel dankt es mir, dass in meinem Grundstück seit Jahren die Natur die Vorfahrt vor dem Rasenmäher hat.

Kleiner Vogel, gewaltige Stimme

Es gibt viele Kriterien, die bei der Wahl des Lebensraumes für die Nachtigall eine Rolle spielen. Ein zentraler Gesichtspunkt ist die Vegetationsstruktur des Geländes: Reicher Unterwuchs und eine Bodenschicht aus verrottendem Laub müssen vorhanden sein, damit sich die Nachtigall ansiedelt. Der Unterwuchs kann aus dichtem Gebüsch, Hecken oder jungem Baumwuchs mit einer dichten Kraut- und Staudenschicht bestehen. Eine solche Pflanzendecke bietet dem Vogel Nahrung, Versteckmöglichkeiten und einen schattigen Platz für sein bodennahes Nest.

Noch brüten bundesweit rund 95.000 Nachtigallenpaare, doch in vielen Regionen mussten sie wegen der Verschlechterung ihrer Lebensräume in den letzten Jahrzehnten erhebliche Bestandsverluste hinnehmen. Der Nachtigallen-Bestand schwankt also erheblich durch den Verlust traditioneller Brutplätze.

Lernen Nachtigallen berlinern?

Obwohl die Nachtigall kein urbaner Vogel wie der Spatz ist, gibt es in keiner anderen europäischen Großstadt so viele Brutpaare pro Quadratkilometer wie in Berlin. Die Stadt hat mit 1.300 bis 1.700 Brutpaaren eine vergleichsweise hohe Population aufzuweisen und wird deshalb oft als „Hauptstadt der Nachtigallen“ bezeichnet. Überraschender Weise finden die Vögel gerade ich Berlin viele Standorte, die ihren Bedürfnissen entsprechen, sogar entlang der bewachsenen S-Bahn-Trassen oder an der Stadtautobahn.

Auffällig ist dieser kleine, braune Zugvogel nicht durch sein Äußeres, sondern durch seinen stimmungsvollen Gesang, der im Frühling zu nahezu jeder Uhrzeit manchmal laut schmetternd, manchmal flötend erklingt. Während beide Geschlechter Rufe, z.B. einen lauten und deutlich ansteigenden Warnruf äußern können, singen tatsächlich nur die Männchen. Des Nachts erklingt der Gesang der unverpaarten Männchen ab ca. 23 Uhr auf der Suche nach einem Weibchen, mit dem sie in der Brutsaison vier bis sechs Junge großziehen. Haben sie eine Partnerin gefunden, konzentriert sich der Gesang in der Morgendämmerung und während des Tages auf die Verteidigung ihres Reviers gegen andere Männchen.

Balzgesang und Reviergesang unterscheiden sich voneinander. Während der Paarbildung, beim Nestbau und in den ersten Bruttagen tragen die Männchen ihren weniger strophig gegliederten nächtlichen Balzgesang leise und anhaltend vor. Tagsüber erklingt mit dem Reviergesang ihr unglaubliches Repertoire von durchschnittlich 190 verschiedenen Strophentypen, die jeweils ca. zwei bis vier Sekunden lang sind und aus dicht gereihten Doppel- oder Einzeltönen bestehen. Kaum ein anderer Vogel erreicht einen derart komplexen Gesang. Die Berliner Population von ca. 3000 Vögeln kann es bei dieser Vielfalt auf ca. 700 verschiedene Strophen bringen!

Erste Ergebnisse aus dem „Forschungsfall Nachtigall“ beim Museum für Naturkunde Berlin zeigen, dass es einige Strophentypen gibt, die besonders häufig in Berlin gesungen werden. Dies könnte bedeuten, dass die Nachtigall tatsächlich berlinert.