Kellerwald… wo eine jahrhundertealte Tradition lebt

abgebrochener Baum im Wald von Baumpilzen bewachsen

von Ursula A. Kolbe

Ein Paradies für Naturliebhaber und Abenteurer ist der fast 6.000 ha große Nationalpark Kellerwald-Edersee mit seinen über 50 bewaldeten Hügeln und romantischen Wiesentälern, den 1.000 reinsten Quellen und naturnahen Bächen, faszinierenden Felsfluren und Blockhalden. Teilbereiche seiner majestätischen Rotbuchenwälder, die nur in Europa wachsen, wurden von der UNESCO als Weltnaturerbe geadelt. 19 Radwanderwege lassen sich hier hervorragend zu Ganztagestouren oder mehrtägigen Etappen kombinieren. Mit fjordartigen Mäandern begrenzt der 27 km lange Edersee den Nationalpark im Norden Hessens. Da lockt die Natur natürlich besonders.

Solche naturbelassenen Regionen günstig und umweltfreundlich zu erreichen, hat sich Fahrtziel Natur zur Aufgabe gestellt. Bekanntlich setzen sich seit 2001 BUND, NABU, VCD, die Deutsche Bahn sowie Nationalparke, Naturparke und Biosphärenreservate aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gemeinsam dafür ein, den touristischen Verkehr in solch sensiblen Naturräumen vom privaten Pkw auf öffentliche Verkehrsmitteln zu verlagern.

Seit Jahresbeginn ist nunmehr der Nationalpark Kellerwald-Edersee das 23. Mitglied von Fahrtziel Natur. Für uns ein Anlass, dieses faszinierende UNESCO-Weltnaturerbe zu besuchen. So lässt sich die Nationalpark-Region sehr gut mit dem ICE erreichen. Vom Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe geht es mit dem Nahverkehr umsteigefrei nach Korbach und Bad Wildungen. Bis zu zweistündlich fahren außerdem Intercity-Züge aus Hamburg und Hannover bzw. Karlsruhe und Frankfurt(Main) nach Marburg. Ab Marburg und Korbach fährt die Kurhessenbahn mindestens zweistündlich über Frankenberg (Eder) und Vöhl-Herzhausen direkt zum Nationalpark.

(In dem Zusammenhang: Detaillierte Infos zur An- und Abreise mit der Bahn, Mobilität vor Ort und attraktive Reiseangebote in alle 23 Fahrtziel Natur-Gebiete in der Jahresbroschüre 2018, die in den Reisezentren der DB verfügbar sind. Naturverträgliche Reiseangebote, Ameropa-Reisen inkl. Bahnreise mit 100 Prozent Ökostrom, Tipps und mehr auch unter www.fahrtziel-natur.de.)

Im Blick dabei immer die nachhaltige Mobilität. Mit der Gästekarte „MeineCard“, die auch wir während unseres Aufenthaltes in der Region ausgiebig nutzten, ist die Fahrt mit Bussen, Bahnen und Anruf-Sammel-Taxis (AST) kostenlos. Bei allen teilnehmenden Betrieben erhalten Urlaubsgäste die „MeineCard“, die für die gesamte Aufenthaltsdauer inklusive An- und Abreisetag gültig ist. Das heißt kostenlose Mobilität vor Ort und in ganz Nordhessen. Erreicht werden z. B. 14 Nationalpark-Eingänge, von denen die Rundwanderrouten starten. Mehr als 120 Freizeitangebote sind kostenfrei, darunter die multimediale Erlebnisausstellung des NationalparkZentrums Kellerwald, der WildtierPark Edersee und der Baumkronenweg Edersee.

Abendlicher Spaziergang zur Banfehütte mit „Lesestunde“

Einen ersten Eindruck über unsere Umgebung gewannen wir bei unserem Abend-Spaziergang zur Banfehütte, etwa eine halbe Stunde von unserem Domizil, dem Hotel „Fünfseenblick“ in Edertal-Bringhausen, entfernt. In einem Naturheilort mit einzigartiger Natur- und Kulturlandschaft, die wir in den folgenden Tagen erkunden wollten. Das Hotel übrigens hat u. a. ein schmackhaftes Bio-zertifiziertes Büfett-Restaurant mit ausschließlich frisch zubereiteten, vollwertig-vegetarischen Speisen. Die Zutaten kommen hauptsächlich von einem regionalen Naturkostgroßhändler und aus der eigenen Biogärtnerei. Es geht dort ausgesprochen ruhig zu.

Neugierig geworden auf die Banfehütte erfuhren wir, dass sie 1927 erbaut wurde und einst das Wohnhaus des Fischzuchtmeisters der Banfeteiche für die Fischzucht des 1914 gebauten Eder-Stausees war. Dann ist es über lange Zeit als Jagdhütte genutzt worden und dient heute dem Nationalpark für seine Gruppenarbeit und eben manchmal auch als Einkehr zu einer deftigen Brotzeit wie an diesem Abend, die wir natürlich mit gutem Appetit genossen haben. Begleitet wurden wir vom Nationalpark-Leiter Manfred Bauer, der Projektleiterin Fahrtziel Natur im Nationalparkamt Jutta Seuring und weiteren Mitstreitern sowie Vertretern hiesiger Tourismus-Einrichtungen, die uns auch hier mit den Tourismus-Angeboten und der Zusammenarbeit mit dem Nationalpark vertraut machten.

Mit dabei Buchhändler Bernhard Schäfer und Mitinhaber vom „Buchland“ in Bad Wildungen – er überraschte uns im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Zwischenstopp auf dem Hinweg, nämlich einer kurzen Lesung an einer kleinen Lichtung und rezitierte – unsere Schmunzelfalten anregend – „Am (EDER)Schneesee“ von Franz Fühmann, aber von ihm umgedichtet. Köstlich.

Sogar eine „Fortsetzung“ gab es später in der Hütte mit „Wandern“ von Frank Gebert aus der Reihe „Kleine Philosophie der Passionen“, „Das kolumnistische Manifest“ von Axel Hacke sowie „Komische Liebesgedichte“, aufgespürt von Christian Maintz. Unser Beifall war dem Vortragenden gewiss. Bernhard Schäfer ist mit solchen Aktivitäten ebenso in seiner Umgebung als gefragter Unterhalter nicht wegzudenken. – Auch das ist das Leben im Nationalpark Kellerwald-Edersee und seinem Umfeld.

Im Reich der urigen Buchen

Auf dem Weg ins NationalparkZentrum kommen mir wieder die hier und übrigens nur in Europa wachsenden Rotbuchenwälder in den Sinn. Von ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet sind nur noch ca. acht Prozent übrig geblieben. Hessen hat als Buchonia, als das Land der Buchen, daher eine besondere Verantwortung. So schützt der erste Nationalpark des Landes auf fast 6. 000 ha einen der größten unzerschnittenen Hainsimsen-Buchenwaldkomplexe Mitteleuropas. Hier entsteht wahrlich eine „Wildnis von morgen“.

Vielleicht nur noch so viel: Die „Alten Buchenwälder Deutschlands“ mit den Teilgebieten Jasmund, Grumsin, Serrahn, Hainich und Kellerwald ergänzen seit 2011 die „Buchenwälder der Karpaten“ in einer gemeinsamen UNESCO-Welterbestätte. Die fünf deutschen Teilgebiete sind die am besten erhaltenen Altbuchenwälder des Tieflandes und der Mittelgebirge.

Diese Wälder mit ihrer jahrhundertealten Waldtradition repräsentieren den andauernden ökologischen Prozess der nacheiszeitlichen Waldentwicklung und die biologische Vielfalt der europäischen Buchenwälder. Im Juli 2017 wurde die Familie der Weltnaturerbe-Buchenwälder Europas erweitert: Mit rund 100.000 ha verteilt auf 78 Teilgebiete in 12 europäischen Nationen entstand die größte transnationale serielle Welterbestätte der Welt.

Im NationalparkZentrum angekommen, tauchen wir dann in eine der innovativsten Umweltausstellungen ein, in einen Raum für Wildnis & Natur. Ranger Markus Daume stimmt uns mit den Urschätzen der Wildnis emotional ein. Die eigene Atmosphäre der verschiedenen Lebensräume erleben wie den Feenhügel, die Felsen und Schluchten, Quellen und Bäche und natürlich die Buchenurwälder. Die interaktiven Ausstellungsstücke im WaldWerk verraten die kleinen Geheimnisse der Buchenwälder und ihrer Bewohner.

Im 4D-SinneKino hätte ich ewig sitzen bleiben können. Schon der einleitende kurze Film über die Sage der Boggel (abgeleitet von Buche – gibt’s im Shop auch als Maskottchen) machte neugierig, in die hiesige Wald-Natur einzutauchen und anschließend mit dem Film „Mit dem Ranger durch den Nationalpark“ „abzutauchen“.

Sinnbildlich las ich an einer Wand die Aussage von Henry David Thoreau, ein amerikanischer Schriftsteller und Philosoph (1817 – 1862), der genau zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage im Wald lebte: „Es ist umsonst, wenn wir von einer Wildnis träumen, die in der Ferne liegt. So etwas gibt es nicht. Der Sumpf in unserem Kopf und Bauch, die Urkraft der Natur in uns, das ist es, was uns diesen Traum eingibt.“

Auf zur KellerwaldUhr und in die Quernstkapelle

Weitere beliebte Anziehungspunkte, den Nationalpark mit seinen Lebensräumen zu erkunden, sind auch die KellerwaldUhr oder die Quernst-Kapelle. So spannt die kulturhistorische Ausstellung der KellerwaldUhr einen Bogen von der Eiszeit bis in die Gegenwart und nimmt dabei die wechselvolle, lebendige Beziehung zwischen Mensch und Wald in den Blick. Auch die Quernstkapelle, deren ursprüngliches Fundament bis ins 8. Jahrhundert zurückreicht, ist eine Begegnungsstätte zwischen Mensch und Natur, man kann auch sagen, eine Einkehr in Gottes Natur. Dazu drängte es die Menschen schon immer zu jeden Zeiten.

Über Jahrhunderte pilgerten die Gläubigen aus den umliegenden Gemeinden hoch zur Quernst-Kirche und tun es auch heute noch auf dem Hügel mitten im Wald, um mit sich allein zu sein, innezuhalten und zu sich zu finden – in einer gehetzten und friedlosen Zeit wie gerade jetzt für viele wichtiger denn je. Hierher kommen Spaziergänger und Wanderer, Mountain-Biker, Reiter, auch Skilangläufer. Die Ruhe des Waldes umfängt sie.

Schloss Friedrichstein – ein Bad Wildunger Blickfang

Ganz andere Eindrücke hatten wir in Bad Wildungen – einer Perle in der Erlebnisregion Edersee. Die nordhessische Kurmetropole genießt mit seinen Heilbädern einen anerkannten Ruf als wichtiger Gesundheitsstandort ebenso als eine grüne Wohlfühloase. Ihr Stadtbild ist geprägt vom Fachwerk und prachtvollem Jugendstil sowie von Europas größtem Kurpark.

Unser Ziel aber war das Schloss Friedrichstein, das mit seiner leuchtend gelben Fassade weithin sichtbar die Silhouette bestimmt. Und hier tauchten wir in ein anderes Stück Geschichte ein. Im 12. Jahrhundert ursprünglich als gotische Burg errichtet, wurde der mittelalterliche Bau von Graf Josias II. von Waldeck (1636 – 1669) Mitte des 17. Jahrhunderts durch ein imposantes Barock-Schloss ersetzt. Sein Neffe Friedrich Anton Ulrich vollendete nach dessen Tod die verbliebenen Umbauarbeiten und gab dem Bau seinen heutigen Namen „Friedrichstein“.

In den folgenden Jahrzehnten durchlebte das Schloss historisch wechselvolle Zeiten. Seit den 80er Jahren nun beherbergt es den Sammlungskomplex zur hessischen Jagd- und Militärgeschichte der Museumslandschaft Kassel. Über Jahrhunderte galt die Jagd ausschließlich als Privileg des Hochadels. Als exklusives Freizeitvergnügen repräsentierte sie die Macht- und Herrschaftsansprüche der Fürsten – und als Statussymbole. Zu den Raritäten der landgräflich-hessischen Sammlung zählen u. a. reich verzierte Armbrüste und Radschlossgewehre aus dem 17. Jahrhundert. Ein Spiegelbild ebenso edle Uniformen und eindrucksvolle Gemälde und Büsten der Sammlung.

Beeindruckend der sogenannte Turcica-Bestand, also Waffen und andere Kostbarkeiten osmanischer Herkunft, die zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert als Kriegsbeute, Geschenke oder durch gezielte Ankäufe in die Sammlungen der Landgrafen und Kurfürsten von Hessen-Kassel gelangten.

Ein besonderer Hingucker auch für uns war das Audienzzelt der türkischen Armee auf der Zeit um 1700. Der mit außergewöhnlichen Applikationen verzierte Stoffriese zählt zu den sechs fast vollständig erhaltenen osmanischen Zelten innerhalb Deutschlands und ist dank aufwendiger Restaurierungen in seiner beeindruckenden Farbenpracht bis heute erhalten.

In einem weiteren Beitrag lesen Sie über unseren Nachtausflug in den WildtierPark Edersee mit Ranger Erhard Bemmann; wir wandelten auf dem Baumkronenpfad; tauchten in die über 100jährige Geschichte der Edersee-Staumauer ein; „schipperten“ über den See und erfuhren über die Tour Edersee-Atlantis mit Blick auf die versunkenen Ortschaften.

Fahrtziel Natur-Award 2018 verliehen

Anlässlich der TourNatur, Deutschlands einziger Messe rund um Wandern und Trekking, die kürzlich in Düsseldorf stattfand, hat Fahrtziel Natur den Award 2018 zum nunmehr sechsten Mal verliehen. Die Naturparke und das Biosphärenreservat Thüringer Wald erhielten den Preis für die Umsetzung des Mobilitätskonzeptes in der Rennsteigregion und das „Rennsteig Ticket“. In elf Orten erhalten Übernachtungsgäste dieses Ticket bei der Anmeldung im Beherbergungsbetrieb mit kostenfreier Nutzung des RennsteigShuttles.

Der Müritz-Nationalpark wurde für seine Gästekarte „MÜRITZ rundum“ und das integrierte Buskonzept geehrt. Das kostenfreie Ticket erhalten alle Urlaubsgäste in Waren, Röbel, Klink und Rechlin. Es erschließt die Ferienregion rund um den größten Binnensee Deutschlands. Kundenfreundlich aufbereitete Informationen sorgen dafür, dass sich Urlauber gut orientieren können.

Der Nationalpark Eifel überzeugte mit der „GästeCard Erlebnisregion Nationalpark Eifel“ und einer gelungenen Gästeinformation in der Nationalparkfaltkarte „Natur erfahren“. Gäste der teilnehmenden Übernachtungsbetriebe können bei rechtzeitiger Buchung ihre Gästekarte zu Hause ausdrucken und schon bei An- und Abreise kostenfrei Busse und Bahnen im Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) und im Aachener Verkehrsverbund (AVV) nutzen.

Weiter Informationen unter www.fahrtziel-natur.de