Warum ich im Reisebus lieber hinten sitze

Ein Reisebus vor der Abfahrt

von Tina Gonschorek

Ich habe schon sehr viele Fahrten mit den verschiedensten Reisebussen unternommen. Und ob es sich dabei um kurze Tagesfahrten oder längere Urlaube handelte, das Sprichwort: „Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erleben“ traf dabei jedes Mal zu. Aber was ich letztlich bei einer Wochenendfahrt nach Rügen erlebte, war dann doch ziemlich außergewöhnlich.

Es begann damit, dass der Bus pünktlich kam, der Fahrer aber sehr aufgeregt war, da er angeblich soeben beim Abbiegen einer Dame im PKW den Außenspiegel abgefahren haben sollte. Er fragte einige schon im Bus sitzende Reisende, ob sie etwas gesehen hätten, aber niemand konnte ihm helfen.

Während er sich mit der aufgebrachten Dame auseinandersetzte wurden wir von seiner Beifahrerin eingecheckt. Die Sitzplätze waren vorgegeben und unsere befanden sich direkt in der ersten Reihe rechts. Da hatte ich noch nie gesessen, da diese Plätze stets so beliebt sind, dass sich sofort alle Einsteigenden darauf stürzen. Mir ist allerdings völlig unbegreiflich, wie man so scharf darauf sein kann, dort zu sitzen! Die Beinfreiheit bestand darin, dass ich meine Beine etwa sechs Zentimeter vor und zurück bewegen konnte. Nun ja, die Fahrt sollte ja zum Glück nicht all zu lang dauern.

Meine Begleiterin und ich richteten uns auf unseren Plätzen ein. Ich saß am Fenster und versuchte meinen Rucksack unter dem Sitz zu verstauen, was sich als fast unmöglich erwies, da einfach kein Platz darunter war. Meine Begleiterin behielt ihren Rucksack auf dem Schoß, was sie lieber nicht hätte tun sollen!

Inzwischen hatte der Fahrer seinen Disput mit der Autofahrerin beigelegt und stieg ein, um uns zu begrüßen. Er stellte sich und seine Beifahrerin als Dieter und Susanne vor und begann dann sofort ausführlich die vielen Regeln zu erklären, die wir als Reisende in seinem Bus einzuhalten hatten. Zum Beispiel wurde es uns untersagt größere Flaschen oder Ähnliches in die Gepäcknetze des Vordersitzes zu tun, da diese sonst ausleiern würden und das kostet viel Geld! Dieter wollte uns davor bewahren, die Netze ersetzen zu müssen!

Ich ließ etwas gelangweilt meinen Blick schweifen und entdeckte im Cockpit ein etwa DIN A3 großes Plakat, auf welchem lauter durchgestrichene Piktogramme abgebildet waren. Interessiert studierte ich sie und fand heraus, dass das Essen von Eis, Burgern und Pommes sowie das Trinken von Cola strengstens verboten waren.

Dieter laberte noch immer. Gerade begann er vom Essen im Bus zu sprechen als ich, auf sein Plakat bezogen, vor mich hinmurmelte: „Das ist verboten!“. Zu meinem Leidwesen hatte Dieter sehr gute Ohren! Ich hatte nun seine volle Aufmerksamkeit, die er mit einem ziemlich unheilvollen Blick aus seinen engstehenden blauen Augen begleitete. Barsch sagte er: „Nein, das ist natürlich nicht verboten, aber für zehn Cent können Sie sich eine große Pappe kaufen, um dann das Essen zu genießen, dass Susanne Ihnen später anbieten wird!“.

Unglücklicherweise war Dieters nächstes Thema das Handgepäck! Er erläuterte gerade, dass es in den Gepäckfächern über den Sitzen zu verstauen sei, als sein Blick auf den Rucksack meiner Begleiterin fiel. Noch immer etwas verärgert über meine leise Bemerkung witterte er nun seine Chance zur Revanche. Er sagte ihr, dass es verboten sei, das Gepäck während der Fahrt auf dem Schoß zu behalten.

Sogleich stand sie auf, um es oben zu verstauen, was aus Platzmangel unmöglich war. Also versuchte sie den Rucksack unter ihren Sitz zu schieben, wobei Dieter sie im Auge behielt. Wie erwartet war dort auch kein Platz, woraufhin er ihr hämisch grinsend erklärte, dass es aus Sicherheitsgründen ebenfalls verboten sei, das Gepäck unter den Sitz zu schieben, da der Reisende sich im Falle eines Unfalls beim schnellen Verlassen des Busses darin verheddern könnte.

Meine Begleiterin fragte ihn verzweifelt, wo sie ihren Rucksack denn nun deponieren könnte und er sagte maliziös lächelnd, dass Susanne ihr helfen würde, ihn unten im Bus bei den Reisetaschen zu verstauen. All dies ereignete sich so schnell, dass wir gar keine Zeit zu weiteren Überlegungen oder Gegenwehr hatten. Mein Rucksack war von Dieter zwar nicht entdeckt worden, was mir aber auch nicht wirklich etwas nutzte, da ich mich nun gar nicht mehr traute, danach zu greifen, um etwas heraus zu holen.

Die Liste der Verbote war nun abgearbeitet und es ging los. Komischerweise hatte Dieter mit keinem Wort erwähnt, dass es die Pflicht der Passagiere ist, sich anzuschnallen. Ein entsprechendes Piktogramm befand sich natürlich über der Tür.
Susanne erfreute uns mit einem Vorgeschmack auf die an Bord befindlichen Köstlichkeiten. Es gab warme und kalte Getränke, Würstchen und 5 Minuten Terrinen, die sie in der Mittagspause auf Wunsch zubereiten würde.

Die Fahrt verlief entspannt, bis wir auf die Autobahn kamen. Mühsam quälten wir uns von einem Stau zum Nächsten. Der Vorteil von unserem Sitzplatz war, dass wir den Gesprächen von Dieter und Susanne folgen konnten. Momentan diskutierten sie die Weiterfahrt, weil im Radio gerade ein Unfall mit Vollsperrung angesagt worden war.

Dieter teilte uns mit, dass er auf die Landstraße ausweichen würde. Inzwischen waren wir schon drei Stunden unterwegs, weswegen eine Pipipause langsam dringlich wurde. Meine Begleiterin war nervös, weil sie ihre Tablette, die zur Mittagszeit fällig war nicht einnehmen konnte, da ihr Rucksack ja unerreichbar in den Tiefen des Busses lagerte.

Susanne googelte nach Tankstellen und alsbald standen gefühlte fünfzig Damen an der Toilette an. Danach gab es die Würstchen. Susanne bot uns an, sie zu unseren Plätzen im Bus zu bringen, was wir aber dankend ablehnten, denn zum einen hatten wir ja langen genug gesessen und zum anderen sah ich vor meinem geistigen Auge, wie lauter Brotkrümel auf dem Boden lagen und Senfflecken die Sitze verunzierten. Ich wollte unbedingt vermeiden zum Bus putzen abkommandiert zu werden und für die Komplettreinigung der Sitze verantwortlich zu sein, denn wie Dieter zu sagen pflegte: „Das kostet alles viel Geld!“.

Im weiteren Verlauf der Reise machten meine Begleiterin und ich uns einen Spaß daraus, bei jedem Einsteigen unsere Rucksäcke Susanne zur Einlagerung anzuvertrauen. Wohlgemerkt als Einzige der 45 Passagiere an Bord! Zu Susannes Ehre sei gesagt, dass sie stets ihre Contenance bewahrte, obwohl sie uns sicher jedes Mal dahin wünschte, wo der Pfeffer wächst.

Nach der Pause ging es weiter auf diversen Landstraßen in Richtung Rügen, wo wir am Abend in Ralswieck die Störtebeker Festspiele besuchen wollten.

Nun aber zu den Gründen, warum ich im Reisebus lieber hinten sitze.
Wenn man nämlich vorn sitzt, sieht man zum Beispiel jedes tote Tier am Straßenrand, was besonders unangenehm war, weil Susanne bei jedem Kadaver laut überlegte, welcher Gattung er einst angehört hatte.

Und obwohl Dieter sicher fuhr, sieht man einfach zu viel wenn man praktisch neben ihm sitzt.
Wir sahen, wie er mit Genuss während der Fahrt eine, von Susanne liebevoll auf einer großen Pappe servierte, Knacker mit Senf und Toastbrot verspeiste, wie er virtuos mit seiner elektrischen Fliegenklatsche versuchte die nervigen Insekten zu fangen und wie er hin und wieder Telefongespräche auf sein Headset umleitete.

Sehr aufregend für meine Begleiterin wurde es, als Dieter während der Fahrt unter seinem Sitz nach der Landkarte tastete und sie dann aufblätterte, um sich über den Verlauf der Straßen zu informieren. Sie schnappte nach Luft, trat ihr imaginäres Gaspedal bis zum Bodenblech durch, und ich konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, Dieter ihre Meinung zur Multitasting-Fähigkeit von Busfahrern aufzudrängen.

Seine Blicke pendelten von der Landkarte zur Straße und wir waren sehr froh, dass kein hohes Verkehrsaufkommen herrschte. Ich war wirklich versucht Dieter darauf aufmerksam zu machen, dass solche Gesetzesverstöße auch viel Geld kosten, konnte mich aber gerade noch zurückhalten.
Solche Dinge sieht man natürlich auf den hinteren Plätzen nicht und lebt damit sehr viel ruhiger.

Ein letzter Grund, warum ich lieber hinten sitze ist, dass man auf den vordersten Plätzen nur nach vorn fotografieren kann, wenn ich mich denn getraut hätte meinen Fotoapparat zu benutzen, von wegen Gepäck auf dem Schoß und so.
Außerdem war ich mir nicht ganz sicher, ob ich auf dem großen Plakat mit den Verbotspiktogrammen nicht doch einen durchgestrichenen Fotoapparat gesehen hatte!